VwGH 2006/14/0002

VwGH2006/14/000225.1.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerden

1. der "I Gesellschaft m.b.H. & atypisch Stille in D, vertreten durch die Eidos Wirtschaftsberatung GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1010 Wien, Friedrichstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg (Berufungssenat) vom 19. Juli 2001, Zl. RV 1048/1-V6/00, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 1990 bis 1993 sowie Feststellung von Einkünften gemäß § 188 BAO für die Jahre 1990 bis 1993 (hg. Zl. 2006/14/0002; erstangefochtener Bescheid), 2. der "I Gesellschaft m.b.H. in D, vertreten durch die Eidos Wirtschaftsberatung GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1010 Wien, Friedrichstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg (Berufungssenat) vom 19. Juli 2001, Zl. RV 1037/1-V6/00, betreffend Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Umsatzsteuer 1989 bis 1992 und Körperschaftsteuer 1990 bis 1993 sowie Umsatzsteuer 1989 bis 1992 und Körperschaftsteuer 1990 bis 1993 (hg. Zl. 2006/14/0003; zweitangefochtener Bescheid), und

3. der "I Gesellschaft m.b.H. in D, vertreten durch die Eidos Wirtschaftsberatung GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1010 Wien, Friedrichstraße 10, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Vorarlberg (Berufungssenat) vom 19. Juli 2001, Zl. RV 1038/1-V6/00, betreffend Umsatz- und Körperschaftsteuer 1992 (hg. Zl. 2006/14/0004; drittangefochtener Bescheid), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §24 Abs1 litd;
BAO §303 Abs4;
EStG 1988 §6;
UStG 1972 §3 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;
BAO §24 Abs1 litd;
BAO §303 Abs4;
EStG 1988 §6;
UStG 1972 §3 Abs1;
VwGG §41 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerinnen haben dem Bund Aufwendungen in der Höhe von jeweils 381,90 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine atypisch stille Gesellschaft, an der die Zweitbeschwerdeführerin als Geschäftsherrin und eine Treuhandgesellschaft als stille Gesellschafterin beteiligt sind. Unternehmensgegenstand aller Beschwerdeführerinnen ist das Leasinggeschäft. In den von der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerin eingebrachten Beschwerden wird im Hinblick auf die Gleichartigkeit der strittigen Sach- und Rechtslage die Verbindung der Beschwerdeerledigung mit der gleichzeitig eingereichten "Parallelbeschwerde" der Erstbeschwerdeführerin angeregt.

Im Bericht vom 5. Februar 1997 über das Ergebnis einer bei der Erstbeschwerdeführerin durchgeführten abgabenbehördlichen Prüfung betreffend den Zeitraum 1989 bis 1993 wird unter Tz. 16 zur "Zurechnung (Leasingvertragsgestaltung)" ausgeführt, die Erstbeschwerdeführerin habe als Leasinggeberin mit verschiedenen Leasingnehmern Bestand- und Immobilienleasingverträge abgeschlossen, in denen im Wesentlichen Folgendes vereinbart worden sei:

"Bestandvertrag

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Beschwerden erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen bzw. Beweismittel im Erstverfahren schließt die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht aus (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2005, Zl. 2001/14/0007). Das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweismittel ist allein aus der Sicht des von der zuständigen Behörde (der abgabenfestsetzenden Stelle) geführten konkreten Verfahrens zu beurteilen. Das "Neuhervorkommen von Tatsachen und Beweismittel" im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO bezieht sich damit auf den Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres (vgl. hiezu beispielsweise die hg. Erkenntnisse vom 23. April 1998, 95/15/0108, vom 20. Jänner 2000, 95/15/0039, vom 22. März 2000, 99/13/0253, vom 29. Mai 2001, 97/14/0036, und - auch mit Hinweisen zur diesbezüglichen Entwicklung der Rechtsprechung - vom 16. Mai 2002, 2001/16/0596).

In den Beschwerden wird zur "Unzulässigkeit der amtswegigen Wiederaufnahme" vorgebracht, diesbezüglich sei entscheidend, dass das Finanzamt bereits im ersten Halbjahr 1989 über sämtliche Informationen verfügt habe, "um die Zurechnungsfrage aufzugreifen". Der "objektive Wissensstand" sei somit gegeben gewesen. Wenn das Finanzamt trotz der ihm zugegangenen Informationen die Zurechnungsänderung (an den Leasingnehmer) weder thematisiert noch vorgenommen habe, so handle es sich möglicherweise nur um eine unrichtige rechtliche Beurteilung. In den Beschwerden wird dazu vor allem auf zwei Eingaben an das Finanzamt vom 2. März bzw. 10. April 1989 verwiesen, mit denen auch die entsprechenden Vertragsmuster vorgelegt worden seien.

Zu diesem Vorbringen ist zu sagen, dass die erwähnten Eingaben die Klärung der Frage zum Inhalt hatten, ob die Zahlungen der Leasingnehmer an die Leasinggesellschaft als Sonderausgaben im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 3 lit. a EStG 1988 (als mindestens achtjährig gebundene Beträge zur Schaffung von Wohnraum) berücksichtigt werden können. Damit betrafen diese Eingaben aber nicht die in Rede stehenden Veranlagungsverfahren der Erst- bzw. der Zweitbeschwerdeführerin. Dass die Angaben in den jeweiligen Jahresabschlüssen etwa über das Anlagevermögen oder die Aufgliederungen einzelner Bilanzposten nicht schon diejenigen Informationen enthielten, die eine abschließende Beurteilung der Zurechnung der strittigen Leasingobjekte ermöglicht hätten, hat die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden unter Hinweis auf die Aktenlage zutreffend - und insoweit in den Beschwerden im Wesentlichen auch unbekämpft - festgestellt. Die belangte Behörde hat auch die Ermessensübung zur amtswegigen Wiederaufnahme entsprechend begründet. Dass die belangte Behörde bei der verfügten Wiederaufnahme nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes (vgl. Art. 130 Abs. 2 B-VG) Gebrauch gemacht hätte, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen. Der in den Repliken zu den Gegenschriften hervorgehobene Umstand, dass das Finanzamt zunächst der Berufung der Erstbeschwerdeführerin betreffend Wiederaufnahme der Verfahren mittels Berufungsvorentscheidung Folge gegeben habe (diese Berufungsvorentscheidungen allerdings im Aufsichtswege gemäß § 299 BAO mit Bescheid der Oberbehörde vom 18. Mai 1998 behoben worden seien), ändert nichts an der Rechtmäßigkeit der Beurteilung der Verfahrenswiederaufnahme in den angefochtenen Bescheiden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt es für die Lösung der Frage, ob Leasinggüter dem Leasinggeber oder dem Leasingnehmer zuzurechnen sind, maßgeblich darauf an, ob die entgeltliche Überlassung des Leasinggutes an den Leasingnehmer gleich einer "echten" Vermietung als bloße Nutzungsüberlassung zu sehen ist oder ob sich die Überlassung wirtschaftlich bereits als Kauf (Ratenkauf) darstellt. Es geht letztlich darum, ob der Leasingnehmer mit der Überlassung des Leasinggutes bereits dessen wirtschaftlicher Eigentümer im Sinne des § 24 Abs. 1 lit. d BAO wird. Die Verschaffung der umfassenden wirtschaftlichen Sachherrschaft am Leasinggut ist der Verschaffung der Verfügungsmacht im Sinne einer endgültigen Zuwendung des wirtschaftlichen Gehaltes des Leasinggutes gleichzuhalten. Liegt in der Übergabe des Leasinggutes vom Leasinggeber an den Leasingnehmer die Übertragung des wirtschaftlichen Eigentums, stellt dieser Vorgang umsatzsteuerlich eine Lieferung dar (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2002, 99/14/0109, Slg. Nr. 7718/F, m.w.N.).

Leasingverträge enthalten Elemente eines Kauf- und eines Bestandvertrages. Das Rechtsgeschäft bedarf steuerrechtlich von Anfang an einer eindeutigen Zuordnung unter den Anschaffungs- oder unter den Gebrauchstatbestand und damit einer Zuordnung des Vertragsgegenstandes zum einen oder anderen Vertragstyp. Es kann davon ausgegangen werden, dass dann eine Anschaffung durch den Leasingnehmer vorliegt, wenn die Nichtausübung der eingeräumten Kaufoption geradezu gegen jede Vernunft wäre (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. Juni 1995, 93/15/0107, und vom 17. November 2004, 2000/14/0180, sowie Doralt, RdW 1996, 80). Wenn der Leasingnehmer bei vernünftiger wirtschaftlicher Vorgangsweise von dem ihm unwiderruflich eingeräumten Optionsrecht Gebrauch machen muss, sind die Voraussetzungen für die Zurechnung an ihn erfüllt (vgl. Quantschnigg/Schuch, Einkommensteuerhandbuch, § 6 Tz. 22 2.1. lit. b und c). Das ist etwa der Fall, wenn eine anderweitige Verwendung des Mietobjektes nach Ablauf der Vertragsdauer für die Vertragspartner nicht sinnvoll wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Oktober 1989, 88/14/0189, Slg. Nr. 6444/F). Von einer Anschaffung ist zu sprechen, wenn die Vertragsgestaltung darauf hindeutet, dass deren Ziel letztlich die Verschaffung der Verfügungsmacht über den Gegenstand unter Zufristung eines kaufpreisähnlichen Entgeltes bzw. Gewährung von Kaufpreisraten und deren Sicherung durch Vorbehalt des zivilrechtlichen Eigentums ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 1999, 97/14/0059, m.w.N.).

Da - wie erwähnt - der Leasingvertrag steuerrechtlich "von Anfang an" einer eindeutigen Zuordnung unter den Anschaffungstatbestand oder unter den Gebrauchstatbestand bedarf, ist es entgegen der vor allem in den Repliken zu den Gegenschriften vertretenen Ansicht nicht von Bedeutung, dass es bei der Erfüllung konkreter Leasingverträge im Lauf der Jahre zu Leistungsstörungen, vorzeitiger Vertragsauflösung oder auch (wegen Ehescheidung) zu Änderungen bei den Vertragspartnern gekommen ist (vgl. Margreiter, Die Leasing-Grundsätze der Einkommensteuerrichtlinien 1984, SWK 1984, AI Seite 204, sowie das hg. Erkenntnis vom 17. November 2004, 2000/14/0180). Die - für die Beurteilung maßgebliche - "gängige Leasingpraxis", wonach der Kunde, "von seltenen Ausnahmen einmal abgesehen, den Gegenstand nach Vertragsende erwirbt", wird in der den erstangefochtenen Bescheid betreffenden Replik zur Gegenschrift ohnedies auch eingeräumt. Dass dem Kunden auch die "schönste Kaufoption nichts nützt", wenn dieser seinen Vertrag nicht einhält, unterscheidet den Leasingnehmer außerdem nicht wesentlich von dem Erwerber eines Objektes, bei dem der Verkäufer mangels Kaufpreiszahlung den Eigentumsvorbehalt geltend macht.

Die belangte Behörde hat die Zurechnung der strittigen Leasingobjekte an die Leasingnehmer in Anlehnung an die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 29. Juni 1995, 93/15/0107, vorgenommen, wobei sie davon ausging, dass aus der "Zeitsicht" des Abschlusses der Leasingverträge die Nichtausübung der eingeräumten Kaufoptionen "gegen jede Vernunft" gewesen wäre. Damit sei auch ein für den Fall der Nichtausübung der Option bestehender Rückforderungsanspruch in Bezug auf die geleisteten Kautionen nicht zu berücksichtigen, sodass von Vollamortisationsverträgen (Abdeckung der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten sowie der Finanzierungskosten samt eines entsprechenden Gewinnzuschlages des Leasinggebers während der Grundmietzeit) auszugehen sei.

Auch wenn es sich in den vorliegenden Beschwerdefällen bei den Leasingobjekten um Privathäuser (und nicht wie dem im zur hg. Zl. 93/15/0107 entschiedenen Beschwerdefall um ein für die Betriebsausübung benötigtes Objekt) handelt, konnte die belangte Behörde doch im Einklang mit der Lebenserfahrung davon ausgehen, dass die Nichtausübung der eingeräumten Kaufoption geradezu "gegen jede Vernunft" im Sinne der oben aufgezeigten Rechtsprechung wäre. Die Leasingnehmer, die die Gefahr des zufälligen Unterganges des Leasingobjektes tragen (aber auch an allfälligen Wertsteigerungen partizipieren), decken während der Grundmietzeit mit den von ihnen aufzubringenden finanziellen Mitteln die gesamten Investitionskosten samt Gewinnanteil der Leasinggesellschaften ab. Ob der "spätere Kaufpreis" bereits zu Vertragsbeginn in Form einer Einmalkaution erlegt wurde oder die Leasingnehmer neben einer Einmalkaution zusätzlich zu den Leasingraten laufende Kautionen monatlich zu leisten haben, ist - wie die belangte Behörde auch zutreffend festgestellt hat - in Bezug auf die damit insgesamt gegebene Abdeckung des kalkulatorisch ermittelten Restwertes bei Inanspruchnahme der Kaufoption nicht von Bedeutung. Zu Recht konnte die belangte Behörde unter Berücksichtigung der subjektiven Interessenslage der Leasingnehmer in Bezug auf ein nach den eigenen Vorstellungen errichtetes Wohnhaus, das "noch dazu auf dem eigenen Grund und Boden steht", annehmen, dass Ziel der Vertragsgestaltungen letztlich die Verschaffung der Verfügungsmacht an den Eigenheimen unter Anwendung der aufgezeigten Finanzierungsform war (zur Zurechnung eines auf Grund und Boden des Leasingnehmers errichteten Gebäudes zum Leasingnehmer bei Vollamortisationsverträgen vgl. auch Quantschnigg/Schuch, a.a.O., Tz. 24). Ob der Verkehrswert der Eigenheime entgegen der Annahme der belangten Behörde im Zeitpunkt der Ausübung der eingeräumten Kaufoption tatsächlich mit einem höheren Wert als dem kalkulatorisch ermittelten Restwert anzusetzen sein wird, ist dabei nicht wesentlich. Soweit die Beschwerdeführerinnen aus Erlassregelungen des Bundesministers für Finanzen etwas für ihren Standpunkt zu gewinnen suchen, ist daran zu erinnern, dass aus Erlässen weder objektive Rechte noch subjektive Ansprüche abgeleitet werden können (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 17. August 1994, 91/15/0083).

Die Beschwerden erweisen sich somit insgesamt als unbegründet und waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidungen stützen sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. Jänner 2006

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