VwGH 2005/01/0616

VwGH2005/01/06169.5.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Pelant, Dr. Kleiser und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des A L in H, geboren 1974, vertreten durch Mag. Wolfgang Auner, Rechtsanwalt in 8700 Leoben, Parkstraße 1/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. Juli 2005, Zl. 209.055/13-II/04/05, betreffend § 6 sowie § 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
FlKonv;
AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §6 Z1;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
FlKonv;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der gemäß seinen Angaben am 6. September 1998 in das Bundesgebiet eingereiste Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro und gehört der albanischen Volksgruppe an. Seinen Asylantrag begründete er - kurz zusammengefasst - damit, aus dem Kosovo zu stammen und wegen einer Straftat sowie wegen Desertion von den serbischen Behörden gesucht zu werden.

Mit Bescheid vom 11. März 1999 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 2 und 3 Asylgesetz 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die Bundesrepublik Jugoslawien" gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde gemäß § 32 Abs. 2 AsylG statt; sie behob den erstinstanzlichen Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Dabei ging die belangte Behörde davon aus, dass Angehörige der albanischen Volksgruppe im Kosovo im Zeitpunkt ihrer Entscheidung (3. Mai 1999) alleine wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt seien.

Das Bundesasylamt wies hierauf, mit Bescheid vom 13. Juli 1999, - angesichts der "jüngsten politischen Entwicklung im Kosovo" - den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab; außerdem stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo" gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Diesen Bescheid behob die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG. Die Behandlung der dagegen gerichteten Amtsbeschwerde wurde mit hg. Beschluss vom 14. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0259, abgelehnt.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer am 19. April 2005 vom Bundesasylamt neuerlich zu seinem Asylantrag einvernommen. Er bestätigte, Kosovo-Albaner zu sein, behauptete jedoch - in Abweichung von seinen ursprünglichen Angaben - nach seiner Geburt 22 Jahre lang in Belgrad gelebt zu haben; er wolle nicht in den Kosovo zurück, weil er vor der UCK Angst habe; an die seinerzeit vorgebrachten Fluchtgründe könne er sich nicht erinnern, er sei bei seiner ersten Einvernahme krank gewesen.

Das Bundesasylamt wies hierauf den noch immer offenen Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 22. Juni 2005 neuerlich gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien und Montenegro gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt ging davon aus, dass dem Beschwerdeführer wegen im einzelnen dargestellter Widersprüchlichkeiten bei seinen beiden Einvernahmen keine Glaubwürdigkeit zukomme.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde die gegen den letztgenannten erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung mit der Maßgabe ab, dass

"a) es in Spruchteil I des angefochtenen Bescheides statt '§ 7' zu heißen hat: '§ 6 Z 3'

und dass

b) in Spruchteil II nach dem Wort 'Montenegro' der Ausdruck 'Provinz Kosovo', eingefügt wird."

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass im Hinblick auf die zwischenzeitig eingetretenen Sachverhaltsänderungen die Rechtskraft des seinerzeitigen Berufungsbescheides nach § 32 Abs. 2 AsylG einer nunmehrigen neuerlichen Handhabung des § 6 AsylG nicht entgegen stehe. Ausgehend von der zutreffenden Beweiswürdigung des Bundesasylamtes liege zunächst einmal das im § 6 Z 3 AsylG genannte Tatbestandsmerkmal - wonach das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht - vor. Was sodann den im Einleitungssatz des § 6 AsylG angesprochenen "sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" anlange, so könne in Bezug auf die Lage im Kosovo ein solcher Hinweis nicht erkannt werden. Anders verhalte es sich freilich bezüglich des zweiten möglichen Herkunftsstaates des Beschwerdeführers, Serbien und Montenegro ohne den Kosovo; diesbezüglich stehe nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass ein "sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr" nicht vorliege. Demnach sei - so die belangte Behörde weiter - die Versagung von Refoulement-Schutz spruchgemäß auf die Provinz Kosovo einzuschränken gewesen. Eine für den Beschwerdeführer negative Refoulemententscheidung bezogen auf Serbien und Montenegro ohne den Kosovo komme dagegen nicht in Betracht. Die erstinstanzliche Ausweisungsentscheidung schließlich sei nicht zu beanstanden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat den Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG als erfüllt erachtet. Hinsichtlich der weiteren Voraussetzung für die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet, wonach es keinen "sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" geben dürfe, hat sie differenziert; bezüglich des Herkunftsstaates Kosovo verneinte sie das Vorliegen eines solchen Hinweises, bezüglich des zweiten Herkunftsstaates Serbien und Montenegro (ohne den Kosovo) gelangte sie hingegen zu dem Ergebnis, es könne insoweit nicht davon ausgegangen werden, "dass

... mit der erforderlichen Sicherheit feststehe, dass ein

'sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr' ... nicht vorliege".

Rechtliche Überlegungen, inwieweit angesichts dieser Konstellation die Abweisung eines Asylantrages nach § 6 AsylG gerechtfertigt sei, lässt der bekämpfte Bescheid vermissen.

Im hg. Erkenntnis vom 24. August 2004, Zl. 2003/01/0632, wurde bezüglich eines gleichfalls aus dem Kosovo stammenden Staatsangehörigen von Serbien und Montenegro unter Bezugnahme auf § 6 Z 1 AsylG ausgeführt, dass diese auf das Fehlen einer Verfolgungsbehauptung abstellende Bestimmung für den Fall der behaupteten Verfolgungsgefahr in einem von mehreren Herkunftsstaaten keine ausdrückliche Anordnung treffe. Diese sich aus § 1 Z 4 AsylG auch in Bezug auf § 7 AsylG ergebende Lücke lasse sich für § 6 AsylG, anders als im Zusammenhang mit § 7 AsylG, nicht durch Rückgriff auf die FlKonv schließen, weil mit der Regelung über "offensichtlich" unbegründete Asylanträge nicht an vergleichbare Inhalte der FlKonv angeknüpft werde. Nach dem Zweck des § 6 AsylG, offenkundigen Missbräuchen entgegen zu steuern, erscheine die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG auf Fälle, in denen eine Verfolgungsgefahr - wenngleich nur in einem von mehreren Herkunftsstaaten - geltend gemacht werde und der Asylwerber in einer auf § 7 AsylG gestützten Entscheidung auf seinen zweiten Herkunftsstaat zu verweisen wäre, ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers nicht als geboten.

Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise auch für das hier in Diskussion stehende allgemeine Tatbestandselement des Fehlens eines sonstigen Hinweises auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat. Vom Fehlen eines derartigen Hinweises (bezogen auf den gesamten Herkunftsstaat) könnte aber auch dann keine Rede sein, wenn man im Sinn der alternativen Betrachtungsweise des genannten Erkenntnisses berücksichtigte, dass der Beschwerdeführer aus einem Gebiet stammt, das völkerrechtlich nach wie vor zu Serbien und Montenegro gehört.

Auf Basis dieser Überlegungen kann die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet nach § 6 AsylG fallbezogen von vornherein nicht in Betracht kommen. Weitere Überlegungen etwa dahingehend, ob der wie erwähnt der Missbrauchsabwehr dienende § 6 zur Anwendung gelangen kann, wenn ein Asylwerber Flüchtling war und - wie gegenständlich von der belangten Behörde im Ergebnis unterstellt - die Flüchtlingseigenschaft (nur) infolge Eintritts eines Endigungstatbestandes nach Art. 1 Abschnitt C FlKonv wieder verloren hat, brauchen davon ausgehend nicht angestellt zu werden. Unabhängig davon sei allerdings noch ergänzend angemerkt, dass die erstmalige Heranziehung des Abweisungsgrundes nach § 6 Z 3 AsylG durch die belangte Behörde die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erfordert hätte (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0071). Der Durchführung einer Berufungsverhandlung hätte es im Übrigen auch deshalb bedurft, weil das Bundesasylamt offensichtlich gegen die ihm in § 27 Abs. 1 erster Satz AsylG auferlegte Verpflichtung verstoßen hat, wonach, soweit es ohne unverhältnismäßigen Aufwand möglich ist, Asylwerber persönlich von dem zur Entscheidung berufenen Organwalter zu vernehmen sind (vgl. in diesem Sinn das hg. Erkenntnis vom 30. August 2005, Zl. 2004/01/0602). Gegenständlich wurde die am 19. April 2005 erfolgte Einvernahme des Beschwerdeführers gemäß der darüber aufgenommenen Niederschrift nämlich nicht von jenem Organwalter des Bundesasylamtes durchgeführt, der in der Folge den erstinstanzlichen Bescheid vom 22. Juni 2005 genehmigte. Dass dies lediglich deshalb erfolgte, um unverhältnismäßigen Aufwand abzuwenden, lässt sich den vorgelegten Verwaltungsakten nicht ansatzweise entnehmen; das Bundesasylamt selbst hat dazu keine rechtfertigende Erklärung abgegeben.

Die aufgezeigten Rechtswidrigkeiten müssen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG die Aufhebung des gesamten angefochtenen Bescheides zur Folge haben. Dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage (zu dieser vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2005, Zl. 2005/01/0625) die nicht auf den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers beschränkte erstinstanzliche Ausweisung gemäß "§ 8 Abs. 2 AsylG" vollinhaltlich bestätigte, ist demgemäß für das Ergebnis des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens nicht mehr wesentlich.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 9. Mai 2006

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