Normen
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §48 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzten.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behröde) vom 19. November 1998, wurde gegen den Beschwerdeführer, einen italienischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom 19. Dezember 1997 ausgeführt, sich seit etwa fünf Jahren im Bundesgebiet aufzuhalten. Obwohl er auf Grund des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, dazu verpflichtet gewesen sei, habe er es unterlassen, sich einen Lichtbildausweis für EWR-Bürger ausstellen zu lassen. Diese Verpflichtung bestehe allerdings seit 1. Jänner 1998 (Inkrafttreten des FrG) nicht mehr.
Während seines Aufenthaltes in Österreich sei er wie folgt rechtskräftig verurteilt worden:
1. Am 4. Juni 1993 wegen §§ 15, 83 Abs. 1, 125 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 40 Tagessätzen;
2. Am 25. Juli 1994 wegen § 83 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen;
3. Am 10. Juni 1996 wegen §§ 115 Abs. 1 und 117 Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen;
4. Am 30. Oktober 1996 wegen § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen als Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil vom 10. Juni 1996;
5. 14. Juli 1997 wegen § 133 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen.
Überdies sei der Beschwerdeführer am 17. Juni 1996 wegen Übertretung gemäß § 81 Abs. 1 Sicherheitspolizeigesetz mit einer Geldstrafe von S 500,-- belegt worden.
In Anbetracht der dreimaligen rechtskräftigen Verurteilung wegen § 83 StGB sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.
Dem Beschwerdeführer sei eine der Dauer seines Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen. Er gehe im Bundesgebiet einer künstlerischen Tätigkeit nach und lebe in Lebensgemeinschaft. Das Aufenthaltsverbot sei daher mit einem Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers verbunden. In sozialer Hinsicht sei dem Beschwerdeführer, wie sich aus den ständigen gerichtlichen Verurteilungen ergebe, eine Eingliederung in das Gesellschaftsleben noch nicht gelungen. Gerade die soziale Ebene der Integration sei jedoch sehr wichtig, weil ansonsten ein ordnungsgemäß funktionierendes Leben in einer Gemeinschaft nicht möglich sei. Da der Beschwerdeführer in Lebensgemeinschaft lebe und die von ihm vorgebrachte künstlerische Tätigkeit als Maler (u.a. im Rahmen von Projekten mit und für Studenten der Meisterklasse) ausübe, werde durch das Aufenthaltsverbot sicherlich in nicht unbedeutender Weise in das Privatleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Dem sei jedoch entgegenzuhalten, dass eine gerichtliche Verurteilung nicht ausgereicht habe, um ihn von der Begehung weiterer derartiger Delikte abzuhalten. Als erschwerend sei zu werten, dass er mittlerweile bereits fünfmal rechtskräftig gerichtlich verurteilt worden sei. Dem Beschwerdeführer sei beizupflichten, dass die von ihm begangenen Delikte "sicherlich noch dem Bagatellbereich zuzuzählen" seien. Auf Grund des Umstandes, dass er die Straftaten in regelmäßigen Abständen und trotz bereits erfolgter gerichtlicher Verurteilungen begangen habe, seien die "strafbaren Handlungen doch schon sehr schwer zu gewichten". Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Beschwerdeführer neuerlich strafbar mache und "noch schwerwiegendere Delikte" begehen werde.
Auf Grund dieser Tatsachen sei nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Licht des § 37 Abs. 1 FrG gerechtfertigt. Da im Hinblick auf die für den Beschwerdeführer zur stellenden negativen Prognose die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, sei das Aufenthaltsverbot auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig. Daran vermöge auch die Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers und der vorgebrachte Umstand, dass er seinen gesamten Freundeskreis im Inland habe, nichts zu ändern.
2. Gegen diesen Bescheid richtete sich die vorliegende, vom Verfassungsgerichtshof nach Ablehnung ihrer Behandlung abgetretene (Beschluss vom 13. Juni 2000, B 53/99) Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gegen den Beschwerdeführer als EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 48 Abs. 1 erster Satz FrG nur zulässig, wenn auf Grund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.
Wenn die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot - anders als die Erstbehörde - nur auf § 36 FrG und nicht auf
§ 48 Abs. 1 leg. cit. gestützt hat, so bewirkt dies für sich keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers, weil
§ 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weiterhin insofern von Bedeutung ist, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 2000/18/0008).
2. Obwohl die beiden Verurteilungen des Beschwerdeführers vom 10. Juni 1996 und vom 30. Oktober 1996 zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehen und daher als Einheit zu werten sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2000, Zl. 2000/18/0013) begegnet auf Grundlage der unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid die Ansicht der belangten Behörde, der - wie dargestellt als Orientierungsmaßstab heranzuziehende - Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt, keinen Bedenken.
3. Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt ist -
nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Verurteilungen des Beschwerdeführers jeweils nur den Tatbestand des Strafgesetzbuches und die Höhe der verhängten Strafe festgestellt. Ebenso hat sie hinsichtlich der verwaltungsbehördlichen Bestrafung nur die übertretene Norm und die Höhe der verhängten Geldstrafe festgestellt. Feststellungen über die vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen fehlen zur Gänze. Dies bewirkt, dass die Ansicht der belangte Behörde, es sei auf Grund der Straftaten des Beschwerdeführers die besagte Annahme gerechtfertigt, vom Verwaltungsgerichtshof nicht - nach den genannten Kriterien - überprüft werden kann, zumal vorliegend nicht bereits aus dem Delikttypus und/oder der Häufigkeit der Delikte im Zusammenhang mit den dafür verhängten Strafen ersichtlich ist, dass vom Beschwerdeführer eine derart große Gefahr für die maßgeblichen öffentlichen Interessen ausgeht, dass das Gerechtfertigtsein der besagten Annahme offenkundig ist.
Die belangte Behörde bringt in der Gegenschrift vor, sie habe "nicht nur die Tatsache der gerichtlichen Verurteilungen, sondern auch die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen (Bagatelldelikte nach § 83 , 115, 117 und 133 StGB bzw. § 81 Abs. 1 SPG)" gewertet. Ausschlaggebend für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes seien nicht die einzelnen strafbaren Handlungen als solche, sondern die Tatsache der regelmäßigen Begehung strafbarer Handlungen trotz bereits erfolgter Verurteilungen gewesen. Dem ist entgegenzuhalten, dass der Hinweis im angefochtenen Bescheid auf den mehrfachen Rückfall des Beschwerdeführers und die dort vertretene Ansicht, bei den Straftaten handle es sich um Bagatelldelikte, die erforderlichen Feststellungen zu den konkreten Straftaten und die daraus zu ziehenden Schlüsse auf die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht ersetzten können.
4. Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Februar 2001
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