OLG Wien 4R221/11s

OLG Wien4R221/11s14.6.2011

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Curd Steinhauer als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Werner Hofmann und die Richterin Mag. Martina Elhenicky in der Firmenbuchsache der M*****GmbH, ***** Wien, *****, wegen Erzwingung der Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.12.2002, über den Rekurs der Geschäftsführerin ***** gegen den Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 7.4.2011, 73 Fr 5896/11a-3, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben und der angefochtene Beschluss so abgeändert, dass er zu lauten hat:

Das Zwangsstrafverfahren gegen die Geschäftsführerin ***** wegen Erzwingung der Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.12.2002 wird eingestellt.

Text

Begründung

Im Firmenbuch des Handelsgerichtes Wien ist zu FN 130934a die M*****GmbH mit dem Sitz in Wien eingetragen. Alleinige Geschäftsführerin ist seit 2.2.1995 *****. Stichtag für den Jahresabschluss ist der 31. Dezember.

Mit Zwangsstrafverfügung vom 23.3.2011 verhängte das Handelsgericht Wien über die Gesellschaft (ON 1) und die Geschäftsführerin (ON 2) jeweils die gemäß § 283 Abs 2 UGB vorgesehene Zwangsstrafe von EUR 700,-- wegen nicht rechtzeitiger Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.12.2002. Alle späteren Jahresabschlüsse (2003 - 2010) waren bereits eingereicht.

Lediglich die Geschäftsführerin erhob dagegen Einspruch (ON 2a) mit der Begründung, damals sei Rechtsanwalt Dr. D***** als Masseverwalter zuständig für die Einreichung der Bilanz beim Firmenbuch gewesen. Tatsächlich war mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 12.9.2003 der Konkurs über das Vermögen der Gesellschaft eröffnet und am 13.9.2003 Dr. ***** D***** zum Masseverwalter bestellt worden; der Konkurs wurde erst am 7.5.2004 wieder aufgehoben.

Mit dem angefochtenen Beschluss verhängte das Handelsgericht Wien im ordentlichen Verfahren neuerlich eine Zwangsstrafe von EUR 700,-- über die Geschäftsführerin (ON 3). In seiner Begründung führte es aus, dass der im Firmenbuch eingetragene, aktuelle Geschäftsführer für die ordnungsgemäße und vollständige Einreichung sämtlicher Jahresabschlüsse die Verantwortung trage, unabhängig davon, wer zu welchem Zeitpunkt Geschäftsführer oder Masseverwalter gewesen sei. Gemäß § 212 UGB betrage die Aufbewahrungsfrist sieben Jahre, dies jedoch nur dann, wenn auch sämtlichen gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen worden sei. Da bis dato nicht sämtlichen Verpflichtungen nachgekommen worden sei, seien die ausstehenden Jahresabschlüsse beim Firmenbuchgericht einzureichen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der irrtümlich wieder als „Einspruch“ bezeichnete Rekurs der Geschäftsführerin mit dem Antrag, „die Strafverfügung außer Kraft zu setzen“ (gemeint: das Verfahren einzustellen).

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

1. Offenlegungspflicht:

Gemäß § 283 Abs 7 UGB haben die gesetzlichen Vertreter von Kapitalgesellschaften (und seit 1.1.2011 auch diese Gesellschaften selbst) den Jahresabschluss und Lagebericht sowie gegebenenfalls den Corporate Governance-Bericht spätestens neun Monate nach dem Bilanzstichtag mit dem Bestätigungsvermerk oder dem Vermerk über dessen Versagung oder Einschränkung beim Firmenbuchgericht des Sitzes der Gesellschaft einzureichen (offen zu legen). Diese Offenlegungspflicht, die in Umsetzung einschlägiger EU-Richtlinien (insbesondere der „Publizitätsrichtlinie“ des Rates 68/151/EWG vom 9.3.1968) geschaffen wurde, wird von der Rekurswerberin nicht infrage gestellt; sie beruft sich vielmehr darauf, dass für den Jahresabschluss 2002 nicht sie, sondern der Masseverwalter zur Offenlegung verpflichtet gewesen wäre.

2. Durchsetzung der Offenlegungspflicht:

Das Verfahren zur Durchsetzung der Offenlegungspflicht wurde mit Wirkung ab 1.3.2011 grundlegend reformiert. Gemäß § 283 Abs 1 UGB in seiner am 1.1.2011 in Kraft getretenen Fassung hat nun das Gericht insbesondere die Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung und gemäß § 283 Abs 7 UGB auch die Gesellschaft selbst zur zeitgerechten Befolgung der Offenlegungspflicht durch Zwangsstrafen von EUR 700,- bis zu EUR 3.600,- anzuhalten. Die Zwangsstrafe ist sofort nach Ablauf der Offenlegungsfrist zu verhängen. Dabei ist nach § 283 Abs 2 UGB so vorzugehen, dass ohne vorausgehendes Verfahren durch Strafverfügung eine Zwangsstrafe von EUR 700,- verhängt wird, wenn die Offenlegung nicht bis zum letzten Tag der Offenlegungsfrist erfolgt und auch nicht bis zum Tag vor Erlassung der Zwangsstrafverfügung bei Gericht eingelangt ist.

Von einer Zwangsstrafverfügung kann nur abgesehen werden, wenn der Geschäftsführer offenkundig durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der fristgerechten Offenlegung gehindert war. In diesem Fall kann - soweit bis dahin noch keine Offenlegung erfolgt ist - mit der Verhängung der Zwangsstrafverfügung bis zum Ablauf von vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses, welches der Offenlegung entgegen stand, zugewartet werden.

Gegen die Zwangsstrafverfügung können der Geschäftsführer und die Gesellschaft binnen 14 Tagen Einspruch erheben. Darin sind die Gründe für die Nichtbefolgung der Offenlegungspflicht anzuführen. Mit der rechtzeitigen Erhebung des begründeten Einspruchs tritt die Zwangsstrafverfügung außer Kraft. Über die Verhängung der Zwangsstrafe ist dann im ordentlichen Verfahren mit Beschluss zu entscheiden. Ist nicht mit Einstellung des Zwangsstrafverfahrens vorzugehen, so kann - ohne vorherige Androhung - wieder eine Zwangsstrafe von EUR 700,- bis EUR 3.600,- verhängt werden.

3. Unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis: Welche Einspruchsgründe zur Einstellung des Zwangsstrafverfahrens nach Durchführung des ordentlichen Verfahrens führen können, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Es liegt aber nahe, dass es sich dabei - abgesehen von den Fällen der ohnehin rechtzeitigen Offenlegung, des Nichtbestehens einer Offenlegungsverpflichtung oder der dauerhaften Unmöglichkeit der Offenlegung - wieder nur um unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse im Sinn des § 283 Abs 2 UGB handeln kann, die hier zwar nicht offenkundig sein, aber jedenfalls die Organe an der fristgerechten Offenlegung gehindert haben müssen.

Zur Beantwortung der Frage, was unter einem „unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis“ zu verstehen ist, kann auf die reichhaltige Lehre und Rechtsprechung zu § 146 ZPO (Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) zurückgegriffen werden, wo der selbe Begriff verwendet wird. Auch die Gesetzesmaterialien (981 d.B. XXIV. GP, zu Art 34) verweisen darauf:

Unter Ereignis ist demnach in der Regel jedes Geschehen oder jede Tatsache zu verstehen (Deixler-Hübner in Fasching/Konecny² II/2 § 146 ZPO Rz 4). Unvorhergesehen ist es dann, wenn es die Partei tatsächlich nicht mit einberechnet hat und sie dessen Eintritt auch unter Bedachtnahme auf die ihr bzw. ihrem Vertreter persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht nicht erwarten konnte (subjektiver Maßstab); die Partei muss aber alle ihr zumutbaren Maßnahmen treffen, um die Prozesshandlung fristgerecht vornehmen zu können. Der Begriff „unvorhergesehen“ ist somit durch den Begriff „unverschuldet“ zu ergänzen (Deixler-Hübner aaO, Rz 6). Mangels einer dem § 146 Abs 1 letzter Satz ZPO vergleichbaren Bestimmung reicht im Zwangsstrafverfahren - wie bisher (RIS-Justiz RS0123571) - schon ein minderer Grad des Versehens (leichte Fahrlässigkeit) aus, um die Unvorhersehbarkeit zu beseitigen. Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn sein Eintritt durch die Partei nicht verhindert werden konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (objektives Kriterium; Deixler-Hübner aaO Rz 7).

Das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis muss für die konkrete Versäumung auch kausal sein. Nur wenn die Versäumung ausschließlich auf dieses Ereignis zurückzuführen ist, kann dies einen tauglichen Einspruchsgrund darstellen. Das Organ ist daher verpflichtet, alles zu tun, um trotz des eingetretenen Ereignisses den Jahresabschluss rechtzeitig einzureichen bzw. (durch Hilfsorgane) einreichen zu lassen. Es muss von ihm erwartet werden, dass es dabei alles unternimmt, was ihm persönlich zugemutet werden kann, um die rechtzeitige Erfüllung seiner gesetzlichen Pflichten zu gewährleisten, wenn auch dabei der Bogen der Zumutbarkeit nicht überspannt werden darf (vgl. zum Wiedereinsetzungsverfahren Deixler-Hübner aaO, RZ 8 mwN; in diesem Sinne, wenn auch mit etwas anderer Begründung, schon die Rechtsprechung zur alten Fassung des § 283 UGB, vgl. wiederum RIS-Justiz RS0123571).

Gelingt es dem Organ aber trotz aller zumutbarer Bemühungen nicht, den Jahresabschluss rechtzeitig (also 9 Monate nach dem Stichtag) einzureichen bzw. einreichen zu lassen, so ist von ihm wenigstens zu erwarten, dass es das Versäumte unverzüglich nachholt, sobald das Hindernis in Form des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses weggefallen ist. Aus der Bestimmung des § 283 Abs 2 3. Satz UGB, wonach mit der Verhängung einer Zwangsstrafverfügung bis zu vier Wochen nach Wegfall des Hindernisses zugewartet werden kann, ist zu schließen, dass die Offenlegungspflicht nach Wegfall des Hindernisses wieder „auflebt“ (Dokalik/Birnbauer, Das neue Verfahren zur Erzwingung der Offenlegung nach den §§ 277 ff UGB, GesRZ 2011, 24), sodass auch eine Säumnis nach Wegfall des Hindernisses zur Strafverhängung führt. Das Verfahren kann nur eingestellt werden, wenn der Gesellschaft und ihren Organen zum Zeitpunkt der Entscheidung keine Säumnis vorgeworfen werden kann; dies setzt voraus, dass ein ausständiger Jahresabschluss innerhalb der vierwöchigen Nachfrist nach Wegfall des Hindernisses nachgereicht wird.

4. Vorliegender Fall:

Die Geschäftsführerin hat schon in ihrem Einspruch angedeutet und auch in ihrem Rekurs ausgeführt, dass zu dem Zeitpunkt, als der Jahresabschluss 2002 hätte eingereicht werden müssen, für die Gesellschaft ein Masseverwalter bestellt war, der für die Einreichung zuständig war. Diesem habe sie alle Unterlagen einschließlich der Bilanz zur Verfügung gestellt und sich darauf verlassen, dass er sie beim Firmenbuch einreichen werde. In der Folge sei sie auch nicht vom Gericht aufgefordert worden, den fehlenden Jahresabschluss nachzureichen.

Auch ein unverschuldeter Irrtum kann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen (RIS-Justiz RS0036742). Ein solcher Irrtum ist der Geschäftsführerin hier zu Gute zu halten. Die Einreichung des Jahresabschlusses zum 31.12.2002 war am 30.9.2003 fällig; zu diesem Zeitpunkt war Rechtsanwalt Dr. ***** D***** als Masseverwalter für die Gesellschaft bestellt und daher auch zur Einreichung des Jahresabschlusses verpflichtet (RIS-Justiz RS0039298). Wenn ihm die Geschäftsführerin daher, wie sie schreibt, alle Unterlagen einschließlich der Bilanz 2002 zur Verfügung gestellt hat, so durfte sie sich tatsächlich darauf verlassen, dass er die Einreichung veranlassen werde. Da sie in den folgenden Jahren nach Aufhebung des Konkurses niemals vom Erstgericht aufgefordert wurde, die fehlende Bilanz nachzureichen, hatte sie auch keinen Anlass, daran zu zweifeln, dass der Masseverwalter seiner Pflicht nachgekommen war; dies umso mehr, als § 223 Abs 2 UGB die zwingende Angabe von Vorjahreszahlen im Jahresabschluss vorschreibt und daher der nachfolgenden Jahresabschluss zum 31.12.2003 ohne einen erstellten und offengelegten Jahresabschluss 2002 eigentlich nicht hätte eingetragen werden dürfen. Ohne eine Aufforderung des Gerichts, die nach der bis 31.12.2010 geltenden Rechtslage unbedingte Voraussetzung für die Verhängung einer Zwangsstrafe gewesen wäre, hatte die Geschäftsführerin folglich auch keine Veranlassung, durch eine - per Internet grundsätzlich jederzeit mögliche, aber kostenpflichtige - Nachschau im elektronischen Firmenbuch zu überprüfen, ob der Jahresabschluss 2002 tatsächlich eingereicht worden war.

Mit Inkrafttreten der Neufassung des § 283 Abs 1 UGB am 1.1.2011 fiel zwar das Erfordernis einer Aufforderung weg, doch musste die Geschäftsführerin mangels irgendwelcher Anhaltspunkte auch weiterhin nicht damit rechnen, dass ein Jahresabschluss zu einem derart weit zurückliegenden Stichtag noch ausständig sein könnte. Zu diesem Zeitpunkt war sie ja nicht einmal mehr verpflichtet, den betreffenden Jahresabschluss samt Belegen aufzubewahren, dauert doch die Aufbewahrungsfrist gemäß § 212 Abs 2 UGB nur sieben Jahre ab dem Schluss des Kalenderjahres, für das der Jahresabschluss festgestellt worden ist.

Entgegen der irrigen Ansicht des Erstgerichtes besteht eine darüber hinausgehende Aufbewahrungsfrist nicht, bis „sämtlichen gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen worden ist“, sondern nur so lange, als die Unterlagen für ein anhängiges gerichtliches oder behördliches Verfahren, in dem der Unternehmer Parteistellung hat, von Bedeutung sind (§ 212 Abs 1 letzter Halbsatz UGB). Da innerhalb der siebenjährigen Aufbewahrungsfrist kein Verfahren zur Durchsetzung der Vorlage des Jahresabschlusses zum 31.12.2002 eingeleitet wurde, endete die Frist im vorliegenden Fall am 31.12.2009. Hätte die Geschäftsführerin nach diesem Datum die Unterlagen zulässigerweise vernichtet, wäre sie schon wegen dauerhafter Unmöglichkeit der Vorlage nicht zu bestrafen gewesen.

Auch so durfte sie aber weiterhin davon ausgehen, dass sämtliche fälligen Jahresabschlüsse eingereicht waren. Dieser als unvorhersehbares Ereignis zu qualifizierende Irrtum fiel erst mit Zustellung der Zwangsstrafverfügung am 25.3.2011 weg. Schon am 1.4.2011 und somit deutlich innerhalb der aus § 283 Abs 2 UGB abzuleitenden vierwöchigen Nachfrist legte sie den ausständigen Jahresabschluss vor. Es ist daher weder ihr noch der Gesellschaft (die allerdings keinen Einspruch gegen die Strafverfügung erhoben hat) ein strafbarer Verstoß gegen die Offenlegungspflicht vorzuwerfen.

Die Zwangsstrafe wurde daher zu Unrecht verhängt, in Stattgebung des Rekurses ist das Zwangsstrafverfahren gegen die Geschäftsführerin einzustellen.

Im Übrigen ist das Rekursgericht der Ansicht, dass in einer Fallkonstellation wie der vorliegenden, wo nur ein einziger, mehr als 7 Jahre zurückliegender Jahresabschluss ausständig ist, der niemals eingemahnt wurde, kein Anlass zur Verhängung einer Zwangsstrafe besteht. Dies folgt daraus, dass an der Offenlegung von Jahresabschlüssen, die nach § 212 UGB nicht einmal mehr aufbewahrt werden müssen, auch aus Sicht der Publizitätsrichtlinie kein Interesse mehr bestehen kann. Der in der Verhängung einer Zwangsstrafe gelegene Eingriff in das Grundrecht auf Eigentum wird aber im Hinblick auf das weggefallene oder zumindest stark verminderte Interesse an der Offenlegung unverhältnismäßig und verstößt daher gegen Art 1 Abs 1 des Ersten Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention sowie Art 5 des Staats-

grundgesetzes von 1867.

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