Normen
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 33 Abs. 1 und § 37 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Begründend stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe im Zeitraum 21. Oktober 1985 bis 4. März 1995 über Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt. Nachdem gegen den Beschwerdeführer mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 25. August 1995 (dem Beschwerdeführer zugestellt am 5. September 1995) ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden sei, sei sein Antrag auf Erteilung einer (weiteren) Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz mit Bescheid vom 15. November 1995 rechtskräftig abgewiesen worden. Nach Abweisung einer Beschwerde gegen das genannte Aufenthaltsverbot durch den Verwaltungsgerichtshof sei der Beschwerdeführer im Juli 1997 in sein Heimatland abgeschoben worden. In der Folge seien dem Beschwerdeführer (für die Zeiträume vom 2. Oktober 1998 bis 1. November 1998, vom 23. Dezember 1998 bis 22. Juni 1999 und vom 18. Mai 2000 bis 17. November 2000) jeweils Wiedereinreisebewilligungen (nach der Aktenlage: um dem Beschwerdeführer den Kontakt mit seinem schwer kranken zweiten Kind in Österreich zu ermöglichen) erteilt worden. Nach Ablauf der letzten Wiedereinreisebewilligung habe es der Beschwerdeführer unterlassen, aus dem Bundesgebiet auszureisen, sodass sein Aufenthalt in Österreich seit dem 18. November 2000 - der Beschwerdeführer verfüge seither unstrittig über keinen Aufenthaltstitel - als rechtswidrig anzusehen und die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 FrG erfüllt seien. Die belangte Behörde habe daher weiters die Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 37 Abs. 1 FrG zu prüfen, wobei davon auszugehen sei, dass den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukomme. Abgesehen von der erheblichen Verletzung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen durch den unberechtigten Aufenthalt des Beschwerdeführers, was zu einer (beim Verwaltungsgerichtshof mit Beschwerde zur Zl. 2002/21/0203 bekämpften) Bestrafung des Beschwerdeführers nach dem FrG geführt habe, falle ins Gewicht, dass dieser nach Erlassung des genannten Aufenthaltsverbotes mit Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 11. März 1999 wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden sei. Dem sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer am 27. April 1997 drei näher genannten Personen Schläge v.a. gegen das Gesicht versetzt habe, wodurch diese u.a. Hämatome und Prellungen erlitten hätten. Der Beschwerdeführer habe überdies, abgesehen von den dem mittlerweile abgelaufenen Aufenthaltsverbot zugrunde gelegenen Verstößen gegen die Rechtsordnung, in den Jahren 1996 und 1997 insgesamt fünf Übertretungen verkehrsrechtlicher Vorschriften begangen und sei dafür verwaltungsbehördlich bestraft worden. Dazu führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid (lediglich) das Entscheidungsdatum der Verwaltungsstrafbehörde, die übertretenen Rechtsvorschriften und die verhängten Verwaltungsstrafen an.
Das genannte Fehlverhalten des Beschwerdeführers sei nach § 37 Abs. 1 FrG zu bewerten, weil die Ausweisung einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers darstelle. Dieser sei berufstätig und habe im Bundesgebiet gemeinsam mit seiner Ehegattin zwei Kinder. § 37 Abs. 1 FrG stehe der Erlassung der gegenständlichen Ausweisung aber nicht entgegen, weil für den Beschwerdeführer die Möglichkeit bestehe, ein gemeinsames Familienleben mit seiner Familie in seinem Heimatstaat zu führen. Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer ein unüberwindliches Hindernis "nur in der Form" behauptet, dass einerseits seine (in Deutschland geborene, aber gleichfalls die vormalige jugoslawische Staatsangehörigkeit besitzende) Ehegattin noch nie im Heimatstaat gelebt habe und andererseits das jüngere (1997 in Österreich geborene) Kind des Beschwerdeführers schwer herzkrank sei. Zwar ergebe sich aus einem vom Beschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Gutachten, dass der Sohn des Beschwerdeführers an einem komplizierten und schweren Herzfehler leide, doch könnten die anstehenden medizinischen Maßnahmen, wie sich aus einem vom Beschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Schreiben ergebe, auch in einem "entsprechend erfahrenen kardiologischen Zentrum" im Heimatstaat des Beschwerdeführers durchgeführt werden. Die Familieneinheit könnte so durch eine gemeinsame Ausreise aufrecht erhalten werden. Außerdem könnte auch die Ehegattin des Beschwerdeführers (alleine) die beiden Kinder in Österreich betreuen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 26. November 2002, B 1181/02, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vom Beschwerdeführer ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer lässt unbestritten, dass er im Bescheiderlassungszeitpunkt über keine Aufenthaltsberechtigung nach dem FrG oder nach dem AsylG verfügt hat, sodass keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde bestehen, der Beschwerdeführer habe sich nicht rechtmäßig (§ 33 Abs. 1 FrG) im Bundesgebiet aufgehalten.
Mit umfangreichen Ausführungen versucht der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde zunächst darzulegen, weshalb die Ausweisung gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen, insbesondere der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften, nicht stand zu halten vermöge. Diese Ausführungen gehen freilich schon deshalb ins Leere, weil der Beschwerdeführer als Angehöriger der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien (nunmehr: Serbien und Montenegro) das Gemeinschaftsrecht nicht für sich in Anspruch nehmen kann.
Der Beschwerdeführer macht aber gegen den angefochtenen Bescheid mit Erfolg geltend, dass seine Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele nicht dringend geboten ist. Abgesehen von seinem langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet führt er dazu vor allem die außergewöhnliche familiäre Situation wegen der schweren Erkrankung seines jüngeren Kindes ins Treffen. Seinem Sohn fehle die linke, größere Herzhälfte und internationale Herzspezialisten hätten eine Operation wegen des damit verbundenen hohen Risikos bereits mehrfach verschoben. Wenn die belangte Behörde daher die Ansicht vertrete, die Operation könne auch in Jugoslawien durchgeführt werden, so habe sie sich mit den konkreten Umständen nicht auseinander gesetzt.
Würde durch (u.a.) eine Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 FrG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist (§ 37 Abs. 1 FrG).
Als Gründe, die die Ausweisung zur Gewährleistung der öffentlichen Ordnung dringend geboten machen, führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid konkret (nur) die vom Beschwerdeführer verübte (im Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung allerdings bereits fünf Jahre zurück liegende) Körperverletzung und dessen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet seit dem 18. November 2000 an.
Zwar ist es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden in Österreich eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet regelnden Vorschriften darstellt. Gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Beendigung eines solchen unrechtmäßigen Aufenthaltes haben verschiedentlich private und familiäre Interessen von Fremden mit rechtswidrigem Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 37 Abs. 1 FrG zurückzutreten. Bei Anwendung des § 37 Abs. 1 FrG ist allerdings das öffentliche Interesse an der Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthaltes nicht stets höher zu bewerten als die privaten und familiären Interessen des betroffenen Fremden. Eine derartige Auslegung würde dem § 37 Abs. 1 FrG jeden Anwendungsbereich entziehen, was dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann. Ist gemäß § 37 Abs. 1 FrG die Erlassung einer Ausweisung nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 EMRK genannten Ziele "dringend geboten ist", so bedeutet dies, dass die Ausweisung zur Erreichung zumindest eines dieser Ziele ein "zwingendes soziales Bedürfnis" im Sinn der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte darstellen muss (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 5. November 1999, Zl. 99/21/0156).
Bei der gemäß § 37 Abs. 1 FrG somit vorzunehmenden Abwägung ist nicht nur der beinahe zehnjährige rechtmäßige und der daran anschließende weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, sondern auch der Umstand zu berücksichtigen, dass sich auch die Ehegattin des Beschwerdeführers langjährig (und nach der Aktenlage rechtmäßig) mit den beiden Kindern im Bundesgebiet aufhält und eines der Kinder unter einer schweren Krankheit leidet (vgl. zu einem ähnlichen Fall das zur - mit § 37 Abs. 1 FrG im Wesentlichen inhaltsgleichen - Bestimmung des § 19 Fremdengesetz 1992 ergangene Erkenntnis vom 14. Dezember 2000, Zl. 96/21/1076, auf das die Beschwerde zutreffend hinweist).
Zum Herzleiden seines jüngeren Kindes hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren ein Schreiben des Leiters der Kinderabteilung des Krankenhauses der Stadt Dornbirn vom 2. November 1998 mit folgendem Inhalt vorgelegt:
"Der Patient leidet an einem sehr schweren Herzfehler, mit funktionell nur einer Herzkammer. Dadurch ist eine Trennung der Kreisläufe nicht möglich, es besteht von vornherein eine Mischcyanose mit einer chron. Untersättigung des Blutes. Durch die Untersättigung des Blutes sind viele Komplikationen zu erwarten, in erster Linie eine deutl. eingeschränkte Leistungsfähigkeit und eine vermehrte Infektanfälligkeit.
Auf Grund dieses Herzfehlers ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Patient das Erwachsenenalter erreichen wird, eine korrigierende Operation ist nicht möglich. Mit einer Operation kann nur versucht werden, das Leiden des Patienten zu vermindern und die Lebensqualität geringgradig zu verbessern. Eine Heilung wäre nur mit einer kombinierten Herzlungentransplantation möglich, wobei die Lungentransplantation derzeit eine Mortalität von 50 % aufweist und somit also keine echte Alternative ist.
Mit dem Herzfehler verbunden ist das Auftreten schwerer Rhythmusstörungen, wann diese auftreten, kann nicht vorhergesagt werden, es ist natürlich zu hoffen, dass dies möglichst lange ausbleibt. Die Rhythmusstörungen enden in der Regel letal.
Im Interesse von Darko und seiner Familie bitten wir Sie daher, alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Trennung der Familie zu verhindern."
In dem von der belangten Behörde erwähnten Schreiben dieses Arztes an die Fremdenpolizeibehörde vom 24. August 2000 wird auf den "sehr komplizierten und schweren Herzfehler" des Sohnes des Beschwerdeführers und auf den im Februar 2000 gesetzten ersten medizinischen Schritt im Zusammenhang mit einer Palliativoperation hingewiesen. Dieses Schreiben hat sodann folgenden weiteren Wortlaut:
"Für die weitere medizinische Betreuung von Darko ist es sehr wichtig, dass Familie A. im Lande bleiben kann und die weiter anstehenden operativen Maßnahmen an einem entsprechend erfahrenen kardiologischem Zentrum durchgeführt werden können.
Wir würden Sie deshalb bitten, die Aufenthaltsgenehmigung von Familie A. im Rahmen der Ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu verlängern."
In Anbetracht dieser Situation stellt das öffentliche Interesse an der Beendigung des rechtswidrigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers keineswegs - wie auch die mehrfachen, zum Teil längerfristigen Wiedereinreisebewilligungen zeigen - ein zwingendes soziales Bedürfnis im Sinn der genannten Rechtsprechung dar, sodass die belangte Behörde in Anbetracht der dargestellten familiären Verhältnisse die Ausweisung des Beschwerdeführers nicht als dringend geboten im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG ansehen durfte.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 27. Jänner 2004
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