VwGH 95/10/0096

VwGH95/10/009624.11.1997

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerden der S Gesellschaft mbH in Klosterneuburg, vertreten durch Dr. Gerhard Eckert, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 1B, gegen die Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 16. Februar 1995, Zl. U-12.708/4 (95/10/0096) und Zl. U-12.708/3 (95/10/0097), betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §71 Abs1 Z1;
HGB §49 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
HGB §49 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 8.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1.1. Mit Bescheid vom 26. November 1993 versagte die Bezirkshauptmannschaft Schwaz (BH) die naturschutzrechtliche Bewilligung zur Aufstellung von sechs Fahnenmasten im Zufahrtsbereich zum Parkplatz "B.-Markt" auf der Gp. 3227/2 KG V. (Spruchpunkt I). Gleichzeitig wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft aufgetragen, die Fahnenmasten, welche bereits ohne die erforderliche naturschutzrechtliche Genehmigung zur Aufstellung gebracht worden seien, bis längstens einen Monat nach Rechtskraft dieses Bescheides zu entfernen (Spruchpunkt II).

Dieser Bescheid wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft nachweislich am 13. Dezember 1993 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 10. Jänner 1994 stellte die beschwerdeführende Gesellschaft einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gegen den Bescheid der BH und erhob dagegen Berufung. Im Antrag auf Wiedereinsetzung wurde im wesentlichen vorgebracht, Direktor Franz C. habe den Bescheid der BH zwei Tage nach Zustellung zur Bearbeitung erhalten. Aufgrund der negativen Entscheidung der BH sei für Direktor C.

festgestanden, daß gegen diese Entscheidung eine Berufung einzubringen sei. Diese würde jedoch nicht von der beschwerdeführenden Gesellschaft selbst verfaßt, sondern der Bescheid an deren Rechtsvertreter, Rechtsanwalt Dr. Gerhard E., weitergeleitet und die Berufung von diesem eingebracht. Zu diesem Zweck habe Direktor C. den Bescheid auf seinem Schreibtisch belassen, um bei nächster Gelegenheit eine Kopie mit dem entsprechenden Auftrag an die Rechtsanwaltskanzlei zu übersenden. In weiterer Folge habe sich der Bescheid jedoch mit einer Heftklammer an einem anderen Akt verhängt, sodaß der Bescheid - nicht wie beabsichtigt - mit der nächsten Post an den Rechtsvertreter übersendet worden sei. Aus heute nicht mehr nachvollziehbarer Ursache sei es auch Direktor C. nicht aufgefallen, daß der Bescheid nicht mit der Post weggegangen sei. Direktor C. sei ein Angestellter der beschwerdeführenden Gesellschaft und seit über 20 Jahren als Prokurist tätig. Er sei für seine Zuverlässigkeit und genaue Arbeitsweise bekannt, ein derartiger Fehler sei ihm noch nie unterlaufen. Die Fehlleistung sei erst am 5. Jänner 1994 nach Rückkehr aus dem Urlaub des Direktors C. bekannt geworden, als bei Bearbeitung der Akte der Bescheid noch immer am falschen Akt gehangen sei.

Mit Bescheid der BH vom 18. November 1994 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unbegründet abgewiesen. Nach der Begründung stelle das Verhängen eines behördlichen Schriftstückes mit einer Heftklammer an einem anderen, auf dem Schreibtisch befindlichen Akt ein Mißgeschick dar, das auch bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden könne. Es handle sich somit durchaus um ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes treffe allerdings die Partei im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Es könne auch von einem juristischen Laien verlangt werden, daß er bei der Bearbeitung von behördlichen Schriftstücken mit besonderer Sorgfalt vorgehe. Direktor C. sei der Inhalt des Bescheides und die daraus resultierende weitere Vorgangsweise bewußt gewesen, sodaß er schon allein aufgrund der kurzen Rechtsmittelfrist mit besonderer Aufmerksamkeit und Mühe das weitere Schicksal des Bescheides hätte verfolgen müssen. Offensichtlich seien von ihm, dessen Verhalten der beschwerdeführenden Gesellschaft zuzurechnen sei, keinerlei Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden, die gewährleistet hätten, daß die Nichtweiterleitung des Bescheides an den Rechtsanwalt rechtzeitig auffalle und entsprechende Schritte gesetzt werden könnten. Dazu hätte etwa ein Erinnerungsvermerk oder das Eintragen der Rechtsmittelfrist in einem Kalender ausgereicht. Ein derartiger Sorgfaltsmaßstab im Umgang mit behördlichen Schriftstücken könne auch von einem durchschnittlich sorgfältigen Menschen in der Situation des Angestellten verlangt werden.

Die beschwerdeführende Gesellschaft erhob Berufung, wobei sie im wesentlichen die Auffassung vertrat, daß im gegenständlichen Fall sehr wohl die bei der Bearbeitung von behördlichen Schriftstücken anzulegende besondere Sorgfalt aufgewendet worden sei. Dies ergebe sich schon aus der Tatsache, daß Rechtsanwalt Dr. Gerhard E. mit der ständigen rechtsfreundlichen Vertretung beauftragt sei, und jeder abschlägige Bescheid sofort an diesen zur Prüfung der weiteren Vorgangsweise weitergeleitet werde. Es sei daher nicht erforderlich, im eigenen Unternehmen zusätzlich die Rechtsmittelfristen vorzumerken. Die Mitarbeiter der beschwerdeführenden Gesellschaft hätten aus diesem Grund für die unverzügliche Weiterleitung von behördlichen Schriftstücken an die Rechtsanwaltskanzlei zu sorgen. Durch die entsprechende Anweisung sämtlicher Mitarbeiter (auch an Direktor C.), behördliche Schriftstücke ohne vorherige Ablage unmittelbar nach deren Einlangen an die Rechtsanwaltskanzlei weiterzuleiten, seien hinreichende Sicherheitsvorkehrungen für die Wahrung von Fristen getroffen worden.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wurde der Berufung keine Folge gegeben. Auch nach Auffassung der belangten Behörde liege im gegenständlichen Fall eine über einen minderen Grad des Versehens hinausgehende Sorgfaltswidrigkeit vor. Wenn in der Berufung ein Verschulden der beschwerdeführenden Gesellschaft mit der Begründung verneint werde, daß diese sämtliche Mitarbeiter angewiesen habe, abschlägige Bescheide sofort an den rechtsfreundlichen Vertreter zur Prüfung der weiteren Vorgangsweise weiterzuleiten, so sei zunächst darauf zu verweisen, daß sich Verfahrensparteien das Verschulden ihrer bevollmächtigten Vertreter zurechnen lassen müßten. Direktor C. sei Prokurist, der die Gesellschaft auch im verwaltungsbehördlichen Verfahren als rechtsgeschäftlicher Vertreter, soweit es sich um Verwaltungsverfahren handle, die der Betrieb der Gesellschaft mit sich bringe, vertreten könne. (Hinweis auf Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. Juni - richtig: April - 1996, Zl. 85/09/0276 = VwSlg. 12.099/A). Direktor C. sei auch im bisherigen Verfahren bereits für die beschwerdeführende Gesellschaft eingeschritten. Er sei damit nach Ansicht der belangten Behörde zweifelsfrei als Bevollmächtigter der Gesellschaft anzusprechen, sodaß ein allfälliges Fehlverhalten im behördlichen Verfahren dieser zuzurechnen sei. Mit dem Hinweis, daß die beschwerdeführende Gesellschaft ihrerseits sämtliche Vorkehrungen getroffen habe, um ein Fristversäumnis im behördlichen Verfahren auszuschließen, sei daher für diese nichts zu gewinnen. Ferner sei darauf zu verweisen, daß eine Partei an die von ihr vorgebrachten Wiedereinsetzungsgründe gebunden sei und später keine weiteren geltend machen könne. Daß die beschwerdeführende Gesellschaft mittels Dienstanweisung sämtlichen Beschäftigten aufgetragen habe, ablehnende Bescheide sofort dem ständigen Rechtsvertreter zuzumitteln, sei erstmals in der Berufung gegen die Wiedereinsetzung versagenden Bescheid der BH vorgebracht worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur Zl. 95/10/0096 protokollierte Beschwerde. Darin wird beantragt, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

1.2. Die Berufung der beschwerdeführenden Gesellschaft gegen den Bescheid der BH vom 26. November 1993 betreffend die Versagung der naturschutzrechtlichen Bewilligung für die Aufstellung von sechs Fahnenmasten im Zufahrtsbereich zum Parkplatz der Gesellschaft wurde mit dem zweitangefochtenen Bescheid der belangten Behörde als verspätet zurückgewiesen. Der Bescheid der BH sei der beschwerdeführenden Gesellschaft am Montag, dem 13. Dezember 1993, nachweislich zugestellt worden. Die zweiwöchige Berufungsfrist habe daher am Montag, den 27. Dezember 1993, geendet. Die mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verbundene Berufung sei jedoch erst am 10. Jänner 1994 zur Post gegeben worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die zur Zl. 95/10/0097 protokollierte Beschwerde, in der beantragt wird, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

1.3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und jeweils in einer Gegenschrift beantragt, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen.

2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die Beschwerden wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlußfassung zu verbinden und darüber in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

2.1. Versagung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist:

§ 71 AVG lautet auszugsweise:

"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. ...

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

(3) Im Falle der Versäumung einer Frist hat die Partei die versäumte Handlung gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag nachzuholen.

(4) ... "

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten, während jenes eines Kanzleibediensteten eines bevollmächtigten Rechtsanwaltes demjenigen der Partei oder des Rechtsanwaltes nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden darf (vgl. z.B. den Beschluß vom 27. Oktober 1997, Zl. 97/10/0136).

Nach dem Vorbringen der beschwerdeführenden Gesellschaft im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 10. Jänner 1994 ist davon auszugehen, daß Direktor C. den Bescheid der BH vom 26. November 1993 an den Rechtsvertreter der Gesellschaft weiterzuleiten hatte, damit von diesem dagegen Berufung erhoben werde. Direktor C. ist Prokurist der beschwerdeführenden Gesellschaft und als solcher zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt, ermächtigt (vgl. § 49 Abs. 1 HGB); er ist somit Vertreter der beschwerdeführenden Gesellschaft. Ein etwaiges Verschulden seiner Person ist nach der oben wiedergegebenen Rechtsprechung dem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens nach § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist als leichte Fahrlässigkeit iS des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, das heißt die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer acht gelassen haben (vgl. z.B. den Beschluß vom 10. Februar 1994, Zl. 94/18/0038).

Von einem solchen bloß minderen Grad des Versehens kann aufgrund des Vorbringens der beschwerdeführenden Gesellschaft im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Es stellt vielmehr eine auffallende Sorglosigkeit dar, wenn keinerlei Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, die gewährleistet hätten, daß das Unterbleiben der Weiterleitung des Bescheides, gegen den - fristgebunden - Berufung zu erheben war, rechtzeitig auffiele und entsprechende Schritte gesetzt werden könnten.

Die belangte Behörde handelte daher nicht rechtswidrig, wenn sie dem Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht stattgegeben hat.

Die diesbezüglich erhobene Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

2.2. Zurückweisung der Berufung als verspätet:

Aufgrund der Ausführungen zu Punkt 2.1. erweist sich die erst am 10. Jänner 1994 zur Post gegebene Berufung gegen den am 13. Dezember 1993 zugestellten Bescheid der BH als verspätet.

Die gegen den Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde erhobene Beschwerde ist daher auch in diesem Fall unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

2.3. Die Entscheidung über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Für die zur Zl. 95/10/0096 vorgelegten Verwaltungsakten konnte der belangten Behörde nur in diesem Fall Vorlageaufwand zuerkannt werden.

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