European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0459:2025:0120RS00007.25Y.0203.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Begründung:
In Form eines Bescheides hält die Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle **, am 9. August 2024 fest, dass mit einem vor Gericht am 29. Juli 2024 abgeschlossenen Vergleich ein Anspruch des Antragstellers auf Pflegegeld der Stufe 2 ab 1. September 2022 anerkannt worden sei, und teilt dessen Höhe für die Jahre 2022, 2023 und 2024 mit. Begründet wird dies mit einem Pflegebedarf von 108 Stunden monatlich. Unterhalb dieser Begründung findet sich als „Hinweis“ der Satz, dass für Juli 2025 ein Termin für die Wiederbegutachtung zur Prüfung des Pflegebedarfs vorgemerkt ist. Vom Ergebnis der Wiederbegutachtung werde der Antragsteller informiert. Nach der Rechtsmittelbelehrung und der Amtssignatur wird noch festgehalten, dass für den Zeitraum der Haft vom 2. November 2023 bis 1. Jänner 2024 kein Pflegegeld gebührt (Blg ./A).
Zur Bekämpfung dieses Bescheides beantragte der Antragsteller am 19. November 2024 die Gewährung der Verfahrenshilfe. Er benötige zur Erhebung einer Klage insbesondere einen Rechtsanwalt, da sich komplexere Fragen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht stellten, die sich seiner Einsichtfähigkeit entzögen. Zum einen gehe es um die Rückforderung des Pflegegelds, das für den Zeitraum der Haft geruht habe. Ruhen bedeute nicht gleichzeitig Rückforderbarkeit. Außerdem sei es sinnvoll, die Vormerkung der Wiederbegutachtung zu bekämpfen; eine solche entbehre nämlich jeglicher gesetzlichen Grundlage. Eine neuerliche bescheidmäßige Erledigung über denselben Sachverhalt sei nach einem rechtskräftigen Urteil oder Vergleich ohne wesentliche Änderung des Sachverhalts nicht möglich. Nur beim Rehabilitationsgeld sei eine jährliche Kontrolle vorgesehen. Sein Pflegegeld sei auch nicht gemäß § 9 Abs 2 BPGG befristet, sodass es keine Bestimmung gebe, die die Pensionsversicherungsanstalt berechtige, sich durch medizinische Untersuchungen darum zu kümmern, ob eine Reduzierung des Pflegebedarfs gegeben sei. Sein Einkommen (Ausgleichszulage) betrage EUR 1.155,84 (ON 1).
Wann der zu bekämpfende Bescheid dem Antragsteller zuging, konnte mangels Zustellnachweises nicht geklärt werden. Die für den Zustellzeitpunkt beweispflichtige Pensionsversicherungsanstalt (vgl RIS-Justiz RS0049619) teilte dem Erstgericht mit, die Zustellung könne vom Bescheiddatum bis zum Druck und dem Einwurf in den Postkasten des Versicherten bis zu 10 Tage dauern, und errechnete ausgehend von der maximalen Zustelldauer das Ende der Klagsfrist mit 19. November 2024 (ON 3).
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag ab. Es sei noch keine Klage eingebracht worden, allerdings werde die Frist zur Erhebung einer Klage mangels Feststellbarkeit des Zustelldatums durch den Verfahrenshilfeantrag gewahrt. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei aussichtslos, da es kein Recht gebe, das der Antragsteller gegen den positiven Bescheid geltend machen könne. Gegen die Höhe des monatlichen Pflegegelds wehre er sich nicht und eine Absicht zur Rückforderung des Pflegegelds lasse sich aus dem Bescheid nicht ableiten. Ebensowenig könne aus dem unter „Hinweis“ im Bescheid außerhalb des Spruchs Angeführten eine Befristung des Pflegegelds im Sinne des § 9 Abs 2 BPGG abgeleitet werden, da nur der Spruch eines Bescheids in Rechtskraft erwachse. Gemäß § 9 Abs 4 BPGG sei das Pflegegeld zu entziehen, wenn eine Voraussetzung für dessen Gewährung wegfalle, bzw neu zu bemessen, wenn eine für die Höhe des Pflegegelds wesentliche Veränderung eintrete. Um dies zu überprüfen, könne der Pflegegeldbezieher gemäß § 26 Abs 1 BPGG zur Mitwirkung verpflichtet werden. Der Hinweis auf die Wiederbegutachtung sei jedoch eine reine Vorinformation. Eine fehlende Beschwer könne auch Mutwilligkeit begründen.
Das Erstgericht qualifizierte den Verfahrenshilfeantrag (zu Recht) noch nicht als Klage, verfügte aber – entgegen § 65 Abs 2 letzter Satz ZPO – dennoch die Zustellung des Beschlusses an die Pensionsversicherungsanstalt als „Beklagte“ (ON 7).
Gegen die Abweisung seines Verfahrenshilfeantrags richtet sich der rechtzeitige Rekurs des Antragstellers, mit welchem er vor allem die Beigebung eines Verfahrenshelfers anstrebt.
Auch dieser Rekurs wurde der „Beklagten“ mit der Möglichkeit zur Äußerung binnen 14 Tagen zugestellt (ON 9).
Bezugnehmend auf dieses Schreiben des Erstgerichts vom 8. Jänner 2025 brachte die Pensionsversicherungsanstalt einen als Stellungnahme bezeichneten Schriftsatz ein, mit welchem sie darauf hinwies, die Information über die Wiederbegutachtung sei eine Serviceleistung und einer Klage nicht zugänglich (ON 10).
Das Erstgericht wertete dieses Schreiben als Rekursbeantwortung (ON 11) und legte den Akt dem Rekursgericht vor.
Es ist nicht davon auszugehen, dass es sich bei der Stellungnahme der Pensionsversicherungsanstalt tatsächlich um eine Rekursbeantwortung handelt, da sie sich nicht auf den Rekurs bezieht. Sollte der Schriftsatz doch als Rekursbeantwortung zu qualifizieren sein, wäre er zurückzuweisen. Der präsumtive Prozessgegner ist am Verfahren vor Klagszustellung noch nicht beteiligt und daher zu keiner Rekursbeantwortung legitimiert (vgl zur Rekurslegitimation M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ § 65 Rz 7).
Eine Zustellung des Rekurses an den/die Revisor:in erfolgte entgegen § 72 Abs 2a ZPO nicht (M. Bydlinski in Fasching/Konecny³ § 72 Rz 6/1), allerdings konnte im Hinblick auf die Aussichtslosigkeit des Rekurses im vorliegenden Fall dessen/deren Beiziehung unterbleiben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist nicht berechtigt.
1 Der Antragsteller argumentiert umfangreichst damit, dass ihm in anderen Verfahren und von anderen Erstrichtern bzw Erstrichterinnen ein Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer beigegeben worden sei. Auch sei kein Verbesserungsauftrag zur Klärung der offenen Fragen ergangen. Das Ruhen einer Leistung bedeute nicht schon deren Rückforderbarkeit, da ein Sachverständiger zu beurteilen habe, ob er angesichts seines bekannten Krankheitsbildes in der fraglichen Zeit in der Lage gewesen sei, seine Meldepflicht bezüglich Strafhaft wahrzunehmen. Für eine Nachuntersuchung gebe es keine gesetzliche Grundlage. Die Pensionsversicherungsanstalt dürfe nach § 33b Abs 2 BPGG Auskünfte über die zweckmäßige Verwendung des Pflegegelds einholen, ansonsten aber müsse der Pflegegeldbezieher eine Veränderung im Pflegebedarf melden. Es mache einen Unterschied, wenn man wisse, dass die Pensionsversicherungsanstalt willkürlich eine Untersuchung anordnen könne, sodass es sinnvoll sei, schon jetzt den Bescheid zu bekämpfen und nicht erst in einem Jahr auf einen neuen Bescheid zu warten. Dies seien komplexe Rechtsfragen, bei denen er den Überblick verloren habe, weshalb die Beigebung eines Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Verteidigung erforderlich sei.
2.1 Gemäß § 63 Abs 1 ZPO ist Verfahrenshilfe einer Partei soweit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen als sie außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Als mutwillig ist die Rechtsverfolgung besonders anzusehen, wenn eine nicht die Verfahrenshilfe beanspruchende Partei bei verständiger Würdigung aller Umstände des Falles, besonders auch der für die Eintreibung ihres Anspruchs bestehenden Aussichten, von der Führung des Verfahrens absehen oder nur einen Teil des Anspruchs geltend machen würde.
2.2 Offenbar aussichtslos ist eine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, die schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Abwehrmittel als erfolglos erkannt werden kann. Um die Verfahrenshilfe bewilligen zu können, muss der Erfolg zwar nicht gewiss sein, aber nach der sofort erkennbaren Lage eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ein besonders strenger Maßstab ist bei der Annahme der Aussichtslosigkeit zwar nicht angebracht, damit nicht durch die Verfahrenshilfeentscheidung bereits die Sachentscheidung vorweggenommen wird. Allerdings ist jedenfalls eine mutwillige Prozessführung anzunehmen, wenn ein Prozesserfolg so unwahrscheinlich ist, dass eine nicht Verfahrenshilfe genießende Partei von der Führung des Verfahrens aufgrund des Kostenrisikos absehen würde (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 § 63 ZPO Rz 19 f; vgl Fucik in Rechberger/Klicka 5 § 63 Rz 5 f; vgl Schindler in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 63 ZPO [Stand 9.10.2023, rdb.at] Rz 11, 13).
2.3 Ob dem Antragsteller in anderen Verfahren die Verfahrenshilfe bewilligt worden ist, ist irrelevant, weil es für die Beurteilung der Aussichtslosigkeit auf die konkret beabsichtigte Klagsführung ankommt. Dem Antragsteller war auch nicht im Wege eines Verbesserungsauftrags Gelegenheit zu geben, dem Erstgericht die Komplexität der Rechtsfragen näher zu erklären; zur Beurteilung von Rechtsfragen ist das Gericht selbst in der Lage.
3.1 Jede Klage (mit Ausnahme der Säumnisfälle) setzt einen Bescheid des Sozialversicherungsträgers voraus, der "darüber", dh über den der betreffenden Leistungssache zugrundeliegenden Anspruch des Versicherten ergangen sein muss. Wird eine Klage nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG über einen Anspruch des Versicherten erhoben, obwohl „darüber“ kein Bescheid vorliegt, ist sie gemäß § 73 ZPO in jeder Lage des Verfahrens wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (vgl RIS-Justiz RS0085867).
Ein Bescheid ist anzunehmen, wenn der zu beurteilende Akt von einer Behörde stammt, die Bescheide erlassen darf, und wenn sich aus seinem Inhalt der Wille der Behörde ergibt, eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber einer bestimmten Person normativ zu regeln, dh bindende Rechtsverhältnisse zu gestalten oder festzustellen (RIS-Justiz RS0085681).
Demgegenüber stellen „Belehrungen“ (Mitteilungen, Verständigungen oder Informationsschreiben) des Versicherungsträgers ohne diesen erkennbaren „Bescheidwillen“ keinen Bescheid dar (RIS-Justiz RS0085557). So etwa ist die Mitteilung, die Wiederbegutachtung habe ergeben, dass weiterhin Pflegebedürftigkeit in unverändertem Ausmaß der Stufe [...] vorliege, das Pflegegeld werde in unveränderter Höhe weiterhin ausbezahlt und die nächste Wiederbegutachtung werde zu einem bestimmten Zeitpunkt [Monat/Jahr] stattfinden, nicht als Bescheid zu qualifizieren (vgl OGH 10 ObS 156/15m). Auch die Aufforderung, sich zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Kontrolluntersuchung zu begeben, ist kein Bescheid (vgl OGH 10 ObS 56/22s zur Krankenstandskontrolle).
3.2 In dem zu bekämpfen beabsichtigten Bescheid vom 9. August 2024 ist von einer Rückforderung des Pflegegelds keine Rede. Ohne einen Rückforderungsbescheid kann man sich aber naturgemäß nicht gegen eine Rückforderung zur Wehr zu setzen. Die Führung des im Wege der Verfahrenshilfe angestrebten Verfahrens ist daher überflüssig.
Die Mitteilung, dass das Pflegegeld während der Haft ruht, gibt zum einen lediglich § 12 Abs 1 Z 3 BPGG wieder und ist zum anderen auch nicht dem Spruch des Bescheids zu entnehmen. Nur dieser erwächst aber in Rechtskraft und nur darüber, was im Spruch steht, wird auch abgesprochen (vgl RIS-Justiz RS0036948).
3.3 Ob im Pflegegeldverfahren der Pensionsversicherungsträger von sich aus eine Wiederbegutachtung anordnen darf, kann dahingestellt bleiben, da die bloße Vorankündigung einer Wiederbegutachtung keinen bekämpfbaren Bescheid darstellt, sodass auch diesbezüglich eine Klagsführung nicht erfolgversprechend ist. Da eine Nachuntersuchung zu einem bestimmten Termin noch nicht einmal angeordnet worden ist, kommt es auf die im Rekurs angeführten Argumente gegen die Grundrechtskonformität einer ärztlichen Untersuchung nicht an.
4.1 Zu Recht hat daher das Erstgericht den Verfahrenshilfeantrag des Antragstellers abgewiesen. Zur Führung aussichtsloser Prozesse ist kein Rechtsanwalt im Rahmen der Verfahrenshilfe zu bestellen. Ansonsten ist in sozialgerichtlichen Verfahren mit keiner Kostenbelastung zu rechnen. Es fallen nicht nur keine Gerichtsgebühren an (§ 80 ASGG), sondern auch keine Gebühren für Zeugen oder Sachverständige (§ 77 Abs 1 Z 1 ASGG) und für Reisekosten der Partei gilt die Sonderregelung des § 79 ASGG.
4.2 Der rechtzeitige Verfahrenshilfeantrag zur Einbringung der Bescheidklage hat die dreimonatige Klagsfrist unterbrochen. Die Bestimmung des § 73 Abs 2 ZPO ist sinngemäß auch auf die Klagsfrist des § 67 Abs 2 ASGG anzuwenden (Sonntag in Köck/Sonntag, ASGG § 67 Rz 43 und Neumayr in ZellKomm³ § 67 Rz 10 jeweils unter Hinweis auf RIS-Justiz RW0000353). Sie beginnt mit dem Eintritt der Rechtskraft dieses abweislichen Beschlusses über die Verfahrenshilfe neu zu laufen.
5 Ein Revisionsrekurs ist in Verfahrenshilfesachen gemäß § 528 Abs 2 Z 4 ZPO jedenfalls unzulässig.
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