VwGH 2001/18/0036

VwGH2001/18/003619.5.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des V (geschiedener F) in L, geboren 1971, vertreten durch Dr. Günter Schmid, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 3. Jänner 2001, Zl. St 253/98, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §75;
EMRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §75;
EMRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 3. Jänner 2001 wurde auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers, eines jugoslawischen Staatsangehörigen, vom 4. Mai 1998 gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer in der Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.

Der Beschwerdeführer habe zur Begründung seines Antrages in erster Linie auf seine Angaben im Asylverfahren und auf die jetzige Situation im Kosovo verwiesen. Darüber hinaus habe er geltend gemacht, dass die Ortschaft, in der er bisher gewohnt habe, von der serbischen Polizei umstellt wäre, sodass keiner hineingelassen würde.

Im Asylverfahren habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass er nach 54 Tagen Militärdienst im Jahr 1990 desertiert wäre, weil man ihn in den Slowenien-Kroatien-Krieg hätte schicken wollen. Nach seiner Desertion wäre er in sein Heimatdorf zurückgekehrt und hätte sich dort etwa einen Monat lang aufgehalten. Danach hätte er sich zu verschiedenen Verwandten und Bekannten im Kosovo begeben und sich so in der Folge bis zum 12. Juli 1995 durchgeschlagen. Freunde hätten ihm erzählt, dass ihn die Polizei einmal im September 1991 und zweimal im Dezember 1991 gesucht hätte. Er hätte den Kosovo verlassen, weil er Angst gehabt hätte, auf Grund seiner Desertion festgenommen und nach Bosnien geschickt zu werden. Jetzt wäre es dem Beschwerdeführer nicht mehr möglich, im Kosovo einen Platz zu finden, wo er unterkommen könnte. Deshalb wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als zu flüchten.

In seiner Berufungsschrift vom 6. November 1998 hätte der Beschwerdeführer Ausführungen zur damaligen Situation seiner Volksgruppe (der Albaner) im Kosovo gemacht und wiederum auf seine Desertion hingewiesen. Im Kosovo wäre von einer Gruppenverfolgung auszugehen. Die machthabende serbische Bevölkerungsminderheit würde gegen die im Kosovo lebende Bevölkerungsmehrheit der Albaner Krieg führen.

Die belangte Behörde führte aus, der Beschwerdeführer habe seinen Feststellungsantrag im Wesentlichen auf seine Desertion bzw. mit der allgemeinen Situation der Kosovaren im Kosovo bzw. im Heimatstaat des Beschwerdeführers begründet. Der Fluchtgrund der Desertion, der auf das Jahr 1991 zurückgehe, sei nicht mehr aktuell. Der Beschwerdeführer habe sich nach seiner Desertion im Jahr 1990 noch ca. fünf Jahre weitgehend problemlos in seinem Heimatstaat aufhalten können und sei aus wirtschaftlichen Gründen geflüchtet. Selbst wenn der Beschwerdeführer aus dem Titel der Desertion eine Bestrafung zu erwarten hätte, bestünden nach einer Auskunft der österreichischen Botschaft in Belgrad "bei der Strafverfolgung keinerlei Auffälligkeiten hinsichtlich § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG".

Zur allgemeinen Situation der Kosovaren im Heimatstaat des Beschwerdeführers werde auf den Situationsbericht des Bundesasylamtes (Stand Jänner 2000) verwiesen. Demnach sei die Bedrohung der albanischen Bevölkerung nach der tatsächlichen und nachhaltigen Übernahme der Hoheitsgewalt durch UNMIK und KFOR - entsprechend der UN-Resolution 1244 - infolge des gänzlichen Abzuges der serbischen Sicherheitskräfte sowie auf Grund zur Gänze geänderter Verhältnisse (seit dem 20. Juni 1999) weggefallen. Im Kosovo würden keine Albaner mehr politisch verfolgt werden. Die institutionelle UN-Verwaltung sei nachhaltig, weit reichend und dauerhaft. Es bestehe für Kosovo-Albaner die Möglichkeit, auf einem sicheren Weg zurückzukehren, ohne dass das Staatsgebiet der Bundesrepublik Jugoslawien betreten werden müsse und ohne dass es zu einem Kontakt mit jugoslawischen Behörden oder Sicherheitskräften komme. Mit 13. Juli 1999 habe die organisierte Rückführung von Kosovo-Flüchtlingen aus Österreich begonnen, ohne dass von einem einzigen asylrelevanten Zwischenfall berichtet worden wäre. Aus keinem der zur Verfügung stehenden internationalen Berichte würde sich ergeben, dass albanische Kosovaren einer wie immer gearteten Verfolgung im Sinne der GFK bei der Rückkehr ausgesetzt gewesen wären. Im Kosovo sei die Grundversorgung mit Lebensmitteln und die medizinische Versorgung sichergestellt bzw. grundsätzlich gewährleistet. Der Beschwerdeführer habe keine konkret ihn betreffende aktuelle Gefährdung oder Bedrohung im Sinn des § 57 FrG glaubhaft dargelegt.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 20. Juni 2002, Zl. 2002/18/0097, mwN.)

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt allerdings nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. April 1998, Zl. 98/18/0120).

2.1. Die Beschwerde wendet sich dagegen, dass der angefochtene Bescheid die Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien ohne Einschränkung auf die Provinz Kosovo zulasse. Auf die Behandlung von Albanern außerhalb des Kosovo werde überhaupt nicht eingegangen. Es könnte durchaus sein, dass in einem Teilgebiet der Bundesrepublik Jugoslawien, nämlich in der Provinz Kosovo und in sonstigen Zonen, möglicherweise auch in Montenegro, ein Missbrauch der staatlichen Herrschaftsmacht auszuschließen sei. Für den Großteil des Staatsgebietes der Bundesrepublik Jugoslawien könne dies allerdings nicht behauptet werden. Für die Bundesrepublik Jugoslawien mit Ausnahme der Provinz Kosovo würden Organe der Bundesrepublik Jugoslawien oder der Republik Serbien einschreiten. Der Beschwerdeführer würde keinen Rechtsanspruch darauf haben, auf Grund des bekämpften Bescheides in eine bestimmte Provinz der Bundesrepublik Jugoslawien abgeschoben zu werden.

2.2. In seiner asylrechtlichen Judikatur hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass es sich beim Kosovo seit Institutionalisierung der UN-Verwaltung (seit 20. Juni 1999) um einen eigenen Herkunftsstaat im Sinn des § 1 Z. 4 AsylG handelt, der neben den Staat Serbien und Montenegro (früher: Bundesrepublik Jugoslawien), ohne den Kosovo, tritt (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2002, Zl. 2001/01/0550). Davon wird insbesondere auch im Zusammenhang mit der Non-Refoulement-Prüfung nach § 8 AsylG ausgegangen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Juni 2000, Zl. 2000/01/0162). Das zieht als Konsequenz ua. nach sich, dass Aussprüche nach § 8 AsylG, die die "Bundesrepublik Jugoslawien" erfassen, sich jedoch inhaltlich auf die Beurteilung der Situation im Kosovo beschränken, mit Rechtswidrigkeit behaftet sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0116). Auch im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 75 Abs. 1 FrG über die "Bundesrepublik Jugoslawien" abgesprochen, in der Begründung jedoch lediglich auf die Verhältnisse im Kosovo Bezug genommen. Angesichts dessen, dass sich die Entscheidung nach § 75 Abs. 1 FrG als das fremdenpolizeiliche Gegenstück zur Entscheidung der Asylbehörden nach § 8 AsylG darstellt, erweist sich das nach dem Gesagten als verfehlt und verletzt den Beschwerdeführer in Rechten, weil der Spruch des bekämpften Bescheides seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung auch in ein Gebiet der Bundesrepublik Jugoslawien außerhalb des Kosovo ermöglicht, ohne dass insoweit eine inhaltliche Prüfung der Zulässigkeit einer solchen Maßnahme stattgefunden hätte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. November 2003, Zl. 2002/21/0157).

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die Umrechnung der entrichteten Stempelgebühren gründet sich auf § 3 Abs. 2 Z. 2 Euro-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2000.

Wien, am 19. Mai 2004

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