VfGH G89/04

VfGHG89/0428.9.2004

Keine sachliche Rechtfertigung des generellen Ausschlusses der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für ein ordentliches Universitätsstudium im Gegensatz zu Aufwendungen für andere Aus- oder Fortbildungsmaßnahmen, wie etwa Fachhochschulstudien

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs3 und Abs4
EStG 1988 §16 Abs1 Z10 idF SteuerreformG 2000, BGBl I 106/1999, §124b
EStG 1988 §16 Abs1 Z10 idF BGBl I 155/2002
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs3 und Abs4
EStG 1988 §16 Abs1 Z10 idF SteuerreformG 2000, BGBl I 106/1999, §124b
EStG 1988 §16 Abs1 Z10 idF BGBl I 155/2002

 

Spruch:

Die Worte "oder im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium" im letzten Satz des §16 Abs1 Z10 Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. 400, in der Fassung BGBl. I 2002/155, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zl. B435/04 ein Verfahren über eine Beschwerde nach Art144 B-VG gegen einen im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates anhängig, in dem es vor allem um die Frage geht, inwieweit Aufwendungen, die im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium stehen, als Werbungskosten iSd. §16 Abs1 Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. 400, idF BGBl. I 2002/155, (EStG 1988) steuerlich abzugsfähig sind.

2. Der Verfassungsgerichtshof beschloss aus Anlass dieser Beschwerde am 28. Juni 2004, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Worte "oder im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium" im letzten Satz des §16 Abs1 Z10 Einkommensteuergesetz 1988 in der genannten Fassung einzuleiten.

3. Die Bundesregierung hat im Gesetzesprüfungsverfahren von einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.

II. 1.1. §16 Abs1 Z10 EStG 1988, BGBl. 400, in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I 2002/155, lautet wie folgt (die in Prüfung gezogene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§16. (1) Werbungskosten sind die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Aufwendungen und Ausgaben für den Erwerb oder Wertminderungen von Wirtschaftsgütern sind nur insoweit als Werbungskosten abzugsfähig, als dies im folgenden ausdrücklich zugelassen ist. Hinsichtlich der durchlaufenden Posten ist §4 Abs3 anzuwenden. Werbungskosten sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind.

Werbungskosten sind auch:

...

10. Aufwendungen für Aus- und Fortbildungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der vom Steuerpflichtigen ausgeübten oder einer damit verwandten beruflichen Tätigkeit und Aufwendungen für umfassende Umschulungsmaßnahmen, die eine Tätigkeit in einem neuen Berufsfeld ermöglichen. Aufwendungen für Nächtigungen sind jedoch höchstens im Ausmaß des den Bundesbediensteten zustehenden Nächtigungsgeldes der Höchststufe bei Anwendung des §13 Abs7 der Reisegebührenvorschrift zu berücksichtigen. Keine Werbungskosten stellen Aufwendungen dar, die im Zusammenhang mit dem Besuch einer allgemeinbildenden (höheren) Schule oder im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium stehen."

(Ordentliche [Universitäts]Studien waren gemäß §4 Z2 Universitäts-Studiengesetz, BGBl. 1997/48, - welche Bestimmung kraft §143 Abs9 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I 120, mit Ablauf des 31. Dezember 2003 außer Kraft getreten ist - die Bakkalaureatsstudien, die Magisterstudien, die Diplomstudien und die Doktoratsstudien.)

1.2. Die steuerliche Abzugsfähigkeit von Aufwendungen sowohl für Aus-, als auch für Fortbildungsmaßnahmen wurde mit §16 Abs1 Z10 EStG 1988 idFd. Steuerreformgesetzes 2000, BGBl. I 1999/106, erstmals explizit geregelt. Bis dahin wurde zwischen - bei beruflicher Veranlassung - abzugsfähigen Fortbildungskosten und generell nicht abzugsfähigen Ausbildungskosten differenziert. Aufwendungen im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium oder einem Fachhochschulstudium stellten dabei nach der Rechtsprechung - grundsätzlich - nicht abzugsfähige Ausbildungskosten dar (vgl. VfSlg. 13.696/1994 sowie etwa VwSlg. 5571 F/1981; VwGH 23.5.1996, 95/15/0038; VwSlg. 7097 F/1996).

1.3. Mit dem Bundesgesetz BGBl. I 2002/155 wurde der erste Satz des §16 Abs1 Z10 EStG 1988 dahingehend erweitert, dass auch "Aufwendungen für umfassende Umschulungsmaßnahmen, die eine Tätigkeit in einem neuen Berufsfeld ermöglichen", als Werbungskosten gelten. Gemäß §124b Z75 EStG 1988 ist §16 Abs1 Z10 leg. cit. in dieser Fassung erstmals bei der Veranlagung der Einkommensteuer für das Kalenderjahr 2003 bzw. für Lohnzahlungszeiträume, die nach dem 31. Dezember 2002 enden, anzuwenden.

1.4. Schließlich wurde mit dem Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I 2003/71, §16 Abs1 Z10 EStG 1988 mittlerweile dahin geändert, dass - im Hinblick auf §124b Z77 EStG 1988 erstmalig bei der Veranlagung der Einkommensteuer für das Kalenderjahr 2004 bzw. für Lohnzahlungszeiträume, die nach dem 31. Dezember 2003 enden - Studienbeiträge für ein ordentliches Universitätsstudium dann als Werbungskosten abzugsfähig sind, wenn das Studium eine Aus- oder Fortbildungsmaßnahme im Zusammenhang mit der vom Steuerpflichtigen ausgeübten oder damit verwandten beruflichen Tätigkeit oder eine umfassende Umschulungsmaßnahme darstellt, die eine geänderte Tätigkeit in einem neuen Berufsfeld ermöglicht.

2. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, dass die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes in seinem Prüfungsbeschluss, er habe bei der Entscheidung über die an ihn gerichtete Beschwerde die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung anzuwenden, unzutreffend wäre. Da auch die sonstigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

3. In der Sache hegte der Verfassungsgerichtshof gegen die Verfassungsmäßigkeit der Worte "oder im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium" im letzten Satz des §16 Abs1 Z10 EStG idF BGBl. I 2002/155 vorläufig die selben Bedenken, die zur Aufhebung dieser Worte im letzten Satz des §16 Abs1 Z10 EStG 1988 idF BGBl. I 1999/106 mit Erkenntnis vom 15. Juni 2004, G8-10/04, führten. Es genügt daher, auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses zu verweisen, zumal die Erweiterung der Z10 leg. cit. mit dem Bundesgesetz BGBl. I 2002/155 (s. oben Pkt. 1.3.) nichts daran ändert, dass Aufwendungen, die im Zusammenhang mit einem ordentlichen Universitätsstudium stehen, auch zu Folge der nunmehr in Prüfung gezogenen Bestimmung - im Unterschied zu Aufwendungen für andere Bildungsmaßnahmen - generell steuerlich nicht abzugsfähig sind.

Die in Prüfung gezogene Gesetzesvorschrift verstößt daher gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz (Art7 Abs1 B-VG).

Wenngleich die Bestimmung ihren zeitlichen Anwendungsbereich bereits verloren hat [§16 Abs1 Z10 EStG 1988, idF BGBl. I 2002/155, war im Hinblick auf §124b Z77 EStG 1988, idF BGBl. I 2003/71, allein bei der Veranlagung der Einkommensteuer für das Kalenderjahr 2003 bzw. - wenn die Einkommensteuer (Lohnsteuer) durch Abzug erhoben oder durch Veranlagung festgesetzt wird - letztmalig für Lohnzahlungszeiträume bis zum 31. Dezember 2003 anzuwenden], war im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Abgabengesetzen mit beschränktem zeitlichen Anwendungsbereich (s. VfSlg. 8709/1979, S. 417, und die dort angeführte Vorjudikatur) mit einer Aufhebung nach Abs3 des Art140 B-VG und nicht mit einem Ausspruch nach Abs4 vorzugehen.

4. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und des damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Ausspruches erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm. §3 Abs1 Z3 BGBlG.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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