VwGH 2002/01/0014

VwGH2002/01/001418.2.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Köller und Dr. Thoma als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Nichtowitz, über die Beschwerde 1. des B,

2. des B und 3. der B, alle in D, alle vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 28. November 2001, Zl. Ia 370- 829/2001, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft und Erstreckung derselben, zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11a idF 1998/I/124;
StbG 1985 §12 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §13 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §14;
StbG 1985 §17 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §18;
B-VG Art130 Abs2;
StbG 1985 §10 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §11a idF 1998/I/124;
StbG 1985 §12 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §13 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §14;
StbG 1985 §17 idF 1998/I/124;
StbG 1985 §18;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Vorarlberg hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Erstbeschwerdeführers - eines türkischen Staatsangehörigen - auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13 und 14 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) und die damit verbundenen Anträge auf Erstreckung der Verleihung auf seine beiden mj. Kinder (zweit- und drittbeschwerdeführende Partei) gemäß §§ 17 und 18 StbG ab.

Der am 1. Mai 1961 in der Türkei geborene Erstbeschwerdeführer habe seit 13. September 1989 ununterbrochen den Hauptwohnsitz in Österreich und sei seit 1. März 1997 als angelernter Arbeiter bei einem namentlich genannten Unternehmen beschäftigt. Seine am 12. Juli 1990 mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossene Ehe sei mit Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 24. Mai 1991 im Einvernehmen geschieden worden. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 21. August 1991 sei festgestellt worden, dass das während der Ehe geborene Kind nicht vom Erstbeschwerdeführer abstamme; gemäß den Urteilsfeststellungen habe der Erstbeschwerdeführer die Kindesmutter zwecks Erlangung einer Arbeitsgenehmigung geheiratet und nie mit ihr geschlechtlich verkehrt. Bei der mit einer österreichischen Staatsbürgerin eingegangenen Ehe habe es sich somit - so die belangte Behörde weiter - um eine Scheinehe "zum Zwecke der Erlangung des Arbeits- und Aufenthaltsrechtes und in weiterer Folge unter Umständen der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft" gehandelt. Die dies in Abrede stellenden Ausführungen des Erstbeschwerdeführers seien eindeutig als "Schutzbehauptung" zu qualifizieren und würden durch das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten widerlegt. Seit 20. September 1991 sei der Erstbeschwerdeführer zum zweiten Mal mit einer türkischen Staatsangehörigen verheiratet, von der er sich 1987 habe scheiden lassen. Aus dieser Ehe stammten der 1986 geborene Zweitbeschwerdeführer und die 1987 geborene Drittbeschwerdeführerin.

Beim Erstbeschwerdeführer komme eine Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG in Frage. Es sei eine Verständigung mit ihm in deutscher Sprache gut möglich, wenngleich ein fremdsprachiger Akzent gut hörbar sei. Seine (nunmehrige) Ehegattin und die gemeinsamen Kinder befänden sich in Österreich und er habe sich weitgehend an die österreichischen Verhältnisse angepasst. Allerdings habe er zum Zweck der Erlangung des Aufenthalts- und Arbeitsrechtes mit einer österreichischen Staatsbürgerin eine Scheinehe eingegangen. Dadurch habe er sich eine Aufenthaltsberechtigung und den Zugang zum Arbeitsmarkt erschlichen. Auch die Wohnsitzvoraussetzungen für die Erlangung der Staatsbürgerschaft beruhten "darauf". Das Gewicht seines inländischen Aufenthaltes werde dadurch gemindert, dass die Berechtigung hiezu teilweise auf die rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe zurückzuführen sei. Das Eingehen einer Scheinehe stelle einen schweren Rechtsmissbrauch dar, der das öffentliche Interesse erheblich beeinträchtige und die negative Einstellung des Verleihungswerbers zur Rechtsordnung zeige. Dieses, die öffentlichen Interessen negativ berührende Verhalten des Erstbeschwerdeführers wiege schwerer als sein knapp mehr als 12-jähriger Aufenthalt und die damit verbundene Eingliederung, weshalb die zu treffende Ermessensentscheidung im Sinn einer Abweisung des Verleihungsantrages ausfallen müsse. Damit seien auch die Voraussetzungen für die Erstreckung der Verleihung an die zweit- und drittbeschwerdeführenden Parteien nicht gegeben.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Die belangte Behörde ging davon aus, dass der Erstbeschwerdeführer die Verleihungsvoraussetzungen des § 10 Abs. 1 StbG erfülle. Sie vertrat allerdings die Ansicht, dass sie das ihr damit offen stehende Ermessen im Hinblick auf die von ihr unterstellte Scheinehe des Erstbeschwerdeführers aus dem Jahr 1990 nicht zu dessen Gunsten üben könne.

§ 11 StbG in der Fassung der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998, BGBl. I Nr. 124, ordnet bezüglich der Ermessensübung Folgendes an:

"§ 11. Die Behörde hat sich unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten des Fremden bei der Ausübung des ihr in § 10 eingeräumten freien Ermessens von Rücksichten auf das allgemeine Wohl, die öffentlichen Interessen und das Ausmaß der Integration des Fremden leiten zu lassen."

Die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 halten fest, dass die Integration des Fremden als das für die Verleihung der Staatsbürgerschaft maßgebliche Kriterium verankert werden soll und dass die Staatsbürgerschaftsbehörde bei ihrer Entscheidung vor allem die Integration des Fremden und deren Ausmaß zu beachten habe (1283 BlgNR 20. GP 5 und 9).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde eine Reihe integrationsbegründender Umstände festgestellt. Dazu gehört, dass der Erstbeschwerdeführer seit längerer Zeit in einem Beschäftigungsverhältnis steht, dass eine Verständigung in deutscher Sprache mit ihm gut möglich ist, dass er sich weitgehend an die "österreichischen Verhältnisse" angepasst hat und dass seine Ehegattin und die beiden gemeinsamen Kinder mit ihm - nach der Aktenlage seit Mai 1996 - in Österreich leben (zum letztgenannten Gesichtspunkt vgl. auch die Erläuterungen der Regierungsvorlage zur Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 zu § 10 Abs. 5 Z 3 StbG, aaO 8, die darin - unter dem Blickwinkel des in § 10 Abs. 5 Z 3 StbG geregelten besonders berücksichtigungswürdigen Grundes - eine nachhaltige persönliche Verankerung im Inland erblicken). Insgesamt vermag der Erstbeschwerdeführer damit auf ein hohes Maß an Integration zu verweisen, was in Anbetracht der klar geäußerten Absichten des Gesetzgebers der Staatsbürgerschaftsgesetznovelle 1998 gewichtig für die Verleihung der Staatsbürgerschaft spricht. Was umgekehrt die von der belangten Behörde angenommene Scheinehe anlangt, so lag der Abschluss der fraglichen Ehe bei Erlassung des bekämpften Bescheides bereits mehr als elf Jahre zurück. Abgesehen davon, dass es sich nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer nicht um eine Scheinehe handelte, kommt ihr im Hinblick auf diese Zeitdauer keinesfalls mehr maßgebliche Bedeutung zu. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 1. März 2001, Zl. 98/18/0118, verweist, wonach das Gewicht des inländischen Aufenthaltes dadurch gemindert werde, dass die Berechtigung hiezu teilweise auf die rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe zurückzuführen sei, so ist ihr zu entgegnen, dass sich diese Judikatur nur auf die der Eheschließung unmittelbar folgende Zeitspanne bezieht. Nach Ablauf von fünf Jahren hingegen nimmt der Verwaltungsgerichtshof keine weitere Beeinträchtigung maßgeblicher öffentlicher Interessen mehr an (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 99/18/0252), weshalb einer seinerzeitigen allfälligen Scheinehe dann nur mehr eine schwach integrationsmindernde Wirkung - umso mehr, wenn sie bereits mehr als elf Jahre zurückliegt - zukommen kann. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes verbietet sich aber auch die Ansicht, der Erstbeschwerdeführer sei im Hinblick auf die abgeschlossene Scheinehe negativ zur Rechtsordnung eingestellt. Wieder ist darauf zu verweisen, dass die - bestrittene - Scheinehe bereits Jahre zurückliegt und dass in der Folge nichts eingetreten ist, was Grundlage für eine aktuelle derartige Beurteilung darstellen könnte.

Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Erwägungen zur Ermessensübung der von ihr unterstellten Scheinehe jedenfalls zu großes Gewicht beigelegt. Ihr Bescheid ist daher sowohl hinsichtlich der Abweisung des Verleihungsantrages des Erstbeschwerdeführers als auch hinsichtlich der - daraus abgeleiteten - Abweisung der Erstreckungsanträge des Zweitbeschwerdeführers und der Drittbeschwerdeführerin mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil Schriftsatzaufwand gemäß § 53 Abs. 1 erster Satz VwGG nur einmal (dem Erstbeschwerdeführer) zusteht und weil die Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG EUR 180,-- beträgt.

Wien, am 18. Februar 2003

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