Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der damals 16jährige Beschwerdeführer, seinen Behauptungen zufolge Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 15. Juni 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. September 2001 gab er an, zuletzt mit seiner Familie auf einer Farm in Kenema gelebt zu haben. Kurz vor Weihnachten 2000 seien Rebellen gekommen, hätten seiner hochschwangeren Mutter "den Bauch aufgeschnitten" und seinen Bruder entführt. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von Rebellen getötet zu werden.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 2. Oktober 2001 gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. Es erachtete seine Angaben als "absolut unglaubwürdig" und ging davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht wirklich Staatsangehöriger von Sierra Leone sei.
In seiner Berufung gegen diese Entscheidung wandte sich der Beschwerdeführer gegen die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes. Er machte unter anderem geltend, die von ihm dargestellte Bedrohung in Sierra Leone stimme mit den zu Sierra Leone vorliegenden Berichten überein, wie z.B. dem "Bericht des Norwegian Refugee Council vom 7. Juli 2001, Global IDP Database" zu entnehmen sei. Weiters habe das Bundesasylamt den "Aspekt der Minderjährigkeit" nicht berücksichtigt, der besonders hinsichtlich der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Zurückschiebung oder Abschiebung von Bedeutung sei.
Die belangte Behörde führte am 10. Jänner 2002 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in deren Verlauf der Beschwerdeführer ergänzend einvernommen wurde. Er schilderte neuerlich und mit zusätzlichen Details den Rebellenüberfall, bei dem nach der Ermordung seiner Mutter - die Rebellen hätten "das Baby sehen" wollen - sein Vater und sein Bruder entführt worden seien. Zur Gefahr, die ihm nunmehr drohe, führte er aus, das Haus sei niedergebrannt worden und er habe keine Eltern mehr und wüsste nicht, wo und wie er neu anfangen solle. Ihm drohe weiterhin Gefahr, denn es heiße zwar immer wieder, dass die Kämpfe vorbei seien, diese begännen aber immer wieder aufs Neue.
Daraufhin wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, die "Lage in Freetown" sei schon seit Mitte 2000 "sicher". Diesbezüglich würden "die regelmäßigen Berichte des österreichischen Honorarkonsuls in Freetown erörtert, insbesondere der jüngste Bericht vom November 2001". Der Beschwerdeführer widersprach diesem Vorhalt und führte aus, die Verhältnisse in Afrika seien nicht mit denen in Europa vergleichbar. In Afrika stürben die Menschen, ohne dass man davon Notiz nehme. Der Verhandlungsleiter hielt dem entgegen, "unser Konsul, der in Freetown seit vielen Jahren lebt," sage, dass es "Hilfsorganisationen gibt, die helfen". Auch könne man "sich immer in der Landwirtschaft betätigen".
Der Vertreter des Beschwerdeführers legte einen Bericht von amnesty international Deutschland vom 1. Oktober 2001 vor und verwies darauf, dass dieser dem etwa zeitgleichen Konsulatsbericht vom November 2001 unter anderem in Bezug auf den Stand der Entwaffnung der Rebellen und Regierungsmilizen widerspreche, dem Bericht von amnesty international zufolge die RUF-Gebiete noch immer weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten seien und die Menschen in Sierra Leone häufig nur zwischen zwei Übeln wählen könnten, indem sie entweder den Übergriff durch regierungstreue Kräfte und die Regierungsarmee oder den RUF-Rebellen ausgesetzt seien. Auch der (zu ergänzen: in dem vorgelegten Bericht erwähnten) Ansicht des UN-Generalsekretärs Annan zufolge seien die Voraussetzungen für eine sofortige Rückkehr von Flüchtlingen nach Sierra Leone nicht vorhanden.
Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone sei zulässig.
In der Begründung dieser Entscheidung hielt die belangte Behörde - nach einem Verweis auf den erstinstanzlichen Bescheid in Bezug auf das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers - über den Verlauf der Berufungsverhandlung zunächst nur Folgendes fest:
"In der Folge wurde am 10.1.2002 eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat durchgeführt.
Hiebei wurden die regelmäßigen Berichte des österreichischen Honorarkonsuls in Freetown beginnend mit 10.06.2000 bis jüngst 21.11.2001 (Beilage A des Verhandlungsprotokolles) zur allgemeinen Situation in Sierra Leone vorgehalten.
Aus diesen Berichten ergibt sich zusammengefasst insgesamt, dass insbesondere Freetown und die nähere Umgebung bis auf Jänner 1999 und die folgenden 2-3 Monate immer sicher war. Die Sicherheitslage in Sierra Leone verbessert sich von Monat zu Monat, auch die Entwaffnung der Rebellen schreitet voran, dass Leben in Freetown und den von der Regierung kontrollierten Gebieten verläuft absolut normal. Schulen und Universitäten sind geöffnet und funktionieren normal, alle Nahrungsmittel gibt es in ausreichender Menge, die Polizei funktioniert wie früher. Auch der Süden und große Teile des Ostens sind schon seit ca. Juli 2000 sicher, die meisten Straßen sind durchgehend befahrbar. Im jüngsten Bericht vom 21.11.2001 wird erneut festgestellt, dass sich die Lage in Sierra Leone zusehends verbessert. In Freetown und den großen Gebieten des Südens und Ostens verläuft das Leben seit Mitte des vorigen Jahres (= Mitte des Jahres 2000) vollkommen normal. Seit Mai dieses Jahres läuft ein Entwaffnungs-, Demobilisierungs- und Reintegrationsprogramm hinsichtlich der ehemaligen Kämpfer, welches in acht Distrikten und Freetown bereits abgeschlossen ist. Polizei und öffentliche Verwaltung haben ihre Tätigkeit in nahezu allen Distrikten wieder aufgenommen. Die sierra leonesische Armee hat den Grenzschutz zu Liberia und Guinea wieder übernommen. 17.000 UN-Truppen helfen in diesem Befriedungsprozess. Es gibt natürlich noch viele intern vertriebene Personen, die jedoch alle wieder schrittweise in ihre Wohngebiete zurückgeführt werden. Die internationalen NGO's stellen Verpflegung und Notunterkünfte zur Verfügung, sie beteiligen sich auch am Wiederaufbau von zerstörten Ortschaften."
Dem folgten im Anschluss an allgemein gehaltene Ausführungen über die Voraussetzungen der Asylgewährung folgende Ausführungen zur Begründung der Abweisung des Asylantrages:
"Vor dem Hintergrund obiger, auf den regelmäßigen Berichten des vor Ort befindlichen österr. Honorarkonsuls in Freetown basierenden Ausführungen zur allgemeinen Situation in Sierra Leone, welche als entscheidungsrelevanter Sachverhalt festgestellt werden, kann im Falle der Rückkehr des Asylwerbers nach Sierra Leone keine Gefahr für ihn erkannt werden, (landesweit) aus einem in der GFK genannten Grund Verfolgung zu erleiden. Der Asylwerber behauptete, dass er Sierra Leone verlassen habe, nachdem seine Mutter von Rebellen getötet und sein Vater und sein Bruder verschleppt worden seien. Er befürchte, von Rebellen getötet oder für diese zum Kämpfen gezwungen zu werden. Angesichts des Umstandes, dass in weiten Teilen Sierra Leones, insbesondere in Freetown und Umgebung jedenfalls seit Mitte des Jahres 2000 keine Rebellentätigkeit herrscht und das Alltagsleben mittlerweile völlig normal - ohne Hinweise, dass auch noch aktuell Personen von Rebellen verschleppt werden - verläuft, ist die Furcht vor landesweiten Rebellenübergriffen objektiv betrachtet nicht nachvollziehbar und somit nicht wohlbegründet im Sinne der GFK.
Dem in der Berufungsverhandlung erhobenen Einwand des Vertreters des Asylwerbers, wonach es Informationen gebe, die den Berichten des österr. Honorarkonsuls widersprechen, konkret ein Situationsbericht im ai (amnesty-international)-Journal vom Oktober 2001, kann nicht gefolgt werden, da dieser Bericht bei genauer Betrachtung in keinster Weise im Widerspruch zu den regelmäßigen Berichten des österr. Honorarkonsuls steht, sondern geradezu im Gegenteil dessen Angaben bestätigt:
Der ins Treffen geführte Bericht aus dem ai-Journal beschreibt im Wesentlichen die Situation in den Grenzgebieten von Sierra Leone zu Guinea und Liberia und in den von den Rebellen beherrschten Gebieten. Diesbezüglich stehen die Angaben des österr. Honorarkonsuls im Einklang mit dem ai-Bericht, wenn er etwa in seinem Bericht vom 15.10.2001 ausführt, dass Angriffe verschiedener Gruppen (Guinean dissidents, RUF, liberianische Soldaten) zu Ausschreitungen gegen sierra leonesische Flüchtlinge geführt hätten. Die Grenzgebiete zu Guinea seien zum Teil Kampfgebiet, aus dem große Teile der Bevölkerung hätten flüchten müssen. Weiters berichtete der österr. Honorarkonsul im Bericht vom 12.11.2001 etwa, dass die Lage in den von Rebellen kontrollierten Gebieten anders sei als jene in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, da die Rebellen auf Zivilisten keine Rücksicht nehmen würden.
Eine Gesamtbetrachtung der Informationen zeigt, dass es keinen Grund gibt, die Richtigkeit der vom österr. Honorarkonsul jeweils aktuell und vor Ort verfassten Berichte, bzw. deren Objektivität, in Zweifel zu ziehen. Insbesondere steht der vom Vertreter des Asylwerbers ins Treffen geführte ai-Journal-Bericht nicht im Widerspruch zu den Konsularberichten. Vielweniger noch ist der ai-Bericht geeignet, - im Vergleich zu den Konsularberichten gegenteilige - Feststellungen über die Situation in den von der Regierung kontrollierten Gebieten zu treffen, da sich dieser ai-Bericht mit diesem Thema überhaupt nicht auseinandersetzt."
Die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des im Zeitpunkt der Entscheidung 17jährigen Beschwerdeführers nach Sierra Leone begründete die belangte Behörde - im Anschluss an allgemein gehaltene Ausführungen über die maßgeblichen Kriterien für eine solche Entscheidung - wie folgt:
"Dass der Asylwerber in Sierra Leone eine strafrechtliche Sanktion zu gewärtigen hätte, hat er nicht vorgebracht, vielweniger noch bestehen sohin stichhaltige Gründe für die Annahme, dass ihm unmenschliche Strafe oder gar die Todesstrafe drohen würde. Angesichts der festgestellten allgemeinen Situation in Sierra Leone bestehen weiters auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass er im Falle der Rückkehr in ein von der Regierung kontrolliertes Gebiet seitens einer Rebellengruppe mit unmenschlicher Behandlung oder seiner Tötung bedroht wäre. Vielmehr ist die dortige Lage als ruhig, stabil und sicher zu qualifizieren, überdies werden von internationalen NGO's auch Verpflegung und Notunterkünfte zur Verfügung gestellt, sodass der Asylwerber im Falle seiner Rückkehr nicht in eine existenzbedrohende, ausweglose Situation gelangen würde.
Es sind weiters keine Umstände amtsbekannt, dass in Sierra Leone eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
Sohin war spruchgemäß zu entscheiden."
Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende Beschwerde - nach einem Hinweis darauf, dass die belangte Behörde im Gegensatz zum Bundesasylamt keine Zweifel an der persönlichen Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers geäußert habe - unter anderem mit folgenden Ausführungen:
"Der amnesty-Bericht Beilage ./1 stellt etwa - per 1.10.2001 fest, dass das letzte, Mitte Juli 2001 ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen von der Rebellenarmee Revolutionary United Front (RUF) gebrochen wurde.
Die Entwaffnung von Rebellen unter UNO-Aufsicht sei tatsächlich nicht mehr als eine Alibi-Aktion, weil 'viele nur ihren Schrott entsorgen, ihre modernen Waffen aber behalten. Immer noch sind zehntausende Rebellen sowie Angehörige regierungstreuer Milizen unter Waffen'.
Alldies steht in krassem Widerspruch zum Bericht des Honorarkonsuls vom 21.11.2001 im Beilagenkonvolut ./A der - allerdings ohne seine Erkenntnisquellen offenzulegen - von einer bereits vollständigen Entwaffnung aller Kämpfer in acht von zwölf Distrikten, bzw. von einer vollständigen Entwaffnung bis zum Jahresende, ausgeht.
Flüchtlinge, die nach Sierra Leone zurückkehren wollen, befinden sich laut dem amnesty-Bericht Beilage ./1 nach wie vor in großer Gefahr. Sie müssten auf ihrer Flucht in vermeintlich sichere Gebiete Straßensperren passieren, wo besonders Frauen und Kindern den Übergriffen der Militärs ausgeliefert seien und von diesen verschleppt, sexuell missbraucht, zur Arbeit in den Diamantenminen gezwungen oder als Kindersoldaten eingesetzt würden.
Die Berichte des Honorarkonsuls im Beilagenkonvolut ./A treffen zu alldem keinerlei Aussage. Die Aussagen im Bericht vom 21.11.2001 erscheinen eher 'programmatisch-prognostisch' - im Sinne einer bloßen Wiedergabe von Regierungsvorhaben, zB was die schrittweise Rückführung von Internally Displaced Persons oder auch den Wiederaufbau mit ausländischer Unterstützung anlangt - denn als Abbild einer tatsächlich bereits herrschenden, geschweige denn in irgendeiner Weise bereits stabilisierten Situation.
Alle übrigen Berichte im Konvolut ./A erscheinen als hoffnungslos veraltet (Zeitraum 10.06.2000 bis 23.07.2001), von dem im amnesty-Bericht Beilage ./1 erwähnten Bruch des im Juli 2001 geschlossenen Friedensabkommens, ebenso wie von diesem selbst, ist in keinem der Berichte auch nur die Rede.
'Wie UNO-Generalsekretär Kofi Annan' gelangt schließlich auch der amnesty-Bericht Beilage./1 zur Auffassung, dass 'die Voraussetzungen für eine sofortige Rückkehr der Flüchtlinge nach Sierra Leone bislang nicht vorhanden sind. Die Menschen wählen häufig zwischen zwei Übeln: ... den Übergriffen durch die Regierungstruppen und Rebellen'.
Des Weiteren leiden laut dem amnesty-Bericht Beilage ./1 auch die internationalen Hilfsprogramme unter akuter Geldnot. Das UNO-Welternährungsprogramm WFP habe seine Mittel nach eigenen Angaben bereits im September 2001 aufgebraucht. Die mangelnde Ausstattung und Versorgung in den Lagern würde viele Vertriebene dazu veranlassen, die UNO-Einrichtungen bereits nach kurzer Zeit zu verlassen.
Der Honorarkonsul scheint von alldem noch im November 2001 nichts bemerkt zu haben (vgl. seinen Bericht vom 21.11.2001).
Die aus den Berichten des Honorarkonsuls hervorkommenden Einschätzungen, wonach sich die Lage in Sierra Leone zusehends verbessere, das Leben in großen Gebieten des Landes 'bereits seit Mitte vorigen Jahres vollkommen normal' verlaufe usw., stehen insgesamt in Widerspruch zur Einschätzung von amnesty international in Beilage ./1, welche offenbar auch jene namhafter internationaler Organisationen (UNO, WFP) für sich hat.
Sie sind im Grunde - erkennbar - auch nicht mehr als subjektive Einschätzungen eines Diplomaten, der selbst in einer 'Residential Area' der Hauptstadt ansässig ist (vgl. seinen Bericht vom 10.12.2000) und für den sich die persönlichen Lebensumstände seit Einstellung der Kampfhandlungen in der Hauptstadt tatsächlich normalisiert haben mögen. Alleine daraus sowie auch aus diversen, überwiegend wohl bloß 'programmatischprognostischen' Verlautbarungen von (halb-)offizieller Seite, welche offenbar sinngemäß in seinen Berichten ihren Niederschlag gefunden haben, lässt sich jedoch in Wahrheit noch kein zuverlässiges Bild der Lage im Heimatland des Beschwerdeführers ableiten.
Dass diese Honorarkonsuls-Berichte mit Vorsicht zu genießen sind, ergibt überdies auch schon der Umstand, dass einzelne Aspekte der darin hervorgekehrten Lageverbesserungen, durch die Berichte 'verfolgt', alles andere als ein einheitliches Bild ergeben sondern vielmehr die bloße, durch die tatsächlichen Ereignisse immer wieder aufs Neue überholte Programmatik erkennen lassen. So wird etwa der Stichtag für die vollständige Entwaffnung der Kämpfer von Bericht zu Bericht weiter nach hinten, zuletzt bis zum Jahresende 2001, verlagert. Die wiederholte Aussage, dass der Süden und große Teile des Ostens von Sierra Leone schon seit ca. Juli 2000 sicher seien, welche so auch in die Feststellungen der belangten Behörde Eingang gefunden hat (BS 3 oben), wird durch die laufenden Angaben darüber, welche Straßenzüge erst nach und nach wieder als 'rebellen-sicher' für den durchgehenden Verkehr freigegeben wurden, spätestens dann widerlegt, wenn man die im Einzelnen genannten Orte mittels Landkarte gerade auch im Süden und Osten des Landes lokalisiert.
Überhaupt steht das von der belangten Behörde gegen den amnesty-Bericht Beilage ./1 ins Treffen geführte Argument, dieser Bericht beschreibe im Wesentlichen bloß die Situation in den Grenzgebieten zu Guinea und Liberia sowie in den von Rebellen beherrschten Gebieten (BS 5 oben), in Widerspruch zu den auf BS 2/3 getroffenen Feststellungen, wonach einerseits in den besagten Grenzgebieten bereits die sierra leonesische Armee stationiert sei und andererseits die Entwaffnungsprogramme nahezu abgeschlossen seien, Polizei und öffentliche Verwaltung ihre Tätigkeiten beinahe landesweit wieder aufgenommen hätten und eine schrittweise Rückführung intern Vertriebener in ihre angestammten Gebiete erfolge, was aber alles gar nicht möglich wäre, wenn es tatsächlich noch von den Rebellen beherrschte Gebiete gäbe - auf solche nimmt der amnesty-Bericht Beilage ./1 im Übrigen auch gar nicht explizit bezug, sondern werden Menschenrechtsverletzungen an intern Vertriebenen in diesem Bericht beiden Seiten zugeschrieben.
Soweit sich die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung auf einen 'Bericht' des Honorarkonsuls 'vom 15.10.2001' stützt, übersieht sie, dass ein solcher Bericht im Beilagenkonvolut ./A tatsächlich nicht existiert. Vielmehr dürfte sie den Bericht vom 15.10.2000 meinen, der jedoch schon auf Grund des unterschiedlichen Zeithorizontes keinerlei Rückschlüsse auf die vom 01.10.2001 datierende Beilage ./1 zulässt.
Wenn die belangte Behörde weiters - gestützt auf den
Honorarkonsulsbericht vom 12.11.2001 (richtig wohl: vom
21.11.2001) - vermeint, dass die Lage in den von der
Regierung kontrollierten Gebieten als besser einzuschätzen sei,
'da die Rebellen auf Zivilisten keine Rücksicht nehmen würden',
und dass der amnesty-Bericht Beilage./1 nicht geeignet sei, 'im
Vergleich zu den Konsularberichten gegenteilige Feststellungen
über die Situation in den von der Regierung kontrollierten
Gebieten zu treffen, da sich dieser ai-Bericht mit diesem Thema
überhaupt nicht auseinandersetzt', so übersieht sie, dass der
amnesty-Bericht Beilage ./1 explizit von 'Übergriffen der
Militärs' spricht und davon, dass 'viele Flüchtlinge ... in
zunehmendem Maße auch vor den Regierungstruppen in
vermeintlich sichere Gebiete ... fliehen'.
Tatsächlich bestehen damit zwischen den von der belangten Behörde alleine auf Grundlage des Berichtskonvoluts Beilage ./A getroffenen Feststellungen und dem Inhalt des vom Beschwerdeführer vorgelegten amnesty-Berichts ./1 sogar gravierende Widersprüche.
Abgesehen davon, dass die Realitätsnähe der überwiegend bloß subjektiven bzw. ersichtlich auf bloßes Hörensagen gestützten Berichte des Honorarkonsuls, die zudem noch - wie schon dargelegt wurde - in sich zum Teil bereits höchst widersprüchlich sind, in Bezug auf die allgemeine Lage im Heimatland des Beschwerdeführers mehr als fragwürdig ist, hätte sich die belangte Behörde spätestens auf Grund der im amnesty-Bericht Beilage ./1 getroffenen, gegenteiligen Feststellungen dazu veranlasst sehen müssen, weitere Berichte einzuholen. Insbesondere ist auf Grund des Dargelegten nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde 'bei genauer Betrachtung' der Beilagen ./A und ./1, welche sie zumindest behauptet (BS 4 unten), zum Ergebnis gelangen konnte, dass diese inhaltlich übereinstimmen würden.
Eine tatsächlich 'genaue Betrachtung' der beiden Beilagen und der darin getroffenen Aussagen hätte vielmehr zum Ergebnis haben müssen, dass die in den Berichten Beilage ./A zwar für die Diplomatenviertel von Freetown zutreffen mag bzw. auch in Einklang mit der programmatischen Selbstdarstellung der sierraleonesischen Regierung oder auch der UNAMSIL-Administration in den vom Honorarkonsul konsumierten Medien steht, aber die im Bericht Beilage ./1 dargestellte prekäre Lage für Flüchtlinge und Vertriebene wie den Beschwerdeführer nicht entkräften kann.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt festgehalten hat, ist die belangte Behörde verpflichtet, sich über die Lage in bestimmten Ländern, aus denen regelmäßig eine größere Zahl von Asylwerbern nach Österreich kommt (und zu denen auch Sierra Leone zählt!) entsprechendes 'Amtswissen' zu verschaffen ... Hätte sich die belangte Behörde ein derartiges 'Amtswissen' über die Lage im Heimatland des Beschwerdeführers verschafft, anstatt sich im bekämpften Bescheid ausschließlich auf das Privatwissen eines österreichischen Diplomaten zu stützen, so hätte sie zum Ergebnis gelangen müssen, dass sämtliche namhaften Berichtsquellen wie das UN-Flüchtlingshochkommissariat, das UN-Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten, das Rote Kreuz und viele andere mehr die im amnesty-Bericht Beilage ./1 getroffene, negative Einschätzung decken.
Die belangte Behörde hat aber auch verkannt, dass die Einschätzungen des Honorarkonsuls in seinen Berichten, soferne ihnen überhaupt über die Diplomatenviertel von Freetown hinaus und damit auch in Ansehung der konkreten Situation des Beschwerdeführers irgendeine Bedeutung zukommt, allenfalls die Qualität von Momentaufnahmen besitzen bzw. von bloßen Prognosen, deren Zutreffen sich erst in Zukunft herausstellen wird oder eben auch nicht.
...
Im Ergebnis hat sich aber die belangte Behörde vollkommen von den optimistischen subjektiven Einschätzungen des Honorarkonsuls leiten lassen. ...
Demgegenüber wären der belangten Behörde aber Berichtsdatenbanken zur Verfügung gestanden, zB www.asyl.net oder auch www.ecoi.net , die beinahe tagesaktuell geführt werden und so gut wie sämtliche einschlägigen Berichte, sowohl von sämtlichen namhaften internationalen Menschenrechts- und Flüchtlingshilfsorganisationen, als auch aus den verschiedensten Medien, enthalten.
Hätte die belangte Behörde auf diese Datenbanken zugrückgegriffen (was sie in anderen Anlassfällen regelmäßig tut), so hätte sie erkennen müssen, dass sämtliche im Bericht des Honorarkonsuls vom 21.11.2001 beschriebenen Umstände nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprachen bzw. die vom Honorarkonsul angestellten Prognosen nicht eingetreten sind:
Weder verlief das Leben in Freetown bzw. auch in großen Gebieten des Südens und Ostens 'vollkommen normal', vor allem nicht für intern Vertriebene bzw. für Rückkehrer wie den Beschwerdeführer, noch ist dem aktuell so.
Die Entwaffnung der Milizen war auch zum Jahresende noch weit von einem Abschluss entfernt.
Die Sicherheitskräfte sind nicht dazu in der Lage, Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der Konfliktparteien zu unterbinden bzw. sind sie selbst für Übergriffe verantwortlich.
Die internationalen Organisationen sind mit der Unterstützung und Versorgung von Internally Displaced Persons heillos überfordert und leiden unter akutem Geldmangel. Der Wiederaufbau zerstörter Ortschaften hält sich in Grenzen, ebenso wie die Rückführung der intern Vertriebenen, welche außerdem auch noch dadurch erschwert bzw. unmöglich gemacht wird, dass weite Landesteile immer noch unter dem maßgeblichen Einfluss von Milizenführern stehen, auch wenn sie formell bereits wieder in die Regierungsverwaltung eingegliedert sind.
Der Ausgang der Wahlen ist ungewiss, ebenso wie ungewiss ist, ob sich alle Konfliktparteien dem Wahlergebnis unterwerfen (und dabei ihre eigenen politischen und vor allem wirtschaftlichen Interessen hintanstellen) werden. Die Vielzahl an wahlwerbenden Parteien lässt eine Pattstellung der maßgeblichen Proponenten besorgen. Insbesondere ist ein 'Ausbrechen' der Rebellenfraktion RUF zu befürchten. ...
Wie sich auch schon aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten amnesty-Bericht Beilage ./1 ergibt, dauern die Übergriffe sowohl von staatlicher Seite als auch von seiten regierungsnaher oder auch regierungsfeindlicher Milizen gegen intern Vertriebene nach wie vor an. Es ist anzunehmen - und auch durch einschlägige Berichtsquellen belegt (siehe nur die weiter oben genannten Internet-Datenbanken) - dass die schon während der kriegerischen Auseinandersetzungen von allen Konfliktsparteien gepflogenen Praktiken, zu denen unter anderem auch ethnisch motivierte Übergriffe sowie die Zwangsrekrutierung von sogenannten 'Kindersoldaten' zählen, nach wie vor anhalten. ...
Mit ihren Ausführungen auf BS 4 unten, der Beschwerdeführer habe seine Tötung oder Verschleppung und Zwangsrekrutierung durch Rebellen befürchtet und sei eine solche Furcht nunmehr '- ohne Hinweise, dass auch noch aktuell Personen von Rebellen verschleppt werden - objektiv nicht nachvollziehbar', reduziert die belangte Behörde den entscheidungsrelevanten Sachverhalt in unzulässiger Weise auf den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anlass zur seinerzeitigen Flucht: Diesen hat zwar tatsächlich der Rebellenübergriff auf sein Heimatdorf Ende 2000 gebildet, was aber nichts daran verschlägt, dass dem Beschwerdeführer dasselbe Schicksal auch auf Veranlassung von Regierungsmilizen hätte widerfahren können und nach der Berichtslage auch nach wie vor widerfahren könnte.
Dass der belangten Behörde keinerlei Informationen vorliegen, wonach auch aktuell noch Personen (ergänze: nicht bloß) von Rebellen verschleppt werden, liegt alleine darin begründet, dass sich die dem bekämpften Bescheid zugrunde gelegte Information in den Berichten des Honorarkonsuls (Beilagenkonvolut ./A) erschöpft, die sich zu diesem Thema gar nicht äußern, und darüber hinaus von ihr keinerlei Ermittlungen gepflogen wurden.
Beispielshaft für viele Berichte, welche der belangten Behörde bei Fassung der hier bekämpften Entscheidung sehrwohl zugänglich gewesen wären und welche die Lage in Sierra Leone in gänzlich anderem Licht darstellen als sie vom Freetowner Diplomatenviertel aus betrachtet erscheinen mag, sei hier nur auf das dieser Beschwerde beiliegende Positionspapier der renommierten Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 21.05.2001 eingegangen:
(Nicht nur) Diesem Papier zufolge laufen insbesondere ehemalige RUF-Gefangene, Zeugen von Verbrechen der RUF gegen die Menschlichkeit und von der RUF als 'Überläufer' bezeichnete Teilnehmer des Entwaffnungsprogrammes in Gefahr, schweren Repressionen durch RUF-Kommandos bis hin zu Exekutionen zum Opfer zu fallen. Im Gebiet unter Regierungskontrolle muss derselbe Personenkreis (dem auch der Beschwerdeführer angehört) mit willkürlicher Verhaftung und Misshandlung, Folter und Verschwindenlassen sowie Lynchjustiz, dies alles von seiten der Stammes- und der Zivilmilizen, des Militärs, der Polizei und der Zivilbevölkerung, rechnen. Dasselbe gilt für Personen, die der Zugehörigkeit zu einer anderen Rebellenfraktion bezichtigt werden.
Man beachte die offensichtliche Diskrepanz zu den im Beilagenkonvolut ./A enthaltenen Honorarkonsuls-Berichten vom 02.06.2001 und vom 23.07.2001, welche die Lage in Sierra Leone während dieser Zeit insgesamt so darstellen, als ob nach Ausschreitungen im Gefolge eines Fußballspiels gerade noch die letzten Scherben aufzukehren wären!
Vor dem Hintergrund des beschwerdeführerischen Sachvortrages hätte die belangte Behörde somit, bei richtiger und vor allen Dingen vollständiger Erhebung der Lage in Sierra Leone, unweigerlich zum Ergebnis gelangen müssen, dass der Beschwerdeführer nach wie vor praktisch landesweit der Gefahr asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre, sei es durch Zwangsrekrutierung seitens einer der Konfliktsparteien, sei es durch willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Misshandlung, Folter oder Tötung aus einem der im SFH-Bericht angeführten Gründe.
Nachdem der Beschwerdeführer sich aber nun auch nicht in jenen wirtschaftlichen Umständen befindet, welche ihm im Falle einer Rückkehr die Lebenshaltung im Freetowner Diplomatenviertel ermöglichen würden, geht auch der Hinweis der belangten Behörde darauf, dass ihm 'insbesondere in Freetown und Umgebung' jedenfalls keine der von ihm befürchteten Verfolgungshandlungen drohe, ins Leere.
Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative ergibt sich daraus für den Beschwerdeführer noch lange nicht, hält doch der beiliegende SFH-Bericht fest, dass die Aufnahmekapazitäten vor allem in der Hauptstadt Freetown und in anderen 'sicheren Gebieten' bis auf Äußerste gespannt sind und die humanitäre Situation im ganzen Land katastrophal ist, weshalb ein 'Wegweisungsvollzug' von abgewiesenen Asylsuchenden nach Sierra Leone von der SFH als unzumutbar angesehen wird.
Dem Bericht des Honorarkonsuls vom 21.11.2001 im Beilagenkonvolut ./A, wonach sich die Lage in Sierra Leone zusehends verbessere und das Leben in Freetown und großen Gebieten des Südens und Ostens bereits seit Mitte vorigen Jahres vollkommen normal verlaufe, steht nicht nur die gegenteilige Einschätzung des SFH noch vom 21.05.2001 in unlösbarem Widerspruch gegenüber, sondern auch der vom Beschwerdeführer vorgelegte beinahe zeitgleich erschienene amnesty-Bericht Beilage ./1."
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Die belangte Behörde hat ihre beiden Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides zugrunde gelegte Einschätzung der Lage in Sierra Leone ausschließlich auf Schreiben des österreichischen Honorarkonsuls in Freetown gestützt und im angefochtenen Bescheid - abgesehen von der Behauptung, der vom Beschwerdeführer vorgelegte Bericht von amnesty international "bestätige" die Ansichten des Honorarkonsuls - auf kein sonstiges Berichtsmaterial Bezug genommen. Die dem Verwaltungsgerichtshof schon aus einer Vielzahl von Verfahren bekannten Schreiben des Honorarkonsuls stellen unabhängig davon, welche Rolle diesem bei der Vertretung österreichischer Interessen in Sierra Leone zukommt, in Bezug auf die in ihnen behandelten Themen die Wiedergabe privater Wahrnehmungen eines an den entscheidungserheblichen Vorgängen interessierten, mit ihnen aber - insbesondere hinsichtlich der Bewältigung der Flüchtlingsströme und der Bekämpfung ihrer Ursachen - nicht befassten Beobachters dar.
Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine detaillierte Auseinandersetzung damit, inwieweit die in der Beschwerde vorgetragene Kritik am Inhalt dieser Schreiben berechtigt ist. Von den Asylbehörden ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zu erwarten, dass sie insoweit, als es um Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens eines Asylwerbers geht, von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere die Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten internationalen Organisationen in die Entscheidung einbeziehen (vgl. zur Pflicht der Asylbehörden, sich entsprechend zu informieren, u.a. schon das Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0348, und die daran anschließenden Erkenntnisse). Schreiben wie die von der belangten Behörde herangezogenen des österreichischen Honorarkonsuls in Freetown können eine unter Umständen wertvolle Ergänzung der sonstigen Berichtslage, aber kein Grund für deren völlige Ausblendung sein. Dass das der angefochtenen Entscheidung in beiden Spruchteilen zugrunde liegende, aus den Schreiben des Honorarkonsuls gewonnene Bild eines "absolut normalen" Lebens in weiten Teilen Sierra Leones bei Einbeziehung anderer aktueller Berichte entscheidungserhebliche Nuancierungen erfahren hätte, ist angesichts der wiedergegebenen Beschwerdeausführungen jedenfalls nicht auszuschließen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 8. April 2003
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