VfGH G56/2017 ua

VfGHG56/2017 ua11.10.2017

Unsachlichkeit der Ausgestaltung des Punktesystems der Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz in der Fassung 2011 angesichts der Benachteiligung der Berufsgruppe mit abgeschlossener Berufsausbildung durch die festgelegte Altersgrenze

Normen

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AuslBG §12a Z2, Anlage B "Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a"
B-VG Art140 Abs3, Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2017:G56.2017

 

Spruch:

I. §12a Z2 des Bundesgesetzes vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz – AuslBG), BGBl Nr 218/1975 idF des Bundesgesetzes, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert werden, BGBl I Nr 25/2011, war bis zum 30. September 2017 verfassungswidrig.

II. Anlage B "Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a" des Bundesgesetzes vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz – AuslBG), BGBl Nr 218/1975 idF des Bundesgesetzes, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert werden, BGBl I Nr 25/2011, war verfassungswidrig.

III. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anlassverfahren und Antrag

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl E1913/2015 eine auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine (im Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichts) 46‑jährige chinesische Staatsangehörige, absolvierte in ihrem Herkunftsstaat eine Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflege, die in Österreich mit Bescheid der Stadt Wien vom 19. Februar 2013 nostrifiziert wurde. Die in diesem Bescheid als Bedingung seiner Wirksamkeit vorgeschriebene Ergänzungsausbildung hat die Beschwerdeführerin – der diesbezüglichen Beurkundung des Landeshauptmannes von Wien zufolge – mit 12. September 2014 erfolgreich absolviert. Sie verfügt nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes ferner über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 und hat in Österreich drei volle Jahre in einem ausbildungsadäquaten Beruf bei der Caritas der Erzdiözese Wien gearbeitet.

1.2. Mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2014 beantragte die Beschwerdeführerin bei der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (im Folgenden: NAG) zuständigen Behörde, dass ihr gemäß §12a AuslBG eine "Rot-Weiß-Rot—Karte" für eine Fachkraft im Unternehmen der Caritas der Erzdiözese Wien ausgestellt werde. Diese leitete den Antrag gemäß §20d NAG an das Arbeitsmarktservice Wien-Esteplatz (im Folgenden: AMS) weiter. Mit Bescheid vom 12. Februar 2015 wies das AMS den Antrag ab. Begründend führte es aus, dass die Beschwerdeführerin bei den Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a AuslBG (Qualifikation, ausbildungsadäquate Berufserfahrung, Sprachkenntnisse, Alter) die in der Anlage B des AuslBG normierte Mindestpunkteanzahl von 50 Punkten nicht erreicht habe.

1.3. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und brachte vor, dass die vom AMS vorgenommene Punkteberechnung unrichtig sei. Das AMS wies die Beschwerde mittels Beschwerdevorentscheidung vom 12. Februar 2015 ab. Daraufhin stellte die Beschwerdeführerin einen Vorlageantrag an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses führte ein ergänzendes Ermittlungsverfahren durch und wies die Beschwerde in einem gemäß §20f AuslBG gebildeten Senat mit Erkenntnis vom 5. August 2015 als unbegründet ab:

1.3.1. Die Beschwerdeführerin verfüge mit ihrer Ausbildung weder über eine Universitätsreife noch habe sie ein Universitätsstudium an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer absolviert. Aus diesem Grund könnten in der Kategorie "Qualifikation" nur 20 Punkte vergeben werden. Gemeinsam mit 10 Punkten für die einschlägige Beschäftigung und 15 Punkten für Sprachkenntnisse errechnete das Bundesverwaltungsgericht – wie schon die Verwaltungsbehörde – für die Beschwerdeführerin eine Summe von bloß 45 Punkten. Die Beschwerdeführerin blieb damit 5 Punkte unter der gesetzlich geforderten Mindestpunkteanzahl.

1.3.2. In der Kategorie "Alter" seien für die Beschwerdeführerin – so das Bundes-verwaltungsgericht – überhaupt keine Punkte zu vergeben, weil die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Antragstellung bereits über 40 Jahre alt gewesen sei. Zur Frage der Unionsrechtskonformität der Anlage B zum AuslBG führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass ein offenkundiger Verstoß gegen Unionsrecht, insbesondere gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: GRC) bzw. die Gleichbehandlungsrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG ), im Sinne eines "acte clair" nicht vorliege. Soweit Zweifel bestünden, komme die Pflicht, eine Vorabentscheidung durch den EuGH zu veranlassen, allenfalls dem Verwaltungsgerichtshof zu. Art21 Abs1 GRC verbiete zwar Diskriminierungen auf Grund des Alters. Die gesetzlich vorgesehene Ungleichbehandlung nach dem Lebensalter in Anlage B zum AuslBG sei aber "vertretbar als verhältnismäßig und entsprechend der Arbeitsmarktziele als notwendig" anzusehen.

1.3.3. Auch die von der Beschwerdeführerin behauptete Verfassungswidrigkeit sei nicht gegeben, weil die inkriminierte Regelung sachlich zu rechtfertigen sei. Insbesondere sei – gestützt auf eine Literaturmeinung – davon auszugehen, dass das Ziel der Regelung, auf Grund der erwarteten demographischen Entwicklung vorwiegend jüngere Arbeitskräfte anzusprechen, sachlich gerechtfertigt sei. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang auch, dass ein höheres Alter durch andere Kriterien wie beispielsweise eine längere Berufserfahrung ausgeglichen werden könne.

1.4. Bei der Behandlung der gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerde gemäß Art144 B‑VG sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §12a Z2 sowie der Anlage B "Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a" AuslBG entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher am 14. März 2017 beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

2. Mit dem vorliegenden auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag vom 2. August 2017 (G199/2017) begehrt das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss des Senates) "der Verfassungsgerichtshof wolle §12a Z2 sowie die Anlage B "Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a" des Bundesgesetzes vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz – AuslBG), BGBl 218/1975 idF des Bundesgesetzes, mit dem das Ausländerbeschäftigungsgesetz und das Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 geändert werden, BGBl I Nr 25/2011, als verfassungswidrig aufheben".

2.1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

2.2. Am 3. März 2017 richtete ein bosnisch-herzegowinischer Staatsangehöriger an die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot—Karte" gemäß §41 Abs2 Z1 NAG (Fachkraft im Mangelberuf) für die berufliche Tätigkeit als "Maschinentechniker". Mit seinem Antrag erbrachte er den Nachweis, dass er in seinem Herkunftsstaat an einer technischen Mittelschule für Maschinenbau im Jahr 2010 die Reifeprüfung bestanden und die Berufsbezeichnung "Maschinenbautechniker" erlangt und im Jahr 2014 Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens erworben habe. Im Antragszeitpunkt war er 44 Jahre alt.

2.3. Die Bezirkshauptmannschaft übermittelte den Antrag in der Folge gemäß §20d AusIBG an das Arbeitsmarktservice, Regionale Geschäftsstelle Linz (in der Folge: AMS Linz), das den Antrag gemäß §12a AusIBG mit der Begründung abwies, es seien statt der erforderlichen Mindestpunktezahl von 50 nur 35 Punkte anzurechnen gewesen. Das AMS Linz vergab dabei gemäß Anlage B des AusIBG 25 Punkte für Qualifikation, 0 Punkte für ausbildungsadäquate Berufserfahrung, 10 Punkte für Sprachkenntnisse sowie 0 Punkte für das Alter von 44 Jahren. Gegen diesen Bescheid erhob die vor dem Bundesverwaltungsgericht beschwerdeführende Partei als Arbeitgeberin Beschwerde. Mit dieser wurde eine Arbeitsbescheinigung über eine vom Antragsteller nach Abschluss der Ausbildung in seinem Herkunftsstaat erworbene Berufserfahrung im Ausmaß von rund zwei Jahren und fünf Monaten vorgelegt. Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht teilte das AMS Linz mit, dass bei der Anerkennung der mit der Beschwerde vorgelegten Arbeitsbescheinigung für zwei volle Praxisjahre 4 zusätzliche Punkte (für das Kriterium "ausbildungsadäquate Berufserfahrung") vergeben werden könnten, damit jedoch (mit demnach insgesamt 39 Punkten) nach wie vor die erforderlichen 50 Punkte nicht zu erreichen seien. Aus Anlass des Verfahrens über diese Beschwerde stellt das Bundesverwaltungsgericht den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag.

2.4. Zur Präjudizialität bringt das Bundesverwaltungsgericht vor, dass das AMS Linz seinen Bescheid auf die Regelung des §12a Z2 in Verbindung mit Anlage B "Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a" AusIBG in der genannten Fassung stütze. Gemäß dieser Anlage B des AusIBG seien dem 44‑jährigen Beteiligten auf Grund seines Alters keine Punkte für das Kriterium "Alter" anzurechnen. Der Beteiligte bleibe damit 11 Punkte unter der gesetzlich geforderten Mindestpunktezahl von 50 Punkten. Auch das Bundesverwaltungsgericht hätte diese Regelung auf Grund der gegen diesen Bescheid zulässig erhobenen Beschwerde bei der Prüfung des angefochtenen Bescheides zum gegenwärtigen Zeitpunkt anzuwenden.

II. Rechtslage

1. §§12a und 13 des Bundesgesetzes vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz – AuslBG), BGBl 218/1975, lauten idF BGBl I 25/2011 wie folgt (die in Prüfung gezogene Bestimmung ist unterstrichen):

"Fachkräfte in Mangelberufen

 

§12a. Ausländer werden in einem in der Fachkräfteverordnung (§13) festgelegten Mangelberuf zu einer Beschäftigung als Fachkraft zugelassen, wenn sie

1. eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen können,

2. die erforderliche Mindestpunkteanzahl für die in Anlage B angeführten Kriterien erreichen,

3. für die beabsichtigte Beschäftigung das ihnen nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Mindestentgelt zuzüglich einer betriebsüblichen Überzahlung erhalten und

sinngemäß die Voraussetzungen des §4 Abs1 mit Ausnahme der Z1 erfüllt sind. Die Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall entfällt."

 

"Fachkräfteverordnung

 

§13. (1) Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz legt im Falle eines längerfristigen Arbeitskräftebedarfs, der aus dem im Inland verfügbaren Arbeitskräftepotenzial nicht abgedeckt werden kann, zur Sicherung des Wirtschafts- und Beschäftigungsstandortes im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend durch Verordnung für das nächstfolgende Kalenderjahr Mangelberufe fest, in denen Ausländer als Fachkräfte gemäß §12a zugelassen werden können. Als Mangelberufe kommen Berufe in Betracht, für die pro gemeldeter offener Stelle höchstens 1,5 Arbeitsuchende vorgemerkt (Stellenandrangsziffer) sind. Berufe mit einer Stellenandrangsziffer bis zu 1,8 können berücksichtigt werden, wenn weitere objektivierbare Mangelindikatoren, insbesondere eine erhöhte Ausbildungsaktivität der Betriebe festgestellt werden oder der betreffende Beschäftigungszweig eine überdurchschnittlich steigende Lohnentwicklung aufweist. Die von Arbeitskräfteüberlassern gemäß §3 Abs2 AÜG gemeldeten offenen Stellen sind bei der Ermittlung der Stellenandrangsziffer gesondert auszuweisen.

 

(2) Ein vom Verwaltungsrat des Arbeitsmarktservice Österreich gemäß den Bestimmungen des Arbeitsmarktservicegesetzes, BGBl I Nr 313/1994, einzurichtender Ausschuss kann nach Maßgabe des Abs1 einvernehmlich Vorschläge für die Festlegung von Mangelberufen erstatten. Wird kein Einvernehmen erzielt, können die Vertreter der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber gesonderte Vorschläge erstatten."

 

2. Anlage B zum AuslBG idF BGBl I  25/2011 lautete wie folgt (die gesamte Anlage B ist in Prüfung gezogen):

"Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a

 

Kriterien

Punkte

Qualifikation

maximal anrechenbare Punkte: 30

abgeschlossene Berufsausbildung im Mangelberuf

20

allgemeine Universitätsreife im Sinne des §64 Abs1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl I Nr 120

 

25

Abschluss eines Studiums an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer

 

30

 

 

ausbildungsadäquate Berufserfahrung

maximal anrechenbare Punkte: 10

Berufserfahrung (pro Jahr)

Berufserfahrung in Österreich (pro Jahr)

2

4

 

 

Sprachkenntnisse

maximal anrechenbare Punkte: 15

Deutschkenntnisse zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau oder

Englischkenntnisse zur selbständigen Sprachverwendung

 

Deutschkenntnisse zur vertieften elementaren Sprachverwendung oder

Englischkenntnisse zur vertieften selbständigen Sprachverwendung

 

 

10

 

 

 

 

15

 

 

Alter

maximal anrechenbare Punkte: 20

bis 30 Jahre

bis 40 Jahre

20

15

 

 

Summe der maximal anrechenbaren Punkte

75

erforderliche Mindestpunkteanzahl

50

  

"

 

3. Anlage B zum AuslBG idF BGBl I  66/2017 lautet wie folgt:

"Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß §12a

 

Kriterien

Punkte

Qualifikation

maximal anrechenbare Punkte: 30

abgeschlossene Berufsausbildung im Mangelberuf

20

allgemeine Universitätsreife im Sinne des §64 Abs1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl I Nr 120

 

25

Abschluss eines Studiums an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer

 

30

 

 

ausbildungsadäquate Berufserfahrung

maximal anrechenbare Punkte: 20

Berufserfahrung (pro Jahr)

Berufserfahrung in Österreich (pro Jahr)

2

4

 

 

Sprachkenntnisse Deutsch

maximal anrechenbare Punkte: 15

Deutschkenntnisse zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau

 

Deutschkenntnisse zur vertieften elementaren Sprachverwendung

 

Deutschkenntnisse zur selbständigen Sprachverwendung

 

5

 

 

10

 

 

15

 

 

Sprachkenntnisse Englisch

maximal anrechenbare Punkte: 10

Englischkenntnisse zur vertieften elementaren Sprachverwendung

 

Englischkenntnisse zur selbständigen Sprachverwendung

 

5

 

10

 

 

Alter

maximal anrechenbare Punkte: 15

bis 30 Jahre

bis 40 Jahre

15

10

 

 

Summe der maximal anrechenbaren Punkte

90

erforderliche Mindestpunkteanzahl

55

  

"

 

III. Prüfungsbeschluss, Bedenken und Vorverfahren

1. Der Verfassungsgerichtshof legt seine Bedenken, die ihn zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss vom 14. März 2017, E1913/2015‑11, wie folgt dar:

"1. […]

 

1.2. Gemäß §12a AuslBG werden Ausländer in einem in der Fachkräfteverordnung festgelegten Mangelberuf ua. dann zu einer Beschäftigung als Fachkraft zugelassen, wenn sie die erforderliche Mindestpunkteanzahl für die in Anlage B angeführten Kriterien erreichen. Diese beträgt nach der genannten Anlage zum AuslBG 50 Punkte. Maximal sind 75 Punkte zu erreichen. Sie sind auf die Kategorien Qualifikation (20 [Berufsausbildung im Mangelberuf], 25 [Universitätsreife] oder 30 Punkte [Studienabschluss]), ausbildungsadäquate Berufserfahrung (pro Jahr im Ausland 2 bzw. im Inland 4 Punkte, höchstens aber 10 Punkte), Sprachkenntnisse (10 oder 15 Punkte) und Alter (20 Punkte bis zum 30. Lebensjahr, 15 Punkte zwischen dem 30. und dem 40. Lebensjahr) verteilt. Für den Fall, dass die antragstellende Person das 40. Lebensjahr überschritten hat, werden ihr in der Kategorie Alter keine Punkte mehr zuerkannt. Nähere Erläuterungen zu diesem Punktesystem enthalten die Gesetzesmaterialien nicht (Erläut. zur RV 1077 BlgNR 24. GP , 11 ff. [12 f.]).

 

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Recht-sprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleich-behandlung nicht unverhältnismäßig ist.

 

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Wider-spruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

 

3. Nach vorläufiger Ansicht des Verfassungsgerichtshofes dürfte die hiemit in Prüfung gezogenen Bestimmung des §12a Z2 in Verbindung mit Anlage B des AuslBG die genannte Verfassungsvorschrift verletzen:

 

3.1. Der Verfassungsgerichtshof geht mit den Gesetzesmaterialien vorläufig davon aus, dass §12a AuslBG grundsätzlich den Zweck hat, eine 'mit personen-bezogenen und arbeitsmarktpolitischen Kriterien kombinierte Neuzuwanderung jener qualifizierte[n] Arbeitskräfte [zu ermöglichen], die bei einer längerfristigen Beobachtung der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsentwicklung sowie unter Berücksichtigung der schulischen und betrieblichen Ausbildungsmaßnahmen nicht aus dem vorhandenen Arbeitskräftepotenzial rekrutiert werden können und zur Sicherung bestehender und zur Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze notwendig sind. Die neuen Regelungen sollen vor allem besonders qualifizierten Personen eine Option für eine Zuwanderung nach Österreich eröffnen und den Beschäftigungsstandort Österreich attraktiver machen (Erläut. zur RV 1077 BlgNR 24. GP 11, f.). §12a AuslBG dient im Besonderen der Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte in Mangelberufen. Dazu heißt es in den Erläuterungen der Regierungsvorlage (aaO, 12):

 

'Es können somit nur Fachkräfte zugelassen werden, die eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem solchen Mangelberuf nachweisen, die einem Lehrabschluss vergleichbar ist. Als abgeschlossene Berufsausbildung gilt auch der erfolgreiche Abschluss einer schulischen Ausbildung, die dem Abschluss einer Berufsbildenden Höheren Schule (BHS) in Österreich entspricht. Dementsprechend hoch ist die Qualifikation auch im Kriterienkatalog der Anlage B bewertet. Neben der erforderlichen Mindestpunkteanzahl ist ein der Ausbildung und jeweiligen Einstufung entsprechendes Entgelt, das vom Arbeitgeber vor der Einstellung zu gewährleisten ist, eine unabdingbare Zulassungsvoraussetzung. Sofern die im Betrieb beschäftigten Fachkräfte ein höheres als ihnen nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehendes Entgelt erhalten, ist ein solches im gleichen Ausmaß auch der angeworbenen Fachkraft zu gewähren. Da bereits mit der Verordnung festgestellt wird, dass in den festgelegten Berufen ein Arbeitskräftemangel besteht, kann auf eine Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall verzichtet werden.'

 

3.2. Die Ausgestaltung des für die Erteilung der 'Rot-Weiß-Rot-Karte' in Anlage B vorgesehenen Punktesystems scheint nun aber insoweit unsachlich zu sein, als die Verteilung der Punkte innerhalb des Punkteschemas in sich inkohärent sein dürfte: Während die für die Berufsqualifikation neben der Ausbildung anscheinend maßgebliche Berufserfahrung mit höchstens 10 Punkten (das sind nur 20% der zumindest zu erreichenden Punkteanzahl von 50, bzw. rund 13% der Höchstpunkteanzahl von 75) bewertet wird, betragen die Zuschläge für ein Alter unter 30 Lebensjahren das Doppelte und für ein Alter unter 40 Lebensjahren immer noch das Eineinhalbfache des für die Berufserfahrung maßgeblichen Wertes. Der Verfassungsgerichtshof vermag zunächst nicht zu erkennen, welche Bedeutung das Alter für sich allein für die Qualifikation einer Arbeitskraft in einem Mangelberuf überhaupt haben sollte.

 

3.3. Die Differenzierung zwischen unter 40‑Jährigen (15 Punkte) und über 40‑Jährigen (0 Punkte) führt auf Grund dessen, dass die übrigen Punktewerte nur maximal 45 Punkte zulassen, anscheinend nur bei Berufen aus der Gruppe mit 'abgeschlossener Berufsausbildung' zu dem Effekt, dass eine Person, die das 40. Lebensjahr überschritten hat, auf Grund ihrer Ausbildung, ihrer beruflichen Qualifikationen und ihrer Sprachkenntnisse allein nicht mehr die im Gesetz geforderte Mindestpunkteanzahl von 50 Punkten erreichen kann. Dieser Personenkreis wird damit – im Gegensatz zu jenen mit Universitätsreife bzw. mit einem abgeschlossenen Studium – ab dem 40. Lebensjahr von der Erteilung einer 'Rot-Weiß-Rot-Karte' ausgeschlossen.

 

3.4. Für diese Differenzierung vermag der Verfassungsgerichtshof vorerst weder einen besonderen Unterschied im Arbeitskräftebedarf noch sonst eine sachliche Rechtfertigung zu erkennen. Im Gesetzesprüfungsverfahren wird jedoch auch zu erörtern sein, ob und ab welchem Alter ein mögliches Anliegen des Gesetzgebers, zur Vermeidung einer finanziellen Belastung auf Grund einer allenfalls unzureichenden Altersversorgung für ausländische Staatsangehörige, den Zugang zum Arbeitsmarkt auch nach Maßgabe des Alters zu beschränken, sachlich zu rechtfertigen wäre und ob unter diesem Gesichtspunkt die durch Anlage B gezogenen Grenzen als verfassungskonform beurteilt werden könnten.

 

4. §12a Z2 AuslBG in Verbindung mit Anhang B dieses Gesetzes scheint daher mit dem ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, innewohnenden Sachlichkeitsgebot in Widerspruch zu stehen."

 

2. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich in seinem Antrag vom 2. August 2017, G199/2017, den vom Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss vom 14. März 2017, E1913/2015‑11, geäußerten Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der genannten Bestimmungen an.

3. Die Bundesregierung hat am 30. Mai 2017 zu G56/2017 eine Äußerung erstattet, in der den im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken entgegengetreten wird (in G199/2017 hat die Bundesregierung auf diese Äußerung verwiesen). Im Wesentlichen bringt die Bundesregierung Folgendes vor:

3.1. Zur Rechtslage und zu den Prozessvoraussetzungen verweist die Bundesregierung darauf, dass der Nationalrat in seiner 175. Sitzung am 26. April 2017 eine Änderung der Anlage B zum AuslBG beschlossen habe. Diese werde mit 1. Oktober 2017 in Kraft treten und auf Sachverhalte anwendbar sein, die sich nach dem 30. September 2017 ereignen. Nach Anlage B in der Fassung BGBl I 66/2017 würden für das Alter maximal 15 von mindestens 55 zu erreichenden Punkten vergeben werden, wodurch das Alter im Verhältnis zur Qualifikation nur halb so bedeutsam sei. Die Anlage B zum AuslBG in der Fassung BGBl I 25/2011 trete damit außer Kraft und könne höchstens verfassungswidrig gewesen sein. Hinsichtlich des ebenfalls in Prüfung gezogenen §12a Z2 AuslBG weist die Bundesregierung darauf hin, dass der Sitz einer allfälligen Verfassungswidrigkeit nur in der Anlage B zum AuslBG liege. Eine Aufhebung des §12a Z2 AuslBG käme daher nur dann in Betracht, wenn diese Bestimmung in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Anlage B stünde. Dies sei jedoch vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsentwicklung, nämlich der Änderung der Anlage B, nicht der Fall, sodass auch die Aufhebung des §12a Z2 AuslBG nicht unbedingt erforderlich sei.

Im Übrigen führe die Aufhebung auch des §12a Z2 AuslBG dazu, dass die einzige Voraussetzung, die ein Ausländer – neben den allgemeinen Voraussetzungen des §4 Abs1 AuslBG – erfüllen müsse, um in einem Mangelberuf zugelassen zu werden, eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung sei. Dies hätte zur Folge, dass Personen einen Zugang zu Mangelberufen hätten, die – etwa auf Grund mangelnder Sprachkenntnisse – gar nicht in der Lage seien, die Bedürfnisse des österreichischen Arbeitsmarktes zu befriedigen. Dadurch würde aber das Ziel der Gesetzgebung, das mit den Regelungen des Abschnittes III des AuslBG verfolgt werde, vereitelt werden. Die Aufhebung auch des §12a Z2 AuslBG durch den Verfassungsgerichtshof käme einem Akt positiver Gesetzgebung gleich, der dem Verfassungsgerichtshof jedoch verwehrt sei.

3.2. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken führt die Bundesregierung im Wesentlichen Folgendes aus:

3.2.1. Anlage B zum AuslBG in der in Prüfung gezogenen Fassung verstoße nicht gegen das Sachlichkeitsgebot. Der Gesetzgeber habe einen weiten Gestaltungsspielraum um festzulegen, wem der Status eines dauerhaft in Österreich Aufenthaltsberechtigten zuerkannt werde. Ebenso liege es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum, im Rahmen arbeitsmarktpolitischer Entscheidungen festzulegen, welche Personen zum österreichischen Arbeitsmarkt zuzulassen seien.

3.2.2. Zunächst sei das Alter gemäß Anlage B zum AuslBG gerade kein Merkmal der Qualifikation einer Arbeitskraft (dafür kommen gemäß Anlage B AuslBG eine abgeschlossene Berufsausbildung, die allgemeine Universitätsreife und der Abschluss eines Studiums in Betracht), sondern ein selbstständiges Kriterium, das für die Zulassung zu einem Mangelberuf maßgeblich sei. Das Alter stelle kein sogenanntes "verpöntes Differenzierungsmerkmal" iSd Art7 B‑VG dar.

3.2.3. Die Anknüpfung an das Alter diene dem Ziel, die Zuwanderung vorrangig jüngerer Fachkräfte in Mangelberufen zu ermöglichen. Nach Ansicht der Bundesregierung sei eine weitgehende Einschränkung der Zuwanderung auf jüngere und höher qualifizierte Arbeitskräfte sowohl im Hinblick auf demographische Erwägungen zur Sicherung des österreichischen Pensionssystems als auch im Hinblick auf die – vom Verfassungsgerichtshof angesprochene – Vermeidung einer finanziellen Belastung des Bundeshaushaltes auf Grund einer allenfalls unzureichenden Altersversorgung, nicht zuletzt aber auch angesichts der Altersstruktur unter den vorgemerkten Arbeitslosen, jedenfalls sachlich gerechtfertigt.

3.2.4. Es gelte zu berücksichtigen, dass es zunehmend schwieriger geworden sei, arbeitslose ältere Arbeitnehmer wieder in den Arbeitsmarkt zurückzubringen. So sei die Zahl der arbeitslos vorgemerkten Personen mit einem Alter von 50 und mehr Jahren vom Jahr 2010 bis zum Jahr 2016 um 47. 000 angestiegen und habe sich (von ca. 52. 500 auf ca. 99. 500) somit beinahe verdoppelt. Die Zulassung von älteren, weniger qualifizierten Arbeitskräften hätte auf Grund ihrer kürzeren Verweildauer am Arbeitsmarkt und dem höheren Risiko der Arbeitslosigkeit kaum positive Effekte für die Arbeitsmarktentwicklung und die zukünftige Finanzierung des Pensionssystems.

3.2.5. Die Erteilung einer Rot-Weiß-Rot—Karte habe nicht nur zur Folge, dass die Arbeitskraft vorübergehend zum Arbeitsmarkt zugelassen werde und ein damit verbundenes Aufenthaltsrecht erhalte, sondern dass diese bei einer zehnmonatigen Beschäftigung darüber hinaus einen Rechtsanspruch auf Ausstellung einer Rot-Weiß-Rot—Karte plus erwerbe, die ihr einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt vermittle (§20e Abs1 Z2 AuslBG).

3.2.6. Nach Ansicht der Bundesregierung liege es daher nicht nur im – weiten – rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, sondern sei es darüber hinaus sachlich gerechtfertigt, Personen bis zu einem Alter von 40 Jahren bevorzugt zum österreichischen Arbeitsmarkt zuzulassen. In der Literatur werde die Verfassungskonformität einer solchen Anordnung mit dem Argument bejaht, dass Personen, die mit einer beruflichen Qualifikation zuwandern, dem Staat keine Ausbildungskosten verursachen und umso länger zum Steuer- und Sozialsystem beitragen, je jünger sie seien.

3.2.7. Hinsichtlich der Bedenken, dass die in Prüfung gezogene Anlage B zum AuslBG Personen mit einem Alter von über 40 Jahren, die im Mangelberuf (lediglich) über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, vom Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt in Mangelberufen ausschließen würde, sei darauf hinzuweisen, dass Anlage B zum AuslBG Personen mit einem Alter von über 40 Jahren nicht jedenfalls vom Zugang zum Arbeitsmarkt in Mangelberufen ausschließe: Würde die Arbeitskraft nicht bloß über eine abgeschlossene Berufsausbildung, sondern über eine darüber hinausgehende Qualifikation (im Anlassfall: über eine allgemeine Universitätsreife) verfügen, hätte sie einen Anspruch auf Zugang zum Arbeitsmarkt gemäß §12a AuslBG.

3.2.8. Der bloße Umstand, dass die Gewichtung der Kriterien in Anlage B zum AuslBG offenbar als unzweckmäßig erachtet worden sei, weshalb der Nationalrat beschlossen habe, diese zu ändern, bewirke freilich nicht die Verfassungswidrigkeit der in Prüfung gezogenen Anlage B zum AuslBG.

4. Die Partei des beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Anlassverfahren (E1913/2015) hat eine Replik zur Äußerung der Bundesregierung in G56/2017 erstattet, in der Folgendes vorgebracht wird:

4.1. Die Bundesregierung sei den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht substantiiert entgegengetreten, sondern habe lediglich allgemein darauf hingewiesen, dass die Anknüpfung an das Alter dem Ziel diene, die Zuwanderung vorrangig jüngerer Fachkräfte in Mangelberufen zu ermöglichen. Insbesondere habe die Bundesregierung keine substantiierten versicherungsmathematischen Überlegungen angestellt, um ihre Behauptungen zu untermauern. Nach den Bestimmungen des ASVG betrage die Mindestversicherungszeit am Pensionsstichtag 180 Versicherungsmonate, was einer (ununterbrochenen) Beschäftigungsdauer von 15 Jahren entspreche. Gehe man von einem Pensionsantrittsalter von 65 Jahren ab dem Jahr 2024 aus, so würde die Beschwerdeführerin, die zum Zeitpunkt der Antragstellung 45 Jahre alt gewesen sei, zum Zeitpunkt ihres Pensionsantrittes jedenfalls 240 Versicherungsmonate aufweisen. Von einer finanziellen Belastung der Allgemeinheit auf Grund einer unzureichenden Altersvorsorge könne bei der Beschwerdeführerin nicht die Rede sein.

4.2. Ins Leere gehen würden auch die Ausführungen der Bundesregierung, wonach die Zahl der als arbeitslos gemeldeten älteren Arbeitnehmer mit einem Alter von 50 und mehr Jahren vom Jahr 2010 bis zum Jahr 2016 um 47. 000 angestiegen sei und sich beinahe verdoppelt habe. Die Bundesregierung übersehe dabei, dass dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit von Arbeitnehmern nicht gleichmäßig über alle Sektoren verteilt sei, sondern es tatsächlich auch Sektoren gebe, in denen ein Arbeitskräftemangel herrsche, und bis auf weiteres auch noch herrschen werde (so etwa der Pflege- und Gesundheitsbereich). Weshalb ein Arbeitnehmer, der in einem Sektor tätig sei, in dem ein Arbeitskräftemangel herrsche, von Arbeitslosigkeit bedroht sein solle, sei nicht nachvollziehbar.

4.3. Nicht nachvollziehbar sei auch das Argument, wonach der Inhaber einer Rot-Weiß-Rot—Karte bei einer zehnmonatigen Beschäftigung einen Rechtsanspruch auf Ausstellung einer Rot-Weiß-Rot—Karte plus erhalte und damit einen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt erhalte. Dies treffe wohl auf alle Inhaber einer Rot-Weiß-Rot—Karte zu.

4.4. Hinsichtlich des Aufhebungsumfanges sei der Verfassungsgerichtshof zu Recht von einem untrennbaren Zusammenhang zwischen §12a Z2 AuslBG und der Anlage B in der zum damaligen Zeitpunkt geltenden Fassung ausgegangen: §12a Z2 AuslBG stelle als Zulassungskriterium in einem Mangelberuf ausschließlich auf das Erreichen der in dieser Anlage vorgesehenen Mindestpunkteanzahl ab. Nach einer allfälligen Aufhebung der Anlage B würde sich §12a Z2 leg.cit. lediglich als "legislativer Torso" darstellen. Anzumerken sei auch, dass Anlage B idF BGBl I 66/2017 nur auf Sachverhalte Anwendung finde, die sich nach dem 30. September 2017 ereignen. Anlage B zum AuslBG, idF BGBl I 113/2015, gehöre sohin mit einem auf die Vergangenheit beschränkten Anwendungsbereich nach wie vor dem Rechtsbestand an. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes habe der Verfassungsgerichtshof auch bei Gesetzen, die noch mit einem auf die Vergangenheit beschränkten zeitlichen Anwendungsbereich in Geltung stehen, mit einer Aufhebung nach Art140 Abs3 und nicht mit einem Ausspruch nach Art140 Abs4 B‑VG vorzugehen.

IV. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat beide Rechtssachen gemäß §35 Abs1 VfGG iVm §§187 und 404 ZPO zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden.

1. Zur Zulässigkeit des Verfahrens

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen bzw. angefochtenen Bestimmungen zweifeln ließe.

Hinsichtlich des Aufhebungsumfangs besteht zwischen §12a Z2 AuslBG und der Anlage B zum AuslBG idF BGBl I 25/2011 offensichtlich ein untrennbarer Zusammenhang: Ein untrennbarer Zusammenhang ist u.a. in jenen Fällen anzunehmen, in denen der nach der beantragten Aufhebung verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (vgl. etwa VfSlg 12.859/1991, 16.279/2001; VfGH 7.10.2015, G444/2015; 1.12.2016, G11/2016 ua.). Dies trifft hier zu: Hätte der Verfassungsgerichtshof lediglich die Anlage B in Prüfung gezogen und gegebenenfalls aufgehoben, wäre die Bestimmung des §12a Z2 AuslBG nicht mehr vollziehbar.

Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich das Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Die im Prüfungsbeschluss dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes konnten im Gesetzesprüfungsverfahren nicht zerstreut werden. Gleiches gilt in Bezug auf den Gerichtsantrag, indem sich das Bundesverwaltungsgericht den im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen hat.

2.2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

2.3. Der Verfassungsgerichtshof stimmt der Bundesregierung darin zu, dass dem Gesetzgeber ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt, wem der Status eines dauerhaft in Österreich Aufenthaltsberechtigten zuerkannt wird sowie welche Personen zum österreichischen Arbeitsmarkt zuzulassen sind. Dieser Gestaltungsspielraum umfasst auch die Festlegung von Altersgrenzen, nach deren Überschreitung ein Aufenthaltsrecht nicht mehr erteilt wird, weil der Gesetzgeber beispielsweise bei der Zulassung älterer Arbeitnehmer nachteilige Folgen für den Arbeitsmarkt oder – mangels Gelegenheit zum Erwerb einer die Armutsgrenze übersteigenden Altersversorgung – für den aus Steuermitteln zu finanzierenden Teil des Pensionsaufwandes befürchtet. Diese Altersgrenzen können auch unterschiedlich ausgestaltet werden, sofern diese oder andere mit Grund befürchteten nachteiligen Auswirkungen auf bestimmte öffentliche Interessen bei verschiedenen Gruppen von Arbeitnehmern in einem unterschiedlichen Ausmaß bestehen. Der Verfassungsgerichtshof hegte jedoch das Bedenken, dass die Ausgestaltung des Punktesystems in Anlage B im Hinblick darauf unsachlich ist, dass ausschließlich die Gruppe jener, die nur über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen, im Alter von mehr als 40 Jahren von der Rot-Weiss-Rot—Karte ausgeschlossen sein sollten.

2.4. Hiezu bringt die Bundesregierung vor, dass die Anknüpfung an das Alter bei der Zulassung zu einem Mangelberuf mit dem Ziel erfolge, die Zuwanderung vorrangig jüngerer Fachkräfte in Mangelberufen zu ermöglichen. Eine weitgehende Einschränkung der Zuwanderung auf jüngere und höher qualifizierte Arbeitskräfte sei sowohl im Hinblick auf demographische Erwägungen zur Sicherung des Pensionssystems als auch zur Vermeidung einer finanziellen Belastung des Bundeshaushaltes auf Grund einer allenfalls unzureichenden Altersversorgung, nicht zuletzt angesichts der Altersstruktur unter den vorgemerkten Arbeitslosen, sachlich gerechtfertigt. Die Zahl der arbeitslos vorgemerkten Personen mit einem Alter von 50 und mehr Jahren habe sich vom Jahr 2010 bis zum Jahr 2016 beinahe verdoppelt. Die Zulassung von weniger qualifizierten Arbeitskräften hätte auf Grund ihrer kürzeren Verweildauer am Arbeitsmarkt und dem höheren Arbeitslosigkeitsrisiko kaum positive Effekte für die Arbeitsmarktentwicklung und die zukünftige Finanzierung des Pensionssystems.

2.5. Die Bundesregierung vermag mit ihrer Begründung nicht darzutun, warum diese Grenze mit dem 40. Lebensjahr erreicht sein und nur für Berufsgruppen mit abgeschlossener Berufsausbildung gelten soll:

2.5.1. Mit der gegebenen Begründung, dass die Aussichten auf eine ohne zusätzliche Zuschüsse aus Steuermitteln (wie die Ausgleichszulage) auskommende Pensionsversorgung je nach Maßgabe eines höheren Lebensalters beim Eintritt in den österreichischen Arbeitsmarkt sinken, übersieht die Bundesregierung nicht nur, dass die Erteilung der Rot-Weiß-Rot—Karte – wie auch der Anlassfall zeigt – keineswegs mit dem erstmaligen Eintritt in den österreichischen Arbeitsmarkt verbunden sein muss und sie legt auch nicht dar, dass es sich im Rahmen der Mangelberufe bei der Frage einer ausreichenden Altersversorgung um ein spezifisches Problem nur jener Personen handelt, die über eine abgeschlossene Berufsausbildung mit Pflichtschulabschluss verfügen, sodass es sachlich gerechtfertigt wäre, nur bei dieser Gruppe eine Grenze für die Erteilung der Rot-Weiß-Rot—Karte de facto mit dem 40. Lebensjahr zu ziehen. Personen, die einer der beiden anderen Gruppen angehören, können nämlich allein mit den Punkten, die sie für ihre berufliche und sprachliche Qualifikation sowie für die Dauer ihrer bisherigen Verwendung erhalten, auch im Falle eines beliebig höheren Alters, also zu einem Zeitpunkt, zu dem diese Personen auch ungeachtet allfälliger höherer Verdienstmöglichkeiten keine ausreichende Altersversorgung mehr erlangen können, eine Rot-Weiß-Rot—Karte erhalten.

2.5.2. Auch das von der Bundesregierung skizzierte erhöhte Risiko einer Arbeitslosigkeit für Personen ab einem Alter von 50 Jahren vermag die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes nicht zu zerstreuen: Bei Mangelberufen handelt es sich gemäß §13 AuslBG um Berufe, für die pro gemeldeter offener Stelle höchstens 1,5 Arbeitssuchende vorgemerkt sind. Berufe mit einer Stellenandrangsziffer bis zu 1,8 können berücksichtigt werden, wenn weitere objektivierbare Mangelindikatoren, insbesondere eine erhöhte Ausbildungsaktivität der Betriebe, festgestellt werden oder der betreffende Berufszweig eine überdurchschnittlich steigende Lohnentwicklung aufweist. Die Bundesregierung verweist pauschal auf allgemeine Arbeitslosenzahlen und vermag damit weder darzutun, dass eine vergleichbare Situation auf dem Arbeitsmarkt auch bei ausgesprochenen Mangelberufen (um die allein es bei den in Prüfung gezogenen Bestimmungen aber geht) überhaupt besteht bzw. eintreten wird, noch dass dies in besonderem Maße auf die Gruppe jener zutrifft, die eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem Mangelberuf haben.

2.5.3. Eine Differenzierung nach dem Lebensalter wäre zusammengefasst nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn zwischen dem Lebensalter und der Ausbildung in Bezug auf die Arbeitsmarktsituation in Mangelberufen Unterschiede im Tatsächlichen bestehen würden, welche die Bundesregierung jedoch nicht darzulegen vermochte. Soweit der Gesetzgeber – wie die Bundesregierung vorbringt – die Absicht verfolgt haben sollte, Personen nur bis zu einem bestimmten Alter zur Rot-Weiß-Rot—Karte zuzulassen, hat er diese Absicht nicht in einer dem Gleichheitssatz des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, entsprechenden Weise verwirklicht.

V. Ergebnis

1. Auf Grund der Novellierung der Anlage B, welche mit 1. Oktober 2017 in Kraft getreten ist und nur für Sachverhalte gilt, die sich nach dem 30. September 2017 ereignen, war festzustellen, dass Anlage B in der in Prüfung gezogenen Fassung verfassungswidrig war.

2. §12a Z2 AuslBG, der auf Grund des untrennbaren Zusammenhanges mit der in dieser Bestimmung verwiesenen Anlage B in Prüfung gezogen werden musste, hat durch die Novellierung der Anlage B ab 1. Oktober 2017 eine Änderung seines Inhaltes erfahren. Ungeachtet dessen, dass in diesem Verfahren die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung der Anlage B vom Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen ist, ist §12a Z2 AuslBG nicht als verfassungswidrig aufzuheben, sondern auszusprechen, dass die Bestimmung bis zur Neuregelung der Anlage B, dh. bis 30. September 2017 verfassungswidrig war.

3. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung des Spruches dieses Erkenntnisses erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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