Normen
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
StGB §31;
StGB §40;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
StGB §31;
StGB §40;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 30. März 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1 i.V.m. §§ 37 bis 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei vom Landesgericht Innsbruck am 12. Jänner 1996 wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 2, 129 Z. 1 und 2, 130 zweiter Satz erster und zweiter Fall, 15 StGB zu einer auf zwei Jahre bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er teils allein, teils im Zusammenwirken mit Mittätern anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen bzw. wegzunehmen versucht habe, wobei er die schweren Diebstähle und die Diebstähle durch Einbruch in der Absicht begangen habe, sich durch ihre wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, und zwar
im Sommer/Herbst 1994 einem Verfügungsberechtigten des Franziskanerklosters Schwaz in wiederholten Angriffen Bargeld unerhobener Höhe mittels einer Drahtschlinge aus dem dortigen Opferstock,
im Herbst 1994 einem Verfügungsberechtigten der Pfarre Maria Himmelfahrt in Schwaz in mehreren Zugriffen Bargeld von zusammen cirka S 1.000,-- mittels einer Drahtschlinge aus dem dortigen Opferstock,
im Oktober 1994 in Pill einem Verfügungsberechtigten der Pfarre Pill Bargeld in Höhe von cirka S 120,-- aus einem Opferstock in einer Kapelle,
im Oktober 1994 in Vomp einem Verfügungsberechtigten der Pfarre Vomp Bargeld unerhobener Höhe aus dem Opferstock der Pfarrkirche,
am 15. November 1994 in Schwaz einem Verfügungsberechtigten eines namentlich genannten Unternehmens Zigaretten und Bargeld unerhobener Höhe durch Einbruch in ein Gebäude (Trafik),
am 16. November 1994 in Vomp einem Verfügungsberechtigten des Tennisclubs Bargeld unerhobener Höhe durch Einbruch in ein Gebäude (Vereinshaus),
am 17. November 1994 einem Verfügungsberechtigten des Franziskanerklosters Schwaz Spendengeld in Höhe von cirka S 1.500,-- durch Einbruch (Aufbrechen einer Türe),
am 26.März 1995 Bargeld in Höhe von S 5.000,-- durch Einbruch in ein Gebäude und Aufbrechen eines Behältnisses, am 27.März 1995 Bargeld in Höhe von cirka S 3.850,-- durch Einbruch in ein Gebäude und am 28.März 1995 eine Münzgeldrolle mit cirka S 1.500,-- durch Einbruch in ein Gebäude jeweils einem namentlich genannten Unternehmen in Schwaz,
und Anfang November 1994 in Schwaz Bargeld unerhobener Höhe aus einem Opferstock in der Leichenkapelle des Friedhofes.
Weiters sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht Innsbruck am 13. Jänner 1998 wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z. 1 und 2 StGB zu einer auf eine Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehenen (Zusatz-)Freiheitsstrafe von einem Monat rechtskräftig verurteilt worden, weil er im Oktober 1995 in Schwaz fremde bewegliche Sachen in einem S 25.000,-- nicht übersteigenden Wert, nämlich zwei goldene Uhren, Münzen und Schmuck im Gesamtwert von mindestens S 5.000,-- durch Einbruch in ein Gebäude und Aufbrechen eines Behältnisses (Tresor) mit dem Vorsatz weggenommen habe, sich oder Dritte durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Infolge der Häufigkeit und Schwere des den Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers entstehe der Eindruck, dass er nicht gewillt sei, Rechtsvorschriften in erforderlicher Weise zu beachten und sein Verhalten den Gesetzen anzupassen, woraus gefolgert werden könne, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle (§ 36 Abs. 1 Z. 1 FrG). Die zwei rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers wegen Vermögensdelikten (somit wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen) erfüllten den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG.
Das Aufenthaltsverbot stelle einen relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG dar, der das Aufenthaltsverbot im Grund des § 37 Abs. 1 FrG aber nicht unzulässig mache. Die sich im Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers manifestierende Neigung, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, mache das Aufenthaltsverbot zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen und zum Schutz der (Vermögens-)Rechte anderer im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK dringend geboten.
Der Beschwerdeführer sei seit 1992 erlaubt im Bundesgebiet aufhältig, unterbrochen von Februar 1996 bis Oktober 1997, wo er sich in der Türkei aufgehalten habe. Eine intensive familiäre Bindung habe er lediglich zu seinem Vater, der seit mehr als 20 Jahren als "Gastarbeiter" in Österreich erlaubt aufhältig und dementsprechend gut integriert sei und mit dem er in Schwaz in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Sonst habe er keine privaten Bindungen im Inland. Einer erlaubten Tätigkeit sei er bisher nicht nachgegangen. Der Beschwerdeführer habe während seines Aufenthaltes in der Türkei von 1996 bis 1997 dort eine Frau geheiratet, mit der er ein gemeinsames Kind habe. Gattin und Kind seien - ebenso wie Mutter und Geschwister - in der Türkei aufhältig. Diese privaten und familiären Interessen wögen im Hinblick auf die Neigung des Beschwerdeführers zu (Vermögens-)Straftaten höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbots, weshalb diese Maßnahme im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser Gerichtshof hat mit Beschluss vom 29. November 1999, B 742/98, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde abgesehen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen eine der in den Z. 1 oder 2 dieser Bestimmung genannten Annahmen gerechtfertigt ist.
Gemäß § 36 Abs. 2 FrG hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder (Z. 1) von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
1.2. Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG erfüllt sei. Grundlage dafür seien die zwei rechtskräftigen Verurteilungen durch das Landesgericht Innsbruck vom 12. Jänner 1996 und vom 13. Jänner 1998 (bei der letztgenannten sei eine Zusatzstrafe zur ersten Strafe verhängt worden), denen Tathandlungen zu Grunde lägen, die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhten.
2.1. Dem vermag der Gerichtshof nicht beizupflichten.
Die zweite Verurteilung stellt eine Verurteilung zu einer Zusatzstrafe gemäß den §§ 31 und 40 StGB dar. Eine solche kommt nur dann in Betracht, wenn der Täter wegen einer Tat verurteilt wird, die nach der Zeit ihrer Begehung schon in einem früheren Verfahren hätte abgeurteilt werden können. Gemäß § 31 StGB darf die Zusatzstrafe das Höchstmaß der Strafe nicht übersteigen, die für die später abzuurteilende Tat angedroht ist. Die Summe der Strafen darf die Strafe nicht übersteigen, die nach den Regeln über die Strafbemessung beim Zusammentreffen strafbarer Handlungen und über die Zusammenrechnung der Werte und Schadensbeträge zulässig wäre. Gemäß § 40 StGB ist die Zusatzstrafe innerhalb dieser Grenzen so zu bemessen, dass die Summe der Strafen jener Strafe entspricht, die bei gemeinsamer Aburteilung zu verhängen wäre. Wäre bei gemeinsamer Aburteilung keine höhere Strafe als die im früheren Urteil verhängte auszusprechen, so ist von einer Zusatzstrafe abzusehen. Die Regelung soll eine Schlechterstellung jenes Täters verhindern, über dessen mehrere Straftaten in zeitlich getrennten Urteilen entschieden wurde, obwohl die Sanktionierung in einem Einzigen möglich gewesen wäre (vgl. Ratz in Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Auflage, § 31, Rz 7).
2.2. Die ersten drei Fälle des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG stellen darauf ab, dass der Fremde zu einer ein bestimmtes Ausmaß übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt worden ist (die im zweiten Fall erwähnte teilbedingte Strafnachsicht kommt gemäß § 43a StGB nur bei Freiheitsstrafen von mehr als sechs Monaten in Betracht), worin der ein Aufenthaltsverbot rechtfertigende Unwertgehalt der zu Grunde liegenden Straftaten zum Ausdruck kommt. Der vierte Fall dieser Bestimmung sieht hingegen kein Mindestmaß der verhängten Strafen vor. Der besondere Unwertgehalt, der ein Aufenthaltsverbot rechtfertigt, liegt in diesem Fall darin, dass sich der Fremde durch die erste rechtskräftige Verurteilung nicht davon hat abhalten lassen, erneut eine auf der gleichen schädlichen Neigung beruhende strafbare Handlung zu begehen.
2.3. Im Fall der Verhängung einer Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB hat der Fremde die der zweiten Verurteilung zu Grunde liegende Tathandlung schon vor dem Zeitpunkt der ersten Verurteilung begangen. In einem solchen Fall manifestiert sich der beschriebene Unwertgehalt gerade nicht, weil der Fremde nicht trotz einer Verurteilung wieder eine strafbare Handlung gesetzt hat.
Verurteilungen, die zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehen, sind daher als Einheit zu werten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2000, Zl. 98/18/0134). Ein Fremder, der auf diese Weise verurteilt wurde, erfüllt somit den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG nicht. Er könnte jedoch den Tatbestand einer der drei anderen Fälle dieser Bestimmung erfüllen, wenn das Gesamtausmaß der in den beiden als Einheit zu wertenden Urteilen verhängten Strafen die in einem dieser Fälle normierte Grenze übersteigt - was beim Beschwerdeführer jedoch nicht der Fall ist.
Die belangte Behörde hat somit insoweit die Rechtslage verkannt, als sie die Ansicht vertrat, die beiden in Rede stehenden Verurteilungen des Beschwerdeführers würden den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 vierter Fall FrG erfüllen.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Aufenthaltsverbot jedoch auch ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG gestützt werden, wenn triftige Gründe vorliegen, die zwar nicht die Voraussetzungen der im Abs. 2 leg. cit. angeführten Fälle aufweisen, aber in ihrer Gesamtheit die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigen (vgl. etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis, Zl. 98/18/0134).
Die belangte Behörde sah das für die Erlassung des Aufenthaltsverbots bedeutsame Fehlverhalten des Beschwerdeführers in den seinen Verurteilungen zu Grunde liegenden Straftaten. Wenn der Behörde auch einzuräumen ist, dass dieses Verhalten, insbesondere auf Grund des Umstandes, dass es sich um zahlreiche Taten handelt, eine nicht unerhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstellt, reicht es auf dem Boden der genannten Rechtsprechung nicht aus, um von triftigen Gründen im besagten Sinn sprechen zu können, zumal der Beschwerdeführer bei Begehung der Tathandlungen erst 15 bzw. 16 Jahre alt war und sich seit der letzten Straftat zweieinhalb Jahre wohlverhalten hat (vgl. das u.a. einen in mehreren Angriffen über einen Zeitraum von mehreren Monaten begangenen gewerbsmäßigen Diebstahl betreffende hg. Erkenntnis vom 14. März 2000, Zl. 98/18/0340, und das einen Raub betreffende hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 98/18/0375).
4. Da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid demnach mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet hat, war dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. Oktober 2000
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