VwGH 2001/01/0597

VwGH2001/01/059717.9.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des C B W in Linz, geboren am 27. Jänner 1971, vertreten durch Dr. Peter Nöbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Graben 28, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Oktober 2001, Zl. 224.066/0-XI/38/01, betreffend §§ 6 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57;
EMRK Art3;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone und am 24. Juli 2001 in das Bundesgebiet eingereist, beantragte die Gewährung von Asyl. Seine Einvernahme durch das Bundesasylamt am 7. August 2001 gestaltete sich - unter Außerachtlassung der Angaben zum Fluchtweg - gemäß der im Akt erliegenden Niederschrift wie folgt:

"Zumal Sie keinerlei Ihre Identität und ihre Nationalität beweisende Dokumente vorlegen können, werden Ihnen Fragen zu Sierra Leone und im speziellen zu Freetown, wo Sie behaupten, gelebt zu haben, gestellt.

F: Sind die Peninsula Mountains weit weg von Freetown?

A: Natürlich, weit weg

F: Wo sind die Makondo Hills?

A: Das weiß ich nicht

F: Wo liegt Aberdeen?

A: Im westlichen Teil von Freetown

F: Wo ist Goderich?

A: Das habe ich noch nie gehört, das kenne ich nicht.

F: Wo liege Kissy?

A: Es befindet sich in Freetown, nicht weit vom Zentrum. 8- 10 km entfernt.

F: Und wo liegt Wellington?

A: Ich kann mich nicht sehr gut daran erinnern, da ich vor

langer Zeit dort

war. Aber ich glaube, dass es nicht weit weg vom Hafen ist.

F: Wie heißt das Wahrzeichen von Freetown.

A: Der heißt Country-Tree

F: Wo befindet sich dieser?

A: Davon gibt es viele. Im Zentrum gibt es einen Park, wo man

sich ausruhen

kann. Dort gibt es viele dieser Bäume.

F: Gibt es einen speziellen davon?

A: Diese Bäume wurden gepflanzt als Sierra Leone unabhängig

wurde. Ein besonderer ist mir nicht bekannt.

F: Wo befindet sich in Freetown die amerikanische Botschaft?

A: Dort bin ich noch nie gewesen

F: Was ist Plassas?

A: Ich weiß es nicht.

F: Wie heißt die Wasser-Company in Freetown?

A: Freetown Water Corporation

F: Wie heißt die Elektrizitätsgesellschaft in Freetown?

A: National Electricity Corporation

F: Wie heißt das größte öffentliche Spital in Freetown

A: Wir nennen es General Hospital

F: Was ist 'Poda-Poda'?

A: Ich weiß es nicht

F: Welche Farben haben die Kennzeichentafeln in Sierra Leone A: Taxis haben eine weiße Kennzeichentafel mit gelben

Buchstaben, private haben eine weiße Kennzeichentafel mit schwarzen Buchstaben. Bei öffentlichen Bussen ist die Kennzeichentafel weiß mit gelb, wie bei den Taxis und wie dies auch bei meinen Fahrzeugen so war

F: Nennen Sie zumindest die ersten Zeilen der Nationalhymne

von Sierra Leone

A: Daran kann ich mich nicht erinnern

F: Was bedeutet für Sie Bega-Pak?

A: Das heißt 'Bitte'

F: Welche Banknoten gibt es in Sierra Leone?

A: Wir haben 20, 50 und 100 Leones als Papiergeld

F: Welche Münzen gibt es?

A: Es gibt Cents, und zwar 1, 5, 10, und 20 Cents. F: Wie heißt die bekannteste nationale Zigarettenmarke in S.L.? A: Es gibt eine die heißt Target in einer roten Schachtel,

vorne drauf ist ein Mann mit einer Kappe abgebildet und es gibt ganz einfach 'Tobacco'

F: Was sagt ihnen die Bezeichnung five-five-five?

A: Wir haben Zigaretten dieses Namens.

F: Was kostet eine Cola in Sierra Leone?

A: In einem Geschäft die 0,33 l-Flasche 20-30 Leones die 0,5 l Flasche von 35-45 Leones, die Liter Flasche von 50-60 Leones.

F: Wie heißt das bekannteste nationale Bier in Sierra Leone? A: Skol und 33

F: Welche Firmennamen der Dosenmilch kennen Sie von Freetown? A: Peak-Milk, Canada und Coast

F: Wie heißt der bekannteste Supermarkt in Freetown? A: Leventis, Feike, Mr. Biggs

F: Wie heißt der bekannteste Fußballclub in Freetown? A: National Electricity Football Club ist der bekannteste F: Wieviel kostet in etwa ein Brot in Sierra Leone? A: Die normale Größe 15 - 20 Cents

F: Was sagt ihnen die Bezeichnung 'Popo-race'? A: Das kann ich nicht verstehen

F: Wie erreicht man den Flughafen von Freetown?

A: Mit der Fähre

F: Wie heißt er?

A: Lunghi

F: Was sagt ihnen der Begriff 'Bubu'?

A: Ein Kleidungsstück für Frauen wird so genannt

F: Was sagt ihnen der Begriff Donklins?

A: Das verstehe ich nicht

F: Wie heißt der bekannteste Einkaufsmarkt in Freetown? A: Mombaz in meiner Wohngegend, es gibt drei oder vier davon.

Ich kann mich an deren Namen nicht erinnern.

F: Welche Eisenbahnlinien gibt es in Sierra Leone

A: Es gibt auf alle Fälle drei, sie gehen nach Kono, Kenema

und Kabala, es gibt aber mehr, die ich nicht weiß

V: Aufgrund ihrer Antworten zu den Ihnen gestellten Fragen

wird vom einvernehmenden Beamten festgestellt, dass sie offensichtlich nicht von Sierra Leone stammen.

Ihnen wird nunmehr die Möglichkeit eingeräumt, anzugeben, aus welchem Staat Sie tatsächlich stammen.

Von einer Einvernahme zu den Fluchtgründen wird vom einvernehmenden Beamten Abstand genommen, da diese somit auch keinesfalls der Wahrheit entsprechen können, zumal sich diese auf ihr behauptetes Heimatland Sierra Leone beziehen müssten, zumal Sie, wie Sie auch angaben, Zeit ihres Lebens in Freetown gelebt hätten.

Nach Rückübersetzung führe ich an, dass ich alles verstanden habe.

A: Ich stamme aus Sierra Leone und habe dort bis zu meiner jetzigen Ausreise vor ca. drei Wochen in Freetown gelebt."

Mit Bescheid vom 3. September 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Sierra Leone gemäß § 8 AsylG zulässig sei. Es führte aus, dass es sich beim Beschwerdeführer nicht um einen Staatsangehörigen von Sierra Leone handle; die zu diesem Staat gestellten Fragen habe er großteils falsch oder gar nicht beantworten können. Seien die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat falsch, könnten aber auch die damit verbundenen Fluchtgründe nicht den Tatsachen entsprechen, weshalb von einer "Aufnahme der Fluchtgründe" mangels Glaubwürdigkeit abgesehen worden sei. Nach eingehender rechtlicher Würdigung ergebe sich, dass der Asylantrag des Beschwerdeführers jeder Grundlage entbehre und daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen sei.

Offenkundig im Hinblick auf seine Beurteilung nach § 8 AsylG traf das Bundesasylamt außerdem umfangreiche Feststellungen "Zu Sierra Leone allgemein", die insbesondere eine detaillierte Chronologie der (Bürgerkriegs-)Ereignisse von Mai 2000 bis März 2001 enthalten. Dabei ist u.a. von einer hohen Zahl von Binnenflüchtlingen die Rede, von denen sich die meisten in die Region von Freetown und der Lungi-Halbinsel begeben hätten; etwa 40.000 bis 50.000 "internally displaced people" hätten sich in Mile 91 niedergelassen. Resümierend erklärte das Bundesasylamt - "angesichts des immer wieder aufflammenden Bürgerkrieges in Sierra Leone" -, dass jedenfalls Freetown, jedoch auch große Teil der Süd- und Ostprovinz von Sierra Leone derzeit und für die nähere Zukunft als sicher bezeichnet werden könnten. Es werde festgestellt, dass im Hinblick auf das gesamte Staatsgebiet von Sierra Leone eine extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung vor allem der Zivilbevölkerung gegenüber nicht notorisch bekannt sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die politische Situation in Sierra Leone sei sehr schlecht und es sei wegen des jetzt 10 Jahre dauernden und im Dezember 1998 eskalierenden Bürgerkrieges sehr gefährlich, dort zu leben. Bezüglich seiner eigenen Situation führte er (nur) aus, im Krieg seinen Vater und seine Mutter verloren zu haben, als die RUF-Rebellen seine Familie überfallen hätten; der Aufenthaltsort seiner jüngeren Schwester sei noch immer unbekannt.

Mit dem ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und traf wie das Bundesasylamt - gemäß § 8 AsylG iVm § 57 FrG - die Feststellung, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Sie erklärte, Identität, Staatsangehörigkeit, Fluchtweg und die Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht feststellen zu können und begründete dies zunächst damit, dass sich der Beschwerdeführer - von ihm zugestanden - bei einer fremdenrechtlichen Kontrolle mit einem nicht ihm gehörenden Reisepass ausgewiesen habe. Außerdem sei der niederschriftlichen Einvernahme des Beschwerdeführers vor der erstinstanzlichen Behörde "sowie den diesbezüglichen im Verwaltungsakt aufliegenden Unterlagen" zu entnehmen, dass er - abgesehen von dem Ort Aberdeen - die in allernächster Nähe der Stadt Freetown (seiner angeblichen Heimatstadt) gelegenen Orte wie etwa Goderich oder Wellington nicht gekannt habe. Auch mit dem Begriff "Kissy" habe er nicht wirklich etwas anzufangen gewusst, liege doch die "Kissy Street" keinesfalls 8 bis 10 km vom Zentrum Freetowns entfernt. Ferner heiße das Wahrzeichen von Freetown nicht "Country Tree" und gebe es - entgegen den Angaben des Beschwerdeführers - nicht "viele davon"; ein Bewohner der Stadt Freetown, welcher tatsächlich in dieser Stadt geboren und aufgewachsen sei, müsse das Wahrzeichen dieser Stadt kennen und würde nicht angeben, ein besonderer Baum sei ihm nicht bekannt. Weiter habe der Beschwerdeführer nicht anzugeben vermocht, was die Worte "Plassas", "Poda-Poda" sowie "Bega-Pak" bedeuteten. Auch seine Angaben hinsichtlich der in Freetown gebräuchlichen Nummerntafeln seien unzutreffend, ebenso wie seine Angaben hinsichtlich der Stückelung der Währung sowie seine Angaben hinsichtlich des Gebrauchs der Cents. Selbiges gelte im Übrigen auch für das in Sierra Leone bzw. in Freetown herrschende Preisniveau. Überdies habe der Beschwerdeführer angegeben, es gebe drei Eisenbahnlinien in Sierra Leone, diese würden nach Kono, Kenema und Kabala führen, es gebe aber mehr, die er nicht kenne; auch dies sei völlig unzutreffend. Schließlich sei er nicht in der Lage gewesen, wenigstens die ersten Zeilen der Nationalhymne von Sierra Leone wiederzugeben, was insbesondere deshalb überraschend sei, als er laut seinen Angaben insgesamt 14 Jahre die Schule besucht habe. Aus der völligen Unkenntnis des Beschwerdeführers über seine angebliche Heimatstadt Freetown und über Sierra Leone sowie aus dem Umstand, dass er sich mit einem nicht ihm gehörenden Reisepass ausgewiesen habe, ergebe sich die Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens hinsichtlich seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit. Da ihm insoweit die Glaubwürdigkeit abgesprochen werde, könnten auch die Fluchtgründe, wonach der Beschwerdeführer fürchte, ein Opfer des Bürgerkrieges zu werden und die politische Situation in Sierra Leone sehr schlecht sei, die RUF immer noch töten und zerstören würde und er bei einem Überfall der RUF-Rebellen Vater und Mutter verloren habe, nicht der Wahrheit entsprechen. Rechtlich folgere daraus, dass dieses Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche, weshalb - mangels eines sonstigen Hinweises auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat -

sein Asylantrag gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen gewesen sei.

Zu ihrer Entscheidung nach § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung glaubhaft zu machen. Unter dem Blickwinkel des § 57 Abs. 1 FrG ergebe sich, dass nach den im Verwaltungsakt aufliegenden Pressemeldungen und Berichten sowie den bereits im erstinstanzlichen Bescheid getätigten Feststellungen über die aktuelle Lage in Sierra Leone davon auszugehen sei, dass jedenfalls in der Hauptstadt Freetown die Lage sicher und die Staatsmacht soweit aufrecht sei, dass Gefahren, die sich aus Übergriffen von Rebellen ergeben könnten, gegenwärtig und für die nähere Zukunft wirksam begegnet werden könne. Die innenpolitische Lage habe sich in den letzten Wochen und Monaten in fast ganz Sierra Leone, insbesondere aber in den westlichen und südlichen Gebieten sowie in der Hauptstadt, deutlich entspannt; die Entwaffnung der Rebellen schreite kontinuierlich voran, zahlreiche Kindersoldaten seien bereits frei gelassen worden, auch die wirtschaftliche Lage beginne sich zu erholen. Erstmals seit 10 Jahren mache der Friedensprozess auf politischer Ebene deutliche Fortschritte, auf Grund der derzeitigen Entspannung der Lage könne keineswegs davon ausgegangen werden, dass etwa die RUF in naher Zukunft einen bewaffneten Angriff auf die Hauptstadt Freetown führen könnte. Auf Grund dieser Situation liege keine derart extreme Gefahrenlage vor, dass praktisch jedem, der nach Freetown abgeschoben werde, Gefahr für Leib und Leben in einem Maße drohen würde, wodurch die Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene.

Von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung habe abgesehen werden können, weil die Berufung kein neues bzw. kein in irgendeiner Form konkretes und substanziiertes Tatsachenvorbringen hinsichtlich asylrelevanter Fluchtgründe des Beschwerdeführers enthalte.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers erfolgte in beiden Instanzen nach § 6 Z 3 AsylG. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214, - auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird - dargelegt hat, erfasst diese Bestimmung nur Fälle "qualifizierter Unglaubwürdigkeit". Es müssen Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen; es muss unmittelbar einsichtig sein, dass das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation tatsächlich wahrheitswidrig ist. Das kann sich zum Einen aus einer Beurteilung der vorgebrachten fluchtauslösenden Momente selbst ergeben. Es ist aber auch nicht zu beanstanden, wenn schon auf Grund der evidenten Unrichtigkeit der Angaben über den Herkunftsstaat das Vorbringen zu einer Bedrohungssituation als offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechend beurteilt und ohne "sonstigen Hinweis" für eine Verfolgung in einem tatsächlichen Herkunftsstaat der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG als gegeben erachtet wird, ohne ergänzend die mit der wahrheitswidrigen Behauptung eines bestimmten Herkunftsstaates verbundenen und auf diesen bezogenen "Fluchtgründe" - denen dann keine Asylrelevanz zukommen kann - zu erheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 2000/01/0106). Zu betonen ist freilich, dass in einem solchen Fall die Angaben zum Herkunftsstaat ihrerseits dem Kalkül der "offensichtlichen" Tatsachenwidrigkeit gerecht werden müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0447). Die Annahme, auch eine bloß "schlichte" Unglaubwürdigkeit bezüglich der Angaben zum Herkunftsstaat erfülle bezüglich der auf diesen - demnach falschen - Herkunftsstaat bezogenen Bedrohungssituation ohne weiteres den Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG, steht mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde keine eigenständige Prüfung der Fluchtgründe vorgenommen, sondern allein aus der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Identität und zu seiner Staatsangehörigkeit § 6 Z 3 AsylG als erfüllt erachtet. Der Bescheidbegründung ist indes nicht mit der notwendigen Klarheit zu entnehmen, dass die belangte Behörde bezüglich der Angaben zu Identität und Staatsangehörigkeit die im Sinn des Vorgesagten erforderliche "offensichtliche" Tatsachenwidrigkeit angenommen hätte. Sie spricht diesbezüglich im Rahmen ihrer Beweiswürdigung (Seite 9 des bekämpften Bescheides) vielmehr schlichtweg von "Unglaubwürdigkeit" bzw. in der Folge von "Glaubwürdigkeit" und kommt erst bei der rechtlichen Beurteilung "zum Schluss", dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer Bedrohungssituation, wonach "er fürchte, ein Opfer des Bürgerkrieges zu werden, die politische Situation in Sierra Leone sei sehr schlecht und es sei gefährlich, dort zu leben, die RUF würde immer noch töten und zerstören, im Krieg habe er seinen Vater und seine Mutter, als die RUF-Rebellen seine Familie überfallen hätten, verloren, der Aufenthaltsort seiner jüngeren Schwester sei ihm noch immer unbekannt, er wolle nicht das nächste Opfer sein", offensichtlich den Tatsachen nicht entspreche. Insoweit ist der bekämpfte Bescheid daher mit einem Begründungsmangel behaftet, wobei ergänzend anzumerken ist, dass jene Ausführungen in der Berufung des Beschwerdeführers, die auf die allgemeine Lage in Sierra Leone abzielen (die politische Situation sei sehr schlecht und es sei gefährlich dort zu leben, die RUF würde immer noch töten und zerstören), mit der Frage seiner Staatsangehörigkeit nicht im Zusammenhang stehen.

Die Beschwerde rügt u.a., dass in keiner Phase des Verwaltungsverfahrens ausgeführt worden sei, worin die Fehler der Antworten des Beschwerdeführers gelegen hätten. Insbesondere seien ihm bei der Einvernahme durch das Bundesasylamt die richtigen Antworten nicht vorgehalten worden, sodass er keine Gelegenheit gehabt hätte, dazu Stellung zu nehmen. Auch von der belangten Behörde habe er keine Möglichkeit erhalten, auf die nach deren Ansicht falsch beantworteten Fragen einzugehen und zu begründen, weshalb es offensichtlich zu einem Unterschied zwischen seinen Antworten und den nach Ansicht der belangte Behörde richtigen Antworten gekommen sei.

Mit diesem Vorbringen zeigt der Beschwerdeführer - wenn auch nur im Ergebnis - einen (weiteren) Verfahrensmangel auf. Die belangte Behörde wäre nämlich zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung verpflichtet gewesen. Von dieser sie grundsätzlich treffenden Verpflichtung wäre sie jedenfalls nur dann entbunden gewesen, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht nur im Ergebnis - nach der Überzeugung der Berufungsbehörde -

richtig, sondern schon im erstinstanzlichen Bescheid auch schlüssig begründet worden wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2002/20/0003). Dass die von der Berufungsbehörde selbst angestellte Beweiswürdigung betreffend das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers nicht als unschlüssig zu erkennen ist, spielt im gegebenen Zusammenhang keine Rolle (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0111 bis 0113).

Im vorliegenden Fall kann von einer schlüssigen Beweiswürdigung seitens des Bundesasylamtes nicht gesprochen werden. Es beschränkte sich bei Begründung seiner Feststellung, wonach der Beschwerdeführer kein Staatsangehöriger von Sierra Leone sei, nach Wiedergabe der niederschriftlichen Einvernahme auf die lapidare Aussage, dem Beschwerdeführer seien Sierra Leone betreffend umfassend Fragen gestellt worden, "welche Sie großteils falsch oder gar nicht beantworten konnten". Welche Fragen der Beschwerdeführer konkret falsch (und welche er allenfalls richtig) beantwortete, was jeweils die richtigen Antworten gewesen wären und welche Quellen das Bundesasylamt im Einzelnen seiner entsprechenden Beurteilung zugrunde legte, sowie warum der Beschwerdeführer, wäre er Staatsangehöriger von Sierra Leone, die unbeantwortet gebliebenen Fragen hätte beantworten können müssen, wurde dagegen nicht einmal ansatzweise dargestellt. Im Ergebnis lag daher seitens des Bundesasylamtes eine inhaltlich nicht überprüfbare "Scheinbegründung" vor, weshalb die belangte Behörde nach dem Vorgesagten zur Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung verpflichtet gewesen wäre. Diese Verpflichtung hätte sie im Übrigen - im Hinblick auf ihre Entscheidung nach § 8 AsylG - auch angesichts ihrer ergänzenden Feststellungen zur aktuellen Lage in Sierra Leone getroffen (vgl. dazu schon das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0475).

In Bezug auf den Ausspruch nach § 8 AsylG ist der angefochtene Bescheid aber auch aus folgenden Gründen rechtswidrig:

Der gegenständlichen Beschwerde sind - neben einer weiteren Unterlage - ein "Aktueller Überblick zur Situation in Sierra Leone" des UNHCR Nürnberg vom 2. Jänner 2001 und ein Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe zum Thema "Asyl Suchende aus Sierra Leone" vom 21. Mai 2001 angeschlossen. In der erstgenannten Unterlage wird u.a. ausgeführt, dass von gravierenden Menschenrechtsverletzungen auf RUF-Gebiet berichtet worden sei;

die überwiegende Zahl der Rückkehrer begebe sich infolgedessen in Bereiche, die von der Regierung Sierra Leones kontrolliert werden;

die Aufnahmekapazitäten der Hauptstadt Freetown seien jedoch bereits jetzt bis aufs Äußerste gespannt; unter den gegenwärtigen Umständen stelle sich die spontane Rückkehr einer großen Anzahl von sierraleonischen Flüchtlingen aus dem Krisengebiet in Guinea nach Freetown als besonders prekär dar. Im erwähnten Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe heißt es auszugsweise:

"... Die Aufnahmekapazitäten vor allem der Hauptstadt Freetown aber auch der anderen 'sicheren Gebiete' sind bis aufs Äußerste gespannt. Die humanitäre Situation im ganzen Lande ist katastrophal.

Der Wegweisungsvollzug von abgewiesenen Asyl Suchenden nach Sierra Leone erscheint daher im heutigen Zeitpunkt unzumutbar.

...

Die humanitäre Situation ist landesweit katastrophal. Auf Grund der massiven Rückkehr von Flüchtlingen aus Guinea, die vor den dortigen Auseinandersetzungen fliehen, und den extremen Migrationsbewegungen intern Vertriebener in Gebiete, die von der Regierung Sierra Leones kontrolliert werden, stehen die Ruinen der sozialen und medizinischen Infrastruktur vor unlösbaren Problemen. Jederzeit kann sich unter den derzeitigen Umständen eine Gesundheitskatastrophe entwickeln. In den Gesundheitszentren und Hospitälern des ganzen Landes herrscht laut WHO auf Grund der zahlreichen RückkehrerInnen ein akuter Mangel an Medikamenten.

Es existiert keine funktionierende Wirtschaft; die Regierung und das Land hängen fast ausnahmslos von den Hilfsleistungen der Spender- und Geberländer ab. Die Aufnahmekapazitäten vor allem der Hauptstadt Freetown aber auch der anderen 'sicheren Gebiete' sind bis aufs Äußerste gespannt. Sowohl in der Hauptstadt Freetown als auch in den meisten Teilen des Landes können die Menschen nicht einmal mehr auf Grund der Subsistenzwirtschaft überleben."

Dem bekämpften Bescheid liegt zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer in die Hauptstadt Freetown begeben könne; auch im Süden, Westen sowie Teilen des Ostens von Sierra Leone könne derzeit keine "extreme Gefahrenlage", die eine Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig machen würde, erblickt werden.

Diese Erwägungen beschränken sich erkennbar auf die Überlegung, dass in den genannten Gebieten nicht (mehr) mit Übergriffen der RUF-Rebellen zu rechnen sei und dass insoweit von einer ausreichenden Beruhigung der allgemeinen Sicherheitslage ausgegangen werden könne. Das bloße Abstellen auf Aspekte der "Sicherheit" bzw. auf das "Fehlen eines Verfolgersubjektes" greift indes unter dem Blickwinkel des § 57 Abs. 1 FrG zu kurz (vgl. näher das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0443). Vielmehr ist vor dem Hintergrund des Art. 3 EMRK auch zu prüfen, ob eine Abschiebung mit Rücksicht auf die humanitäre Lage am Zielort einer unmenschlichen Behandlung gleich käme, was unter dem Gesichtspunkt des § 57 Abs. 1 FrG die Unzulässigkeit einer solchen Maßnahme bedeuten würde (vgl. in diesem Sinn bereits die hg. Erkenntnisse vom 29. Jänner 2002, Zl. 2001/01/0030, und vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0410). Mit diesen Aspekten hat sich die belangte Behörde trotz der erwähnten Berichtslage überhaupt nicht beschäftigt (vgl. auch den Hinweis auf die hohe Zahl der Binnenflüchtlinge im erstinstanzlichen Bescheid). Auch von daher leidet der bekämpfte Bescheid daher an einem Verfahrensmangel. Dieser ist relevant, weil in Anbetracht der zuvor auszugsweise wiedergegebenen Berichte nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine Beschäftigung mit diesem Thema zu dem Ergebnis führen könnte, dem Beschwerdeführer drohe in seinem (behaupteten) Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Situation, die seine Abschiebung dorthin im Sinn des § 57 Abs. 1 FrG unzulässig machen würde.

Im Hinblick auf die dargestellten Umstände ist der bekämpfte Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften behaftet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 17. September 2002

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