Normen
StbG 1985 §10 Abs1 Z7, §10 Abs5
B-VG Art7 Abs1 dritter Satz
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Niederlassungs- und AufenthaltsG (NAG) §11 Abs5
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
StbG 1985 §10 Abs1 Z7, §10 Abs5
B-VG Art7 Abs1 dritter Satz
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
Niederlassungs- und AufenthaltsG (NAG) §11 Abs5
B-VG Art140 Abs7 zweiter Satz
Spruch:
I. §10 Abs1 Z7 des Bundesgesetzes über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 – StbG 1985), BGBl Nr 311/1985 (Wv.), in der Fassung BGBl I Nr 37/2006 sowie Abs5 leg.cit. in der Fassung BGBl I Nr 122/2009 werden als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 30. Juni 2014 in Kraft.
III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
IV. Die aufgehobenen Gesetzesbestimmungen sind auch in den am 1. März 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fällen nicht mehr anzuwenden.
V. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschlüsse und Vorverfahren
1. Beim Verfassungsgerichtshof sind zu B1474/11 und B1079/12 auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerden gegen Bescheide anhängig, mit denen jeweils der Antrag der Beschwerdeführerinnen im Anlassverfahren auf Verleihung der Staatsbürgerschaft abgewiesen wurde. Die Beschwerdeführerinnen leben jeweils als Asylberechtigte im Bundesgebiet und beziehen Sozialhilfe bzw. Bedarfsorientierte Mindestsicherung zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. Die angefochtenen Bescheide begründen die Abweisung jeweils damit, dass ein Sozialhilfebezug bzw. der Bezug von Bedarfsorientierter Mindestsicherung ein Einbürgerungshindernis darstelle und die Berücksichtigung einer unverschuldeten Notlage durch die geltende Rechtslage nicht vorgesehen sei. Aus diesem Grund erfüllten die Beschwerdeführerinnen jeweils die Voraussetzung des §10 Abs1 Z7 iVm Abs5 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (im Folgenden: StbG 1985) nicht.
2. Bei der Behandlung dieser Beschwerden sind im Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §10 Abs1 Z7 StbG 1985 idF BGBl I 37/2006 sowie des Abs5 leg.cit. idF BGBl I 122/2009 entstanden. Der Verfassungsgerichtshof hat daher mit Beschluss vom 11. Oktober 2012, B 1474/11, beschlossen, diese Gesetzesbestimmungen von Amts wegen auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Dasselbe hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. November 2012, B1079/12, beschlossen und ausgeführt, dass auch aus Anlass dieses Verfahrens die gleichen Bedenken obwalten.
2.1. Der Verfassungsgerichtshof legte die Bedenken, die ihn jeweils zur Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens bestimmt haben, in seinem Prüfungsbeschluss vom 11. Oktober 2012 wie folgt dar:
"[…] Der Verfassungsgerichtshof hegt das Bedenken, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des §10 Abs1 Z7 und des §10 Abs5 StbG gegen Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG verstoßen:
[…] Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG zufolge darf '[N]iemand […] wegen seiner Behinderung benachteiligt werden'. Gemäß Art7 Abs1 Satz 4 B‑VG bekennen sich Bund, Länder und Gemeinden dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.
Der Verfassungsgerichtshof geht vorläufig davon aus, dass Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG insbesondere im Lichte einer subjektiv-historischen Interpretation ein Diskriminierungsverbot nicht nur gegenüber Staatsbürgern, sondern gegenüber jedermann enthält. Denn der Bericht des Verfassungsausschusses bezieht sich im einschlägigen Zusammenhang unter anderem auf den Initiativantrag 342/A, der ausdrücklich ausführt: 'Durch die vorgeschlagene Textierung wird ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht geschaffen, das vor dem Verfassungsgerichtshof durchsetzbar ist. Anders als der allgemeine Gleichheitssatz, der nur für Staatsbürger gilt, soll dieses Diskriminierungsverbot aber für jeden Menschen gelten.' (siehe AB 785 BlgNR 20. GP, 3). In dieses Bild passt auch, dass die Begründung des – im Verfassungsausschuss letztlich zum Beschluss erhobenen – Abänderungsantrags 494/A durchgängig davon spricht, dass 'Menschen' mit Behinderung nicht diskriminiert werden sollen. Auch in der Literatur wird überwiegend, soweit auf die Frage eingegangen wird, vertreten, dass Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG auch Fremde berechtigt (siehe Pöschl, Gleichheitsrechte, in: Merten/Papier [Hrsg.], Handbuch der Grundrechte, Band VII/1, 2009, 251, Rz 114; Hengstschläger/Leeb, Grundrechte, 2012, 122; Feik, Der räumliche und persönliche Geltungsbereich der Grundrechte in der Judikatur des VfGH, ZÖR 1999, 19 [21]).
Durch Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG soll der 'innere Gehalt des Gleichheitssatzes […] durch das explizite Verbot der Diskriminierung von Behinderten nicht verändert, sondern zusätzlich bekräftigt werden, daß auch bei einer auftretenden Ungleichbehandlung von behinderten Menschen der Verfassungsgerichtshof diese immer auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen hat.' (AB 785 BlgNR 20. GP, 5). Dies dürfte bedeuten, dass der Verfassungsgesetzgeber mit der Aufnahme eines ausdrücklichen Verbots der Diskriminierung von Behinderten auch betonen wollte, dass staatliche Regelungen, die zu einer Benachteiligung behinderter Menschen führen, einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedürfen.
[…] Das Erfordernis der Selbsterhaltungsfähigkeit für die Erlangung der Staatsbürgerschaft dürfte behinderte gegenüber nicht behinderten Menschen bei der Erlangung dieses Rechts benachteiligen. Denn in einer Reihe von Fällen (und jedenfalls nicht nur in atypischen Härtefällen) dürfte die Behinderung eines Menschen dazu führen, dass diese wegen des Grades ihrer Behinderung nur erschwerten oder gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. In diesen Fällen sind Menschen mit einer entsprechenden Behinderung aber nach §10 Abs1 Z7 iVm Abs5 StbG anders als Menschen ohne Behinderung von vorneherein von der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, ohne Rücksicht darauf, ob sie die sonstigen Voraussetzungen zur Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllen, und ohne dass diese Menschen mit Behinderung eine Möglichkeit hätten, diese Benachteiligung gegenüber anderen Menschen aus eigenem auszugleichen.
Für diese Benachteiligung kann der Verfassungsgerichtshof vorläufig eine sachliche Rechtfertigung nicht erkennen. Insbesondere scheint die in Prüfung gezogene Regelung auch nicht geeignet, in Fällen wie dem vorliegenden finanzielle Belastungen einer Gebietskörperschaft zu vermeiden. Zwar kommt dem Gesetzgeber ohne Zweifel ein weiter Gestaltungsspielraum zu festzusetzen, wem er den Status eines dauerhaft in Österreich Aufenthaltsberechtigten zuerkennt. Soweit dies aber der Fall ist, sieht Art4 Abs3 der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art15a B‑VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung, BGBl I 96/2010, einen Rechtsanspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung – die gemäß Art2 Abs1 leg.cit. der Sicherung des Lebensunterhalts dient – für alle diese Personen vor, die zum dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind. Dazu gehören jedenfalls laut dieser Bestimmung österreichische Staatsangehörige einschließlich ihrer Familienangehörigen, Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, EU‑/EWR-BürgerInnen, Schweizer Staatsangehörige und deren Familienangehörige, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden, Personen mit einem Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EG' oder 'Daueraufenthalt – Familienangehörige' und Personen mit einem Niederlassungsnachweis oder einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung. All diese Personen haben unabhängig von der Verleihung der Staatsbürgerschaft in der Regel also gesetzlich geregelten Zugang zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung, sodass eine entsprechende finanzielle Belastung ebenso unabhängig von der Verleihung der Staatsbürgerschaft eintreten dürfte. Dies scheint es aber auszuschließen, die dargestellte Benachteiligung von Menschen mit Behinderung, die zum dauernden Aufenthalt in Österreich berechtigt sind, hinsichtlich der Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft mit dem Hinweis auf die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates zu rechtfertigen.
[…] Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen dürften daher mit der ausnahmslosen Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit für die Erlangung der Staatsbürgerschaft behinderte Menschen, indem sie diese ungeachtet dessen, dass gerade die Behinderung wesentlich dafür sein kann, dass diese Menschen diese Voraussetzung von vornherein nicht erfüllen können, wegen ihrer Behinderung benachteiligen und damit gegen Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG verstoßen. Wenn der Gesetzgeber in §10 Abs1 Z7 iVm Abs5 StbG Menschen mit Behinderung und nicht behinderte Menschen gleichbehandelt, obwohl wegen ihrer Behinderung eine Differenzierung sachlich geboten wäre, dürfte der Gesetzgeber gegen das Diskriminierungsverbot behinderter Menschen verstoßen (siehe auch U. Davy, Der Gleichheitssatz des österreichischen Rechts und Menschen mit Behinderung, FS Funk, 2003, 63 [82 f.]).
[…] Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen des Weiteren folgendes Bedenken:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (siehe etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Mit diesem aus dem genannten BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung abzuleitenden Sachlichkeitsgebot scheint es aber unvereinbar zu sein, wenn der Gesetzgeber die Erlangung der Staatsbürgerschaft – was grundsätzlich unter Sachlichkeitsaspekten nicht zu beanstanden ist (siehe VfSlg 19.516/2011, S 398 f.) – von der Selbsterhaltungsfähigkeit der diese beantragenden Personen abhängig macht, dann aber keine Vorsorge dafür trifft, dass besondere Ausnahmesituationen unverschuldeter Notlage berücksichtigt werden können (vgl. auch dazu schon VfSlg 19.516/2011, S 399). Auch in solchen Fallkonstellationen den Anspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft – bei Vorliegen sämtlicher sonstiger Voraussetzungen – wegen des ausnahmslos zur Anwendung gelangenden Erfordernisses der Selbsterhaltungsfähigkeit in jedem Fall zu verwehren, dürfte unverhältnismäßig sein und damit gegen das Sachlichkeitsgebot des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung verstoßen."
2.2. Zum Umfang der in Prüfung gezogenen Bestimmungen führte der Verfassungsgerichtshof in seinen Prüfungsbeschluss vom 11. Oktober 2012 aus:
"Treffen die dargestellten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes zu, dürften sie ihren Sitz in §10 Abs1 Z7 StbG und in dem mit dieser Bestimmung anscheinend in einem untrennbaren Zusammenhang stehenden §10 Abs5 StbG haben. Es dürfte auch zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit nicht ausreichen […], allein die Wortfolge 'die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und' im §10 Abs5 StbG aufzuheben. Denn dann dürfte §10 Abs1 Z7 StbG weiterhin der Verleihung der Staatsbürgerschaft an Personen, deren Lebensunterhalt nicht hinreichend – das heißt gemäß §10 Abs5 StbG nicht durch feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichem Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen in ausreichender Weise – gesichert ist, entgegenstehen. Es dürfte auch nicht möglich sein, Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften nach einer allfälligen Aufhebung der genannten Wortfolge schon wegen Vorschriften wie §11 Abs5 NAG als 'eigene Einkünfte' im Sinne des §10 Abs5 StbG zu verstehen."
3. Die Bundesregierung sowie die beteiligten Parteien sahen von der Erstattung einer meritorischen Äußerung ab.
II. Rechtslage
Die in den vorliegenden Fällen maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die in Prüfung gezogenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):
Bundesgesetz über die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschaftsgesetz 1985), BGBl 311 (im Folgenden: StbG 1985):
"Verleihung
§10. (1) Die Staatsbürgerschaft darf einem Fremden, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, nur verliehen werden, wenn
1. er sich seit mindestens zehn Jahren rechtmäßig und ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten hat und davon zumindest fünf Jahre niedergelassen war;
2. [– 6. …]
7. sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist und
8. [...]
(1a) [– (4) ...]
(5) Der Lebensunterhalt (Abs1 Z7) ist dann hinreichend gesichert, wenn feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen zum Entscheidungszeitpunkt im Durchschnitt der letzten drei Jahre nachgewiesen werden, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach dem Durchschnitt der Richtsätze des §293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl Nr 189/1955, der letzten drei Jahre entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und durch Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in §292 Abs3 ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß §291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen.
(6) [...]"
In beiden Anlassfällen ist §10 StbG 1985 in der Fassung BGBl I 38/2011 anzuwenden. §10 Abs1 Z7 StbG 1985 gilt weiterhin idF BGBl I 37/2006, Abs5 leg.cit. idF BGBl I 122/2009. Die Novellen BGBl I 2/2008, BGBl I 4/2008, BGBl I 135/2009, BGBl I 38/2011, BGBl I 87/2012 und BGBl I 16/2013 lassen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen unberührt.
III. Erwägungen:
Der Verfassungsgerichtshof hat in den in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Gesetzesprüfungsverfahren erwogen:
1. Zur Zulässigkeit
In den Verfahren hat sich nichts ergeben, was an der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Gesetzesprüfungsverfahren insgesamt als zulässig.
2. In der Sache
Die in den Prüfungsbeschlüssen dargelegten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich als zutreffend:
2.1. Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG zufolge darf "Niemand […] wegen seiner Behinderung benachteiligt werden". Gemäß Art7 Abs1 Satz 4 B‑VG bekennen sich Bund, Länder und Gemeinden dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.
Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG enthält ein Diskriminierungsverbot nicht nur gegenüber Staatsbürgern, sondern gegenüber jedermann. Schon der Bericht des Verfassungsausschusses bezieht sich im einschlägigen Zusammenhang unter anderem auf den Initiativantrag 342/A, der ausdrücklich ausführt: "Durch die vorgeschlagene Textierung wird ein verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht geschaffen, das vor dem Verfassungsgerichtshof durchsetzbar ist. Anders als der allgemeine Gleichheitssatz, der nur für Staatsbürger gilt, soll dieses Diskriminierungsverbot aber für jeden Menschen gelten" (siehe AB 785 BlgNR 20. GP, 3). In dieses Bild passt auch, dass die Begründung des – im Verfassungsausschuss letztlich zum Beschluss erhobenen – Abänderungsantrags 494/A durchgängig davon spricht, dass "Menschen" mit Behinderung nicht diskriminiert werden sollen. Auch in der Literatur wird überwiegend, soweit auf die Frage eingegangen wird, vertreten, dass Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG auch Fremde berechtigt (siehe Pöschl, Gleichheitsrechte, in: Merten/Papier [Hrsg.], Handbuch der Grundrechte, Band VII/1, 2009, 251, Rz 114; Hengstschläger/Leeb, Grundrechte, 2012, 122; Feik, Der räumliche und persönliche Geltungsbereich der Grundrechte in der Judikatur des VfGH, ZÖR 1999, 19 [21]).
Durch Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG soll der "innere Gehalt des Gleichheitssatzes […] durch das explizite Verbot der Diskriminierung von Behinderten nicht verändert, sondern zusätzlich bekräftigt werden, daß auch bei einer auftretenden Ungleichbehandlung von behinderten Menschen der Verfassungsgerichtshof diese immer auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen hat" (AB 785 BlgNR 20. GP, 5). Der Verfassungsgesetzgeber hat mit der Aufnahme eines ausdrücklichen Verbots der Diskriminierung von Behinderten also betont, dass staatliche Regelungen, die zu einer Benachteiligung behinderter Menschen führen, einer besonderen sachlichen Rechtfertigung bedürfen.
Das Erfordernis der Selbsterhaltungsfähigkeit für die Erlangung der Staatsbürgerschaft benachteiligt behinderte gegenüber nichtbehinderten Menschen bei der Erlangung dieses Rechts. Denn in einer Reihe von Fällen (und jedenfalls nicht nur in atypischen Härtefällen) führt die Behinderung von Menschen dazu, dass diese wegen des Grades ihrer Behinderung nur erschwerten oder gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. In diesen Fällen sind Menschen mit einer entsprechenden Behinderung aber nach §10 Abs1 Z7 iVm Abs5 StbG 1985 anders als Menschen ohne Behinderung von vornherein von der Verleihung der Staatsbürgerschaft ausgeschlossen, ohne Rücksicht darauf, ob sie die sonstigen Voraussetzungen zur Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllen, und ohne dass diese Menschen mit Behinderung eine Möglichkeit hätten, diese Benachteiligung gegenüber anderen Menschen aus Eigenem auszugleichen.
§10 Abs1 Z7 iVm Abs5 StbG 1985 normiert ausnahmslos die Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit für die Erlangung der Staatsbürgerschaft und behandelt damit Menschen mit Behinderung und nichtbehinderte Menschen gleich. Dies verstößt gegen Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG, weil damit Menschen mit Behinderung, deren Behinderung gerade wesentlich dafür sein kann, dass diese Menschen diese Voraussetzung von vornherein nicht erfüllen können, benachteiligt und damit diskriminiert werden (siehe auch U.Davy, Der Gleichheitssatz des österreichischen Rechts und Menschen mit Behinderung, FS Funk, 2003, 63 [82 f.]).
Damit treffen die vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken in Bezug auf das Diskriminierungsverbot behinderter Menschen gemäß Art7 Abs1 Satz 3 B‑VG zu.
2.2. Auch die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ob der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Bestimmungen des §10 Abs1 Z7 und Abs5 StbG 1985 im Hinblick auf das aus dem BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung abzuleitende Sachlichkeitsgebot erweisen sich als zutreffend:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (siehe etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Mit diesem aus dem genannten BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung abzuleitenden Sachlichkeitsgebot ist es aber unvereinbar, wenn der Gesetzgeber die Erlangung der Staatsbürgerschaft – was grundsätzlich unter Sachlichkeitsaspekten nicht zu beanstanden ist (siehe VfSlg 19.516/2011, S 398 f.) – von der Selbsterhaltungsfähigkeit der diese beantragenden Personen abhängig macht, dann aber keine Vorsorge dafür trifft, dass besondere Ausnahmesituationen unverschuldeter Notlage berücksichtigt werden können (vgl. auch dazu schon VfSlg 19.516/2011, S 399). Wie allein schon der Fall dauernd aufenthaltsberechtigter Menschen mit Behinderung zeigt, erweist sich ein ausnahmslos zur Anwendung gelangendes Erfordernis der Selbsterhaltungsfähigkeit als Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft als unverhältnismäßig. Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der die generelle Festlegung rechtfertigen könnte, den Anspruch auf Verleihung der Staatsbürgerschaft bei mangelnder Selbsterhaltungsfähigkeit in jedem Fall zu verwehren und damit besondere Ausnahmesituationen unverschuldeter Notlage grundsätzlich unberücksichtigt zu lassen. Solche Gründe, die jedenfalls so schwer wiegen, dass auch unverschuldet in Notlage geratene Menschen, die alle sonstigen Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllen würden, es hinnehmen müssten, von dieser wegen ihrer Notlage ausgeschlossen zu sein, sind dem Verfassungsgerichtshof nicht erkennbar.
Dem Gesetzgeber kommt ohne Zweifel ein weiter Gestaltungsspielraum zu festzulegen, wem er den Status eines dauerhaft in Österreich Aufenthaltsberechtigten zuerkennt. Soweit dies aber der Fall ist, haben diese Personen in der Regel unabhängig von der Verleihung der Staatsbürgerschaft gesetzlich geregelten Zugang zur Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Daher kann die in Prüfung gezogene Regelung auch nicht, selbst wenn man auf eine solche Zielsetzung abstellt, mit Hinweis auf die Vermeidung finanzieller Belastungen von Gebietskörperschaften gerechtfertigt werden. Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, der eine Rechtfertigung zu begründen vermag.
Die in Prüfung gezogenen Bestimmungen verstoßen daher auch gegen das Sachlichkeitsgebot des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung.
2.3. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist der Umfang der in einem Normenprüfungsverfahren aufzuhebenden Bestimmungen derart abzugrenzen, dass einerseits nicht mehr aus dem Rechtsbestand ausgeschieden wird, als Voraussetzung für den Anlassfall ist, dass aber andererseits der verbleibende Teil keine Veränderung seiner Bedeutung erfährt (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003); da beide Ziele gleichzeitig niemals vollständig erreicht werden können, ist in jedem Einzelfall abzuwägen, ob und inwieweit diesem oder jenem Ziel der Vorrang vor dem anderen gebührt (VfSlg 7376/1974, 11.506/1987, 15.599/1999, 16.195/2001).
Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei seiner Annahme, dass die dargelegte Verfassungswidrigkeit ihren Sitz in §10 Abs1 Z7 StbG 1985 hat und dass diese Bestimmung mit §10 Abs5 StbG 1985 in einem untrennbaren Zusammenhang steht, weil nur durch die letztgenannte Bestimmung die erstgenannte einen entsprechend bestimmten Inhalt hat.
Zur Beseitigung der dargelegten Verfassungswidrigkeit reicht es auch nicht aus, allein die Wortfolge "die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und" in §10 Abs5 StbG 1985 aufzuheben. Denn dann stünde §10 Abs1 Z7 StbG 1985 weiterhin der Verleihung der Staatsbürgerschaft an Personen, deren Lebensunterhalt nicht hinreichend – das heißt gemäß §10 Abs5 StbG 1985 nicht durch feste und regelmäßige eigene Einkünfte aus Erwerb, Einkommen, gesetzlichen Unterhaltsansprüchen oder Versicherungsleistungen in ausreichender Weise – gesichert ist, entgegen. Es ist auch – schon wegen Vorschriften wie §11 Abs5 NAG – nicht möglich, Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften als "eigene Einkünfte" im Sinne des §10 Abs5 StbG 1985 zu verstehen.
IV. Ergebnis
1. §10 Abs1 Z7 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl 311 (Wv.), idF BGBl I 37/2006 sowie Abs5 leg.cit. idF BGBl I 122/2009 sind sohin wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot behinderter Menschen gemäß Art7 Abs1 Satz 3 B-VG und wegen Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot des BVG gegen alle Formen rassischer Diskriminierung als verfassungswidrig aufzuheben.
2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG.
3. Beim Verwaltungsgerichtshof sind mehrere Beschwerden gegen Bescheide anhängig, die sich gleichfalls auf die als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen stützen. Der Verfassungsgerichtshof sieht sich daher veranlasst, von der ihm durch Art140 Abs7 B-VG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen, die Anlassfallwirkung auf die zum Zeitpunkt des Beginns seiner Beratungen beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Fälle auszudehnen.
4. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B‑VG.
5. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
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