VwGH 2000/01/0348

VwGH2000/01/03484.4.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des N A in W, geboren am 7. April 1978, vertreten durch Dr. Heide Schubert, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weyrgasse 5/9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. April 2000, Zl. 206.860/0- XI/33/98, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 13. November 1998 in das Bundesgebiet ein. Er ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an. Seinen Asylantrag begründete er bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 16. November 1998 ua damit, dass er sich etwa Mitte Mai 1998 als Mitglied der UCK habe eintragen lassen; dabei seien seine Generalien in ein Verzeichnis aufgenommen worden. In der Folge habe er in seinem Heimatdorf oder in dessen Nahebereich Schützengräben ausheben, Autolenker anhalten und kontrollieren oder den Zustand der Straßen verbessern müssen. Ca. Mitte Juli 1998 habe er gemeinsam mit fünf oder sechs anderen UCK-Männern den Befehl erhalten, Waffen aus Albanien in das Heimatdorf zu transportieren. Wörtlich gab der Beschwerdeführer weiter an:

"Ich war an Kampfhandlungen nicht beteiligt. Wie erwähnt, hätte ich mit anderen Kameraden innerhalb der UCK Waffen und Munition aus Albanien holen und in das Heimatdorf transportieren sollen. Ich floh aber aus dem Heimatdorf. Ich habe den Befehl der Vorgesetzten, innerhalb der UCK, missachtet und bin von der UCK desertiert. Im Falle einer Rückkehr in den Kosovo befürchte ich, von Angehörigen der Organisation mit der Bezeichnung UCK, festgenommen zu werden. Ich weiß nicht, welche Strafen mir von Seiten dieser Organisation drohen würden."

Mit Bescheid vom 26. November 1998 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.); zugleich sprach es aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien gemäß § 8 AsylG nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.). Bei dieser Entscheidung ging das Bundesasylamt von der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers aus. Dieser erhob gegen Spruchpunkt I. des Bescheides vom 26. November 1998 Berufung; neben einer von staatlicher Seite ausgehenden Verfolgungsgefahr wies er darin auf die Befürchtung einer Festnahme durch die UCK hin; diese Bedrohung sei asylrelevant, da die UCK zusammen mit der zivilen albanischen Parallelverwaltung in einigen Teilen des Kosovo die de facto machtausübende Institution sei und staatsähnliche Strukturen habe aufbauen können.

Am 23. März 2000 führte der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) eine mündliche Berufungsverhandlung durch. Der Beschwerdeführer blieb diesem Termin unentschuldigt fern. Mit Bescheid vom 20. April 2000 wies die belangte Behörde hierauf die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß § 7 AsylG ab. Dabei traf sie Feststellungen "zur allgemeinen Situation im Kosovo", die u.a. folgenden Inhalt haben:

"Schließlich ist die Entmilitarisierung der Kosovo-Befreiungsarmee UCK (UN-Resolution 1244 Z 9 lit. b) inzwischen erfolgt, auf Grund des zwischen KFOR und UCK abgeschlossenen Demilitarization Agreements vom 21. Juni 1999 hat die UCK, die vormals eine Stärke von 10 000 bis 20 000 Mann hatte, ihre Waffen abgegeben und ist nach Angaben von NATO-Generalsekretär Javir Solana seit 21. September 1999 aufgelöst (Reuters, 22.09.1999). ...

Nicht entgegengetreten werden kann allerdings Berichten, dass UCK-Strukturen, insbesondere im Bereich der lokalen Verwaltungen, nach wie vor bestehen, die UNMIK ist jedoch bemüht, diese, wo sie sich als zweckmäßig erweisen, in eigene Verwaltungsstrukturen zu integrieren. Übergriffen ehemaliger UCK-Kämpfer tritt KFOR energisch entgegen. ...

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass sich die Sicherheitssituation mit Dauer der internationalen Präsenz zumindest für die Mehrheitsbevölkerung der Albaner grundlegend gebessert hat. ...

Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat in seinem Bericht vom 16. September 1999 darauf hingewiesen, dass das Ausmaß und die Art der Gewalt im Kosovo, hauptsächlich gegen Minderheiten, noch großer Anstrengungen bedarf, um die Lage weiter zu verbessern. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Serben und Albanern gibt es beispielsweise nahezu täglich in der geteilten Stadt Mitrovica. Unbestritten gefährlich ist die Situation für die im Kosovo verbliebenen Minderheiten der Serben, der Roma, der Bosniaken und anderer ..."

Die Feststellungen zur Lage im Kosovo gründeten auf der umfassenden internationalen Berichterstattung sowie den im Rahmen des Parteiengehörs dem Beschwerdeführer übermittelten Dokumenten. Sie gründeten weiters auf Quellen aus internationalen Medienberichten und auf Berichten internationaler Organisationen. Es sei davon auszugehen, dass auch einem Flüchtling aus dem Kosovo bekannt sei, dass es keine serbischen Autoritäten mehr im Kosovo gäbe, dass die UCK mittlerweile aufgelöst sei und dass keinerlei Verfolgung von ehemaligen UCK-Kämpfern im Kosovo stattfinde.

Nach Ansicht der belangten Behörde - so der bekämpfte Bescheid im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - sei jedwede staatliche Verfolgung durch serbische Gerichte, Verwaltungsbehörden oder Sicherheitskräfte weggefallen, weshalb es einem Angehörigen der Volksgruppe der Kosovo-Albaner zumutbar sei, in den Kosovo zurückzukehren. Die grundlegenden politischen Veränderungen in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers hätten dazu geführt, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung weggefallen sei und eine Anerkennung als Flüchtling iS der Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr in Betracht komme. Dem Beschwerdeführer sei es nunmehr zumutbar, den Schutz der den Kosovo kontrollierenden UNMIK in Anspruch zu nehmen und in seine Heimatprovinz zurückzukehren. Er sei bei einer Rückkehr in den Kosovo auch keiner Verfolgung durch die UCK ausgesetzt, da diese Organisation im September 1999 aufgelöst worden sei. Auch wenn noch Strukturen der UCK in gewissen lokalen Verwaltungen bestünden, so gebe es doch keinerlei Hinweise darauf (und seien vom Beschwerdeführer auch keine vorgebracht worden), dass ehemalige UCK-Kämpfer von dieser Organisation nach ihrer Rückkehr verfolgt würden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. März 2001, Zl. 2000/01/0056, ausgesprochen hat, führt die Änderung der Verhältnisse im Kosovo seit dem 20. Juni 1999 (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0359) nicht zwingend dazu, dass einem aus dem Kosovo stammenden Asylwerber die Gewährung von Asyl versagt werden müsste. Vielmehr kann solchen Personen aus anderen, auf die nunmehrige Ordnungsmacht (Organe der Vereinten Nationen) bezogenen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zukommen, insbesondere wenn diese nicht in der Lage sein sollte, asylrelevante Verfolgungshandlungen von dritter Seite hintanzuhalten.

Unter dem letztgenannten Gesichtspunkt führt die Beschwerde primär ins Treffen, dass der Beschwerdeführer wegen der von ihm im Verwaltungsverfahren behaupteten Befehlsverweigerung gegenüber der UCK seitens der albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, die mit der wenngleich offiziell aufgelösten UCK sympathisiere, als "Verräter" angesehen werde. Nach zahlreichen Berichten bis zum Erlassungszeitpunkt des bekämpften Bescheides sei die Situation von Angehörigen missliebiger Personenkreise im Kosovo, insbesondere von "Verrätern" an der "albanischen Sache" aus den eigenen Reihen, prekär; zahlreiche Angehörige dieser Gruppen seien von der nunmehr mehrheitlich albanischen Bevölkerung bedroht, misshandelt, entführt und ermordet worden. Der Mangel an Schutz von Minderheiten und sonstigen Missliebigen, besonders aber von "Verrätern" wie dem Beschwerdeführer, gegenüber Verfolgungshandlungen von kosovo-albanischer Seite sei dem Staat zuzurechnen, auch wenn dieser nunmehr von UNMIK und KFOR "dargestellt" werde; laut OSZE sei die offiziell aufgelöste und von KFOR entwaffnete UCK nach wie vor zur organisierten Durchführung von Terror- und Vertreibungsakten in der Lage, und stehe ihr hiefür nach wie vor ein enormes Waffenreservoir in geheimen Waffenlagern zur Verfügung.

Dem bekämpften Bescheid ist nicht zu entnehmen, dass die belangte Behörde das eingangs auszugsweise in seinen wesentlichen Punkten wiedergegebene detaillierte Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend Befehlsverweigerung bzw. Desertion von der UCK in Zweifel gezogen hätte. Die belangte Behörde führte jedoch aus, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Auflösung der UCK im September 1999 durch diese Organisation keiner Verfolgung ausgesetzt sei; es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass ehemalige UCK-Kämpfer nach ihrer Rückkehr verfolgt würden.

Mit dem wiedergegebenen Beschwerdevorbringen wird dieser Ansicht der belangten Behörde diametral entgegengetreten, und zwar unter Hinweis auf zahlreiche Berichte, welche "bis zum Erlassungszeitpunkt des bekämpften Bescheides heraufreichen". Damit im Zusammenhang ist die Verfahrensrüge zu sehen, dass die Feststellungen der belangten Behörde "zur allgemeinen Situation im Kosovo" auf einer "längst nicht mehr 'tagfertigen' Länderdatei" beruhten.

Die belangte Behörde ist als Spezialbehörde verpflichtet, sich laufend über aus asylrechtlicher Sicht maßgebliche Entwicklungen insbesondere in jenen Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, auf dem neuesten Stand zu halten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287, und sinngemäß - im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG -

das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0284). Sie hat daher ihren Bescheiden die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel zugrunde zu legen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210). In dem im letztgenannten Erkenntnis behandelten Fall wurden - gleichfalls bezogen auf den Kosovo - rund neun Monate alte Beweismittel als überholt angesehen. Im vorliegenden Fall datieren die jüngsten von der belangten Behörde erkennbar herangezogenen Berichte und Informationen aus dem September/Oktober 1999, während ihr Bescheid Ende April 2000 erlassen worden ist. Demzufolge wurde etwa auf im Herbst 1999 aktuelle Überwinterungsprogramme Bezug genommen, denen Ende April 2000 naturgemäß nur mehr bedingte Bedeutung zukam. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten behördlichen Verpflichtung zur Heranziehung jüngster Unterlagen und im Hinblick auf die erkennbare "Berichtsdichte" betreffend den Kosovo - die Beschwerde nennt beispielsweise das Gutachten des Ludwig Boltzmann-Institutes für Menschenrechte vom 30. Dezember 1999, welches etwa auch in dem dem schon erwähnten hg. Erkenntnis Zl. 2000/01/0056 zugrunde liegenden Bescheid erwähnt worden ist - erweisen sich das Ermittlungsverfahren der belangten Behörde bzw. ihre Feststellungen zur aktuellen Situation im Kosovo damit als mangelhaft. Die Relevanz dieses Verfahrensfehlers wird durch das zuvor wiedergegebene Beschwerdevorbringen deutlich dargelegt. Der bekämpfte Bescheid leidet damit an einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 4. April 2001

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