VwGH 2000/18/0138

VwGH2000/18/013813.3.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des N L in Steyr, geboren am 17. Juni 1975, vertreten durch Dr. Alois Karan, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Stelzhamerstraße 9, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 19. Mai 2000, Zl. St 005/00, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §48 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 19. Mai 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer, der sich seit Oktober 1992 im Bundesgebiet aufhalte, sei nach den Feststellungen der Erstbehörde in den Jahren 1995 bis 1999 insgesamt viermal rechtskräftig verurteilt worden. Zuletzt wäre über ihn gemäß §§ 107 Abs. 1 und 2, 83 Abs. 1 und 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate unter bedingter Strafnachsicht, verhängt worden. Auch schienen gegen den Beschwerdeführer acht "verwaltungspolizeiliche Vormerkungen" auf.

In seiner Berufungsschrift habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass die Fremdenpolizeibehörde nicht an die Beurteilung des Gerichtes gebunden wäre, sondern eigene Erwägungen aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes vorzunehmen hätte. Deshalb wäre es erforderlich gewesen, die den Verurteilungen zu Grunde liegenden Straftaten genauer zu durchleuchten. Dabei hätte unschwer festgestellt werden können, dass es sich bei den strafbaren Handlungen um - überzogene - Reaktionen auf Provokationen gehandelt hätte.

Das Vorliegen des Tatbestandes gemäß § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG habe der Beschwerdeführer in seiner Berufungsschrift "außer Streit gestellt".

Es sei zu beachten, dass der Beschwerdeführer sein strafbares Verhalten merklich gesteigert habe. Sei er im Jahr 1995 lediglich wegen § 125 StGB verurteilt worden, so beinhalte die letzte Verurteilung bereits eine versuchte schwere Nötigung. Es sei auch zu beachten, dass eine gerichtliche Verurteilung nicht ausgereicht habe, um den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Als sehr schwer müsse gewertet werden, dass der letzten gerichtlichen Verurteilung durch das LG Steyr eine Vielzahl von schweren Strafhandlungen zu Grunde liege und auch das Gericht den Unwert dieser Straftaten als ernorm schwer eingestuft habe, sei doch eine teilweise unbedingte Freiheitsstrafe verhängt worden.

Die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei daher gerechtfertigt.

Durch das Aufenthaltsverbot werde "zweifelsohne in beträchtlicher Weise" in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Der Beschwerdeführer sei zum zweiten Mal mit derselben österreichischen Staatsangehörigen verheiratet. Auch sei ihm eine der Dauer des Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen. Die Erstbehörde habe festgestellt, dass der Beschwerdeführer "erst zuletzt ein halber Jahr" einer Beschäftigung nachgegangen sei. Im Berufungsverfahren habe der Beschwerdeführer vorgebracht, diese Arbeitsstelle auf Grund seiner Verhaftung verloren zu haben. Weiters habe er vorgebracht, etwa zweieinhalb Jahre als Maurerlehrling gearbeitet zu haben. Auf Grund der "Chronologie" der Erwerbszeiten und der Tatsache, dass der Beschwerdeführer bei keinem Arbeitgeber länger beschäftigt gewesen sei, sei dem Beschwerdeführer in beruflicher Hinsicht keine Integration zuzubilligen.

Auf Grund der zahlreichen gerichtlichen Verurteilungen sei das Aufenthaltsverbot im Grund des § 37 Abs. 1 FrG gerechtfertigt. Insbesondere die Tatsache, dass sich das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers immer gesteigert habe, mache die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes dringend erforderlich. Hier sei auch der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich bei strafbaren Handlungen nach den §§ 105, 106 und 107 StGB um sehr schwer wiegende Delikte handle, da es von der Drohung mit Gewalt zur tatsächlichen Ausführung oftmals nur ein kleiner Schritt sei, was die Vergangenheit auch bereits in sehr schmerzlicher Form gelehrt habe. Unter Abwägung der genannten Tatsachen müsse für den Beschwerdeführer eine negative "Zukunftsprognose" gestellt werden. Die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wögen wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot sei daher auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig. Daran vermöge auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf die wiederum bestehende Ehe und die Arbeitsmöglichkeit nichts zu ändern. Auch könnten Verbrechen nicht mehr mit dem bloßen Hinweis auf Provokationen durch andere gerechtfertigt werden, zumal es in einer sozialisierten Welt andere Konfliktlösungsmechanismen gebe.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Nach § 49 Abs. 1 erster Satz FrG genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 leg. cit., die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit; für sie gelten sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt des 4. Hauptstückes. Im vorliegenden Fall findet daher auf den Beschwerdeführer, der unstrittig Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen ist, die Bestimmung des § 48 Abs. 1 erster Satz FrG Anwendung, derzufolge die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig ist, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

Der Umstand, dass die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot auf § 36 FrG und nicht auf § 48 Abs. 1 leg. cit. gestützt hat, bewirkt jedoch keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers, weil § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 leg. cit. bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, insofern von Bedeutung sind, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 2000/18/0008).

2. Auf Grund der unstrittig feststehenden Verurteilung zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe ist der - wie dargestellt als Orientierungsmaßstab heranzuziehende - Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.

3. Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt ist -

nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/18/0162).

Aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1995 bis 1999 viermal rechtskräftig verurteilt und er insgesamt achtmal verwaltungsbehördlich bestraft worden ist. Lediglich bezüglich der zuletzt erfolgten Verurteilung hat die belangte Behörde auch die verwirklichten Tatbestände des Strafgesetzbuches und die Höhe der verhängten Strafe festgestellt. Überdies ergibt sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides, dass eine Verurteilung im Jahr 1995 wegen § 125 StGB erfolgte. Weitere Feststellungen über die verwirklichten Tatbestände und die verhängten Strafen sowie den Zeitpunkt der Verurteilungen bzw. Bestrafungen wurden nicht getroffen. Feststellungen über Art, Schwere und Zeitpunkt der den Verurteilungen und Bestrafungen zu Grunde liegenden Straftaten fehlen zur Gänze.

Dies bewirkt, dass die Ansicht der belangten Behörde, es sei auf Grund der Straftaten des Beschwerdeführers die besagte Annahme gerechtfertigt, vom Verwaltungsgerichtshof nicht - nach den genannten Kriterien - überprüft werden kann, zumal nicht bereits aus den festgestellten Deliktstypen im Zusammenhang mit der Höhe der einzig festgestellten Strafe und der Häufigkeit der Begehung von (nicht näher konkretisierten) Delikten ersichtlich ist, dass vom Beschwerdeführer eine derart große Gefahr für die maßgeblichen öffentlichen Interessen ausgeht, dass das Gerechtfertigtsein der besagten Annahme offenkundig ist.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 13. März 2001

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