Normen
B-VG Art18 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StGG Art18
Baugewerbe-BefähigungsnachweisV §1 Abs2
GewO 1994 §22
GewO 1994 §202
B-VG Art18 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
StGG Art18
Baugewerbe-BefähigungsnachweisV §1 Abs2
GewO 1994 §22
GewO 1994 §202
Spruch:
I. Die Wortfolge "gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994" in §1 Abs2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. Nr. 294/1996, war gesetzwidrig.
II. Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
III. Die Wortfolge "im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit" sowie das Wort "zurückgelegte" in §1 Abs2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. Nr. 294/1996, waren nicht gesetzwidrig.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B697/00 eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten vom 24. Februar 2000 anhängig, mit dem ein Ansuchen der beschwerdeführenden Gesellschaft um Bewilligung zur Ausübung des Gewerbes "Baumeister" gemäß §127 Z4 GewO 1994 abgewiesen und die Bestellung einer namhaft gemachten Person zum gewerberechtlichen Geschäftsführer nicht genehmigt worden ist.
2. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 1. März 2002 beschlossen, gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Wortfolge "im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994 zurückgelegte" in §1 Abs2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. 294/1996, von Amts wegen zu prüfen.
Der Verfassungsgerichtshof ist im Einleitungsbeschluss davon ausgegangen, dass die Beschwerde zulässig ist und dass er zur rechtlichen Beurteilung der Beschwerde die in Prüfung gezogene Wortfolge anzuwenden hat.
3. Der Verfassungsgerichtshof ging ferner davon aus, dass §22 Abs1 Z2 litb iVm §22 Abs3 GewO 1994 den zuständigen Bundesminister ermächtigt, im Wege einer (Befähigungsnachweis-) Verordnung Belege über eine entsprechende fachliche Tätigkeit als Nachweis der Befähigung für das Baumeistergewerbe festzulegen, und dabei diesen Nachweis der Befähigung in Übereinstimmung mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Erwerbs- sowie Berufsausbildungsfreiheit nicht nur durch das Zeugnis über eine fachliche Tätigkeit in dem betreffenden Gewerbe selbst, sondern auch "in einem dem Gewerbe fachlich nahestehenden Berufszweig" erbringen lässt. §22 Abs2 GewO 1994 bezeichnet in diesem Sinne als fachliche Tätigkeit gemäß Abs1 Z2 dieser Gesetzesbestimmung eine Tätigkeit schlechthin, "die geeignet ist, die Erfahrungen und Kenntnisse zu vermitteln, die zur selbständigen Ausübung des betreffenden Gewerbes erforderlich sind".
Daran anschließend hegte der Verfassungsgerichtshof folgendes Bedenken:
"Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, daß die Befähigung für das Baumeistergewerbe neben der erfolgreich abgelegten Befähigungsprüfung für dieses Gewerbe zwar zu Recht eine zweijährige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung zur Voraussetzung hat, wie dies §1 Abs1 Z2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung anordnet. Daß diese fachliche Tätigkeit in leitender Stellung aber ausschließlich 'im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994' zurückzulegen ist, wie §1 Abs2 jener Verordnung verlangt, scheint jedoch im Widerspruch zu der - verfassungskonform im Sinne der Art6 und 18 StGG ausgelegten - gesetzlichen Verordnungsermächtigung gemäß §22 Abs1 Z2 litb in Verbindung mit §22 Abs3 GewO 1994 zu stehen. Wie bereits dargestellt, dürfte nämlich eine gehörige fachliche Befähigung durch eine fachliche Tätigkeit in leitender Stellung 'als Bauleiter oder Polier' nicht nur im Rahmen einer Baumeistertätigkeit auf Grund einer Berechtigung nach §202 Abs1 GewO 1994 erworben und nachgewiesen werden können (- wovon die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid in Übereinstimmung mit §1 Abs2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung aber ausgegangen ist -), sondern die verfassungsgesetzliche Garantie gleichwertiger Ausbildungsalternativen gemäß Art18 StGG dürfte es erforderlich machen, entsprechende fachliche Tätigkeiten auch dann für die Beurteilung der Befähigung für das Baumeistergewerbe heranziehen zu lassen, wenn diese Betätigung außerhalb eines Baumeistergewerbes ... ausgeübt wurde.
Der Gerichtshof geht daher ... (mit der Vollzugspraxis der belangten Behörde) vorläufig davon aus, daß aus dem Zusammenhang zwischen §1 Abs1 Z2 und §1 Abs2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung hervorgeht, daß lediglich durch die fachliche Tätigkeit im Rahmen und auf Grund der Gewerbeberechtigung eines Baumeisters gemäß §202 GewO 1994 die Befähigung nachgewiesen werden kann und der Verordnungsgeber damit ausgeschlossen hat, daß eine zweijährige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung als Bauleiter oder Polier außerhalb des Baumeistergewerbes ebenfalls für die Erlangung der Befähigung für die Ausübung des Gewerbes der Baumeister herangezogen werden kann."
4. Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit erstattete eine Äußerung, in der er die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Wortfolge in der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung wie folgt zu begründen versucht:
Dem Bundesminister zufolge "liegt [es] auf der Hand, dass die berufliche Praxis grundsätzlich nur in dem Beruf erlangt werden kann, dessen selbstständige Ausübung angestrebt wird". Soll die praktische Befähigung gemäß §22 Abs1 Z2 litb GewO 1994 durch eine fachliche Tätigkeit in einem dem Gewerbe fachlich nahe stehenden Berufsweg erworben werden, so muss es sich nach Meinung des Bundesministers um "reglementierte Tätigkeiten handeln, dh. die Ausübung dieser Tätigkeiten muss an einen Nachweis der Qualifikation gebunden sein" und eine solche "Tätigkeit muss unter der fachlichen Aufsicht einer Person absolviert werden, die die erforderliche Qualifikation nachgewiesen hat". Ein Beamter, der in einer Abteilung für Wasser- und Abfallwirtschaft Arbeiten im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung für eine Gebietskörperschaft ohne Fachaufsicht durch einen Baumeister durchführe, arbeite nicht in einem fachlich nahe stehenden Berufszweig iSd
In der Folge versucht der Bundesminister durch einen Vergleich der bei der EFTA-Überwachungsbehörde notifizierten Tätigkeitsumschreibung des österreichischen Baumeisters mit der Aufgabenumschreibung der Abteilung Wasser- und Abfallwirtschaft des Amtes der Burgenländischen Landesregierung darzulegen, dass diese Aufgabengebiete "nur ein kleines Segment des Berechtigungsumfanges des Baumeistergewerbes abdecken". Auch bei einem Vergleich der Aufgaben der örtlichen Bauaufsicht mit denen eines Bauleiters bei einer ausführenden Firma zeige sich, dass jene "nicht mit einer Bauleitertätigkeit bei einem ausführenden Baumeisterbetrieb vergleichbar" seien.
Der Umstand, dass jemand in der Lage ist, das Ergebnis einer Tätigkeit zu kontrollieren und zu bewerten, bedeute noch nicht, dass der Überwachende die Tätigkeit selbst beherrscht. So sei "nicht jede Opernkritikerin auch eine Operndiva, nicht jeder Gourmetkritiker ein Meisterkoch".
Zusammenfassend führt der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit aus:
"Wenn im konkreten Fall die betreffende Gebietskörperschaft, ohne im Besitz einer Gewerbeberechtigung zu sein, Wasser- und Abwasseranlagen selbst errichtete und die örtliche Bauaufsicht und technische Oberleitung beim Beschwerdeführer lagen, wäre damit nur ein kleiner Teil jenes Tätigkeitsumfanges abgedeckt, der bei einem im freien Wettbewerb tätigen Baumeister anfällt. ...
Zusammenfassend ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit der Ansicht, dass das Erfordernis des Nachweises einer fachlichen Tätigkeit bei einem ausführenden Baumeisterbetrieb weder gesetzwidrig ist noch gegen Art6 StGG oder Art18 StGG verstößt, weil eine Tätigkeit außerhalb des Baumeistergewerbes nicht unter Aufsicht einer befähigten Person absolviert wird und der Berechtigungsumfang des Baumeisters und die daher notwendige Praxis so umfassend ist, dass sie in der notwendigen Intensität weder bei einer Gebietskörperschaft noch bei verwandten Berufszweigen erbracht werden kann."
II. 1. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften lauteten (vor
Inkrafttreten der Novelle zur GewO 1994 BGBl. I 111/2002 am 1. August 2002) auszugsweise:
"Befähigungsnachweis für gebundene Gewerbe
§22. (1) Die Befähigung für gebundene Gewerbe ist durch
Belege der folgenden Art nachzuweisen:
1. Zeugnis über eine erfolgreich abgelegte
Lehrabschlußprüfung;
2. Zeugnis über eine fachliche Tätigkeit
a) in dem betreffenden Gewerbe oder im Rahmen zusätzlicher
Befugnisse zur Ausübung anderer Gewerbe oder
b) in einem dem Gewerbe fachlich nahestehenden
Berufszweig;
3. Zeugnis über eine erfolgreich abgelegte Prüfung;
4. Zeugnis über die erfolgreich abgelegte Unternehmerprüfung (§23);
5. Zeugnis über den erfolgreichen Besuch einer Schule;
6. Zeugnis über den erfolgreichen Besuch eines Lehrganges.
(2) Unter fachlicher Tätigkeit (Abs1 Z2) ist eine Tätigkeit zu verstehen, die geeignet ist, die Erfahrungen und Kenntnisse zu vermitteln, die zur selbständigen Ausübung des betreffenden Gewerbes erforderlich sind. ...
(2a) ...
(3) Der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten hat - soweit nicht durch dieses Bundesgesetz schon eine Regelung getroffen worden ist - durch Verordnung festzulegen, durch welche der im Abs1 bezeichneten Belege - für sich allein oder in entsprechender Verbindung untereinander - die Befähigung für gebundene Gewerbe, gegebenenfalls für deren eingeschränkte Ausübung, nachzuweisen ist; in dieser Verordnung ist auch die Dauer einer allenfalls vorgesehenen fachlichen Tätigkeit (Abs1 Z2) festzulegen. Hiebei ist auf den jeweiligen Stand der Entwicklung des betreffenden Gewerbes, auf die von Personen, die Leistungen des Gewerbes in Anspruch nehmen, üblicherweise gestellten Anforderungen, auf Gefahren für Leben, Gesundheit oder Eigentum, die von der Gewerbeausübung ausgehen können, auf die an die selbständige Ausübung des Gewerbes zu stellenden Anforderungen und auf die für das Gewerbe geltenden besonderen Rechtsvorschriften Bedacht zu nehmen.
(4) Wenn es Gründe der Abwehr von besonderen Gefahren für das Leben oder die Gesundheit von Menschen erfordern, hat der Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten - soweit nicht durch dieses Bundesgesetz schon eine Regelung getroffen worden ist - unter Bedachtnahme auf die Gesichtspunkte des Abs3 zweiter Satz durch Verordnung festzulegen, daß der Nachweis bestimmter oder aller in einer Verordnung im Sinne des Abs3 angeführten Zeugnisse betreffend den Nachweis der Befähigung nicht gemäß §28 Abs1 bis 5 nachgesehen werden darf.
(5) - (10) ..."
"b) Bewilligungspflichtige gebundene Gewerbe
§127. Folgende gebundene Gewerbe dürfen erst nach Erlangung einer Bewilligung ausgeübt werden:
1.- 3. ...
- 4. Baumeister, Brunnenmeister;
- 5. - 21. ..."
Die §§202 und 204 GewO 1994:
"Baumeister
§202. (1) Der Baumeister ist berechtigt,
1. Hochbauten, Tiefbauten und andere verwandte Bauten zu planen und zu berechnen,
2. Hochbauten, Tiefbauten und andere verwandte Bauten zu leiten,
3. Hochbauten, Tiefbauten und andere verwandte Bauten nach Maßgabe des §201 Abs4 und des Abs3 auch auszuführen und Hochbauten, Tiefbauten und andere verwandte Bauten abzubrechen.
(2) - (5) ..."
"Zulässige Bezeichnungen
§204. (1) Nur Gewerbetreibende, deren Gewerbeberechtigung das Recht zur umfassenden Planung gemäß §202 Abs1 Z1 beinhaltet, dürfen die Bezeichnung 'Baumeister' verwenden. Gewerbetreibende, die zur Ausübung des Baumeistergewerbes eingeschränkt auf die Ausführung von Bauten berechtigt sind, dürfen keine Bezeichnung verwenden, die den Eindruck erwecken könnte, daß sie zur Planung von Bauten berechtigt sind.
(2) ..."
§1 Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. 294/1996, lautete (die in Prüfung gezogene Verordnungsstelle ist hervorgehoben):
"Baumeistergewerbe
§1. (1) Die Befähigung für die Ausübung des Gewerbes der Baumeister gemäß §127 Z4 der Gewerbeordnung 1994 ist nachzuweisen durch:
1. das Zeugnis über die erfolgreich abgelegte Befähigungsprüfung für das Baumeistergewerbe und
2. das Zeugnis über eine zweijährige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung (Abs2).
(2) Unter einer fachlichen Tätigkeit in leitender Stellung im Sinne des Abs1 Z2 ist eine im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994 zurückgelegte Tätigkeit als Bauleiter oder Polier zu verstehen."
§3 Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung lautete auszugsweise:
"Nachsichtsverbote vom Befähigungsnachweis
§3. (1) Der Nachweis der Befähigung für das Baumeistergewerbe darf nicht gemäß §28 Abs1 bis 5 GewO 1994 nachgesehen werden.
(2) - (4) ..."
2. Durch die Novelle zur GewO 1994 BGBl. I 111/2002 ergeben sich folgende, hier maßgebliche Änderungen der Rechtslage:
§375 Abs1 Z74 lautet:
"Die nach den §§18 bis 22 und 351 Abs5 in der Fassung vor dem In-Kraft-Treten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 111/2002, erlassenen Verordnungen betreffend den Befähigungsnachweis für Handwerke und gebundene Gewerbe gelten als Bundesgesetze weiter und treten mit Erlassung einer Verordnung gemäß den §§18, 21 oder 22 oder §352a für das betreffende reglementierte Gewerbe außer Kraft. Von der Weitergeltung sind die Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Zulassung zu einer Prüfung und die Zuständigkeit zur Prüfungsorganisation ausgenommen."
Gemäß §382 Abs11 GewO 1994 idF der Novelle BGBl. I 111/2002 trat die zitierte Bestimmung mit dem auf die Kundmachung dieses Gesetzes folgenden Monatsersten, das ist der 1. August 2002, in Kraft.
Die in Prüfung gezogene Bestimmung (siehe oben die Wiedergabe des §1 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung) galt als Verordnung bis 31. Juli 2002.
III. 1. Es ist nichts hervorgekommen, was an der Zulässigkeit der Anlassbeschwerde oder an der Präjudizialität des in Prüfung gezogenen Teiles der Verordnung für die Entscheidung im Anlassbeschwerdeverfahren zweifeln ließe. Das Verordnungsprüfungsverfahren ist daher zulässig.
2. Die im Prüfungsbeschluss vor dem Hintergrund der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG sowie auf Berufsausbildungsfreiheit gemäß Art18 StGG geäußerten Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit von Teilen des §1 Abs2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. 294/1996, treffen zu:
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Judikatur zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung gemäß Art6 StGG dargetan, dass gesetzliche, die Erwerbsausübungsfreiheit beschränkende Regelungen auf Grund des diesem Grundrecht angefügten Gesetzesvorbehaltes nur dann zulässig sind, wenn sie durch das öffentliche Interesse geboten, zur Zielerreichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich zu rechtfertigen sind. Er ist ferner (vgl. zum Folgenden VfSlg. 12.578/1990, 13.485/1993, 13.560/1993, 14.304/1995) davon ausgegangen, dass die Festsetzung von Bedingungen für den Antritt eines Erwerbszweiges im Sinn des Art6 StGG in Zusammenhalt mit der Berufswahl- und -ausbildungsfreiheit gemäß Art18 StGG verstanden werden muss. Wenn es gemäß Art18 StGG jedermann freisteht, "seinen Beruf zu wählen, wie und wo er will", so ist der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber zwar nicht gehindert, gemäß Art6 StGG für den Antritt eines Erwerbszweiges entsprechende, für die Ausübung des Erwerbszweiges erforderliche und adäquate Ausbildungsgänge vorzuschreiben; er ist jedoch verfassungsrechtlich verpflichtet - soll das im Art18 StGG gewährleistete Recht neben Art6 StGG Bedeutung besitzen -, sachlich gleichwertige Ausbildungsalternativen zu berücksichtigen. Der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber darf sohin auf Grund des Gesetzesvorbehaltes des Art6 StGG zweifelsohne Regelungen treffen, mit denen der Erwerbsantritt von der Absolvierung bestimmter Berufsausbildungsgänge einschließlich entsprechender fachlicher Tätigkeiten abhängig gemacht wird; also von fachlichen Tätigkeiten, die geeignet sind, die Erfahrungen und Kenntnisse zu vermitteln, die für einen bestimmten Beruf erforderlich sind, und die daher im öffentlichen Interesse gelegen, zu dessen Verwirklichung geeignet, adäquat und auch sonst sachlich gerechtfertigt sind. Er ist jedoch kraft Art18 StGG verhalten, dabei die Absolvierung ihrer Art nach gleichwertiger Ausbildungsgänge zuzulassen und insbesondere auch gleichwertige Tätigkeiten zum Zwecke der Berufsausbildung gleich zu behandeln. Verfassungswidrig wäre - weil sie Art6 iVm Art18 StGG zuwiderlaufen würde - sohin eine rechtliche Regelung, welche fachliche Tätigkeiten als Ausbildungsmöglichkeiten ausschließt, obwohl diese das Ausbildungsziel verwirklichen lassen.
Dabei besitzt der Gesetz- wie auch der Verordnungsgeber hinsichtlich des Ausbildungszieles ein beträchtliches Maß an Gestaltungsfreiheit. Sind jedoch im Hinblick auf das Ausbildungsziel sachlich gleichwertige Ausbildungsalternativen evidentermaßen vorhanden, so sind diese Ausbildungsalternativen kraft Art18 StGG ohne Diskriminierung zu berücksichtigen (so - in Zusammenhang mit gewerberechtlichen Befähigungsnachweisen - bereits VfSlg. 13.485/1993).
2.2. Unbestritten ist (vgl. schon VfSlg. 13.485/1993, S 651), dass das von der GewO 1994 (idF vor der Novelle BGBl. I 111/2002) normativ verwirklichte System zur Erreichung eines bestimmten Standards gewerblicher Leistungen, der durch eine entsprechende Befähigung der Gewerbeberechtigten sichergestellt werden soll, im öffentlichen Interesse gelegen ist und daher gegen das normative Erfordernis einer fundierten Berufsvorbildung sowie einer ausreichenden praktischen Tätigkeit prinzipiell keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Dies muss umso mehr für die mit besonderen Anforderungen verbundenen Gewerbeberechtigungen wie für jene des Baumeistergewerbes gelten, bei denen den besonderen Gefahren für Leben und Gesundheit, die mit der Ausübung der betreffenden gewerblichen Tätigkeit, wie etwa mit einer nicht sachgerechten Planung und Errichtung von Bauwerken verbunden sind, nur durch eine entsprechende Berufsvorbildung einschließlich einer vorangehenden gehörigen fachlichen Tätigkeit begegnet werden kann.
Die besonderen fachlichen Anforderungen an bestimmte gewerbliche Tätigkeiten (wie etwa an Baumeister gemäß §202 GewO 1994) ändern jedoch nichts daran, dass auch für diese gewerblichen Tätigkeiten fachlich gleichwertige Ausbildungsalternativen gemäß Art18 StGG vom Gesetzgeber und in Durchführung des Gesetzes vom Verordnungsgeber gehörig zu berücksichtigen sind. Wenn §22 Abs2 GewO 1994 davon ausgeht, dass der Nachweis einer fachlichen Tätigkeit als Teil des Befähigungsnachweises jede Tätigkeit umfasst, "die geeignet ist, die Erfahrungen und Kenntnisse zu vermitteln, die zur selbständigen Ausübung des betreffenden Gewerbes erforderlich sind", so rechnet §22 Abs1 Z2 leg.cit. - dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art18 StGG zur Anerkennung sachlich gleichwertiger Ausbildungsalternativen folgend - nicht nur mit fachlichen Tätigkeiten, die in dem betreffenden Gewerbe selbst als Ausbildungsvoraussetzung absolviert werden, sondern auch mit fachlichen Tätigkeiten, die gemäß §22 Abs1 Z2 litb GewO 1994 "in einem dem Gewerbe fachlich nahestehenden Berufszweig" erbracht wurden.
2.3. §1 Abs1 Z2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung fordert für den Nachweis der Befähigung für die Ausübung des Gewerbes der Baumeister "das Zeugnis über eine zweijährige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung". Als derartige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung versteht §1 Abs2 leg.cit. lediglich die "im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994 zurückgelegte Tätigkeit als Bauleiter oder Polier".
Die im Prüfungsbeschluss zur Diskussion gestellte Auslegungsmöglichkeit, die durch §1 Abs1 Z2 Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung geforderte zweijährige fachliche Tätigkeit gemäß Abs2 dieser Bestimmung "- gleichsam demonstrativ -" nicht nur "im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994" zurücklegen zu lassen, sondern auch durch eine anderweitige fachlich gleichwertige Tätigkeit als Bauleiter oder Polier absolvieren zu lassen, ist auf Grund der klaren Absicht des Verordnungsgebers, wie sie auch in der Äußerung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit im vorliegenden Verfahren zum Ausdruck gelangt, auszuschließen. Vielmehr geht die Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung (im Verein mit der diese in seiner Äußerung verteidigenden Behörde) davon aus, dass eine Tätigkeit außerhalb des Baumeistergewerbes wo und wie auch immer die Befähigung zur Ausübung des Baumeistergewerbes nicht vermittelt.
Der Verfassungsgerichtshof bleibt demgegenüber bei seiner Auffassung, dass zwar für die Befähigung zum Baumeistergewerbe neben der erfolgreich abgelegten Befähigungsprüfung für dieses Gewerbe auch eine zweijährige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung gefordert werden kann, wie dies §1 Abs1 Z2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung festlegt. Dass diese fachliche Tätigkeit in leitender Stellung aber ausschließlich "im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994" zurückzulegen ist, wie §1 Abs2 jener Verordnung verlangt, steht im Widerspruch zur gesetzlichen Verordnungsermächtigung des §22 Abs1 Z2 litb iVm §22 Abs3 GewO 1994, wird diese Vorschrift verfassungskonform in Übereinstimmung mit den grundrechtlichen Wertungen der Art6 und 18 StGG ausgelegt. Auch der Bundesminister konnte nämlich in seiner Äußerung nicht hinlänglich begründen, dass eine gehörige fachliche Befähigung für das Baumeistergewerbe durch eine fachliche Tätigkeit in leitender Stellung "als Bauleiter oder Polier" ausschließlich bei einem mit der Berechtigung nach §202 Abs1 GewO 1994 ausgestatteten Baumeister erworben werden kann. Vielmehr können auch die mit der Bauleitung betrauten Bediensteten der Bauabteilungen großer Unternehmungen oder öffentlicher Verwaltungen, bei denen Bauwerke in Eigenregie geplant, kalkuliert und errichtet werden, eine gleich verantwortungsvolle Tätigkeit auszuüben haben wie die bei einem gewerblichen Baumeister angestellten Bauleiter oder Poliere. Dass jene ebenso wie diese einer entsprechenden (fachlichen) Überwachung unterliegen (müssen), ergibt sich entgegen der Auffassung des Bundesministers aus der Art der Tätigkeit sowie aus dem jeweiligen innerorganisatorischen Verantwortungszusammenhang. Ob und wieweit in dem die amtswegige Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens begründenden Anlassverfahren B697/00 eine derartige - gleichwertige - Tätigkeit vorlag, ist für die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnungsregelung unbeachtlich, sodass auch die dagegen ins Treffen geführten Argumente des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit im vorliegenden (Normprüfungs-)Verfahren belanglos sind.
Die verfassungsgesetzliche Garantie gleichwertiger Ausbildungsalternativen gemäß Art18 StGG iVm den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit des Erwerbsantritts gemäß Art6 StGG macht es, wie gezeigt, auch für das Baumeistergewerbe erforderlich, dass der Verordnungsgeber die gesetzliche Regelung des §22 Abs1 Z2 litb GewO 1994 gehörig beachtet, wonach die für die Befähigung für das Baumeistergewerbe erforderliche fachliche Tätigkeit nicht nur "in dem betreffenden Gewerbe", sondern auch "in einem dem Gewerbe fachlich nahestehenden Berufszweig" erworben werden kann.
Durch die in Prüfung gezogene, nunmehr teilweise als gesetzwidrig erachtete Wortfolge des §1 Abs2 der Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung hat der Verordnungsgeber somit in gesetzwidriger Weise lediglich die fachliche Tätigkeit "im Rahmen" der Gewerbeberechtigung eines Baumeisters gemäß §202 GewO 1994 als befähigungsbegründend angesehen. Er hat damit ausgeschlossen, dass eine die gleiche fachliche Befähigung vermittelnde zweijährige fachliche Tätigkeit in leitender Stellung als Bauleiter oder Polier, die nicht bei einem gewerblichen Bauunternehmen absolviert wird, sondern im Rahmen der eigenen baulichen Tätigkeit gewerblicher Unternehmungen oder öffentlicher Verwaltungen geleistet wird, für den Nachweis der Befähigung herangezogen werden kann.
Die in Prüfung gezogene Wortfolge des §1 Abs2 Baugewerbe-Befähigungsnachweisverordnung, BGBl. 294/1996, verstieß sohin insoweit gegen die in Übereinstimmung mit Art6 und 18 StGG ausgelegten Vorschriften des §22 Abs1 Z2 litb, Abs2 und 3 GewO 1994, als durch die Wort- und Zahlenfolge "gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994" nur die Tätigkeit als Bauleiter oder Polier bei einem gewerblichen Baumeister für die Befähigung maßgeblich ist. Da diese Wortfolge auf Grund des §375 Abs1 Z74 GewO 1994 idF BGBl. I 111/2002 nicht mehr als Verordnung in Geltung steht (vgl. Pkt. II.2.), war auszusprechen, dass diese Bestimmung gesetzwidrig war.
Da die ebenfalls in Prüfung gezogene Wortfolge "im Rahmen einer ausführenden Baumeistertätigkeit" sowie das Wort "zurückgelegte" in §1 Abs2 der zitierten Verordnung für sich allein dem §22 Abs1 Z2 litb GewO 1994 nicht länger widerspricht, war auszusprechen, dass jene Wortfolgen nicht gesetzwidrig waren.
Die Verpflichtung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit zur Kundmachung des Ausspruches, dass die Wortfolge "gemäß §202 Abs1 Z3 GewO 1994" gesetzwidrig war, stützt sich auf Art139 Abs5
B-VG.
Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
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