VwGH 99/18/0252

VwGH99/18/025217.2.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des S F, geboren am 10. September 1955, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 12. März 1999, Zl. SD 789/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 12. März 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen jugoslawischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer habe am 26. Juni 1989 in Wien eine namentlich genannte österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Aufgrund dieser Eheschließung habe er einen Befreiungsschein, welcher zuletzt bis 29. Juni 1997 verlängert worden sei, erhalten. Am 5. Mai 1994 habe der Beschwerdeführer, der einen bis 3. Juni 1994 gültigen Sichtvermerk besessen habe, einen Verlängerungsantrag gestellt und sich dabei auf die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin berufen. Ebenso habe er sich bei den weiteren Verlängerungsanträgen vom 18. Mai 1995, 22. Dezember 1995 und 23. Juni 1997 auf die Familiengemeinschaft mit seiner österreichischen Gattin berufen. Aus den Aussagen der österreichischen Gattin und der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, mit der er vier Kinder habe, ergebe sich eindeutig, dass ein gemeinsames Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Gattin nie bestanden habe, die Ehe nur zur Erlangung einer Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung geschlossen und für die Eheschließung ein Vermögensvorteil geleistet worden sei. Der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG sei daher gegeben. Das Verhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens. Die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei daher gerechtfertigt. Der seit der Eheschließung verstrichene Zeitraum von mehr als fünf Jahren würde nur dann im Sinn der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Aufhebung des Aufenthaltsverbotes führen, wenn sich der Beschwerdeführer seither wohl verhalten hätte. Dies sei aber deswegen nicht der Fall, weil sich der Beschwerdeführer mehrfach in seinen Anträgen auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung auf die Ehe berufen habe, obwohl ein gemeinsames Familienleben nie bestanden habe. Er habe dadurch jeweils neuerlich ein fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten im Sinn von § 8 Abs. 4 iVm § 34 Abs. 1 Z. 3 FrG gesetzt. Aufgrund des genannten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers sei das Aufenthaltsverbot trotz des damit verbundenen Eingriffes in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten. Die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 8. Juni 1999, B 700/99, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren begehrt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer gesteht zu, dass es sich bei seiner am 26. Juni 1989 geschlossenen Ehe, auf die er sich zur Erlangung von Aufenthaltsberechtigungen berufen hat, um eine "Scheinehe" handelt und bestreitet nicht, für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet zu haben.

Die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG erfüllt sei, begegnet auf Grundlage der maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen keinem Einwand.

2. Zur Beurteilung, ob das den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG erfüllende Fehlverhalten die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigt, ist eine Prognose erforderlich. Um eine solche treffen zu können, ist nicht allein auf dieses Fehlverhalten Bedacht zu nehmen, sondern - unter der Voraussetzung seitherigen Wohlverhaltens - auch auf den seit seiner Verwirklichung verstrichenen Zeitraum. Je länger die Eheschließung zurückliegt, um so mehr Gewicht ist dem Wohlverhalten des Fremden seit diesem Zeitraum für die zu treffende Prognose zuzumessen. (Vgl. zum Ganzen das zu § 18 Abs. 1 FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ergangene, ungeachtet des Umstandes, dass dieses Gesetz keinen dem § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG entsprechenden Tatbestand enthielt, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1997, Zl. 97/18/0097, mwN.)

In dem zitierten Erkenntnis und einer Reihe von Folgeerkenntnissen, in denen die rechtsmissbräuchliche Eingehung der Ehe fünf Jahre oder länger zurücklag, stellte der Gerichtshof klar, dass der besagte Missbrauch die Annahme, der weitere Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ordnung, nicht mehr rechtfertige, und hob deshalb die jeweils angefochtenen Aufenthaltsverbots-Bescheide auf. In all diesen Fällen war den Beschwerdeführern außer der rechtsmissbräuchlichen Eingehung einer Ehe und der Berufung auf diese Ehe im Rahmen von Verfahren zur Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung kein fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten vorzuwerfen. Der Zeitraum von fünf Jahren wurde allerdings immer ab dem Zeitpunkt der Eheschließung - und nicht der letztmaligen Berufung auf diese Ehe zum Zweck der Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung - berechnet. Dies findet seine Begründung darin, dass es sich beim Entschluss, sich durch die rechtsmissbräuchliche Eingehung der Ehe fremdenrechtliche Vorteile zu verschaffen, und den dazu erforderlichen Ausführungshandlungen (Eheschließung und Berufung auf die Ehe im Rahmen von Verfahren zur Erteilung von Aufenthaltsberechtigungen) um ein einheitliches Fehlverhalten handelt und es nicht gerechtfertigt erscheint, bei jemandem, der über einen Zeitraum von zumindest fünf Jahren ab Eheschließung nur dieses eine Fehlverhalten gesetzt hat, anzunehmen, er werde in Hinkunft - auf andere Weise - öffentliche Interessen beeinträchtigen. (Vgl. das zur Erlassung eines Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z. 3 FrG ergangene, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1999, Zl. 99/18/0184.)

3. Die rechtsmissbräuchliche Eheschließung des Beschwerdeführers liegt bereits (weit) mehr als fünf Jahre zurück. Er hat sich zum Zweck der Erlangung bzw. Verlängerung fremdenrechtlich relevanter Berechtigungen (mehrmals) auf diese Ehe berufen, jedoch sonst kein fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten gesetzt.

Nach der oben (2.) wiedergegebenen Judikatur rechtfertigt dieses Verhalten nicht die Annahme, dass der weitere inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers die maßgeblichen öffentlichen Interessen gefährde.

Die belangte Behörde hat die Rechtslage daher insoweit verkannt, als sie die Ansicht vertrat, die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei allein aufgrund der bereits mehr als fünf Jahre zurückliegenden rechtsmissbräuchlichen Eingehung einer Ehe und der folgenden (mehrmaligen) Berufung auf diese Ehe zum Zweck der Erlangung von fremdenrechtlich bedeutsamen Berechtigungen gerechtfertigt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 17. Februar 2000

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