VfGH V142/2015 ua

VfGHV142/2015 ua13.6.2016

Zurückweisung von Gerichtsanträgen auf Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen der FremdenpolizeiG-DurchführungsV betreffend Grundsätze bei Vollziehung des §76 FremdenpolizeiG wegen Antragstellung nach Abschluss der gerichtlichen Verfahren

Normen

B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
VfGG §57
FremdenpolizeiG 2005, BGBl I 87/2012 §76
FremdenpolizeiG-DurchführungsV §9a Abs4, §21 Abs9
PersFrSchG 1988 Art6
B-VG Art139 Abs1 / Allg
B-VG Art139 Abs1 / Präjudizialität
VfGG §57
FremdenpolizeiG 2005, BGBl I 87/2012 §76
FremdenpolizeiG-DurchführungsV §9a Abs4, §21 Abs9
PersFrSchG 1988 Art6

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Anträge

Mit den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Anträgen begehrt das Bundesverwaltungsgericht festzustellen, dass §9a Abs4 und §21 Abs9 der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (Fremdenpolizeigesetz-Durchführungsverordnung – FPG‑DV), BGBl II 450/2005 idF BGBl II 143/2015, gesetzwidrig waren.

II. Rechtslage

Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Verordnungsbestimmungen sind hervorgehoben):

1. Art2 der Verordnung (EU) Nr 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin-III-VO), lautet auszugsweise wie folgt:

"Artikel 2

Definitionen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a) – m) […]

n) 'Fluchtgefahr' das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte."

2. §76 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005, lautete in der Fassung BGBl I 87/2012 wie folgt:

"Schubhaft und gelinderes Mittel

Schubhaft

§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Anordnung zur Außerlandesbringung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(1a) Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Das Bundesamt kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare – wenn auch nicht rechtskräftige – Rückkehrentscheidung erlassen wurde;

2. gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gemäß §27 AsylG 2005 eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, eine durchsetzbare Anordnung zur Außerlandesbringung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

(2a) Das Bundesamt hat über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn

1. gegen ihn eine zurückweisende Entscheidung gemäß §§4a oder 5 AsylG 2005 und eine durchsetzbare Anordnung zur Außerlandesbringung oder eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß §12a Abs1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt;

2. eine Mitteilung gemäß §29 Abs3 Z4 bis 6 AsylG 2005 erfolgt ist und der Asylwerber die Gebietsbeschränkung gemäß §12 Abs2 AsylG 2005 verletzt hat;

3. der Asylwerber die Meldeverpflichtung gemäß §15a AsylG 2005 mehr als einmal verletzt hat;

4. der Asylwerber, gegen den gemäß §27 AsylG 2005 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet wurde, der Mitwirkungsverpflichtung gemäß §13 Abs2 BFA‑VG nicht nachgekommen ist;

5. der Asylwerber einen Folgeantrag (§2 Abs1 Z23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, oder

6. sich der Asylwerber gemäß §24 Abs4 AsylG 2005 ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat, soweit eine der Voraussetzungen des Abs2 Z1 bis 4 vorliegt,

und die Schubhaft für die Sicherung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstehen.

(3) Die Schubhaft ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(4) (Anm.: aufgehoben durch BGBl I Nr 87/2012)

(5) Wird eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während der Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrecht erhalten werden. Liegen die Voraussetzungen des Abs2 oder 2a vor, gilt die Schubhaft als nach Abs2 oder 2a verhängt. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Anordnung der Schubhaft gemäß Abs2 oder 2a ist mit Aktenvermerk festzuhalten.

(7) (Anm.: aufgehoben durch BGBl I Nr 87/2012)".

3. §9a der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (Fremdenpolizeigesetz-Durchführungsverordnung – FPG-DV), BGBl II 450/2005, lautete idF BGBl II 143/2015 wie folgt:

"Grundsätze bei der Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des FPG

§9a. (1) Für die Durchsetzung der gemäß dem 7., 8. und 11. Hauptstück eingeräumten Befugnisse und der durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erteilten Auftrage gilt für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes §13 Abs3 FPG sinngemäß.

(2) Als Rückübernahmeabkommen gemäß §52 Abs3 FPG gelten nur solche, die bereits zum 13. Jänner 2009 in Geltung gestanden haben.

(3) Im Rahmen von Abschiebungen gemäß §46 FPG, die auf dem Luftweg durchgeführt werden, ist der Entscheidung des Rates 2004/573/EG betreffend die Organisation von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die individuellen Rückführungsmaßnahmen aus dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten, ABl. Nr L 261 vom 6.08.2004 S. 28, Rechnung zu tragen.

(4) Sicherungsbedarf und Fluchtgefahr im Sinne des §76 FPG liegen vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§2 Abs1 Z23 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I Nr 100) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund §34 Abs3 Z1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I Nr 87/2012, angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Verordnung (EU) Nr 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.06.2013, S. 31, zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§56 oder 71 FPG, §13 Abs2 BFA‑VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes."

4. Die Inkrafttretens-Regelung des §21 FPG‑DV lautete in der Fassung BGBl II 143/2015 auszugsweise wie folgt:

"Schlussbestimmung

§21. (1) – (8) […]

(9) §9a Abs4 in der Fassung der Verordnung der Bundesministerin für Inneres BGBl II Nr 143/2015, tritt mit Ablauf des Tages der Kundmachung in Kraft. §9a Abs4 tritt mit Ablauf des 19. Juli 2015 außer Kraft."

5. §22a des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 70/2015, lautet wie folgt:

"Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft

§22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs1 gelten die für Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B‑VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß §13 Abs3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."

6. §57 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, BGBl 85/1953 idF BGBl I 101/2014, lautet auszugsweise wie folgt:

"F. Bei Prüfung der Gesetzmäßigkeit von Verordnungen (Art139 B‑VG)

§57. (1) Der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, muss begehren, dass entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalt nach oder dass bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden. Der Antrag hat die gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Wird ein solcher Antrag von einer Person gestellt, die unmittelbar durch die Gesetzwidrigkeit der Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet (Art139 Abs1 Z3 B‑VG), so ist auch darzutun, inwieweit die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für sie wirksam geworden ist.

(2) […]

(3) Hat ein Gericht (Art139 Abs1 Z1 B‑VG) einen Antrag auf Aufhebung einer Verordnung oder von bestimmten Stellen einer solchen gestellt, so dürfen in dem bei ihm anhängigen Verfahren bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

(4) Hat das Gericht (Art139 Abs1 Z1 B‑VG) die Verordnung, deren Aufhebung beantragt wurde, nicht mehr anzuwenden, so ist der Antrag unverzüglich zurückzuziehen."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem zu V142/2015 protokollierten Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2. Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 11. Juni 2015 wurde über die beteiligte Partei die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung gemäß Art28 Dublin-III-VO und §76 Abs1 FPG iVm §9a Abs4 FPG‑DV verhängt und einer Beschwerde gegen den Bescheid die aufschiebende Wirkung aberkannt. Begründend führte das BFA aus, dass die beteiligte Partei nach zwei erfolgten Abschiebungen nach Ungarn unrechtmäßig nach Österreich zurückgekehrt und nicht dazu bereit gewesen sei, sich dem Verfahren in Österreich zu stellen. Nach Ansicht des BFA lägen zudem die Voraussetzungen des §76 Abs1 FPG iVm §9a Abs4 Z2, 3 und 9 FPG‑DV für die Verhängung der Schubhaft vor, da ein beträchtliches Risiko eines Untertauchens bestehe.

3. Gegen diesen Bescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft erhob die beteiligte Partei Beschwerde an das Bundeverwaltungsgericht. Darin führte sie unter anderem aus, dass §9a Abs4 FPG‑DV über §76 FPG hinausgehe und insoweit gesetzwidrig sei. Insbesondere kämen die Begriffe der "Fluchtgefahr" und des "Sicherungsbedarfes", die in §9a Abs4 FPG‑DV verwendet würden, in §76 FPG selbst nicht vor. Da es sich ferner beim Unionsrecht um keine geeignete Rechtsgrundlage iSd Art18 Abs2 B‑VG handle, käme auch Art2 litn Dublin-III-VO, der den Begriff der Fluchtgefahr definiere, als gesetzliche Grundlage für §9a Abs4 FPG‑DV nicht in Betracht. Gestützt auf diese Ausführungen regte die beteiligte Partei deshalb an, beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung des §9a Abs4 FPG‑DV zu stellen.

3.1. Mit Erkenntnis vom 22. Juni 2015 stellte das Bundesverwaltungsgericht gemäß §22a Abs3 BFA‑VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen iSd Art28 Dublin-III-VO iVm §76 Abs2 Z3 FPG und §9a Abs4 Z1, 2, 3 und 5 FPG‑DV vorlägen. Gegen diese Entscheidung erhob die beteiligte Partei eine auf Art144 Abs1 B‑VG gestützte und zu E1376/2015 protokollierte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.

3.2. Mit Beschluss vom 30. Oktober 2015 stellte das Bundesverwaltungsgericht sodann den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 iVm Art89 Abs2 B‑VG gestützten Antrag, festzustellen, dass §9a Abs4 sowie §21 Abs9 FPG‑DV gesetzwidrig waren.

3.3. Auch den übrigen Anträgen des Bundesverwaltungsgerichtes liegen ähnliche Sachverhalte und gleichartige Entscheidungen zugrunde: So wurden auch dort noch vor der Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof Entscheidungen über die Schubhaftbeschwerden getroffen, die zum Teil beim Verfassungsgerichtshof bekämpft sind (vgl. betreffend V145/2015 die zu E1596/2015 protokollierte Beschwerde) bzw. gegen die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben worden ist (V 148/2015). Die vor Stellung des Antrages zu V146/2015 getroffene Entscheidung wurde demgegenüber nicht bekämpft, da mit ihr festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorgelegen seien.

4. In seinem Erkenntnis vom 22. Juni 2015 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Frage, ob trotz Erledigung der Schubhaftbeschwerde ein Antrag gemäß Art139 Abs1 Z1 B‑VG zulässig sei, Folgendes aus:

"Der Beschwerdeführer releviert Bedenken gegen §9a Abs4 FPG‑DVO. Gemäß Art139 Abs1 [Z1] B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag eines Verwaltungsgerichts über die Gesetzmäßigkeit von Verordnungen.

Das Fremdenpolizeigesetz sieht keine Kundmachungsbestimmungen für Verordnungen vor. Die Verordnung der Bundesministerin für Inneres wurde gemäß §4 Abs1 Z2 BGBlG gehörig kundgemacht. Das Bundesverwaltungsgericht hat §9a Abs4 FPG‑DVO sohin anzuwenden; die Prüfung gehörig kundgemachter Verordnungen steht dem Bundesverwaltungsgericht gemäß Art89 Abs1 iVm Art135 Abs4 B‑VG nicht zu.

Hat ein Gericht einen Antrag auf Aufhebung einer Verordnung nach Art139 Abs1 Z1 […] B‑VG gestellt, so dürfen gemäß §57 Abs3 VfGG in dem bei ihm anhängigen Verfahren bis zur Verkündung bzw. bis zur Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen oder Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten. Die Zeit eines Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof ist gemäß §34 Abs2 Z2 VwGVG nicht in die Entscheidungsfrist einzurechnen.

Gemäß Art6 Abs1 PersFrBVG hat jeder, der festgenommen oder angehalten wird, das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Fall dessen Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet. Daher ist das Bundesverwaltungsgericht verpflichtet, binnen einer Woche über das Vorliegen der Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft zu entscheiden. Durch diese Entscheidung ist das Verfahren nach §22a Abs3 BFA‑VG beendet. Hat das Gericht die Verordnung, die es anficht, (in diesem Verfahren) nicht mehr anzuwenden – was bei Beendigung des Verfahrens der Fall wäre – hat es aber den Antrag aber nach §57 Abs4 VfGG beim Verfassungsgerichtshof zurückzuziehen.

Das Stellen eines Verordnungsprüfungsantrages innerhalb der einwöchigen Entscheidungsfrist gemäß §34 Abs1 VwGVG iVm Art6 Abs1 PersFrBVG hingegen würde dazu führen, dass gemäß §57 Abs2 VfGG eine Entscheidung gemäß §22a Abs3 BFA‑VG bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes unzulässig wäre, weil sie zwar keinen Aufschub duldet, die Frage aber endgültig erledigt. Dass auf der einfachgesetzlichen Ebene des §34 Abs2 Z2 VwGVG normiert ist, dass die Zeit des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in die Entscheidungsfrist eingerechnet wird, ändert nichts daran, dass der Ausspruch nach §22a Abs3 BFA‑VG diesfalls nicht innerhalb der vom infolge der Aufhebung des §22a Abs2 BFA‑VG unmittelbar anwendbaren Art6 Abs1 PersFrBVG festgelegten Frist von einer Woche ab Beschwerdeerhebung erfolgen würde.

Aus diesem Grund sieht das Bundesverwaltungsgericht von der Stellung eines Verordnungsprüfungsantrages im Verfahren über den Fortsetzungsausspruch ab. Der Beschwerdeführer kann in einer Beschwerde gegen diese Entscheidung seine Bedenken an den Verfassungsgerichtshof herantragen und dadurch Rechtsschutz auch in dieser Frage erlangten."

5. Die Bundesministerin für Inneres hat die Verordnungsakten vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der sie die Zurückweisung der zu V145/2015, V146/2015 und V148/2015 protokollierten Anträge begehrt und im Übrigen den vom Bundesverwaltungsgericht dargelegten Bedenken entgegentritt. Zudem führt die Bundesministerin für Inneres aus, dass es gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verstoße, dass in einer anderen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes (beim Verfassungsgerichtshof angefochten zu E1484/2015) keine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof erfolgt sei.

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Replik erstattet, in der es den Ausführungen der Bundesministerin für Inneres entgegentritt.

IV. Erwägungen

1. Die – gemäß §§187, 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen – Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes sind unzulässig:

2. Gemäß §22a Abs1 BFA‑VG hat ein Fremder das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist, er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde. Wurde eine solche Beschwerde erhoben, so hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß §22a Abs2 leg.cit. binnen einer Woche über die Fortsetzung der Schubhaft zu entscheiden, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Dauert die Anhaltung hingegen noch an, so hat das Bundesverwaltungsgericht gemäß §22a Abs3 leg.cit. festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

3. Den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Anträgen liegen allesamt Entscheidungen nach §22a Abs3 BFA‑VG zugrunde, mit denen das Bundesverwaltungsgericht festgestellt hat, ob die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft gegeben sind. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Bundesverwaltungsgericht in diesen Verfahren die von ihm nunmehr angefochtenen Bestimmungen des §9a Abs4 sowie des §21 Abs9 FPG‑DV anzuwenden gehabt hat. Denn die Anträge auf Aufhebung der genannten Bestimmungen wurden jedenfalls nicht während dieser Verfahren, sondern vielmehr erst nach deren Beendigung durch Erlassung einer Entscheidung gemäß §22a Abs3 BFA‑VG gestellt. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 18.143/2007 ausgesprochen hat, liegt in einem solchen Fall aber für das antragstellende Gericht überhaupt kein Fall mehr vor, aus dessen Anlass es befugt und verpflichtet wäre, seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen von ihm anzuwendende Rechtsnormen gemäß Art139 Abs1 Z1 B‑VG an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Nach Abschluss seines Verfahrens hat das Gericht die angefochtenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Verfassungsgesetzgeber in Art6 PersFrBVG dazu verpflichtet, (erstmals nach Festnahme oder Anhaltung) innerhalb einer Frist von einer Woche über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges zu entscheiden.

4. Damit erweisen sich aber die vorliegenden Anträge des Bundesverwaltungsgerichts als unzulässig.

V. Ergebnis

1. Die Anträge sind daher zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte