VwGH 2006/18/0080

VwGH2006/18/008019.2.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des E S in W, geboren am 9. September 1973, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. März 2006, Zl. SD 959/05, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3 idF 1998/I/158;
AVG §71 Abs1 Z1;
AVG §13 Abs3 idF 1998/I/158;
AVG §71 Abs1 Z1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 6. März 2006 wurde die Berufung des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 5. August 2005, mit dem der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist abgewiesen und die Berufung gegen den am 18. April 2005 zugestellten erstinstanzlichen Bescheid als verspätet zurückgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 4 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, abgewiesen.

Dem angefochtenen Bescheid zufolge sei gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 13. April 2005 gemäß § 49 Abs. 1 und § 48 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dieser Bescheid sei dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 18. April 2005 zugestellt worden. Dem entsprechend sei als letzter Tag der Berufungsfrist der 2. Mai 2005 festzustellen. Tatsächlich sei die mit 17. Mai 2005 datierte Berufung aber frühestens an diesem Tag (der Poststempel sei nicht ganz genau leserlich) - und damit verspätet - postalisch eingebracht worden.

Gegen die Versäumung der Berufungsfrist habe der Beschwerdeführer (ebenfalls frühestens) am 17. Mai 2005 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist eingebracht und darin ausgeführt: Dem vormals ausgewiesenen Vertreter des Beschwerdeführers sei der erstinstanzliche Bescheid am 18. April 2005 zugestellt worden und der Rechtsanwalt habe eine 14-tägige Berufungsfrist berechnet und selbige mit "02.05.2005" auch richtig im Kanzleikalender vermerkt. Noch am gleichen Tag habe der Rechtsvertreter ein Schreiben an den Beschwerdeführer verfasst, in welchem er ihn auf das über ihn verhängte Aufenthaltsverbot hingewiesen und gleichzeitig angeführt habe, dass ein Rechtsmittel nur dann eingebracht werde, wenn der Beschwerdeführer fristgerecht mit seinem Rechtsanwalt Kontakt aufnehme, andernfalls dieser davon ausgehe, dass eine Berufung nicht gewünscht werde. Aus nicht mehr nachvollziehbaren Umständen sei dieses Schreiben jedoch seitens der Kanzlei so spät zur Post gegeben worden, dass es erst nach Ablauf der Frist am 3. Mai 2005 beim Beschwerdeführer eingelangt sei. In Anbetracht der Tatsache, dass sich der Beschwerdeführer bei seinem rechtsfreundlichen Vertreter innerhalb der Frist nicht gemeldet habe, sei dieser davon ausgegangen, dass sein Mandant die Einbringung einer Berufung nicht wolle, weshalb er auch diese nicht veranlasst habe. In gegenständlicher Angelegenheit habe der damalige Rechtsvertreter über den Willen des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Einbringung des Rechtsmittels geirrt. Der Termin sei vom Rechtsvertreter richtig eingetragen worden, aus unerklärlichen Gründen sei das Schreiben an den Mandanten erst so spät abgefertigt worden, dass dieser innerhalb der Rechtsmittelfrist von dem wider ihn erlassenen Bescheid keine Kenntnis erlangt habe. Der gegebenenfalls bestehende mindere Grad des Versehens des Anwaltes bestehe nunmehr lediglich darin, auf Grund seines Schreibens davon ausgegangen zu sein, dass der Bescheidadressat kein Rechtsmittel wünsche, da dieses nur für die fristgerechte Kontaktaufnahme in Aussicht gestellt worden sei. Es liege sohin in Summe lediglich ein minderer Grad des Versehens vor.

Auch in der Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid habe der Beschwerdeführer u.a. davon gesprochen, dass "aus mir nicht mehr nachvollziehbaren Gründen dieses Schreibens seitens der Kanzlei T. erst so spät zur Post gegeben wurde, dass es erst nach Ablauf der Frist, am 3.5.2005, bei mir eingelangt ist".

Am 21. Dezember 2005 habe der als Zeuge im Ermittlungsverfahren vernommene Rechtsanwalt unter Wahrheitsangabepflicht stehend Nachfolgendes wörtlich angegeben:

"Ich kann mich an das gegenständliche Verfahren bezüglich des Herrn S... noch gut erinnern. Ich hatte mir für die Berufung den 02.05.2005 in meinem Terminkalender eingetragen. Ich erinnere mich auch, dass ich das Schreiben an den nachfolgenden Vertreter (sic!) noch am 02.05.2005 abgefertigt und unterschrieben habe. Offensichtlich ist durch einen Irrtum meiner Gattin, die auch meine Kanzleileiterin ist, das Schreiben erst am 03. Mai zur Post gegangen. Mehr kann ich dazu nicht angeben. Ich habe alles verstanden und nichts mehr hinzuzufügen."

Der Beschwerdeführer durfte durch seinen "jetzigen" Rechtsfreund nach Kenntnisnahme der zitierten Aussage von Rechtsanwalt Dr. T. offensichtlich erkannt haben, dass diese für den bisher eingenommenen rechtlichen Standpunkt wenig vorteilhaft sein könnte, und mit Mag. T. Kontakt aufgenommen haben, der daraufhin "schriftlich auf diese Weise sehr gerne bestätigte", dass seine Depositionen vor der Fremdenpolizei insofern unvollständig seien, als er natürlich davon ausgegangen sei, dass der Beschwerdeführer sein Schreiben innerhalb der Rechtsmittelfrist erhalten habe (Anmerkung: obwohl es erst am 3. Mai zur Post gegangen sei?) und ihm trotzdem keine fristgerechte Weisung zur Einbringung der Berufung erteilt habe. In der Annahme, dass der Klient von der Einbringung der Berufung, aus welchen Gründen auch immer, Abstand nehmen wolle, habe er die Angelegenheit auf sich beruhen lassen und den Akt abgelegt.

Die belangte Behörde führte unter Hinweis auf § 71 Abs. 1 AVG aus, dass der seinerzeitige Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Mag. T., das Ende der Berufungsfrist am 2. Mai 2005 richtig in seinem Terminkalender eingetragen habe. In der Folge seien aber die Angaben des Beschwerdeführers und jene des Zeugen Mag. T. beträchtlich voneinander abgewichen. Der Beschwerdeführer schreibe, dass Mag. T. am gleichen Tag (gemeint kann damit wohl nur der 18. April 2005 sein) ein Schreiben an den Beschwerdeführer verfasst habe, in dem die Frage einer allfälligen Berufung releviert worden sei, das aber "aus nicht mehr nachvollziehbaren" (an anderer Stelle "aus unerklärlichen") Umständen bzw. Gründen so spät zur Post gegeben worden sei, dass es erst nach Ablauf der Berufungsfrist am 3. Mai 2005 bei ihm eingelangt sei, während der Zeuge Mag. T. ausgesagt habe, dass er das Schreiben an den nachfolgenden Vertreter noch am 2. Mai 2005 abgefertigt und unterschrieben habe, welches aber offensichtlich durch einen Irrtum der Kanzleileiterin erst am 3. Mai 2005 zur Post gegangen sei.

Die belangte Behörde messe der Aussage des Zeugen Mag. T., die unter der Verpflichtung zur Wahrheitsangabe gemacht worden sei, größere Glaubwürdigkeit bei als den Angaben des Beschwerdeführers, der - ohne ihm die Angabe der Unwahrheit unterstellen zu wollen - ein natürliches Interesse habe, den Sachverhalt in seinem Sinn günstiger darzustellen. Offensichtlich habe der Zeuge Mag. T. "die Tatsache der Erlassung des Aufenthaltsverbotes (und allenfalls die Entscheidung über eine allfällige Berufung)" nicht dem Beschwerdeführer "selbst zustellen wollen bzw. zugestellt", sondern seinem Nachfolger als Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, wobei er dieses Schreiben aber erst am 2. Mai 2005 (das ist der letzte Tag der Berufungsfrist) verfasst habe, welches dann aber infolge eines Irrtums der Kanzleileiterin erst am 3. Mai 2005 zur Post gebracht worden sei. Tatsächlich sei völlig irrelevant, ob das Schreiben an den Nachfolger als Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 2. Mai oder am 3. Mai 2005 abgefertigt worden sei, weil dieses in Bezug auf die Wahrung der Berufungsfrist ohnehin keine eigenständige Wirkung entfalten habe können. Es sei jedenfalls davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt als Zeuge die mit ihm aufgenommene Niederschrift genau durchlese und allfällige Unrichtigkeiten unverzüglich richtigstellen lasse.

Selbst wenn man der Aussage des Zeugen Mag. T. weniger Bedeutung zumessen müsse als den Angaben des Beschwerdeführers, wäre für diesen nichts zu gewinnen. Im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien die konkreten Umstände darzulegen, die als Behauptung des Wiedereinsetzungsgrundes und seiner rechtzeitigen Geltendmachung erkennbar seien. Im Umfang der Mitwirkungspflicht des Antragstellers seien diese Behauptungen auch entsprechend zu belegen bzw. glaubhaft zu machen.

Der Beschwerdeführer mache geltend, dass er durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten, und ihn kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens treffe. Das unvorhergesehene bzw. unabwendbare Ereignis erblicke er darin, dass das angeblich an ihn gerichtete Schreiben seines damaligen Rechtsfreundes betreffend Mitteilung des Aufenthaltsverbotes und allfällige Berufungseinbringung "aus unerklärlichen Gründen" bzw. "aus nicht nachvollziehbaren Gründen" erst so spät zur Post gegeben worden sei, dass es erst nach Ablauf der Frist, am 3. Mai 2005 bei diesem eingelangt sei. Dieses Vorbringen ermögliche aber in keiner Weise die gebotene Überprüfung, ob ein unabwendbares oder unvorhersehbares Ereignis vorliege. Da diese Gründe dem Beschwerdeführer a priori "unerklärlich" bzw. "nicht nachvollziehbar" gewesen seien, hätte auch ein Konkretisierungsverlangen der Behörde ergebnislos bleiben müssen.

Sollte das erwähnte Schreiben tatsächlich am 3. Mai 2005 beim Beschwerdeführer eingelangt sein, hätte es Rechtsanwalt Mag. T. bereits am 2. Mai 2005 zur Post geben müssen, da mindestens mit einem Tag Postlauf gerechnet werden müsse. Der damalige Rechtsvertreter des Beschwerdeführers habe überhaupt keine Angabe darüber gemacht, welche Schritte er noch am 2. Mai 2005 unternommen habe, um an diesem letzten Tag der Berufungsfrist dem Beschwerdeführer, der im Telefonverzeichnis der Telekom - wenn es sich nicht um eine zufällige Namensgleichheit handle - als Teilnehmer aufscheine, zu kontaktieren. Zudem - und dies werde von der Berufungsbehörde als entscheidender Punkt angesehen - hätte es die Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwaltes unbedingt erfordert, bei einem bis zum letzten Tag der Berufungsfrist - aus welchen Gründen auch immer - nicht herstellbaren Kontakt mit dem Mandanten, vorsorglich ein Rechtsmittel zu erheben, das gegebenenfalls über späteren Wunsch ohne weitere nachteilige Folgen zurückgezogen hätte werden können. Dieses keinesfalls als "minderer Grad des Versehens" zu beurteilende Verschulden des damaligen Rechtsvertreters und dessen Folgen träfen aber den Beschwerdeführer, weil er für die "Handlungen" und "Unterlassungen" seines Vertreters einzustehen habe. Es sei im Übrigen zu keinem Zeitpunkt behauptet worden, dass der Beschwerdeführer seinem anwaltlichen Vertreter untersagt hätte, ohne seine ausdrückliche Weisung eine Berufung zu erheben.

Die Berufung gegen den am 18. April 2005 zugestellten erstinstanzlichen Bescheid habe daher als verspätet zurückgewiesen werden müssen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, diesen wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in der erstatteten Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen, und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Gemäß § 71 Abs. 2 leg. cit. muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

Im Fall der Versäumung der Frist hat die Partei gemäß Abs. 3 leg. cit. die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

2. Die Beschwerde lässt die Ausführungen im angefochtenen Bescheid, wonach die Versäumung der Berufungsfrist nicht auf ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis zurückzuführen sei, der damalige Rechtsvertreter auf Grund der Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwaltes vorsorglich ein Rechtsmittel erheben hätte müssen und somit keinesfalls ein "minderer Grad des Versehens" vorliege, unbestritten und stimmt sogar ausdrücklich zu, dass Mag. T. jedenfalls eine Berufung hätte einbringen müssen. Gegen den angefochtenen Bescheid bringt die Beschwerde lediglich vor, diese Unterlassung könne nicht dem Beschwerdeführer angelastet und vor allem nicht ihm zugerechnet werden. "Es wäre mehr als unbillig, das schuldhafte Verhalten meines früheren Vertreters so zu deuten, dass ich nunmehr mit einem 10-jährigen Aufenthaltsverbot beschwert bin."

Damit verkennt der Beschwerdeführer die Rechtslage. Nach ständiger hg. Rechtsprechung wird ein Verschulden des Vertreters einem Verschulden des Vertretenen gleichgesetzt und somit der Partei zugerechnet (vgl. beispielsweise das Erkenntnis vom 2. September 2008, Zl. 2005/18/0164, mwN, sowie die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), § 71 AVG zu E 62 und E 72 zitierten Erkenntnisse).

Im Übrigen begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass nicht glaubhaft gemacht worden sei, worin ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, das den damaligen Rechtsvertreter des Beschwerdeführers an einer fristgerechten Einbringung einer Berufung gehindert hätte, liegen solle, und ein solcher Mangel nicht verbesserungsfähig sei (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. April 2005, Zl. 2005/05/0100), keinen Bedenken.

3. Somit wurde mit der Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufgezeigt.

4. Aus den dargelegten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im beantragten Ausmaß auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 19. Februar 2009

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