VwGH 2001/18/0253

VwGH2001/18/025326.6.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des Ö, geboren 1973, vertreten durch Dr. Günther Romauch und Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwälte in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. Oktober 2001, Zl. SD 1054/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §37;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z9;
FrG 1997 §37;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. Oktober 2001 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 9 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Die Gründe des erstinstanzlichen Bescheides seien auch für die Berufungsentscheidung maßgebend. Gegen den Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Bescheid vom 13. November 1992 bereits einmal ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, weil er mit einer verfälschten Sichtvermerksvignette eingereist sei. Am 4. Februar 1993 sei der Beschwerdeführer abgeschoben worden.

Am 28. März 1995 habe der Beschwerdeführer in der Türkei eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Mit einem vom 2. Februar 1998 bis zum 1. Juni 1998 gültigen Visum D sei der Beschwerdeführer dann in das Bundesgebiet gelangt und habe über seinen Antrag eine Niederlassungsbewilligung "zum Zweck der Familiengemeinschaft mit Österreichern" erhalten.

Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe in der Niederschrift vom 25. November 1998 angegeben, dass sie nicht mit dem Beschwerdeführer, sondern mit einem anderen Mann zusammen lebe und den Beschwerdeführer nur nach einem Angebot, gegen Geld eine Ehe einzugehen, geheiratet habe. Sie habe vom Bruder des Beschwerdeführers S 30.000,-- Bargeld für die Heirat, den Flug, eine Kaution und monatlich "einige tausend Schilling" erhalten. Nachdem ihr Ehemann, der Beschwerdeführer, Anfang Februar 1998 nach Österreich gekommen sei, habe er bei seinem Bruder gewohnt. Die Ehe sei nie vollzogen worden. Der Beschwerdeführer habe bei der Eheschließung gewusst, dass sie von einem anderen Mann schwanger sei. Auch das zweite während der Ehe geborene Kind sei nicht von ihm gewesen.

Ein bei der Staatsanwaltschaft Ried eingeleitetes Verfahren wegen Ehenichtigkeit sei abgebrochen worden, weil der Beschwerdeführer nicht habe ausfindig gemacht werden können.

Der Beschwerdeführer habe das Vorliegen einer Scheinehe nicht ausdrücklich bestritten, sondern beantragt, "es bei einer fremdenpolizeilichen Verwarnung bewenden zu lassen."

Am 20. Dezember 2000 sei die Ehe des Beschwerdeführers vor dem Bezirksgericht Ried im Innkreis einvernehmlich geschieden worden. Seit Rechtskraft dieser Entscheidung sei der Beschwerdeführer jedenfalls nicht mehr begünstigter Drittstaatsangehöriger. In dem die Scheidung betreffenden Gerichtsprotokoll sei vermerkt:

"Die Parteien erklären übereinstimmend, dass die gegenständliche Ehe nur zu dem Zweck abgeschlossen worden ist, dem Erstantragsteller (Beschwerdeführer) die österreichische Staatsbürgerschaft zu verschaffen. Ich, Zweitantragstellerin, habe während der Ehe zwei Kinder geboren. Hinsichtlich beider Kinder wurde vom Erstantragsteller die eheliche Vaterschaft erfolgreich bestritten."

Der im § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG normierte Sachverhalt sei verwirklicht. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 leg. cit. - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. gegeben seien. Daran könne auch der Umstand, dass die Ehe bereits am 28. März 1995, sohin vor mehr als sechs Jahren, geschlossen worden sei, nichts zu ändern. Der Beschwerdeführer befinde sich erst seit Februar 1998 im Bundesgebiet und habe sich danach erstmals auf diese Scheinehe berufen, um die Erteilung eines Aufenthaltstitels zu erwirken. Die (erstmalige) Verwirklichung des im § 36 Abs. 2 Z. 9 leg. cit. normierten Sachverhaltes liege nicht mehr als fünf Jahre (bei anschließendem Wohlverhalten des Beschwerdeführers) zurück.

Der Beschwerdeführer sei geschieden und habe keine Sorgepflichten. Familiäre Bindungen bestünden zu zwei Geschwistern, mit denen der Beschwerdeführer jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt lebe. Er sei im Besitz eines Befreiungsscheines und stehe in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis. Es sei von einem mit einem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers auszugehen, der jedoch zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei.

Die gemäß § 37 Abs. 2 leg. cit. durchzuführende Interessenabwägung falle zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus. Die aus der Dauer seines Aufenthaltes ableitbare Integration erweise sich nicht als besonders ausgeprägt, wobei zu bedenken sei, dass dieser Aufenthalt erst durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers ermöglicht worden sei. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse an einem Verlassen des Bundesgebietes.

Da sonst keine besonderen, zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben seien, habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der belangten Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden können.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer hat sich zur Erlangung einer Niederlassungsbewilligung auf die am 28. März 1995 geschlossene Ehe berufen. Er hat - über seinen Bruder - für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet. Ein gemeinsames Familienleben i. S. des Art. 8 EMRK wurde nie geführt. Die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG erfüllt sei, begegnet keinem Einwand. Wenn der Beschwerdeführer bemängelt, die belangte Behörde habe es unterlassen, "meine Exfrau sowie meine Person zum Inhalt der abgeschlossenen Ehe zu befragen", so zeigt er damit keinen Verfahrensmangel auf, weil das Beweisthema nicht substantiiert ist und der Beschwerdeführer die Führung eines gemeinsamen Familienlebens bisher nie behauptet hat.

2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass dann, wenn ein Ausländer in einem Beobachtungszeitraum von fünf Jahren bloß "ein Vergehen" im Sinn der Eingehung einer nichtigen Ehe zu verantworten habe, kein Grund für eine plötzliche Außerlandesbringung vorliege. Er habe im Übrigen keinen wie immer gearteten Fehltritt im relevanten Beobachtungszeitraum zu verantworten.

2.2. Für die Beurteilung, ob das (den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 9 FrG erfüllende) Fehlverhalten des Beschwerdeführers auch die im § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigt, ist eine Prognose erforderlich, bei der nicht allein auf dieses Fehlverhalten, sondern - unter der Voraussetzung seitherigen Wohlverhaltens - auch auf den seit seiner Verwirklichung verstrichenen Zeitraum Bedacht zu nehmen ist. Je länger die Eheschließung zurückliegt, umso mehr Gewicht ist dem Wohlverhalten des Fremden seit diesem Zeitpunkt für die zu treffende Prognose zuzumessen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 99/18/0252). Der Verwaltungsgerichtshof hat in einer Reihe von Erkenntnissen, in denen die rechtsmissbräuchliche Eingehung der Ehe fünf Jahre oder länger zurücklag, klargestellt, dass der besagte Missbrauch die Annahme, der weitere Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ordnung, nicht mehr rechtfertige, und hat deshalb die jeweils angefochtenen Aufenthaltsverbots-Bescheide aufgehoben. In all diesen Fällen war den Beschwerdeführern außer der rechtsmissbräuchlichen Eingehung einer Ehe und der Berufung auf diese Ehe im Rahmen von Verfahren zur Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung kein fremdenrechtlich relevantes Fehlverhalten vorzuwerfen.

Der Zeitraum von fünf Jahren wurde immer ab dem Zeitpunkt der Eheschließung - und nicht ab dem der letztmaligen Berufung auf diese Ehe zum Zweck der Erlangung einer Aufenthaltsberechtigung - berechnet. Dies findet seine Begründung darin, dass es sich beim Entschluss, sich durch rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe fremdenrechtliche Vorteile zu verschaffen, und den dazu erforderlichen Durchführungshandlungen um ein einheitliches Fehlverhalten handelt und es nicht gerechtfertigt erscheint, bei jemandem, der über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren ab Eheschließung nur dieses eine Fehlverhalten gesetzt hat, anzunehmen, er werde in Hinkunft - auf andere Weise - öffentliche Interessen beeinträchtigen (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Zl. 99/18/0252).

Zwar unterscheidet sich der vorliegende Fall von anderen Fällen besagter Rechtsmissbräuche dadurch, dass zwischen dem Eingehen der Ehe am 28. März 1995 und der erstmaligen Berufung auf diese Ehe zum Zweck der Erlangung einer Niederlassungsbewilligung im Jahr 1998 ein Zeitraum von etwa drei Jahren liegt. Der Verwaltungsgerichtshof hält jedoch auch im vorliegenden Fall an seiner Rechtsprechung fest, dass der fünfjährige Zeitraum ab dem Zeitpunkt der Eheschließung zu berechnen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 2002, Zl. 2002/18/0076), zumal ab den Angaben der früheren Ehefrau des Beschwerdeführers am 25. November 1998 vor der Bundespolizeidirektion St. Pölten über das Bestehen einer Scheinehe ein noch ausreichender zeitlicher Spielraum für die Ergreifung fremdenpolizeilicher Maßnahmen gegeben war.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Der durch Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwandersatz deckt die anfallende Umsatzsteuer, sodass das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war.

Wien, am 26. Juni 2003

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