OGH 10ObS156/15m

OGH10ObS156/15m19.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter (Senat nach § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj F*****, geboren am *****, vertreten durch M***** als gesetzliche Vertreterin, diese vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Pflegegeld, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. November 2015, GZ 7 Rs 55/15k‑10, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00156.15M.0119.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

Die mj Klägerin bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt seit 2012 ein Pflegegeld der Stufe 3. Im Jänner 2015 erfolgte eine Nachuntersuchung der Klägerin. Mit Schreiben vom 30. 1. 2015 teilte die beklagte Partei der mj Klägerin bzw deren gesetzlichen Vertreterin mit, die Wiederbegutachtung habe ergeben, dass weiterhin Pflegebedürftigkeit in unverändertem Ausmaß vorliege. Das Pflegegeld der Stufe 3 werde in unveränderter Höhe weiterhin ausbezahlt, die nächste Wiederbegutachtung werde voraussichtlich im Februar 2017 stattfinden. Eine Verständigung werde rechtzeitig erfolgen. Das Schreiben ist mit „Hochachtungsvoll für die Pensionsversicherungsanstalt Der Landesstellendirektor Dr. Z*****“ gezeichnet.

Dagegen brachte die Klägerin eine Klage auf Gewährung eines höheren Pflegegeldes als jenes der Stufe 3 ein.

Die beklagte Partei beantragte, die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen. Das Schreiben sei nicht als Bescheid zu qualifizieren. Die bei Kindern in regelmäßigen Abständen von Amts wegen vorgenommene Überprüfung, ob sich eine Änderung im Pflegebedarf ergeben habe, habe bei der Klägerin erbracht, dass keine Änderung eingetreten sei und weiterhin das Pflegegeld der Stufe 3 ausbezahlt werde. Darüber sei im Schreiben vom 30. 1. 2015 informiert worden. Einen Erhöhungsantrag habe die Klägerin nicht gestellt.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Rechtlich ging es im Wesentlichen davon aus, das Schreiben vom 30. 1. 2015 habe keinen Bescheidcharakter, sondern stelle eine bloße Mitteilung bzw Information des Versicherungsträgers im Rahmen der (regelmäßig vorgenommenen) amtswegigen Überprüfung des Gesundheitszustands von das Pflegegeld beziehenden Kindern dar. Es enthalte eine Verständigung darüber, dass keine Änderung des Pflegebedarfs eingetreten sei und die Leistung in unveränderter Höhe weiter ausbezahlt werde. Es sei weder eine Gestaltung noch eine bindende Feststellung des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses erfolgt. Über einen Erhöhungsantrag wäre bescheidmäßig abzusprechen gewesen, einen solchen habe die Klägerin aber nicht gestellt.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Prozesseinrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs verworfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Klägerin, über den gemäß § 11a Abs 3 Z 2 ASGG durch einen aus drei Berufsrichtern bestehenden Senat zu entscheiden war, ist mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Wurde eine Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen, dann ist der Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Beschluss des Rekursgerichts nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO zwar nicht jedenfalls unzulässig, nach § 528 Abs 1 ZPO allerdings nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Rekursgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Die Zurückweisung eines Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 528a iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

1. Die geltend gemachte Nichtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts, weil das Rekursgericht ohne Beiziehung fachkundiger Laienrichter entschieden hat, liegt im Hinblick auf die Regelung des § 11a Abs 2 Z 2 ASGG nicht vor. Die Verneinung einer Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz durch das Rechtsmittelgericht ist unanfechtbar (RIS‑Justiz RS0043405).

2. Wird eine Klage nach § 67 Abs 1 Z 1 ASGG erhoben, obwohl (abgesehen vom Säumnisfall) kein Bescheid vorliegt, ist sie in jeder Lage des Verfahrens wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen (§ 73 ASGG;RIS‑Justiz RS0085867 [T14]; Neumayr in ZellKom2 § 67 ASGG Rz 4).

3. Ob ein Bescheid iSd §§ 67 ff ASGG oder eine bloße Mitteilung des Versicherungsträgers vorliegt, richtet sich nach den zum AVG entwickelten Kriterien (10 ObS 2/01v, SSV‑NF 15/22 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Bescheid anzunehmen, wenn der zu beurteilende Akt von einer Behörde stammt, die Bescheide erlassen darf und wenn sich aus seinem Inhalt der Wille der Behörde ergibt, eine Verwaltungsangelegenheit gegenüber einer bestimmten Person normativ zu regeln, dh bindende Rechtsverhältnisse zu gestalten oder festzustellen (RIS‑Justiz RS0085681). Maßgeblich für den Bescheidcharakter ist demnach der Bescheidwille bzw das „autoritative Wollen“ (10 ObS 67/05h, SSV‑NF 20/14). Fehlt der Bescheidwille, ist eine bloße Verständigung oder Mitteilung anzunehmen (RIS‑Justiz RS0085557). Eine „Verständigung“, in der in Wirklichkeit über einen Antrag des Versicherten (dem Grunde nach) abgesprochen wird, ist aber als Bescheid anzusehen (10 ObS 2/01v, SSV‑NF 15/22; 10 Obs 1/02y, SSV‑NF 16/7).

4.1 Dass im vorliegenden Fall der Bescheidwille als nicht gegeben erachtet wurde, entspricht den dargestellten Grundsätzen. Mit der bloßen Behauptung, aus dem Schreiben vom 30. 1. 2015 sei der Bescheidwille und der Bescheidcharakter eindeutig erkennbar, ohne dass dafür konkrete Gründe genannt werden und ausgeführt wird, inwiefern die Beurteilung des Rekursgerichts von der ständigen Rechtsprechung abweicht, wird keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

4.2 Ist für die Klage der Rechtsweg unzulässig, musste das Rekursgericht nicht auf die geltend gemachten inhaltlichen Rekursgründe eingehen. Auch die gerügte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt demnach nicht vor.

5. Zur Kostenentscheidung:

Die Klägerin begehrt den Zuspruch der Revisionsrekurskosten nach Billigkeit ausdrücklich auch für den Fall der Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses. Unterliegt der Versicherte zur Gänze, hat er nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach einen Kostenersatzanspruch nach Billigkeit, wenn sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Versicherten den Kostenersatz nahelegen. Weder liegen tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten vor, noch hat die Klägerin berücksichtigungswürdige Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse dargelegt, die einen ausnahmsweisen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten ( Neumayr in ZellKomm² § 77 ASGG Rz 13).

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