Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt II. (Feststellung nach § 8 AsylG) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, gelangte am 27. November 2000 in das Bundesgebiet und beantragte am 29. November d.J. die Gewährung von Asyl.
Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt (die Erstbehörde) gab er auf Befragen zu seinem Fluchtgrund an, Sierra Leone aus Furcht vor Rekrutierung oder Tötung durch Rebellen verlassen zu haben.
Mit Bescheid vom 18. Dezember 2000 wies die Erstbehörde den Asylantrag gemäß § 6 Z 3 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (des Beschwerdeführers) in das behauptete Herkunftsland Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Sie ging - unter näherer Begründung -
davon aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität, seiner Herkunft und seinem Fluchtgrund eindeutig jeder Grundlage entbehrten.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
In der mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat (der belangten Behörde) wurde der Beschwerdeführer im Beisein eines nichtamtlichen Sachverständigen für Sierra Leone und Dolmetschers für Krio, Mende und Temne zu seinem persönlichen Werdegang, zu seinem Fluchtgrund und zu Spezifika von Sierra Leone befragt. Der Sachverständige gab, nachdem er die Angaben des Beschwerdeführers einer kritischen Überprüfung auf deren Richtigkeit hin unterzogen hatte, zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers an, er habe den Eindruck, der Höhepunkt des Krieges in Sierra Leone sei 1996 gewesen. Die Streitparteien seien kriegsmüde, Teile des Landes seien sicher. Zur humanitären Lage in Sierra Leone befragt verwies er auf das Wirken humanitärer Organisationen und auf die besondere Unterstützung für Bauern.
Nachdem der Verhandlungsleiter als weitere Beweismittel einen "Microsoft Weltatlas Encarta Version 99, Bericht über Land und Leute in Sierra Leone", einen Bericht des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Stand Juli 2000, eine schriftliche "Zusammenfassung eines Gespräches von Mitgliedern des UBAS mit dem österreichischen Konsul in Freetown, ... in Wien am 20.3.2000", einen "Lagebericht und Chronologie der Ereignisse in Sierra Leone ab Mai 2000", zehn datierte Stellungnahmen des Österreichischen Konsulates in Freetown ab 10. Juni 2000 bis 2. Juni 2001, ein Schreiben des Österreichischen Konsulates in Freetown vom 15. April 2000 betreffend die in Sierra Leone gebräuchlichen Banknoten, eine Stellungnahme des Österreichischen Konsulates in Freetown vom 9. Juli 2000 betreffend die Beherrschung von Stammessprache, eine "Zusammenfassung aller Stämme und Stammessprachen Sierra Leones, entnommen aus dem Internet" sowie eine Landkarte erörtert hatte, verwies die Vertreterin des Beschwerdeführers auf die Bedenklichkeit der Berichte des Konsuls, weil sie verharmlosend seien, und auf die katastrophale humanitäre Lage in Sierra Leone.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 3 AsylG ab (Spruchpunkt I.) und sprach gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes 1997 aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei (Spruchpunkt II.). Begründend führte die belangte Behörde nach kurzer Darstellung des Verfahrensganges und Aufzählung der von ihr herangezogenen Urkunden aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Sierra Leone sei oder in Sierra Leone seinen letzten Aufenthalt gehabt habe, zumal auch Dokumente, die seine Identität zweifelsfrei belegen könnten, nicht in Vorlage gebracht worden seien. Seine Angaben zum Fluchtweg und zu den -gründen würden daher der Entscheidung nicht zu Grunde gelegt. Zur allgemeinen Situation in Sierra Leone werde festgestellt, es sei nicht möglich, dass ein "geborener Sierraleoner nur Englisch (fließend)" spreche, er müsste jedenfalls eine Stammessprache beherrschen. Englisch sei zwar die Amtssprache, gelte aber lediglich als die an Schulen erworbene Bildungssprache. Die Mehrheit der Bevölkerung in Sierra Leone spreche Krio und nicht Englisch. Im Alltag habe der Durchschnittsbürger von Sierra Leone keinen Kontakt mit der englischen Sprache, die Menschen sprächen untereinander Krio oder in einer anderen Stammessprache. Weiters stellte die belangte Behörde fest:
"Am 07.07.1999 wurde zwischen der sierraleonischen Regierung und den Rebellen der RUF (Revolutionary United Front) in Lome (Togo) ein Friedensvertrag geschlossen. Dieser Friedensvertrag sah eine Generalamnestie für alle Beteiligten des Bürgerkrieges sowie eine Entwaffnung aller kämpfenden Gruppen vor, die entweder in die Regierungsstreitkräfte übernommen bzw. in die Zivilgesellschaft reintegriert werden sollten. Alle (politischen) Gefangenen sollten freigelassen werden. Humanitären Hilfsorganisationen sollte der ungehinderte Zugang zu allen Teilen des Landes gewährt werden.
Zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung wurde bereits vor dem Friedensabkommen von Lome am 07.07.1999 eine Eingreiftruppe (ECOMOG/Economic Community of West African States Monitoring Group) der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS/Economic Community of West African States) in Sierra Leone stationiert.
Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete am 22. Oktober 1999 die Resolution 1270, mit der die UN-Sicherheitstruppe UNAMSIL (United Nations Mission on Sierra Leone) gebildet wurde, eine 6.000 Mann starke Truppe, die u.a. der sierraleonischen Regierung bei der Entwaffnung, Demobilisierung und Rehabilitation ehemaliger Kämpfer behilflich sein und den Waffenstillstand überwachen sollte und in der letztendlich die Soldaten der ECOMOG integriert wurden.
Ebenfalls im Oktober 1999 kehrte der Anführer der RUF, Foday Sankoh, nach Sierra Leone zurück, um an der Umsetzung des Vertrages von Lome mitzuwirken. Er setzte sich in der Folge für eine sofortige Entwaffnung und Demobilisierung der RUF-Truppen ein. Auch der Führer der AFRC (Armed Forces Revolutionary Council) und von den ECOMOG-Truppen im März 1998 vertriebene ehemalige Staatschef Johnny Paul Koroma kehrte im Oktober 1999 aus Liberia nach Sierra Leone bzw. Freetown zurück und setzte sich für eine Entwaffnung und Demobilisierung seiner AFRC-Truppen ein.
Mit der Regierungsumbildung vom November 1999 wurde ... ernannt. Weitere Mitglieder der RUF und des AFRC bekleiden hohe Minister- und stellvertretende Ministerämter ...
In Sierra Leone gibt es keine Sippenhaftung. Da durch das Friedensabkommen von Lome - wie oben erwähnt - alle im Zusammenhang mit dem Rebellenkrieg begangenen Straftaten unter eine Generalamnestie gestellt wurden, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass Menschen, die in solche Straftaten involviert waren, in der Folge aus Sierra Leone flüchteten und nunmehr nach Sierra Leone zurückkehren, mit staatlichen oder staatlich geduldeten Maßnahmen zu rechnen haben.
Mit Anfang Mai 2000 verschärfte sich die Sicherheitssituation für die in Sierra Leone lebende Bevölkerung durch neuerliche Rebellenangriffe gravierend. In der darauf folgenden Zeit ist es jedoch zu einer kontinuierlichen Beruhigung der Situation gekommen und es ist davon auszugehen, dass gegenwärtig und für die nähere Zukunft die Hauptstadt Freetown und deren nähere Umgebung sowie die gesamte Südprovinz und große Teile der Ostprovinz des Landes als sicher bezeichnet werden können."
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dem Beschwerdeführer habe es an jeglicher Ortskenntnis betreffend seinen Heimatort gefehlt. Seine Erklärung für die mangelnde Ortskenntnis - fehlende Schulbildung - stehe jedoch in eklatantem Widerspruch zu seinen Angaben über seine Schulbildung. Auch habe der Beschwerdeführer keine Kenntnisse der Sprache Krio und Susu aufgewiesen und sei nicht in der Lage gewesen, wichtige Stämme Sierra Leones zu nennen. Im Hinblick darauf, dass bereits die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Herkunft offensichtlich unrichtig seien, sei auch davon auszugehen, dass die Schilderungen über seinen Fluchtweg und die Verfolgungshandlungen, die sich lediglich auf seinen angeblichen Heimatort in Sierra Leone bezögen, nicht wie beschrieben ereignet hätten und daher nicht den Tatsachen entsprächen. Diese Ansicht werde dadurch gestützt, dass der Beschwerdeführer Fragen über die Tätigkeit von Rebellen in Sierra Leone nicht (korrekt) habe beantworten können, obwohl er als Fluchtgrund angegeben habe, aus Angst vor Zwangsrekrutierung durch RUF-Rebellen geflüchtet zu sein. Weder sei in der Lage gewesen, die richtige Bezeichnung für die Abkürzung RUF anzugeben, noch, Namen von bekannten RUF-Rebellen richtig bzw. vollständig zu nennen. Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Sierra Leone gründeten sich auf die Aussagen des der Berufungsverhandlung beigezogenen nichtamtlichen Sachverständigen für Sierra Leone und auf die angeführten Urkunden.
In rechtlicher Hinsicht schloss die belangte Behörde, da der Beschwerdeführer offensichtlich nicht aus Sierra Leone stamme und auch nicht die Staatsbürgerschaft dieses Landes besitze, ergebe sich darüber hinaus zwangsläufig, dass Sierra Leone nicht Verfolgerstaat im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention sein könne und demnach eine asylrelevante Bedrohung des Beschwerdeführers durch diesen Staat nicht in Betracht komme. Ihren Abspruch nach § 8 AsylG sah die belangte Behörde darin begründet, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine Verfolgung im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention darzutun, sodass § 57 Abs. 2 FrG ausscheide. Auch eine Gefährdung nach § 57 Abs. 1 FrG habe er nicht darzulegen vermocht. Wie sich aus den o.a. Urkunden zur aktuellen Situation in Sierra Leone zusammenfassend ergebe, sei davon auszugehen, dass jedenfalls in der Hauptstadt Freetown und deren näherer Umgebung sowie in der gesamten Südprovinz und in großen Teilen der Ostprovinz des Landes auf Grund der Ankunft von britischen Truppen und Kriegsschiffen sowie auf Grund der Präsenz von Regierungstruppen und UN-Soldaten die Lage sicher und die Staatsmacht soweit aufrecht sei, dass diese imstande seien, Gefahren, die sich aus Übergriffen von Rebellen ergäben, gegenwärtig und für die nähere Zukunft wirksam zu begegnen. Dem Beschwerdeführer und seiner Vertreterin sei es darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung nicht gelungen, die auf verschiedene Quellen gestützten Feststellungen der belangten Behörde und die damit verbundene Beurteilung der gegenwärtigen Lage in den genannten Gebieten in Sierra Leone als sicher zu entkräften. Vereinzelte Gefechte könnten in einer Situation wie der dargestellten niemals ganz ausgeschlossen werden, sie könnten jedoch - unter Berücksichtigung der dargestellten allgemeinen Situation - nicht als Anhaltspunkt dafür gesehen werden, dass die die Staatsmacht in der Hauptstadt Freetown und deren näherer Umgebung sowie in der gesamten Südprovinz und in großen Teilen der Ostprovinz des Landes repräsentierenden Truppen nicht in der Lage wären, die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrecht zu erhalten. Eine Bürgerkriegssituation lasse jedenfalls dann keine unmittelbar drohende Gefahr im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG befürchten, wenn der betreffende Antragsteller in einen Teil des Staatsgebietes ab- bzw. zurückgeschoben werden könne, der von einer nationalen oder internationalen Schutzmacht kontrolliert werde. Auf Grund der dargestellten Situation in der Hauptstadt Sierra Leones und deren näherer Umgebung sowie in der gesamten Südprovinz und großen Teilen der Ostprovinz des Landes könne derzeit keine derart extreme Gefahrenlage erblickt werden, dass praktisch jedem, der in die genannten Gebiete abgeschoben werde, Gefahr für Leib und Leben in einem Ausmaß drohen würde, dass die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erscheinen würde.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Beschwerde lässt die Feststellungen der belangten Behörde über die mangelnde Erweislichkeit insbesondere der Fluchtgründe des Beschwerdeführers und die ausführliche, diese Feststellungen tragende Beweiswürdigung, an der der Verwaltungsgerichtshof auch keine Unschlüssigkeit auszusetzen vermag, unberührt, weshalb die Abweisung des Asylantrages im Grunde des § 6 Z 3 AsylG keinen Bedenken begegnet. Die Beschwerde war daher, soweit sie sich gegen die Versagung von Asyl richtet (Spruchpunkt I.), gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Beschwerde erblickt eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, dass die belangte Behörde - entgegen einschlägigen Berichten unabhängiger Organisationen - die Zulässigkeit der Abschiebung nach Sierra Leone unrichtig beurteilt habe. Ihre Einschätzung der Sicherheitslage sei angesichts des völligen Zusammenbruches und der Zerstörung der gesamten Infrastruktur des Landes unzutreffend. Weiters wendet sich die Beschwerde gegen die Verwertung der Stellungnahmen des österreichischen Konsuls in Freetown.
Bei ihrer Entscheidung nach § 8 AsylG (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) hat sich die belangte Behörde auf eine Betrachtung der "Sicherheitslage" in Sierra Leone beschränkt und im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer in der Hauptstadt Sierra Leones, Freetown, deren näherer Umgebung sowie in der gesamten Südprovinz und in großen Teilen der Ostprovinz des Landes derzeit keiner extremen Gefahrenlage ausgesetzt sei, seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone für zulässig erachtet. Demgegenüber hätte sie sich aus den im hg. Erkenntnis vom 17. September 2002, Zl. 2001/01/0597, auf das insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, näher dargestellten Gründen umfassend - gerade auch unter Beachtung humanitärer Aspekte - mit der aktuellen Lage in Sierra Leone auseinander setzen und allgemein darauf abstellen müssen, ob eine Abschiebung des Beschwerdeführers dorthin u.a. mit Österreichs Verpflichtungen aus Art. 3 EMRK vereinbar wäre.
Schließlich stellte die belangte Behörde - auch in der Beurteilung der Sicherheitslage - entgegen dem hg. Erkenntnis vom 8. April 2003, Zl. 2002/01/0060, auf das ebenfalls gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - zumindest hinsichtlich des entscheidungsnahen Zeitraumes ausschließlich auf Schreiben des österreichischen Honorarkonsuls in Freetown ab, ohne auch Berichte insbesondere der mit Flüchtlingsfragen befassten internationalen Organisationen in ihre Entscheidung mit einzubeziehen.
Der angefochtene Bescheid war daher in seinem Ausspruch nach § 8 AsylG (Spruchpunkt II.) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 15. Mai 2003
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