VwGH 2002/20/0075

VwGH2002/20/007519.2.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des N in W, geboren 1969, vertreten durch Dr. Friedrich Fleischmann, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Thaliastraße 155, gegen den am 24. Juli 2001 verkündeten und am 19. Dezember 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 200.084/19- VII/19/01, betreffend § 7 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §56;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §56;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §41 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak und christlichen (chaldäischen) Glaubens, reiste am 30. August 1997 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Vor dem Bundesasylamt gab er an, er stamme aus der Gegend von Arbil (Nordirak), wo er auch von 1986 bis 1991 studiert habe. Der Beschwerdeführer habe am 2. Jänner 1992 den Militärdienst in Bagdad angetreten und Mitte 1992 eine Offiziersausbildung begonnen. Am 5. November 1996 sei der Beschwerdeführer als Leutnant der Republikanischen Garde desertiert und habe den Irak verlassen. Der Grund dafür sei gewesen, dass er bereits 1992 Mitglied einer oppositionellen assyrischen Bewegung gewesen sei, die für mehr Rechte der Christen im Irak und für die Beseitigung Saddam Husseins eingetreten sei. Als der irakische Geheimdienst von der oppositionellen Tätigkeit des Beschwerdeführers erfahren habe, sei gegen ihn ein Haftbefehl erlassen worden, über den der Beschwerdeführer durch einen Freund rechtzeitig in Kenntnis gesetzt worden sei, sodass er habe flüchten können.

Das Bundesasylamt versagte dem Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit und wies dessen Asylantrag mit Bescheid vom 12. November 1997 gemäß § 3 Asylgesetz 1991 ab.

In seiner Berufung gegen diesen Bescheid wendete sich der Beschwerdeführer gegen die Beweiswürdigung der Erstbehörde, verwies auf die ihm im Irak drohende Todesstrafe wegen der in seiner Eigenschaft als Offizier ausgeübten oppositionellen Tätigkeit und ergänzte, es stünde ihm im Nordirak keine inländische Fluchtalternative zur Verfügung, weil er auch dort vom irakischen Geheimdienst bedroht sei.

Die belangte Behörde führte mit dem Beschwerdeführer am 27. September 2000 eine erste Verhandlungstagsatzung durch, in der dieser nochmals ausführlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde und die von ihm im Berufungsverfahren vorgelegten Dokumente, darunter der genannte Haftbefehl, erörtert wurden. Im Anschluss daran beauftragte die belangte Behörde einen Experten des Deutschen Orient-Institutes mit der Erstellung eines Gutachtens unter anderem zu den Fragen der Echtheit der vom Beschwerdeführer vorgelegten Dokumente und zur Glaubwürdigkeit der Tätigkeit des Beschwerdeführers in der irakischen Armee. Das daraufhin erstellte Gutachten vom 2. Mai 2000 gelangt ausgehend von den Angaben des Beschwerdeführers über seine Herkunft aus dem Nordirak und seinem dort bis 1991 betriebenen Studium zum Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers über seinen Wehrdienst unrichtig und die von ihm vorgelegten Dokumente teilweise gefälscht seien. Seit der Loslösung der kurdischen Autonomiegebiete im Norden des Irak, die im Oktober 1991 vollzogen gewesen sei, habe es in der irakischen Armee keine Männer aus den Autonomiegebieten mehr gegeben, sodass es nicht möglich sei, dass der aus Arbil stammende Beschwerdeführer 1992 Dienst in der irakischen Armee oder gar bei der Republikanischen Garde versehen habe.

Mit dem angefochtenen, 38 Seiten umfassenden Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab und schloss sich nach umfassender Wiedergabe des Verfahrensgeschehens den wesentlichen Ausführungen des Gutachtens, zu dem sie den Beschwerdeführer in einer fortgesetzten Berufungsverhandlung vom 24. Juli 2001 gehört hatte, an. Die belangte Behörde sprach dem Vorbringen des Beschwerdeführers "zur Gänze" die Glaubwürdigkeit ab, legte aber gleichzeitig als den Tatsachen entsprechend zugrunde, dass der Beschwerdeführer chaldäischer Christ sei, aus der Provinz Arbil stamme und seinen Asylantrag nach illegaler Ausreise aus dem Irak gestellt habe. Was das zuletzt genannte Verlassen des Heimatstaates des Beschwerdeführers betreffe, so drohe ihm deswegen - wie die belangte Behörde auf Grund von im angefochtenen Bescheid zitierten Länderberichten feststellte - im Irak eine mehrjährige Haftstrafe. Da Bagdad "an der Einheit des Landes einschließlich Nordiraks" festhalte, müssten auch aus- und wiedereinreisende Kurden im Nordirak mit einer solchen Bestrafung rechnen. Eine Trennung einerseits schwerer strafrechtlicher Sanktionen wegen illegaler Ausreise von einer Verfolgung aus politischen Gründen andererseits sei nach Ansicht der belangten Behörde aber nicht möglich, weshalb einer solchen Verfolgung prinzipiell Asylrelevanz zukomme. Dennoch sei eine Asylgewährung im vorliegenden Fall nicht in Betracht zu ziehen, weil dem Beschwerdeführer eine "interne Fluchtalternative" im Nordirak zukomme. Dazu verwies die belangte Behörde auf einen Bericht von UNHCR vom Jänner 2001, nach dem die Sicherheit in anderen Landesteilen des Irak im Einzelfall nicht nur von der Dauerhaftigkeit der Sicherheit im jeweiligen Gebiet abhänge, sondern auch davon, ob der Betreffende zu einer der in diesem Länderbericht genannten Risikogruppen gehöre. Letzteres sei beim Beschwerdeführer, dessen behauptete Desertion nicht den Tatsachen entspreche, nicht der Fall.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Soweit die Beschwerde zunächst die unterlassene Ladung des Sachverständigen, gegen dessen Bestellung beim Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken bestehen, rügt, zeigt sie nicht auf, weshalb der geforderte Verfahrensschritt zu einem anderen Verfahrensergebnis hätte führen können. Dem Beschwerdeführer wurde das genannte Gutachten bereits mit der Ladung zur fortgesetzten Berufungsverhandlung übermittelt, in der er auch ausreichend Gelegenheit hatte, sich dazu zu äußern.

Auch mit dem weiteren Beschwerdevorbringen, das Gutachten und damit die Beweiswürdigung der belangten Behörde bezüglich der Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers zu seinem Wehrdienst in der irakischen Armee entbehre jeglicher Grundlage, vermag der Beschwerdeführer keinen Verfahrensmangel aufzuzeigen. Entgegen den Beschwerdeausführungen hat der Beschwerdeführer nämlich, wie erwähnt, bereits bei seiner Erstvernehmung angegeben, bis 1991 in Arbil - und nicht, wie die Beschwerde meint, in Bagdad - studiert zu haben. Dass aber die Ansicht des Sachverständigen, ab 1991 seien Männer aus dem Nordirak nicht mehr zum Wehrdienst einberufen worden, unrichtig sei, wird in der Beschwerde nicht behauptet. Die weiteren Beschwerdeausführungen über die Desertion des Beschwerdeführers aus der irakischen Armee gehen daher am insoweit schlüssig festgestellten Sachverhalt vorbei.

Zutreffend hat die belangte Behörde erkannt, dass der - im für die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides - drohenden strengen Bestrafung des Beschwerdeführers wegen der illegalen Ausreise aus dem Irak Asylrelevanz zukommt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2003, Zl. 2001/20/0268, und die dort zitierte Rechtsprechung).

Die Beschwerde wendet sich aber mit Recht gegen die Ansicht der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer sei bezüglich der ihm wegen des illegalen Verlassens des Irak drohenden Verfolgungsgefahr im Bescheiderlassungszeitpunkt eine "inländische Fluchtalternative" im Nordirak zugekommen. So macht schon der von der belangten Behörde (auf den Seiten 32 und 33 des angefochtenen Bescheides) wiedergegebene UNHCR-Bericht das Bestehen einer "internen Fluchtalternative" insbesondere von einer dauerhaften Sicherheit des entsprechenden Gebietes abhängig. Nach einem weiteren von der belangten Behörde zitierten UNHCR-Bericht (Seite 30 des angefochtenen Bescheides) halte Bagdad allerdings an der "Einheit des Landes einschließlich Nordirak" fest.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem bereits zitierten Erkenntnis, Zl. 2001/20/0268, unter Verweis auf Vorjudikatur ausgesprochen, dass die Bejahung einer inländischen Schutzalternative im Nordirak (während der Herrschaft des Saddam Hussein) eine Auseinandersetzung mit der Frage erfordere, durch welche Hindernisse der irakische Staat daran gehindert war, sich über die betroffenen Gebiete jederzeit und ohne Vorankündigung wieder die volle Gebietsgewalt zu verschaffen, oder ob Informationen darüber vorlagen, dass die irakische Führung dies nicht beabsichtigte.

Da sich die belangte Behörde mit diesen Fragen (trotz scheinbar gegenteiliger Aussagen des zuletzt genannten UNHCR-Berichtes) nicht auseinander gesetzt hat, hat sie die Voraussetzungen für eine inländische Schutzalternative im Nordirak unrichtig beurteilt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren für Gebühren war

abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer diesbezüglich vom Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe gewährt wurde.

Wien, am 19. Februar 2004

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