VwGH 2002/21/0162

VwGH2002/21/016217.11.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Matthäus Grilc, Dr. Roland Grilc und Mag. Rudolf Vouk, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14-III, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten vom 29. Juli 2002, Zl. Fr-72/02, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
FrG 1997 §38 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37;
FrG 1997 §38 Abs1 Z4;
FrG 1997 §38 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z 1 iVm § 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme führte sie im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1992 mit seiner Mutter und seinem Bruder nach Österreich gekommen. Sein Vater sei bereits verstorben, sein Bruder verheiratet und lebe mit dem Beschwerdeführer nicht in einem Haushalt. Dem Beschwerdeführer seien Niederlassungsbewilligungen, zuletzt bis zum 9. August 2003, erteilt worden.

Am 19. Oktober 1998 sei der Beschwerdeführer unter Vorbehalt der Strafe wegen schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 StGB rechtskräftig verurteilt worden; er habe teils allein, teils im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit anderen seit Sommer 1997 zahlreiche Diebstähle, teilweise mit der Qualifikation "des Einbruchs bzw. Einsteigens" begangen bzw. versucht. Der Schaden habe knapp S 27.000,-- überstiegen.

Mit Urteil vom 23. Juli 1999 sei er wegen Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Gesamtgeldstrafe von S 2.500,-- (50 Tagessätze zu je S 50,--) rechtskräftig verurteilt worden. Er habe durch einen Fußtritt den linken hinteren Kotflügel eines Pkws beschädigt.

Am 27. August 1999 sei er wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von S 5.000,-- (100 Tagessätze zu je S 50,--) rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Zusammenwirken mit einem anderen eine Person durch Versetzen von Schlägen und Tritten gegen den Körper vorsätzlich am Körper verletzt (u.a. eine Nasenbeinfraktur zugefügt) habe.

Mit rechtskräftigem Urteil vom 22. Dezember 1999 sei er zu einer Geldstrafe von S 5.000,-- (nach dem Akteninhalt: zu einer Geldstrafe von 140 Tagessätzen zu je S 50,--, wobei ein Teil von 40 Tagessätzen bedingt nachgesehen wurde) wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB verurteilt worden. Er habe im Zusammenwirken mit seinem Bruder eine Person durch Versetzen von Faustschlägen in das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt.

Am 17. Mai 2000 sei eine rechtskräftige Verurteilung wegen Körperverletzung nach § 83 StGB und Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von einem Monat erfolgt. Demnach habe er im Zusammenwirken mit einem anderen zwei Personen durch Versetzen eines Kopfstoßes, mehrerer Faustschläge und Fußtritte vorsätzlich am Körper verletzt und mehrmals mit dem Kopf gegen einen Gendarmeriedienstwagen geschlagen.

Mit Urteil vom 23. April 2001 sei er zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen (soweit rechtskräftig geworden:) schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB verurteilt worden, wobei das Oberlandesgericht Graz im Berufungsweg die Höhe der Strafe auf eine unbedingte Freiheitsstrafe von drei Monaten geändert habe. Demnach habe er eine Person durch einen Faustschlag gegen die Nase, eine andere Person durch einen wuchtigen Faustschlag ins Gesicht mit Nasenbeinbruch und Verschiebung der Bruchenden und eine dritte Person durch Zubodenwerfen vorsätzlich verletzt.

Letztlich sei der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil vom 4. März 2002 wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat verurteilt worden, weil er eine Person im Zug einer Schlägerei durch Versetzen zumindest eines Faustschlages vorsätzlich am Körper verletzt habe.

Der Beschwerdeführer sei im Sinn des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden.

Darüber hinaus weise er 23 Verwaltungsstrafvormerkungen, unter anderem zwei Übertretungen nach § 4 Abs. 7 FSG (Alkoholisierung mit Probeführerschein), eine Übertretung nach dem Waffengesetz, Anstandsverletzungen und Lärmerregungen sowie mehrere Übertretungen nach dem Kraftfahrgesetz bzw. der Straßenverkehrsordnung auf.

In Anbetracht der Art und Weise der von ihm begangenen gerichtlichen Straftaten sei ein Charakterbild zu erkennen, das zweifelsohne den Schluss rechtfertige, er sei gegenüber den zum Schutz der Gesundheit anderer Personen, der körperlichen Integrität anderer Personen und dem Schutz fremden Eigentums erlassenen Vorschriften bzw. gegenüber der österreichischen Rechtsordnung überhaupt negativ eingestellt; sein Aufenthalt im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit bzw. andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen. Die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme erscheine daher gerechtfertigt.

§ 38 Abs. 1 Z 4 FrG stehe dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sei.

Der Beschwerdeführer sei nach seinen Angaben derzeit saisonbedingt arbeitslos und hätte die fixe Zusage, in einem Betrieb wieder aufgenommen zu werden. Nach den Berufungsausführungen wäre seine Mutter krebskrank und er der einzige, der seine Mutter betreue und mit seinem Verdienst einigermaßen zu ihrem Unterhalt beitragen würde. Sein gesamter Bekannten- und Freundeskreis befände sich in Österreich und er hätte zu Bosnien überhaupt keine Beziehungen mehr.

Wegen seines langjährigen Aufenthaltes und eines "gewissen" Maßes an Integration sei mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in sein Privatleben und wegen des gemeinsamen langjährigen Hauptwohnsitzes mit seiner Mutter ein Eingriff in sein Familienleben nach § 37 FrG verbunden.

Im Blick auf das beschriebene Gesamtfehlverhalten sei aber - so die belangte Behörde weiter - die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes aus den in Art. 8 Abs. 2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen (konkret: der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen und dem Schutz der Gesundheit, Rechte und Freiheiten anderer) nach § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten. Gegenüber dem bestehenden großen öffentlichen Interesse an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes seien die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich nicht so stark ausgeprägt, dass sie schwerer zu gewichten wären als das besagte öffentliche Interesse. Die Interessenabwägung nach § 37 Abs. 2 FrG könne daher nicht zu seinen Gunsten ausgehen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2005/21/0044).

Der Beschwerdeführer tritt den behördlichen Feststellungen nicht entgegen. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die Annahme der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG erfüllt sei. Wegen der wiederholten Verübung einschlägiger Delikte kann auch kein Zweifel gesehen werden, dass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme zu Lasten des Beschwerdeführers getroffen werden musste, würde sein weiterer Aufenthalt doch das öffentliche Interesse an der Unterbindung strafbarer Handlungen gegen die körperliche Integrität anderer und am Schutz fremden Eigentums erheblich gefährden.

Entgegen der Beschwerdeansicht steht der Tatbestand des § 38 Abs. 1 Z 4 FrG dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen. Dieser Bestimmung zufolge darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn der Fremde von klein auf im Inland aufgewachsen und hier langjährig rechtmäßig niedergelassen ist. Die belangte Behörde hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der erst im Alter von neun oder zehn Jahren eingereiste Beschwerdeführer nicht von klein auf im Inland aufgewachsen ist; dies kann nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. November 2001, Zl. 2001/21/0039) bei einer Person, die im Alter von vier Jahren oder später in Österreich einreist, nicht mehr angenommen werden. Der Beschwerdeführer bringt dazu vor, dass im Sinn der Einheitlichkeit der Rechtsordnung auf unmündige Minderjährige abgestellt werden müsste und wegen der Bedachtnahme auf den langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt (nach § 38 Abs. 2 FrG in der Dauer der Hälfte des Lebens) sich ohnehin je nach Alter des Kindes bei der Einreise eine Ausweitung des erforderlichen Zeitraums ergebe. Diese Argumente veranlassen den Gerichtshof jedoch nicht, von der oben genannten Rechtsprechung abzugehen. Einerseits besteht nämlich kein Grund, die Voraussetzung "von klein auf" mit der Altersstufe der unmündigen Minderjährigkeit gleichzusetzen, andererseits hat diese Voraussetzung einen eigenständigen Sinn unabhängig vom weiteren Erfordernis eines langjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes. (Vgl. zum Ganzen auch den hg. Beschluss vom 17. September 1998, Zl. 96/18/0150, Slg. 14.972 A.)

Auch der Hinweis, dass die belangte Behörde die Interessenabwägung nach § 37 FrG unrichtig vorgenommen habe, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg. Die Beschwerde wiederholt vorerst das in der Berufung erstattete Vorbringen, dass der Beschwerdeführer zu seinem Heimatland keine Beziehungen mehr habe, sich seine Mutter und sein Bruder in Österreich befänden und der Beschwerdeführer sein gesamtes soziales Umfeld in Österreich habe.

Dem steht das von der belangten Behörde detailliert aufgelistete strafrechtliche Fehlverhalten des Beschwerdeführers gegenüber, das mehrmalige, von Brutalität gekennzeichnete Körperverletzungen und Sachbeschädigungen enthält. Daraus ist ableitbar, dass auch wiederholte Verurteilungen den Beschwerdeführer nicht von der Begehung weiterer einschlägiger Delikte abhalten konnten. Die aus den gehäuften Delikten zu erschließende Unbelehrbarkeit des Beschwerdeführers ergibt - auch wenn im Einzelfall keine gravierenden Strafen verhängt wurden - ein derart großes öffentliches Interesse an der Beendigung seines inländischen Aufenthaltes, dass seine gegenläufigen persönlichen Interessen in den Hintergrund zu treten haben.

An diesem Ergebnis vermag der Hinweis auf die Krebserkrankung seiner Mutter nichts zu ändern. Während in der Stellungnahme vom 21. Februar 2002 davon noch keine Rede war, wurde die Erkrankung seiner Mutter in der Berufung vom 7. März 2002 erstmals angesprochen. Der dort relevierte Umstand, dass diese eine geringfügige Witwenpension beziehe und der Beschwerdeführer der einzige sei, der seine kranke Mutter "betreut und auch mit meinem Verdienst einigermaßen zum Unterhalt beitrage", lässt keinen derart massiven Eingriff erkennen, dass das genannte beträchtliche öffentliche Interesse in den Hintergrund zu treten hätte. Es wird nämlich nicht etwa behauptet, dass die Mutter pflegebedürftig wäre, einer medizinischen Versorgung entbehren müsste und dass sich der Bruder des Beschwerdeführers nicht um die Mutter kümmern könnte. Zur Relevanz behaupteter Verfahrensmängel merkt die Beschwerde lediglich an, die belangte Behörde hätte "überprüfen müssen, welche Auswirkungen das Aufenthaltsverbot und dessen Durchsetzung auf die Gesundheit meiner Mutter voraussichtlich haben wird". Auch die finanzielle Hilfe des nach seinen Angaben saisonbedingt arbeitslosen Beschwerdeführers kann nicht als gravierend gewertet werden und könnte überdies auch vom Ausland aus erfolgen. Zusammenfassend hat der Beschwerdeführer somit die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Beeinträchtigungen seines Privat- und Familienlebens angesichts seines wiederholten einschlägigen strafrechtlichen Fehlverhaltens in Kauf zu nehmen.

Es sind auch keine Umstände ersichtlich, die die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, von dem ihr eingeräumten Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers Gebrauch zu machen.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. November 2005

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