VfGH G139/2016

VfGHG139/201612.12.2016

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der StPO betreffend die Verfahrenshilfe für Privatbeteiligte bzw den Fristenlauf; Regelung über den Fristenlauf im Fall der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers für den Beschuldigten nicht präjudiziell; Aufhebungsbegehren hinsichtlich der die Verfahrenshilfe zugunsten Privatbeteiligter regelnden Vorschrift zu eng gefasst

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
StPO §63, §67 Abs7
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art140 Abs1 / Prüfungsumfang
StPO §63, §67 Abs7

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag und Ausgangsverfahren

1. Mit auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestütztem (Partei-)Antrag wird die Aufhebung der Wortfolgen bzw. des Wortteiles "dem Beschuldigten", "ein Verteidiger nach §61 Abs2 oder 3 beigegeben oder hat der Beschuldigte vor Ablauf dieser Frist die Beigebung eines", "-verteidigers", "dem Verteidiger“, "über seine Bestellung" und "dem Beschuldigten" in §63 Abs1, des §63 Abs2 und des letzten Satzes des §67 Abs7 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631, idF BGBl I 19/2004 als verfassungswidrig begehrt.

2. Die Antragstellerin war Privatbeteiligte in einem von der Staatsanwaltschaft St. Pölten gegen einen bestimmten Sachverständigen wegen des Verdachts des Vergehens der falschen Beweisaussage nach §288 Abs1 StGB geführten Ermittlungsverfahren. Nach Einstellung dieses Ermittlungsverfahrens und Mitteilung der Einstellungsgründe durch die Staatsanwaltschaft an den Rechtsvertreter der Privatbeteiligten am 24. März 2016 stellte diese am 7. April 2016 den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Fortführungsantrages gemäß §195 StPO. Das Landesgericht St. Pölten wies den Antrag mit Beschluss vom 18. April 2016, Z 12 HR 153/16h-11, im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die Bestimmung des §63 Abs1 StPO auf Privatbeteiligte nicht anzuwenden sei, weshalb sich ein von der nunmehrigen Antragstellerin nach allfälliger Bewilligung der Verfahrenshilfe eingebrachter Fortführungsantrag jedenfalls als verspätet erwiese. Die Gewährung von Verfahrenshilfe sei daher nicht im Interesse einer zweckentsprechenden Durchsetzung von Ansprüchen zur Vermeidung eines nachfolgenden Zivilverfahrens erforderlich, da das Strafverfahren "de facto bereits durch Einstellung rechtskräftig beendet" sei.

3. Gegen diesen (am 19. April 2016 zugestellten) Beschluss erhob die Antragstellerin am 3. Mai 2016 eine (zufolge Beschlusses des Oberlandesgerichtes Wien vom 5. September 2016, Z 18 Bs 145/16d) fristgerechte und zulässige Beschwerde.

Am selben Tag beantragte sie beim Verfassungsgerichtshof die (ihr in der Folge gewährte) Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Parteiantrages; durch ihren Verfahrenshelfer stellte sie mit Schriftsatz vom 17. August 2016 den eingangs genannten Antrag.

II. Rechtslage

1. Der im 3., mit "Beschuldigter und Verteidiger" überschriebenen Hauptstück der StPOenthaltene §63 idF BGBl I 19/2004 hat folgenden Wortlaut (die angefochtenen Teile sind hervorgehoben) und steht in folgendem rechtlichen Kontext:

"3. Hauptstück

Beschuldigter und Verteidiger

1. Abschnitt

Allgemeines

Definitionen

§48. (1) Im Sinne dieses Gesetzes ist

[...]

2. 'Beschuldigter' jeder Verdächtige, sobald er auf Grund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben und zur Aufklärung dieses konkreten Verdachts nach dem 8. oder 9. Hauptstück dieses Bundesgesetzes Beweise aufgenommen oder Ermittlungsmaßnahmen angeordnet oder durchgeführt werden,

[...]

5. 'Verteidiger' eine zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft, eine sonst gesetzlich zur Vertretung im Strafverfahren berechtigte oder eine Person, die an einer inländischen Universität die Lehrbefugnis für Strafrecht und Strafprozessrecht erworben hat, sobald sie der Beschuldigte als Rechtsbeistand bevollmächtigt hat, und eine Person, die dem Beschuldigten nach den Bestimmungen dieses Gesetzes als Rechtsbeistand bestellt wurde.

[...]

3. Abschnitt

Der Verteidiger

[...]

Beigebung eines Verteidigers

§61. (1) In folgenden Fällen muss der Beschuldigte durch einen Verteidiger vertreten sein (notwendige Verteidigung):

1. im gesamten Verfahren, wenn und solange er in Untersuchungshaft oder gemäß §173 Abs4 in Strafhaft angehalten wird,

2. im gesamten Verfahren zur Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach §21 StGB (§§429 Abs2, 430 Abs3, 436, 439 Abs1),

3. in der Hauptverhandlung zur Unterbringung in einer der in den §§22 und 23 StGB genannten Anstalten (§439 Abs1),

4. in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Geschworenen- oder Schöffengericht,

5. in der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht als Einzelrichter, wenn für die Straftat, außer in den Fällen des §129 Abs2 Z1 und 164 Abs4 StGB, eine drei Jahre übersteigende Freiheitsstrafe angedroht ist,

5a. in der kontradiktorischen Vernehmung (§165), soweit in der Hauptverhandlung nach den Z3 bis 5 notwendige Verteidigung bestünde,

6. im Rechtsmittelverfahren auf Grund einer Anmeldung einer Nichtigkeitsbeschwerde oder einer Berufung gegen ein Urteil des Schöffen- oder des Geschworenengerichts,

7. bei der Ausführung eines Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens und beim Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung über einen solchen (§§363a Abs2 und 363c).

(2) Ist der Beschuldigte außerstande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhaltes die gesamten Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat das Gericht auf Antrag des Beschuldigten zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten er nicht oder nur zum Teil (§393 Abs1a) zu tragen hat, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist (Verfahrenshilfeverteidiger). Die Beigebung eines Verteidigers ist in diesem Sinn jedenfalls erforderlich:

1. in den Fällen des Abs1,

2. wenn der Beschuldigte blind, gehörlos, stumm, auf andere Weise behindert oder der Gerichtssprache nicht hinreichend kundig und deshalb nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen,

3. für das Rechtsmittelverfahren auf Grund einer Anmeldung einer Berufung,

4. bei schwieriger Sach- oder Rechtslage.

(3) In den Fällen des Abs1 sind der Beschuldigte und sein gesetzlicher Vertreter aufzufordern, einen Verteidiger zu bevollmächtigen oder die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach Abs2 zu beantragen. Bevollmächtigt weder der Beschuldigte noch sein gesetzlicher Vertreter für ihn einen Verteidiger, so hat ihm das Gericht von Amts wegen einen Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er zu tragen hat (Amtsverteidiger), soweit nicht die Voraussetzungen des Abs2 erster Satz vorliegen.

[…]

Bestellung eines Verteidigers

§62. (1) Hat das Gericht die Beigebung eines Verteidigers beschlossen, so hat es den Ausschuss der nach seinem Sitz zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit dieser einen Rechtsanwalt zum Verteidiger bestelle. Dabei hat der Ausschuss Wünschen des Beschuldigten zur Auswahl der Person dieses Verteidigers im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen.

(2) In dringenden Fällen kann der Vorsteher des Gerichts auch bei Gericht tätige, zum Richteramt befähigte Personen mit ihrer Zustimmung zu Verteidigern bestellen.

(3) Mehreren Beschuldigten kann ein gemeinsamer Verteidiger beigegeben und bestellt werden, es sei denn, dass ein Interessenskonflikt besteht oder einer der Beschuldigten oder der Verteidiger gesonderte Vertretung verlangt.

(4) Beigebung und Bestellung eines Verteidigers erlöschen jedenfalls mit dem Einschreiten eines bevollmächtigten Verteidigers (§58 Abs2).

Fristenlauf

§63. (1) Wird dem Beschuldigten innerhalb der für die Ausführung eines Rechtsmittels oder für eine sonstige Prozesshandlung offen stehenden Frist ein Verteidiger nach §61 Abs2 oder 3 beigegeben oder hat der Beschuldigte vor Ablauf dieser Frist die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers beantragt, so beginnt die Frist ab dem Zeitpunkt neu zu laufen, ab welchem dem Verteidiger der Bescheid über seine Bestellung und das Aktenstück, das die Frist sonst in Lauf setzt, oder dem Beschuldigten der den Antrag abweisende Beschluss zugestellt wird.

(2) Wurde durch eine Zustellung an den Verteidiger eine Frist ausgelöst, so wird deren Lauf nicht dadurch unterbrochen oder gehemmt, dass die Vollmacht des Verteidigers zurückgelegt oder gekündigt wird. In diesem Fall hat der Verteidiger weiterhin die Interessen des Beschuldigten zu wahren und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen nötigenfalls vorzunehmen, es sei denn, der Beschuldigte hätte ihm dies ausdrücklich untersagt."

2. §67 StPO findet sich im 4., mit "Opfer und ihre Rechte" überschriebenen Hauptstück; er steht idF BGBl I 19/2004 in Geltung und lautet wie folgt (die angefochtene Gesetzesstelle ist hervorgehoben):

"4. Hauptstück

Opfer und ihre Rechte

1. Abschnitt

Allgemeines

Definition

§65. Im Sinne dieses Gesetzes ist

[...]

2. 'Privatbeteiligter' jedes Opfer, das erklärt, sich am Verfahren zu beteiligen, um Ersatz für den erlittenen Schaden oder die erlittene Beeinträchtigung zu begehren.

[...]

2. Abschnitt

Opfer und Privatbeteiligte

[...]

Privatbeteiligung

§67. (1) Opfer haben das Recht, den Ersatz des durch die Straftat erlittenen Schadens oder eine Entschädigung für die Beeinträchtigung ihrer strafrechtlich geschützten Rechtsgüter zu begehren. Das Ausmaß des Schadens oder der Beeinträchtigung ist von Amts wegen festzustellen, soweit dies auf Grund der Ergebnisse des Strafverfahrens oder weiterer einfacher Erhebungen möglich ist. Wird für die Beurteilung einer Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung ein Sachverständiger bestellt, so ist ihm auch die Feststellung der Schmerzperioden aufzutragen.

(2) Opfer werden durch Erklärung zu Privatbeteiligten. In der Erklärung haben sie, soweit dies nicht offensichtlich ist, ihre Berechtigung, am Verfahren mitzuwirken, und ihre Ansprüche auf Schadenersatz oder Entschädigung zu begründen.

(3) Eine Erklärung nach Abs2 ist bei der Kriminalpolizei oder bei der Staatsanwaltschaft, nach Einbringen der Anklage beim Gericht einzubringen. Sie muss längstens bis zum Schluss des Beweisverfahrens abgegeben werden; bis dahin ist auch die Höhe des Schadenersatzes oder der Entschädigung zu beziffern. Die Erklärung kann jederzeit zurückgezogen werden.

(4) Eine Erklärung ist zurückzuweisen, wenn

1. sie offensichtlich unberechtigt ist,

2. sie verspätet abgegeben wurde (Abs3) oder

3. die Höhe des Schadenersatzes oder der Entschädigung nicht rechtzeitig beziffert wurde.

(5) Die Zurückweisung einer Erklärung nach Abs4 obliegt der Staatsanwaltschaft, nach Einbringen der Anklage dem Gericht.

(6) Privatbeteiligte haben über die Rechte der Opfer (§66) hinaus das Recht,

1. die Aufnahme von Beweisen nach §55 zu beantragen,

2. die Anklage nach §72 aufrechtzuerhalten, wenn die Staatsanwaltschaft von ihr zurücktritt,

3. Beschwerde gegen die gerichtliche Einstellung des Verfahrens nach §87 zu erheben,

4. zur Hauptverhandlung geladen zu werden und Gelegenheit zu erhalten, nach dem Schlussantrag der Staatsanwaltschaft ihre Ansprüche auszuführen und zu begründen.

5. Berufung wegen ihrer privatrechtlichen Ansprüche nach §366 zu erheben.

(7) Privatbeteiligten ist – soweit ihnen nicht juristische Prozessbegleitung zu gewähren ist (§66 Abs2) – Verfahrenshilfe durch unentgeltliche Beigebung eines Rechtsanwalts zu bewilligen, soweit die Vertretung durch einen Rechtsanwalt im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Durchsetzung ihrer Ansprüche zur Vermeidung eines nachfolgenden Zivilverfahrens erforderlich ist, und sie außerstande sind, die Kosten ihrer anwaltlichen Vertretung ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten. Als notwendiger Unterhalt ist derjenige anzusehen, den die Person für sich und ihre Familie, für deren Unterhalt sie zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung benötigt. Für die Beigebung und Bestellung eines solchen Vertreters gelten die Bestimmungen der §§61 Abs4, 62 Abs1, 2 und 4 sinngemäß."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1.1. Die Antragstellerin begehrt die Aufhebung der unter Pkt. I.1. genannten und in Pkt. II. hervorgehobenen Teile des §63 sowie des §67 Abs7 StPO.

1.2. Die Antragstellerin erachtet sich durch den Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten, mit dem ihr Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewiesen wurde, "wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze in [ihrem] Recht auf ein faires Verfahren wegen unsachlicher Schlechterstellung des Privatbeteiligten als Opfer einer strafbaren Handlung gegenüber dem Beschuldigten durch Nichtgewährung der Unterbrechungswirkung des Verfahrenshilfeantrages" fürverletzt.

Die angefochtenen Bestimmungen würden gegen Art6 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren) und Art7 B‑VG (Sachlichkeitsgebot) verstoßen.

2. Die Bundesregierung hält den Antrag mit näherer Begründung für unzulässig und nimmt im Hinblick darauf von einer Äußerung in der Sache Abstand.

IV. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

2. Ob im vorliegenden Fall überhaupt eine in erster Instanz entschiedene Rechtssache vorliegt, kann der Verfassungsgerichtshof dahingestellt sein lassen, da sich der Antrag schon aus folgenden Gründen als unzulässig erweist:

2.1. Ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw. wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG setzt daher voraus, dass die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in der vor dem ordentlichen Gericht entschiedenen Rechtssache präjudiziell sind (vgl. zB VfGH 7.10.2015, G224/2015 ua.; 19.11.2015, G498/2015 ua.).

2.2. Darüber hinaus sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 19.832/2013, 19.892/2014; VfGH 9.12.2015, G165/2015), die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt erhält und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Der Antragsteller hat daher all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des Antragstellers teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.933/2014).

Bei der Bestimmung des Aufhebungsumfangs ist ferner zu beachten, dass ein Gesetzesprüfungsantrag nur dann zulässig ist, wenn die behauptete Verfassungswidrigkeit mit einer gänzlichen oder teilweisen Aufhebung der angefochtenen Norm beseitigt würde (vgl. etwa VfSlg 16.191/2001, 19.178/2010 und VfGH 2.7.2015, G303/2015).

3. Diesen Voraussetzungen wird der vorliegende Antrag nicht gerecht:

3.1. Die Bedenken der Antragstellerin richten sich dagegen, dass es im Fall der unentgeltlichen Beigebung eines Verfahrenshelfers für einen Privatbeteiligten zur Ausführung eines Rechtsmittels oder zur Vornahme einer sonstigen befristeten Prozesshandlung – anders als im Fall der Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers für den Beschuldigten – zu keiner Unterbrechung des Fristenlaufs komme, sodass die befristete Prozesshandlung im Falle einer antragsgemäßen Bestellung eines Verfahrenshelfers jedenfalls verspätet wäre. Der Antrag zielt darauf ab, durch Aufhebung von bestimmten Teilen des §63 Abs1 StPO den Anwendungsbereich des §63 Abs1 StPO auf Privatbeteiligte auszudehnen (s. Rz 72 des Antrags) bzw. durch Aufhebung des §67 Abs7 letzter Satz StPO die analoge Anwendung des §63 Abs1 StPO auf Privatbeteiligte zu erreichen (s. Rz 75 des Antrags).

3.2. In Ansehung des §63 StPO mangelt es dem Antrag an der erforderlichen Präjudizialität. Das Gericht hat die Bestimmung des §63 StPO weder zur Gänze noch in Teilen bei seiner Entscheidung über den von der Antragstellerin als Privatbeteiligte gestellten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung eines Fortführungsantrages angewendet noch war diese Bestimmung anzuwenden; vielmehr stützt sich der Beschluss, aus dessen Anlass der vorliegende Parteiantrag erhoben wurde, ausschließlich auf §67 Abs7 StPO und verneint mangels eines Verweises in §67 oder an anderer Stelle der StPO die Anwendbarkeit der Bestimmung des (die Verfahrenshilfe für Beschuldigte sowie die Auswirkungen auf den Fristenlauf bei Zurücklegung oder Kündigung der aufrechten Vollmacht eines Verteidigers regelnden) §63 leg.cit. auf Privatbeteiligte.

3.3. Hingegen wurde §67 Abs7 StPO vom Landesgericht St. Pölten bei seiner Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag der Privatbeteiligten und nunmehrigen Antragstellerin angewendet. Das allein auf den letzten Satz dieser Bestimmung bezogene Aufhebungsbegehren erweist sich jedoch als zu eng.

Denn der von der Antragstellerin als verfassungswidrig erachtete Umstand, dass die Beigebung eines Verfahrenshelfers für Privatbeteiligte zwecks Vornahme einer befristeten Prozesshandlung (anders als im Fall des Beschuldigten) zu keiner Unterbrechung des Fristenlaufs führe, ergibt sich nicht aus dem angefochtenen letzten Satz des §67 Abs7 StPO; dieser ordnet nämlich in Bezug auf die Verfahrenshilfe zugunsten Privatbeteiligter lediglich die (sinngemäße) Anwendbarkeit bestimmter Teile der die Verfahrenshilfe für Beschuldigte regelnden §§61 und 62 leg.cit. (nicht indes des §63 Abs1) an, trifft also in Ansehung des Fristenlaufs (bzw. seines Neubeginns) keine Anordnung. Durch die Aufhebung des allein angefochtenen letzten Satzes des §67 Abs7 StPO würde die behauptete Verfassungswidrigkeit sohin nicht beseitigt; vielmehr bedürfte es jedenfalls der Anfechtung des §67 Abs7 StPO zur Gänze.

In Ansehung des §67 Abs7 letzter Satz StPO erweist sich der Antrag daher ebenfalls als unzulässig.

4. Der Antrag ist mithin schon aus den dargelegten Gründen unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Parteiantrag ist mangels Legitimation zur Gänze zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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