VfGH G29/2017

VfGHG29/20178.6.2017

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Vorschrift des Mediengesetzes über die Anwendbarkeit der Bestimmungen der ZPO über die Verfahrenshilfe im selbständigen Entschädigungsverfahren mangels Präjudizialität

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
MedienG §8a Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2017:G29.2017

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Gesellschaft, "der Verfassungsgerichtshof möge §8a Abs3 MedienG ('[3] Im Verfahren über einen selbständigen Antrag sind die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung [§§63 bis 73 ZPO] über die Verfahrenshilfe mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß den Parteien gegen Beschlüsse in Verfahrenshilfeangelegenheiten die Beschwerde an das übergeordnete Gericht zusteht.') als verfassungswidrig aufheben."

II. Rechtslage

§8a des Bundesgesetzes vom 12. Juni 1981 über die Presse und andere publizistische Medien (Mediengesetz – MedienG), BGBl 314/1981 idF BGBl I 112/2007, lautet (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"Selbständiges Entschädigungsverfahren

 

§8a. (1) Für das Verfahren über einen selbständigen Antrag gelten, soweit in diesem Bundesgesetz nichts anderes bestimmt ist, die Bestimmungen für das strafgerichtliche Verfahren auf Grund einer Privatanklage dem Sinne nach.

 

(2) Der selbstständige Antrag muss bei sonstigem Verlust des Anspruchs binnen sechs Monaten nach der erstmaligen, dem Anspruch zu Grunde liegenden Verbreitung, Ausstrahlung oder Abrufbarkeit bei dem nach den §§40, 41 Abs2 zuständigen Strafgericht eingebracht werden. Die Öffentlichkeit der Verhandlung ist auf Verlangen des Antragstellers jedenfalls auszuschließen, soweit Tatsachen des höchstpersönlichen Lebensbereiches erörtert werden.

 

(3) Im Verfahren über einen selbständigen Antrag sind die Bestimmungen der Zivilprozeßordnung (§§63 bis 73 ZPO) über die Verfahrenshilfe mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß den Parteien gegen Beschlüsse in Verfahrenshilfeangelegenheiten die Beschwerde an das übergeordnete Gericht zusteht.

 

(4) Im Urteil, in dem ein Entschädigungsbetrag zuerkannt wird, ist eine Leistungsfrist von vierzehn Tagen festzusetzen. Das Urteil kann dem Grunde und der Höhe nach mit Berufung angefochten werden. Die Zuerkennung ist ein Exekutionstitel im Sinn des §1 EO.

 

(5) Im Verfahren über einen selbständigen Antrag auf Entschädigung nach den §§6, 7, 7b oder 7c hat das Gericht auf Antrag des Betroffenen die Veröffentlichung einer kurzen Mitteilung über das eingeleitete Verfahren anzuordnen, wenn anzunehmen ist, daß die Anspruchsvoraussetzungen vorliegen; im übrigen ist §37 sinngemäß anzuwenden.

 

(6) Im Urteil, in dem auf Grund eines selbständigen Antrags eine Entschädigung nach den §§6, 7, 7b oder 7c zuerkannt wird, ist auf Antrag des Betroffenen auf Urteilsveröffentlichung zu erkennen; §34 ist sinngemäß anzuwenden."

III. Antragsvorbringen

1. Mit Antrag vom 15. Februar 2017 begehrt die antragstellende Gesellschaft, §8a Abs3 MedienG als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Diesem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die antragstellende Gesellschaft war Antragsgegnerin eines (selbstständigen) Antrages auf Zuspruch einer Entschädigung nach §8a Abs1 iVm §7b Abs1 MedienG wegen behaupteter Verletzung der Unschuldsvermutung. Zuvor war dem Gegner der antragstellenden Gesellschaft vom Landesgericht für Strafsachen Wien für die Erhebung dieses Antrages mit Beschluss vom 29. Dezember 2016 Verfahrenshilfe (Beigabe eines Rechtsanwalts und Gebührenbefreiung) bewilligt worden. Mit Urteil vom 2. Februar 2017 stellte das Landesgericht für Strafsachen Wien fest, dass der Gegner der antragstellenden Gesellschaft durch die Veröffentlichung im Schutz der Unschuldsvermutung verletzt worden sei und verpflichtete die antragstellende Gesellschaft zur Urteilsveröffentlichung sowie zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von € 500,– und zum Ersatz der Prozesskosten.

3. Gegen dieses Urteil meldete die antragstellende Gesellschaft am 2. Februar 2017 Berufung an, welche am 14. Februar 2017 schriftlich ausgeführt wurde. Am 15. Februar 2017 stellte die antragstellende Gesellschaft den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten (Partei-)Antrag auf Aufhebung von §8a Abs3 MedienG.

3.1. Die antragstellende Gesellschaft begründet den Antrag mit der Behauptung, die angefochtene Norm würde gegen den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 Abs1 B‑VG und Art2 StGG verstoßen, weil es sachlich nicht gerechtfertigt sei, dem Betroffenen eine Reihe von Ansprüchen (Bestrafung, Entschädigung, Einziehung, Urteilsveröffentlichung, Gegendarstellung und Nachträgliche Mitteilung) zu gewähren, daraus aber willkürlich lediglich den Anspruch auf Entschädigung (§§6 bis 7c MedienG) herauszugreifen (obwohl es sich auch bei den Ansprüchen auf Gegendarstellung [§9 MedienG] und Nachträgliche Mitteilung [§10 MedienG] um zivilrechtliche Ansprüche im Sinn von Art6 EMRK handle) und nur insoweit Verfahrenshilfe zu gewähren.

3.2. Noch willkürlicher sei es, sogar hier noch zu differenzieren und Verfahrenshilfe nur dann zu gewähren, wenn der Anspruch auf Entschädigung mit einem selbstständigen Antrag (§8 Abs1 [zweiter Satz], §8a MedienG) verfolgt werde, nicht aber dann, wenn der Anspruch auf Entschädigung in einer der anderen Verfahrensarten releviert werde, die das Gesetz zur Verfügung stelle (zB im Strafverfahren gegen den Täter). Dies verstoße überdies gegen Art6 EMRK, da es sich beim Anspruch auf Entschädigung um einen zivilrechtlichen Anspruch im Sinn von Art6 EMRK handle, für dessen Durchsetzung die Möglichkeit der Verfahrenshilfe bestehen müsse (siehe VfGH 25.6.2015, G7/2015).

3.3. Zur Präjudizialität der angefochtenen Norm führt die antragstellende Gesellschaft aus, dass §8a Abs3 MedienG vom erstinstanzlichen Gericht im Urteil vom 2. Februar 2017 angewandt worden sei, weil das Gericht die vom Verfahrenshelfer des Antragstellers abgegebenen Prozesserklärungen verwertet habe, insbesondere den verfahrenseinleitenden Antrag.

3.4. Die Aufhebung der angefochtenen Bestimmung würde dazu führen, dass die Entscheidung des Landesgerichtes für Strafsachen Wien an der bereinigten Rechtslage zu prüfen wäre. In diesem Fall würde sich nach Ansicht der antragstellenden Gesellschaft ergeben, dass das Vorgehen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, dem Gegner der antragstellenden Gesellschaft Verfahrenshilfe zu gewähren und die vom Verfahrenshelfer abgegebenen Prozesserklärungen inhaltlich und zum Nachteil der antragstellenden Gesellschaft zu verwerten, rechtswidrig gewesen sei.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

3. Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist sohin – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", also eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz. Außerdem muss der Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG "aus Anlass" der Erhebung eines Rechtsmittels gestellt werden.

3.1. Mit der Berufung, aus deren Anlass der Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erhoben wurde, wendete sich die antragstellende Gesellschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 2. Februar 2017, mit dem festgestellt wurde, dass der Gegner der antragstellenden Gesellschaft durch die Veröffentlichung der antragstellenden Gesellschaft im Schutz der Unschuldsvermutung verletzt worden sei und die antragstellende Gesellschaft zur Urteilsveröffentlichung sowie zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet wurde.

3.2. Dieses Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien stellt eine in erster Instanz entschiedene Rechtssache iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG dar.

3.3. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat die antragstellende Gesellschaft jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass sie den Parteiantrag und die Berufung gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien innerhalb der Rechtsmittelfrist erhoben und eingebracht hat (vgl. etwa VfGH 2.7.2016, G95/2016).

3.4. Der Verfassungsgerichtshof geht auf Grund der Mitteilung des Oberlandesgerichtes Wien vom 1. März 2017 davon aus, dass die Berufung der antragstellenden Gesellschaft gegen das zuvor genannte Urteil rechtzeitig und zulässig ist.

4. Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl. zB VfSlg 20.010/2015; VfGH 19.11.2015, G498/2015 ua.; 12.12.2016, G139/2016).

5. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung erweist sich der Antrag mangels Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache als unzulässig: Soweit die antragstellende Gesellschaft vorbringt, §8a Abs3 MedienG sei im Verfahren präjudiziell gewesen, weil das Gericht die Prozesserklärungen des Verfahrenshelfers verwertet habe, übersieht sie, dass es bei der Frage der Präjudizialität auf die unmittelbare Anwendung einer gesetzlichen Bestimmung durch das Gericht und nicht bloß auf die "Verwertung" von Schriftsätzen ankommt. §8a Abs3 MedienG wurde ausschließlich im Rahmen der gesonderten Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag und damit nur im Zusammenhang mit dem Verfahrenshilfebeschluss unmittelbar angewendet. Im Rahmen des dem Parteiantrag zugrunde liegenden selbstständigen Entschädigungsverfahrens wurde die Bestimmung über die Verfahrenshilfe in §8a Abs3 MedienG weder angewendet, noch wäre sie anzuwenden gewesen. Die mangelnde Präjudizialität zeigt sich auch in dem Umstand, dass §8a Abs3 MedienG den Parteien gegen Entscheidungen über die Verfahrenshilfe das gesonderte Rechtsmittel der Beschwerde an das übergeordnete Gericht einräumt.

6. Der Antrag ist daher unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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