Normen
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1 idF 2002/I/126;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §75 Abs3;
FrG 1997 §75;
EMRK Art3;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1 idF 2002/I/126;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §75 Abs3;
FrG 1997 §75;
EMRK Art3;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Behauptungen zufolge ein Staatsangehöriger von Liberia, befindet sich seit zumindest Juni 1995 in Österreich. Sein Asylantrag wurde rechtskräftig abgewiesen (mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30. Juni 1995), außerdem stellte die Bundespolizeidirektion Graz mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 4. Juli 1995 gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes aus 1992 fest, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer sei in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 leg. cit. bedroht.
Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme aus Anlass eines Aufenthaltsverbotsverfahrens stellte der Beschwerdeführer am 15. März 2002 erneut den Antrag, die Unzulässigkeit seiner Abschiebung nach Liberia auszusprechen. Er begründete diesen Antrag damit, dass sein Vater Offizier "bei der Rebellenarmee" gewesen sei; als Sohn eines Rebellen würde er (Beschwerdeführer) bei einer Rückkehr nach Liberia sofort inhaftiert werden.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 10. Dezember 2003 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers - gestützt auf § 75 iVm § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75 - ab. Sie begründete das im Wesentlichen damit, dass die Angaben des Beschwerdeführers, die zu seinen 1995 erstatteten Angaben in grobem Widerspruch stünden, nicht glaubhaft seien. Zur aktuellen Situation in Liberia verwies die belangte Behörde auf einen Bericht des deutschen Nachrichtenmagazins "Spiegel" vom 2. Oktober 2003, wonach
"es zwar in Monrovia zeitweise zu kurzfristigen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Regierungssoldaten und Anhängern des Rebellenführers Sekou Conneh komme, jedoch die seit Anfang August 2003 in Monrovia stationierten ECOWAS-Truppen der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten in der Gesamtstärke von 15.000 Mann in Liberia und insbesondere in Monrovia weitgehend für Ruhe sorgen, so dass sich der Berufungswerber (Beschwerdeführer) im Falle seiner Rückkehr nach Liberia allenfalls auch unter den Schutz dieser bewaffneten Macht stellen kann.
Inzwischen haben auch die UNO Blauhelme das Kommando über die Friedensmission von den Soldaten der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten ECOWAS übernommen und mit der Entwaffnung der Rebellengruppen begonnen.
Diese Truppe steht unter dem Oberkommando des UNO-Sonderbeauftragten Jacques Klein und wird von dem Kenianer Daniel Opande geleitet.
Klein wird den Einsatz der Blauhelm-Soldaten zunächst für ein Jahr leiten. Des Weiteren wurde in Liberia Moses Blah als Übergangspräsident eingesetzt, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich die politische Situation weitgehendst stabilisiert hat, einzelne bewaffnete Auseinandersetzungen jedoch von Zeit zu Zeit stattfinden, die jedoch von der dort stationierten ECOWAS-Truppe unter Kontrolle gebracht werden."
Insgesamt sei somit nicht davon auszugehen, dass stichhaltige Gründe dafür vorliegen würden, der Beschwerdeführer wäre im Fall seiner Abschiebung nach Liberia Gefahren im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG ausgesetzt.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass der bekämpfte Bescheid bei Darstellung der rechtlichen Grundlagen § 57 Abs. 1 FrG in seiner bis 31. Dezember 2002 gültigen Fassung wiedergibt. Er vernachlässigt damit die Novellierung dieser Bestimmung durch die FrG-Novelle 2002, BGBl. I Nr. 126, der zufolge sie nunmehr (seit 1. Jänner 2003) folgenden Wortlaut hat:
"§ 57. (1) Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde."
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer bezüglich seiner individuellen Fluchtgeschichte - zutreffend auf grobe Widersprüche in seinem Vorbringen hinweisend - die Glaubwürdigkeit versagt. Sie hat dennoch Feststellungen zur "derzeitigen aktuellen Situation in Liberia" getroffen und damit offenkundig erkannt, dass selbst dann, wenn den Angaben eines Fremden (auch bezüglich seiner Identität und Herkunft) kein Glauben geschenkt werden kann, eine Prüfung dahingehend geboten ist, ob im vom Antrag nach § 75 FrG erfassten Staat eine derart extreme Gefahrenlage herrscht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahren für Leib und Leben in einem Maße drohten, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene (vgl. sinngemäß das insoweit zu § 8 AsylG ergangene hg. Erkenntnis vom 21. Juni 2001, Zl. 99/20/0460; zur möglichen Maßgeblichkeit einer "extremen Gefahrenlage" im Zusammenhang mit der Bürgerkriegssituation in Liberia siehe beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 1999, Zl. 96/21/0037).
Die Beschwerde macht ua. geltend, dass die politische Situation in Liberia weiterhin instabil sei; Gefechte zwischen Regierungstruppen und Rebellen stünden an der Tagesordnung, der Beschwerdeführer könne keinen Schutz vor Verfolgung in Anspruch nehmen. Ein ähnliches Vorbringen hat der Beschwerdeführer bereits im Verwaltungsverfahren erstattet.
Die belangte Behörde ihrerseits gelangte zu dem Ergebnis, dass sich die politische Situation "weitgehendst" stabilisiert habe; zwar fänden von Zeit zu Zeit einzelne bewaffnete Auseinandersetzungen statt, die jedoch von der in Liberia stationierten ECOWAS-Truppe unter Kontrolle gebracht würden. Dabei berief sie sich auf einen Bericht des "Spiegel" vom 2. Oktober 2003, in dem jedoch auch - ohne dass dies von der belangten Behörde berücksichtigt worden wäre - festgehalten wird, dass die Hauptstadt (Monrovia) zwischen Regierungssoldaten und Rebellen geteilt gewesen sei und dass aus Anlass von aktuellen Auseinandersetzungen tausende Menschen aus Panik aus dem Osten der Stadt geflohen seien. Davon abgesehen ist auf das hg. Erkenntnis vom 8. April 2003, Zl. 2002/01/0060, zu verweisen. In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt, es sei von den Asylbehörden zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens eines Asylwerbers gehe, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere die Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten internationalen Organisationen in die Entscheidung einbeziehen.
Im gegenständlichen Fall ist zwar nicht die Tätigkeit der Asylbehörden bzw. ein Asylverfahren zu beurteilen. Für die Fremdenpolizeibehörden im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 Abs. 1 FrG kann jedoch nichts anderes gelten, was sich schon aus der partiellen Identität des Verfahrensgegenstandes - § 8 AsylG einerseits, § 75 Abs. 1 FrG andererseits - ergibt. (Vgl. weiter § 75 Abs. 3 FrG, wonach die Fremdenpolizeibehörde in Fällen, in denen die Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes auf besondere Schwierigkeiten stößt, eine Äußerung des Bundesasylamtes zum Vorliegen einer Bedrohung einholen kann; auch daraus wird ersichtlich, dass hinsichtlich der Verfahrensgrundlagen kein Unterschied bestehen soll; siehe auch das hg. Erkenntnis vom 19. November 2003, Zl. 2002/21/0157.)
Nach dem Gesagten hätte sich die belangte Behörde bei Darstellung der allgemeinen Lage in Liberia nicht mit der Bezugnahme auf einen einzigen Zeitungsartikel - zumal ihm keine eindeutig unbedenkliche Situation in Liberia zu entnehmen ist - begnügen dürfen. Vielmehr wäre es ihre Aufgabe gewesen, die Situation in Liberia auf breiterer Grundlage zu prüfen, wobei - wie der Vollständigkeit halber angemerkt sei - im Hinblick auf den notorischen langjährigen Bürgerkrieg auch die humanitäre Lage miteinzubeziehen gewesen wäre (vgl. in diesem Sinne das hg. Erkenntnis vom 14. Jänner 2003, Zl. 2001/01/0432).
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei einer den dargestellten Erfordernissen gerecht werdenden Prüfung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können, war der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 23. September 2004
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