VwGH 96/21/0037

VwGH96/21/003718.5.1999

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Ogris, über die Beschwerde des EK, (geboren am 2. März 1958), in Linz, vertreten durch Dr. Hermann Fromherz, Dr. Friedrich Fromherz und Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Rechtsanwälte in 4010 Linz, Graben 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 14. Juli 1995, Zl. St 229/95, betreffend Feststellung gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §37 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.980,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 14. Juli 1995 wurde gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in Liberia gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht sei; seine Abschiebung nach Liberia sei zulässig.

Der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger von Liberia und am 14. Juni 1995 von Ungarn kommend über einen unbekannten Grenzübergang unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet gelangt. Sein am 20. Juni 1995 gestellter Asylantrag sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21. Juni 1995 abgewiesen worden. Über die dagegen erhobene Berufung sei noch nicht entschieden worden.

Zur Begründung des Antrages auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung habe der Beschwerdeführer auf die von ihm beim Bundesasylamt getätigten Angaben verwiesen. Bei seiner am 21. Juni 1995 erfolgten Einvernahme im Asylverfahren habe er ausgeführt, im Juli 1989 nach Guinea gereist zu sein, wo er zirka ein Jahr verbracht hätte. Dann hätte er sich nach Mali begeben und dort drei Jahre aufgehalten. Anschließend wäre er in Libyen gewesen und von dort im Jahr 1994 nach Sofia, dann nach Rumänien und weiter nach Ungarn gereist. Für Bulgarien und Rumänien hätte er von den entsprechenden Botschaften in Tripolis einen Sichtvermerk erteilt erhalten, für Ungarn einen solchen von der ungarischen Botschaft in Bukarest. In Ungarn wären ihm sein Reisepass und sein Bargeld gestohlen worden. In der Folge hätte ihn ein Türke in seinem LKW versteckt und nach Österreich verbracht. Als Asylgrund habe der Beschwerdeführer angeführt, im Jahr 1989 sein Heimatland wegen des dort herrschenden Bürgerkrieges, an dem er nicht hätte teilnehmen wollen, und wegen der durch die Rebellengruppen erfolgenden Rekrutierungen verlassen zu haben. Er wäre politisch nicht engagiert gewesen, weil er sich dafür nicht interessiert hätte und nur seinen Frieden hätte habe wollen. Er hätte in Guinea, Mali, Libyen, Rumänien, Bulgarien und Ungarn keine Probleme gehabt, und es wäre lediglich in Ungarn sein Aufenthalt etwas schwierig gewesen. Da die wirtschaftliche Lage in Bulgarien und Rumänien schlecht wäre und er diesen Ländern Österreich "natürlich" hätte vorziehen wollen, hätte er dort nicht um Asyl ersucht. In Mali wäre er nicht geblieben, weil das Klima dort zu heiß wäre.

Der Beschwerdeführer habe ausdrücklich angeführt, keinerlei Probleme gehabt zu haben, und die Frage, ob er abschließend noch weitere asylrelevante Gründe anzubringen hätte, verneint. Dass er in seinem Heimatland Gefahr laufen würde, dort - von Staats wegen - einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, könne diesem Vorbringen nicht entnommen werden. Daran ändere auch nichts, wenn er auf die dort herrschende Bürgerkriegssituation hinweise. Ebensowenig sei aus seinem Vorbringen zu ersehen, dass in Liberia sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (§ 37 Abs. 2 FrG). Der Beschwerdeführer habe sich, wie er selbst ausführe, nicht politisch betätigt und sei politisch nicht einmal interessiert. Auch die sonstigen mit Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Flüchtlingskonvention gleichlautenden Tatbestände ließen sich aus seinem Vorbringen nicht ersehen.

Was den vom Beschwerdeführer herangezogenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 14. Februar 1995 betreffe, in dem die Unzulässigkeit der Abschiebung eines Liberianers in sein Heimatland festgestellt worden sei, habe bereits der Unabhängige Verwaltungssenat Oberösterreich in seinem Erkenntnis vom 7. Juli 1995 zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich um einen vom Sachverhalt her gesehen anders gelagerten Fall gehandelt habe, und völlig zu Recht ausgeführt, dass dieser Bescheid in offenbarer Verkennung der Rechtslage Übergriffe einer einzelnen Rebellengruppe so angesehen hätte, als wäre diese Gewalt vom Staat ausgegangen.

Das Vorbringen des Beschwerdeführers lasse keine stichhaltigen Gründe für die Annahme erkennen, dass er bei einer Abschiebung in sein Heimatland Gefahren iS des § 37 Abs. 1 FrG oder Verfolgungen iS des § 37 Abs. 2 leg. cit. ausgesetzt wäre. Allgemeine Hinweise auf die Situation in seinem Heimatstaat könnten daran nichts ändern.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung von deren Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 54 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung iS des § 37 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 54 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 12. April 1999, Zl. 95/21/1104, mwN.)

2. Die Beschwerde macht geltend, dass der Beschwerdeführer bei einer Abschiebung nach Liberia auf Grund der dort herrschenden chaotischen Bürgerkriegszustände einer von staatlicher Seite nicht verhinderbaren, von den Rebellengruppen ausgehenden unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre. Die belangte Behörde treffe im angefochtenen Bescheid zu diesen Bürgerkriegszuständen keine ausdrücklichen Sachverhaltsfeststellungen und irre mit ihrer Meinung, dass die unmenschliche Behandlung von staatlicher Seite ausgehen müsste.

3. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung vom 12. Juli 1995 vorgebracht, aus Liberia geflohen zu sein, weil es im Zug des Bürgerkrieges ständig zu Rekrutierungen junger Männer durch die Rebellen der NPFL des Charles Taylor gekommen sei und die Provinz, in der er (der Beschwerdeführer) gelebt habe, von der NPFL beherrscht werde. In seinem Heimatort wäre er vor Übergriffen der NPFL oder anderer am Bürgerkrieg beteiligter bewaffneter Einheiten nicht sicher gewesen. Zur Gefährdung in seiner Heimatprovinz führe der Jahresbericht 1995 von amnesty international aus, dass in Zentral- und Ostliberia LPC-Kämpfer Zivilisten häufig nur auf Grund der Verdächtigung, die NPFL zu unterstützen, getötet hätten. Bei seiner Abschiebung nach Liberia wäre der Beschwerdeführer auch in der Hauptstadt Monrovia nicht sicher, was aus dem Bericht des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 13. Jänner 1995 und der UNHCR-Stellungnahme zur Situation von Flüchtlingen aus Liberia vom Mai 1995 (jeweils betreffend das UNOMIL-Mandat und die westafrikanische Schutztruppe ECOMOG) hervorgehe. Ebenso seien die rund 8.500 Soldaten der ECOMOG-Truppen in den Provinzen rund um Monrovia nicht in der Lage, einzelne Personen vor Übergriffen und Anschlägen durch Rebellengruppen zu schützen. So hätten das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF ein Massaker an 62 Frauen und Kindern in einem Dorf nahe der Stadt Buchanan und die vorzitierte UNHCR-Stellungnahme ein Massaker an 48 Personen durch in Monrovia ansässige bewaffnete Gruppen aufgezeigt. Infolge des Bürgerkrieges fehle in Liberia eine im herkömmlichen Sinn funktionierende Staatsgewalt und komme es zu schweren Menschenrechtsverletzungen aller Bürgerkriegsparteien.

Wenn nun die belangte Behörde in ihrem über die Berufung ergangenen Bescheid die Ansicht vertritt, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers keine stichhaltigen Gründe für die Annahme einer Bedrohung des Beschwerdeführers gemäß § 37 Abs. 1 oder 2 FrG erkennen lasse, so ist Folgendes festzuhalten: Zwar ergibt sich aus der Aussage des Beschwerdeführers kein Anhaltspunkt dafür, dass sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre (§ 37 Abs. 2 FrG), doch sprach der Verwaltungsgerichtshof bereits im Erkenntnis vom 26. Juni 1997, Zl. 95/21/0294, - im Übrigen die Bürgerkriegssituation in Liberia betreffend - aus, dass die Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe durch eine andere bei Fehlen einer stabilen räumlichen Abgrenzung der Bürgerkriegsparteien eine hier maßgebliche Gefährdung des Einzelnen zur Folge haben kann. Führt demgemäß eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dort abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der in § 37 Abs. 1 FrG umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde, so wäre dies bei der Beurteilung gemäß § 54 Abs. 1 FrG beachtlich. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn auf Grund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben würde, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohten, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene. Zweifellos stellt die Gefahr, zu Bürgerkriegsdiensten eingezogen und - gleichviel, ob von der regulären Armee oder von einer Rebellengruppe - getötet zu werden, einen stichhaltigen Grund für die Annahme dar, im Verfolgerstaat einer "unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe" (§ 37 Abs. 1 FrG) unterworfen zu werden. (Vgl. zum Ganzen etwa das vorzitierte Erkenntnis und das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 1998, Zl. 95/21/1028.)

Das Vorhandensein einer inländischen Fluchtalternative legte die belangte Behörde ihrer Beurteilung nicht zugrunde, weshalb nicht unterstellt werden kann, es gebe räumlich stabil abgegrenzte Einflusszonen der Bürgerkriegsparteien und es könne die Abschiebung des Beschwerdeführers in den für ihn sicheren Teil - so es einen solchen gäbe - erfolgen (vgl. etwa das vorzitierte Erkenntnis Zl. 95/21/1104, mwN).

Dadurch, dass die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers als nicht ausreichend wertete, um eine ihm drohende Verfolgung in seinem Heimatstaat glaubhaft zu machen, und mit ihrer Ansicht, dass gewaltsame Übergriffe einer Rebellengruppe, weil nicht vom Staat ausgehend, keine solche Verfolgung darstellen können, belastete sie ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

4. Demzufolge war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil für die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu entrichtenden Stempelgebühren im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kein Ersatz gebührt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Februar 1994, Zl. 93/18/0496) und in diesem Verfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung Stempelgebühren von lediglich S 480,-- (für drei Ausfertigungen des ergänzenden Schriftsatzes vom 21. Februar 1996 und eine weitere Beschwerdeausfertigung je S 120,--) zu entrichten waren.

Wien, am 18. Mai 1999

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