Normen
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
B-VG Art119a Abs5;
ABGB §1332;
AVG §71 Abs1 Z1;
B-VG Art119a Abs5;
Spruch:
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus dem Wiedereinsetzungsantrag vom 1. August 2002, dem angefochtenen Bescheid und der Beschwerde ergibt sich nachstehender Sachverhalt:
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Gemeindevorstehung der mitbeteiligten Marktgemeinde vom 26. April 2002 (zugestellt am 2. Juli 2002) wurde der Beschwerdeführerin ein Interessentenbeitrag zur öffentlichen Kanalisation vorgeschrieben.
Mit Schriftsatz vom 1. August 2002 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Vorstellung gegen den genannten Bescheid und erhob gleichzeitig die Vorstellung gegen diesen Bescheid. In ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung brachte sie vor, der Bescheid des Gemeindevorstandes sei dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin am 2. Juli 2002 zugestellt worden. An diesem Tag seien etwa 50 Poststücke in der Kanzlei des Rechtsvertreters eingegangen, darunter auch Urkunden zur Verfassung eines vorbereitenden Schriftsatzes in der Rechtssache des Baumeisters B, welche mit einer Büroklammer zusammengeheftet gewesen seien.
Die Übernahme der einlangenden Poststücke obliege der Kanzleileiterin, welche seit vier Jahren in der Kanzlei des Rechtsanwaltes tätig sei und nach einjähriger Einarbeitungsphase diese Tätigkeit von ihrer Vorgängerin übernommen habe. Ihre Aufgabe bestehe darin, die Poststücke dem jeweiligen Akt zuzuordnen, die entsprechenden Eintragungen im Terminvormerkkalender vorzunehmen und diese Tätigkeit entweder von der Rechtsanwaltsanwärterin Mag. Marianne R oder in deren Abwesenheit durch den Rechtsanwalt selbst überprüfen zu lassen. Sodann würden die Poststücke zusammen mit den Akten auf die einzelnen Mitarbeiter im Rahmen einer täglichen Postbesprechung zur weiteren Bearbeitung aufgeteilt.
Der Rechtsbeistand der Beschwerdeführerin habe die vorbereitenden Arbeiten zur Erstattung des vorbereitenden Schriftsatzes in Angelegenheiten des Baumeisters B am 31. Juli 2002 in Angriff genommen und dabei die am 2. Juli 2002 im Postweg übermittelten Unterlagen durchgesehen. Dabei habe er feststellen müssen, dass der an die Beschwerdeführerin ergangene Bescheid der Gemeindevorstehung vom 26. April 2002 offensichtlich bei der Bearbeitung der Poststücke am 2. Juli 2002 unter diese Urkunden geraten sei. Der Bescheid sei unter die Büroklammer geschoben gewesen, welche die Urkunden zusammengehalten habe. Der Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin habe daher erstmals am 31. Juli 2002 die Möglichkeit gehabt, den an die Beschwerdeführerin ergangenen Bescheid vom 26. April 2002 zu bearbeiten.
Dem Rechtsanwalt sei ein derartiges Versehen, das auch durch Kontrollmaßnahmen nicht zu verhindern gewesen sei, in seiner 24- jährigen selbstständigen Tätigkeit noch nicht unterlaufen. Es handle sich dabei um ein für die Partei unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis.
Diesem Schriftsatz war eine "eidesstättige Erklärung" der Kanzleileiterin sowie eine des Beschwerdeführers angeschlossen. Darin wurde der im Wiedereinsetzungsantrag geschilderte Sachverhalt bestätigt. Weiters wurde die Ablichtung einer an den Baumeister B gerichteten und mit einem unleserlichen Eingangsstempel des Rechtsanwaltes versehene Rechnung beigelegt, auf welcher eine Büroklammer ersichtlich war.
Mit Bescheid der Salzburger Landesregierung vom 16. Juni 2003 wurde die dagegen erhobene Vorstellung als verspätet eingebracht zurückgewiesen.
Dagegen erhob die Beschwerdeführerin eine zur Zl. 2003/17/0242 protokollierte Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof. Mit hg. Beschluss vom 21. März 2005 wurde diese Beschwerde mit der Begründung zurückgewiesen, aus dem Spruch des angefochtenen Bescheides ergebe sich, dass mit diesem lediglich über die fehlende Rechtzeitigkeit der Vorstellung, nicht jedoch über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung entschieden worden sei. Die Beschwerdeführerin habe durch den angefochtenen Bescheid daher nicht in dem von ihr geltend gemachten Recht - nämlich auf Bewilligung der Wiedereinsetzung - verletzt werden können und die Beschwerde sei daher wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen gewesen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung vom 1. August 2003 abgewiesen. Begründend wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der Rechtslage ausgeführt, im Wiedereinsetzungsantrag sei ausgeführt worden, dass die Bearbeitung der einlangenden Poststücke dem Standard einer gewissenhaften Rechtsanwaltskanzlei entspreche und dass das dargelegte Versehen durch Kontrollmaßnahmen nicht zu verhindern gewesen sei. Welche Kontrollmaßnahmen in den Betriebsablauf tatsächlich eingeführt worden seien, sei nicht dargelegt worden. In den eidesstättigen Erklärungen werde auch nicht dargetan, dass die Eintragungen im Terminvormerkkalender täglich überprüft würden. Unzweifelhaft sei der Bescheid der Gemeindevorstehung der mitbeteiligten Partei am 2. Juli 2002 übernommen und es seien den eidesstättigen Erklärungen nach die entsprechenden Eintragungen im Terminvormerkkalender vorgenommen worden. Es sei auch davon auszugehen, dass die eingetragene und kontrollierte Frist richtig berechnet worden sei. Dies sei auch nach den bisherigen Ausführungen im Verfahren über die Zurückweisung der verspäteten Vorstellung unbestritten geblieben. Wenn nun zum täglichen Handwerk des Juristen die Terminbeachtung gehöre, so sei jedenfalls spätestens am 16. Juli 2002 auf Grund der richtig eingetragenen und kontrollierten Frist die Erhebung eines Rechtsmittels vorzunehmen gewesen. Der vorgebrachte "Verstoß" eines Schriftstückes könne demnach nicht das Übersehen der eingetragenen Rechtsmittelfrist bewirken. Vielmehr wäre es möglich gewesen, den anzufechtenden Bescheid der Gemeindevorstehung mit den heutigen technischen Mitteln auch am letzten Tag der Frist problemlos zu besorgen. Das nicht zeitgerechte Beschaffen verlorener bzw. verlegter Unterlagen könne nicht als minderer Grad des Verschuldens angesehen werden. Darüber hinaus komme erfahrungsgemäß einem Poststück, das als RSb-Brief zugestellt werde, eine erhöhte Aufmerksamkeit zu. Nach Mitteilung der Marktgemeinde St. Michael seien auch am 29. und 30. Juni 2002 an den Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin Bescheide über Vorauszahlungen zugestellt worden, sodass dieser Akt offenbar eine gewisse Präsenz gehabt habe. Das nicht zeitgerechte Beschaffen von anzufechtenden Bescheiden, für welche eine Rechtsmittelfrist (kontrolliert) eingetragen worden sei, obwohl dies heute in verschiedener technischer Weise möglich sei, werde als nicht mehr unter den minderen Grad des Versehens subsumierbar angesehen. Auf Grund dieses Unterlassens habe daher dem Antrag nicht stattgegeben werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend gemacht wird. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht, dass ihr bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Rechtsmittelfrist gemäß § 71f AVG bewilligt werde, verletzt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß Art. II Abs. 5 EGVG finden in den Angelegenheiten der Abgaben der Gemeinden die Verwaltungsverfahrensgesetze keine Anwendung, es sei denn, dass ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.
Der Sbg Gemeindeordnung ist keine Bestimmung zu entnehmen, der zu Folge im Vorstellungsverfahren das AVG anzuwenden wäre.
Gemäß § 1 Abs. 2 lit. b Sbg LAO gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes nicht in Angelegenheiten der Anlieger- und Interessentenbeiträge der Eigentümer von Grundstücken.
Nach § 1 Abs. 7 Sbg Interessentenbeiträgegesetz (im Folgenden: Sbg IBG), LGBl. Nr. 161/1962 idF LGBl. Nr. 68/1969, wird der dort geregelte Beitrag von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich als Gemeindeabgabe (§ 8 Abs. 5 F-VG 1948) nach den Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze (Art. II Abs. 5 EGVG 1959) erhoben.
Daraus ergibt sich, dass in der vorliegenden Angelegenheit, der eine Abgabenvorschreibung nach dem Sbg IBG zu Grunde liegt, auch im Vorstellungsverfahren das AVG anzuwenden ist.
Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist zur Einreichung einer Vorstellung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. März 2005, Zl. 2004/16/0204).
Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben. Auffallend sorglos handelt ein Wiedereinsetzungswerber dann, wenn er die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht lässt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. September 1994, Zl. 92/17/0276, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes dem Rechtsanwalt (und damit der Partei) nur dann als Verschulden anzurechnen ist, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht jenem Bediensteten gegenüber unterlassen hat. Eine Kontrolle jeder erforderlichen Eintragung im Fristenbuch (hier: einer erfahrenen und verlässlichen Kanzleikraft durch den Rechtsanwalt), also eine "Überwachung auf Schritt und Tritt", ist dabei zwar nicht erforderlich. Allerdings muss der Rechtsanwalt die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die erforderliche und fristgerechte Setzung von Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei ist durch entsprechende Kontrolle u.a. dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. etwa das Erkenntnis der verstärkten Senates vom 19. Jänner 1977, Zl. 1212/76, Slg. Nr. 9926 (A), und das hg. Erkenntnis vom 24. April 1998, Zl. 97/21/0762, mwN).
Die belangte Behörde begründet die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zusammengefasst damit, es sei unzweifelhaft, dass im gegenständlichen Fall die Eintragung der Vorstellungsfrist im Terminvormerkkalender vorgenommen worden sei, was die Beschwerdeführerin auch im Verfahren über die Zurückweisung der verspäteten Vorstellung nicht bestritten habe. Somit habe der behauptete Verstoß nicht das Übersehen einer Rechtsmittelfrist bewirken können. Dass der in Verstoß geratene Bescheid von der Behörde nicht (im kurzen Wege) besorgt worden sei, könne nicht als minderer Grad des Versehens angesehen werden.
Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass das "Übersehen" einer im Terminvormerkkalender eingetragenen Frist auch bei Nichtauffinden eines behördlichen Schriftstückes nicht als bloß minderer Grad des Versehens gewertet werden kann.
Die Beschwerdeführerin bringt vor, jede noch so gute Kontrolle müsse versagen, wenn, "wie im vorliegenden Falle, durch eine technische Panne zwei Schriftstücke deswegen, weil das zweite unter die Büroklammer des ersten geschoben wird, zu einem Stück vereinigt werden und naturgemäß nur bei dem ersten Stück die Frist richtig vorgemerkt … werden kann". Dies kann der Beschwerdeführerin nicht zum Erfolg verhelfen, weil sie in ihrem Wiedereinsetzungsantrag keine Ausführungen dazu erstattet hat. Insbesondere hat sie es unterlassen, konkret darzustellen, dass im vorliegenden Fall die Fristeintragung betreffend den verfahrensgegenständlichen Bescheid durch die fehlerhafte Einreihung dieses Schriftstückes in einen damit nicht in Zusammenhang stehenden Handakt unterblieben sei.
Überdies ist hinsichtlich des in der Beschwerde erstatteten Vorbringens noch Folgendes zu bemerken:
Von einem bloß minderen Grad des Versehens kann auch dann nicht gesprochen werden, wenn die Kanzleileiterin im Beschwerdefall den RSb-Brief der Gemeindevorstehung geöffnet, den Bescheid entnommen und zu anderen eingelangten Schriftstücken auf einen Stoß gelegt hat, um die Schriftstücke anschließend den einzelnen Akten zuzuordnen und in der Folge die Fristeintragungen durchzuführen. Gerade durch eine solche, in der Kanzlei des Rechtsvertreters der Beschwerdeführerin nach dem Beschwerdevorbringen im Allgemeinen gepflogenen Vorgangsweise wird nämlich nicht sichergestellt, dass Schriftstücke, die einer Fristvormerkung zuzuführen wären, nicht irrtümlich einem anderen Akt zugeordnet werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. November 1997, Zlen. 95/10/0096 und 0097, betreffend das Verhängen eines behördlichen Schriftstückes durch eine Heftklammer mit einem anderen auf dem Schreibtisch befindlichen Akt). Das von der Beschwerdeführerin dargestellte Kontrollsystem, wonach die Terminvormerke anhand der bereits dem jeweiligen Akt zugeordneten Schriftstücke vom Beschwerdevertreter selbst oder von der Rechtsanwaltsanwärterin Mag. Marianne R überprüft werden, ist nur dazu geeignet, falsche Fristberechnungen, nicht aber das Unterbleiben einer Fristeintragung zu verhindern.
Im Antrag auf Wiedereinsetzung wurden Maßnahmen, die sicherstellen sollen, dass dem Rechtsanwalt alle Einlaufstücke vorgelegt werden, nicht angeführt; im Gegenteil, nach dem Beschwerdevorbringen war die Behandlung des Posteinlaufs zur Gänze der Kanzleileiterin übertragen. Diese Tätigkeit stellt keine bloß manipulative Tätigkeit dar, weswegen durch ein Kontrollsystem zu gewährleisten gewesen wäre, dass das Unterlassen einer ordnungsgemäßen Fristeintragung durch fehlerhaftes Zuordnen eines Schriftstückes zu einem damit nicht in Zusammenhang stehenden Handakt vermieden wird. Das Fehlen eines wirksamen Kontrollsystems begründet ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden an der Fristversäumung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. April 1998, Zl. 97/21/0762, mwN, betreffend die fehlerhafte Zuordnung eines behördlichen Schriftstückes in einen Akt vor der Fristeintragung). Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 11. Dezember 1996, Zl. 96/13/0173, ausgeführt hat, hätte die ausnahmslos unverzügliche Eintragung des Einlangens eines Schriftstückes, das eine fristgebundene Parteibehandlung erfordert, im Fristenbuch der - im Beschwerdefall durch die Heftklammer eines anderen Schriftstückes verursachten - Fehlablage des Bescheides die zur Fristversäumnis führende Wirkung genommen.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die von der Beschwerdeführerin behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333/2003.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen. Wien, am 8. November 2005
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