European Case Law Identifier: ECLI:AT:OLG0639:2025:00300R00001.25D.0123.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.691,02 (darin EUR 615,17 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt hinsichtlich der erstklagenden Partei insgesamt EUR 30.000,00.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
Der Erstkläger ist der Witwer, der Zweitkläger der Sohn der am 01.05.2023 verstorbenen Ing. E* B*. Gegenstand des Verfahrens sind Ansprüche der Kläger auf Trauerschmerzengeld sowie Ansprüche des Erstklägers auf Ersatz von Begräbniskosten, die sie auf einen ärztlichen Kunstfehler bei der Behandlung der am 01.05.2023 verstorbenen Ing. E* B* durch die Ärzte der beklagten Krankenanstaltenträgerin stützen.
Ing. E* B* verständigte am Morgen des 29.04.2023 aufgrund plötzlich aufgetretener Schmerzen im Bereich des linken Fußes und Kreuzschmerzen mit Ausstrahlung in das rechte Bein die Rettung. Sie wurde in das LKH Univ. Klinikum F*, gemeinsame Notaufnahme der Univ. Klinik für Chirurgie, Neurochirurgie, Orthopädie und Traumatologie gebracht. Sie war bei Einlangen der Sanitäter bei klarem Bewusstsein und zeitlich, örtlich, situativ und zur Person orientiert. Sie teilte dem behandelnden Arzt über Befragen mit, dass keine der folgenden Symptome in den drei bis vier Wochen davor vorgelegen sind: Fieber, Schüttelfrost, Halsschmerzen, Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen, eine allgemeine Schwäche, grippeähnliche Symptome, eine Schnitt- oder Stichverletzung, ein Insektenstich, eine Verbrennung. [F1-1] Auch die Frage nach der Vornahme einer medizinischen Handlung in irgendeiner Art, insbesondere gynäkologischer Natur, wurde von Ing. B* verneint, ebenso eine diffuse Hautrötung wie ein Sonnenbrand, Probleme mit dem Urinieren. [F1-2] Sie äußerte lediglich, dass sie Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und in den Füßen hätte, wobei jene in der Lendenwirbelsäule rezidivierend und als rezent beschrieben wurden. Sie schilderte dem Arzt einen Schmerz im (linken) Mittelfuß. Neurologische Symptome, wie Verwirrtheit, Schläfrigkeit, außergewöhnliche Agitiertheit/Erregtheit, sind dem behandelnden Arzt bei Ing. B* nicht aufgefallen. In der Folge führte der Arzt eine körperliche Untersuchung durch, wobei der (linke) Fuß eine Fehlstellung (Hallux Valgus, ausgeprägte Arthrose am Mittelfuß) und eine leichte Überwärmung, jedoch keine Rötung, keine außergewöhnliche Schwellung und auch keine fortgeleiteten Entzündungszeichen aufwies. Auch der linke Unterschenkel war unauffällig. Ing. B* schilderte ihre Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 mit 3, was dem Arzt nach Erhebung der Anamnese und der körperlichen Untersuchung schlüssig erschien.
Die durchgeführte Röntgendiagnostik zeigte Arthrosen (Aufbrauchserscheinungen des Gelenksknorpels) im Bereich der Gelenkslinie zwischen Fußwurzel und Mittelfuß (Lisfranc-Gelenk). Für den Arzt lag nach dem Röntgenbefund und dem von Ing. E* B* geschilderten Schmerz ein klassisches orthopädisches Krankheitsbild vor (Aktivierung einer Arthrose). Im Ambulanzbefund vom 29.04.2023 sind „diffuse Schmerzen im Bereich des linken Mittelfußes ohne Trauma mit lokaler Überwärmung, aber ohne Infektzeichen“ vermerkt. Er klärte Ing. B* über die Maßgaben der Schmerztherapie sowie der Thromboseprophylaxe auf und empfahl ihr eine schonende Vollbelastung unter Zuhilfenahme zweier Unterarmstützkrücken, die weitere Abklärung im niedergelassenen Bereich sowie das Tragen von Schuheinlagen, gegebenenfalls eine lokale Infiltration. Aufgrund des Befundes und der fehlenden klassischen Infektzeichen war für den behandelnden Arzt keine Notwendigkeit gegeben, eine Blutuntersuchung durchzuführen, weil sich durch die Anamnese, körperliche Untersuchung und das Röntgen eine plausible Erklärung für die Beschwerden ergab.
Im Verlauf des 30.04.2023 kam es zur deutlichen Verschlechterung ihres Allgemeinzustands. In den Abendstunden des 30.04.2023 saß sie im Rollstuhl. Sie konnte nicht mehr sehen und lallte; dabei fiel ihr der Kopf immer wieder herunter. Sie äußerte gegenüber ihren Besuchern, dass sie „nicht mehr auf‘s Klo gehen könne; es kämen immer nur ein paar Tropfen“. Aufgrund ihres Allgemeinzustands wurde der Notarzt verständigt. Sie wurde mit dem Bild eines septischen Schocks bei unklarem Fokus auf der Intensivstation der Univ. Klinik für Innere Medizin aufgenommen. Als mögliche Infektionsquelle wurde ihre Knietotalendoprothese, eine Bandscheibenentzündung oder eine Sepsis der harnableitenden Wege ebenso in Erwägung gezogen wie eine Infektion mit seltenen Erregern. Die am 30.04.2023 abends erhobenen Laborparameter zeigten eine geringe Verminderung der roten Blutkörperchen, eine deutliche Verminderung der weißen Blutkörperchen und ein massiv erhöhtes CRP (Entzündungswert) in Kombination mit einem sehr stark erhöhten Interleukin 6, typisch für einen septischen Schock. Ing. E* B* erlitt im weiteren klinischen Verlauf – trotz maximalem intensivmedizinischen Aufwand – ein fortschreitendes Multiorganversagen im Rahmen des septischen Schocks. Sie verstarb am 01.05.2023 um 9:30 Uhr. Bis dahin war es nicht gelungen, den Fokus der Entzündung zu identifizieren. Die Ergebnisse der Blutkulturen lagen im Verlauf ihrer Behandlung nicht vor, die Erstbefunde datieren vom 02.05.2023. Die Diagnose des Erysipels bzw der Infektion mit Streptokokken bei Ing. B* wurde erst post mortem gestellt, obwohl im Zuge des stationären Aufenthalts an der Universitätsklinik für Innere Medizin zahlreiche Blutuntersuchungen angefertigt wurden. Diese zeigten zwar sehr stark erhöhte Entzündungswerte wie sie bei einem Toxic-Shock-Syndrom erwartbar sind, wiesen aber noch nicht auf die Ursache (hier: Streptokokken) hin. Diese Diagnose wurde erst aus den Blutkulturen, deren Ergebnisse post mortem einlangten, und aus dem bei der Obduktion gewonnenen Abstrich gestellt.
Das Erysipel (Rotlauf) ist eine Infektion der oberen Hautschichten mit starker, heller Rötung und Schwellung, Berührungsempfindlichkeit und vor allem deutlicher Abgrenzung von der gesunden Umgebung. Starke oder sehr starke Schmerzen zählen nicht zu den typischen Symptomen. Ursache der Entzündung ist eine bakterielle Gewebsinvasion, die auch das lymphatische System betrifft. Zusätzlich zur flammend roten und überwärmten Schwellung treten in der Regel systemische Entzündungszeichen, insbesondere Fieber, beschleunigter Herzschlag mit einer Frequenz von über 100/min und verminderter Blutdruck mit systolischen Blutdruckwerten unter 90 mm Hg auf. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Erregern um Streptokokken der Gruppe A; auch Staphylokokken können gelegentlich ein ähnlich klinisches Bild auslösen. Die Diagnose eines Erysipels ist eine klassische Blickdiagnose. Mikrobiologische Untersuchungen wie Blutkulturen und Biopsien sind in der Regel nicht wegweisend, oberflächliche Abstriche ebensowenig.
Das toxische Schocksyndrom ist ein sehr seltenes Krankheitsbild, das durch toxinproduzierende Stämme von Staphylokokken und Streptokokken verursacht wird. Seine jährliche Inzidenz (Anzahl der neu aufgetretenen Krankheitsfälle) wird mit 1,5-11/100.000 angenommen. Die lebensbedrohliche Erkrankung wird durch die Antwort des Körpers auf Superantigene der Bakterien, wie zB das Toxic-Shock-Syndrome-Toxin 1, bewirkt. Zu den Symptomen zählen Fieber, niedriger Blutdruck und generalisierte Hautveränderungen. Weiters treten Schüttelfrost, allgemeine Schwäche, Kopfschmerzen, Halsschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen auf, die einer viralen Infektion ähneln können. Die Symptome können auch bei sonst völlig Gesunden sehr schnell voranschreiten. Wässriger Durchfall, Verminderung der Harnmenge, Schwellungen im Bereich der Extremitäten und großflächige Rötung der Haut können innerhalb von zwei Tagen auftreten. Neurologische Phänomene umfassen Kopfschmerzen, Verwirrtheit, Schläfrigkeit und Agitiertheit. Während es eine Reihe von diagnostischen Kriterien gibt, um ein toxisches Schocksyndrom festzumachen, besteht das Hauptproblem dieser Kriterien darin, dass sie sich erst später im Verlauf der Erkrankung entwickeln und so erst eine Diagnose ex post erlauben. Die Identifizierung der das Krankheitsbild auslösenden Streptokokken bzw Staphylokokken gelingt nur in einer „Blutkultur“.
Bei Ing. B* lagen anlässlich ihrer Begutachtung in der Ambulanz der Univ. Klinik für Orthopädie am 29.04.2023 weder allgemeine noch lokale Entzündungszeichen vor. Eine leichte Überwärmung im Areal einer aktivierten Arthrose ist Teil dieses Krankheitsbildes und noch kein Hinweis auf ein septisches Geschehen. Es war somit aus orthopädisch-chirurgischer Sachverständigensicht und aus fachärztlicher Sicht eine Blutuntersuchung von einem pflichtgetreuen Durchschnittsarzt nicht einzufordern. Die von Ing. B* angefertigten Fotos ihrer Füße vom 29.04.2023 weisen nicht auf ein septisches Geschehen (bakterielle Entzündung) oder auf das Vorliegen eines Erysipels hin. Die Behandlung von Ing. G* B* durch die Ärzte der Beklagten am 29.04.2023 entsprach aus orthopädisch-chirurgischer Sachverständigensicht den Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft und den Regeln der ärztlichen Kunst zum Zeitpunkt der Behandlung. Zum Zeitpunkt der Behandlung haben allgemeine und lokale Entzündungszeichen gefehlt. In Abwesenheit von Zeichen einer (bakteriellen) Entzündung war aus orthopädisch-chirurgischer Sachverständigensicht eine Blutuntersuchung (eine Bestimmung von Entzündungsparametern) nicht erforderlich. Weitere differenzialdiagnostische Untersuchungen waren am 29.04.2023 unter Beachtung der Maßstabsfigur eines pflichtgetreuen Durchschnittsarztes nicht erforderlich. Die Erhebung der Anamnese, die Untersuchung des Kranken und die Anforderung von Hilfsbefunden, insbesondere in Form von bildgebender Diagnostik, entsprechen einem lege artis Vorgehen zur Abklärung orthopädischer Krankheitsbilder. Wenn sich im Röntgenbild eine degenerative Gelenkserkrankung zeigt, stellt dies eine gute Erklärung für eine schmerzhafte Schwellung und Überwärmung des über diesem Gelenk befindlichen Hautareals dar. Eine Schwellung ist kein eindeutiges Indiz für einen bakteriellen entzündlichen Vorgang.
Das Krankheitsbild, mit dem sich Ing. B* am 30.04.2023 abends präsentierte, wurde im Hinblick auf zahlreiche mögliche Ursachen für einen derartigen Zustand noch am Abend der Aufnahme bzw in der Nacht untersucht. Die Untersuchungen umfassten die Blutkultur, die serologische Untersuchung auf seltene Erreger, die solche septischen Zustandsbilder hervorrufen können, eine Computertomographie von Thorax, also von Brustkorb und Bauchraum, um mögliche Zonen mit Eiter oder Entzündungsherde identifizieren zu können und eine sofort eingeleitete Therapie mit einer Kombination aus mehreren Antibiotika, die auch geeignet waren, ein allenfalls vorliegendes Erysipel, das zu jenem Zeitpunkt noch nicht in der Differentialdiagnose enthalten war, zu bekämpfen.
Im Prozess fordern der Erstkläger von der Beklagten EUR 28.946,76 (EUR 20.000,00 Trauerschmerzengeld; EUR 8.846,76 Begräbniskosten und EUR 100,00 pauschale Unkosten) und der Zweitkläger ein Trauerschmerzengeld von EUR 10.000,00, je samt Zinsen. Ferner begehrt der Erstkläger die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen Schäden aus dem Behandlungsfehler vom 29.04.2023, der das Ableben der Ing. E* B* am 01.05.2023 zur Folge hatte. Dazu bringen sie im Wesentlichen vor, Ing. B* sei am 29.04.2023 wegen eines stark schmerzenden und geschwollenen linken Fußes mit der Rettung in die Ambulanz der Universitätsklinik für Orthopädie und Traumatologie gebracht worden. Der behandelnde Arzt habe einen Arthroseschub oder eine aktivierte Arthrose der Mittelfußgelenke als Ursache vermutet. Weitere Untersuchungen hätten nicht stattgefunden. Ihr Gesundheitszustand habe sich danach rapide verschlechtert, sodass sie am 30.04.2023 aufgrund ihres außerordentlich schlechten Gesundheitszustandes (Erbrechen, Schwindel, fehlendes Sehvermögen, Unfähigkeit zum Harnlassen) mit dringendem Verdacht auf einen septischen Schock ins LKH F* gebracht worden sei. Trotz intensivmedizinischer Behandlung sei sie am 01.05.2023 um 09.30 Uhr verstorben. Als Todesursache sei eine Infektion mit Rotlauf (Erysipel) des linken Unterschenkels mit septischem Schock und Multiorganversagen festgestellt worden. Dieser sei durch Streptococcus pyogenes (Gruppe A) verursacht worden. Der Nachweis hiefür lasse sich im Blut und in einem Abstrich vom linken Unterschenkel erbringen, wo die Bakterien Enterocokkus faecalis, Staphylococcus capitis und Enterocokkus faecium gefunden worden seien.
Der Arzt habe am 29.04.2023 keine differenzialdiagnostischen Überlegungen angestellt oderUntersuchungen unternommen. Da es kein Trauma für die Schwellung und Überwärmung des linken Fußes gab und Ing. B* starke Schmerzen gehabt habe, hätte nach der „evidenzbasierte Medizin“ sofort eine Blutbilduntersuchung angeordnet werden müssen. Ein durchschnittlich sorgfältig handelnder Arzt erfülle bei der Erstellung von Diagnosen und Behandlungen zumindest die Anforderungen im „MSD-Manual“. Die darin beschriebenen Merkmale (Rötung, Schwellung und Überwärmung), die auf eine Infektion oder Arthropathie hinweisen würden, hätten bei Ing. B* vorgelegen. Nach dem MSD-Manual sei in solchen Fällen eine Infektion auszuschließen. Aus diesen Gründen wäre am 29.04.2023 eine – aufgrund der Anamnese dringend gebotene – Blutuntersuchung vorzunehmen gewesen, um Infektionen ausschließen zu können. Diesfalls wären die erhöhten Entzündungswerte im Blut aufgefallen. Damit hätte die unklare Ursache für den diffusen Schmerz über dem Mittelfuß mit lokaler Überwärmung aufgeklärt werden können. Folglich wäre es zu einer Antibiotikabehandlung gekommen, die das Ableben verhindert hätte. Es sei somit eine Fehldiagnose/-behandlung des Arztes gewesen, dessen grob fahrlässiges Verhalten zum Tod der Ing. B* geführt habe.
Nach dem Einsatzprotokoll vom 30.04.2023 habe Ing. B* seit drei Tagen so gut wie keinen Harn gelassen. Es sei ausgeschlossen, dass sie dieses Symptom am 29.04.2023 nicht geschildert habe. Schon allein an diesem ungewöhnlichen Symptom, das nicht mit einer Arthrose, jedoch mit einer Infektion in Einklang zu bringen sei, hätten die Ärzte erkennen müssen, dass die Schmerzen und das Aussehen des infizierten Fußes nicht allein von einer Arthrose herrühren konnten. Auch eine Infektion mit einem seltenen Streptokokken-Bakterium könne bei rechtzeitigem Entdecken durch Antibiotikum erfolgreich behandelt werden. Die Streptokokkeninfektion wäre zum damaligen Zeitpunkt nachzuweisen gewesen. Eine Blutuntersuchung hätte erhöhte Entzündungswerte und damit einen Hinweis auf eine Infektion ergeben. Es hätten dann nur mehr Tests zur Ermittlung des konkreten Krankheitserregers durchgeführt und ein „entsprechendes Antibiotikum“ verabreicht werden müssen; oder es hätte sofort ein Breitbandantibiotikum verabreicht werden können. Der dramatische Verlauf der Sepsis sei eine Folge der grob fahrlässig unterbliebenen Behandlung der Infektion mit Antibiotikum gewesen.
Der am 29.04.2023 behandelnde Arzt habeIng. B*nicht darüber aufgeklärt, dass sie sich bei Verschlechterung ihres Zustandes und ihrer Schmerzen unverzüglich wieder im Krankenhaus zum Zweck einer dann unbedingt notwendigen Blutuntersuchung einfinden müsse. Sie hätte diesfalls möglicherweise anders reagiert und sich bei schlimmer werdenden Schmerzen wieder unverzüglich ins Krankenhaus begeben.
Beide Kläger hätten in Folge der Todesnachricht der geliebten Ehefrau und Mutter einen Schock erlitten und würden seither unter psychischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert (Schlafproblemen, depressiven Episoden, Erschöpfung, zeitweiliger Weinerlichkeit und massiver Traurigkeit) leiden. Das Feststellungsinteresse des aufgrund des Verlusts seiner Ehefrau traumatisierten Erstklägers bestehe darin, dass bei ihm Spätfolgen und Dauerschäden nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen seien.
Die Beklagte beantragt die Klageabweisung und bestreitet den Vorwurf eines Behandlungsfehlers ihrer Ärzte. Ing. E* B* habe am 29.04.2023 plötzliche Schmerzen im linken Mittelfuß bei einer Vorgeschichte mit beidseitigen Mittelfußschmerzen ohne Trauma geschildert. Zum Zeitpunkt der Untersuchung am 29.04.2023 seien keine eindeutigen typischen Anzeichen einer Infektion wie Rötung oder eine ausgeprägte Schwellung vorhanden gewesen. In der Röntgenuntersuchung des linken Fußes hätten sich hingegen klassische Arthrosezeichen in den Mittelfußgelenken gezeigt. Differenzialdiagnostische Überlegungen seien angestellt und dokumentiert worden. Die Möglichkeit einer Infektion sei in Betracht gezogen worden, jedoch hätten klassische Infektzeichen gefehlt, weshalb keine Labordiagnostik angestrengt worden sei. Auf Basis der Anamnese, der körperlichen Untersuchung sowie der radiologischen Diagnostik sei die Aktivierung einer vorhandenen Mittelfußarthrose diagnostiziert worden. Ein Erysipel manifestiere sich mit deutlicher Rötung, Schwellung und begleitenden Allgemeinsymptomen, die jedoch bei Ing. B* am 29.04.2023 nicht feststellbar gewesen seien. Auch nach dem vorgelegten Auszug aus dem MSD-Manual könne die Überwärmung ein Symptom einer Mittelfußarthrose sein. Die Aktivierung einer bestehenden Mittelfußarthrose habe unter den gegebenen Umständen das wahrscheinlichste Krankheitsbild (Diagnose) dargestellt. Ausgehend davon und von der festgestellten Symptomatik sei die verordnete Behandlung zu diesem Zeitpunkt (im Notbetrieb am Samstagmorgen) lege artis und eine weitere Abklärung (Laboruntersuchung) medizinisch nicht indiziert gewesen. Der dramatische Verlauf der Sepsis entspreche einer extrem seltenen schicksalhaften Erkrankung, die einem gewissenhaften, pflichtgetreuen Durchschnittsarzt nicht vorhersehbar gewesen sei. Eine Aufklärung über das Zustandsbild sei erfolgt. Ing. B* sei eine weitere Abklärung beim Orthopäden im niedergelassenen Bereich empfohlen worden. Im Hinblick auf die Arbeitsdiagnose einer Reaktivierung der Arthrose im Mittelfußgelenk sei eine ausreichende Aufklärung erfolgt. Ing. B* sei ohnehin am darauffolgenden Tag wieder im LKH vorstellig geworden.
Es habe sich nicht um ein einfaches Erysipel, sondern um eine hochgefährliche bakterielle Infektion mit Streptococcus pyogenes der Gruppe A gehandelt. Das Streptokokken-induzierte „Toxic Shock Syndrome“ sei in dieser drastischen Form höchst selten. Anhand der am 29.04.2023 vorgelegenen Symptomatik habe mit diesem Verlauf nicht gerechnet werden können. Auch am 30.04.2023 habe weder vom Notarzt der Rettung noch zunächst bei der Erstuntersuchung an der Universitätsklinik für Innere Medizin F* die Ursache des septischen Schocks geklärt werden können, obwohl bei der Aufnahme – anders als am Vortag – Schmerzen und eine Schwellung im Bereich der linken Wade bestanden hätten. Eindeutige Hinweise für einen akuten Rotlauf seien auch aus dem Aufnahmebefund der Universitätsklinik für Innere Medizin nicht ersichtlich. Umso weniger hätte eine solche Erkrankung am Vortag (29.04.2023) festgestellt werden können.
Zusammenfassend habe am 29.04.2023 die Aktivierung einer vorbestehenden Arthrose eine plausible Erklärung für die Symptome und objektivierbaren Befunde dargestellt. Die Beurteilung habe sich auf Wahrscheinlichkeiten gestützt und zu Arbeitsdiagnosen geführt. Das Auftreten des Toxic Shock Syndroms und der tragische akute und fulminante Verlauf bei Ing. B* sei schicksalhaft. Dies gelte umso mehr, als mehrere außergewöhnliche Aspekte aufeinander getroffen seien:
- Es habe ein äußerst ungewöhnliches, seltenes Krankheitsbild vorgelegen: eine Streptokokkeninfektion, die innerhalb von weniger als 48 Stunden zum toxischen Schocksyndrom führe und eine extrem hohe Mortalität aufweise.
- Es habe ein untypischer Lokalbefund für ein Infektgeschehen vorgelegen, weil das Hauptsymptom der plötzliche, mit 3 von 10 angegebene (somit mittelmäßig starke) Schmerz gewesen sei, während Schwellung und Rötung als klassische Infektzeichen zum Zeitpunkt der Untersuchung im Wesentlichen gefehlt hätten.
- Zum Zeitpunkt der Untersuchung habe aufgrund der objektivierten vorbestehenden Mittelfußarthrose eine plausible Erklärung für den Schmerz bestanden.
- Zum Untersuchungszeitpunkt seien keine Begleitsymptome oder eine fassbare Verschlechterung des Allgemeinzustands zu beobachten gewesen.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei die Behandlung am 29.04.2023 lege artis erfolgt. Abgesehen davon, dass selbst im Fall eines Behandlungsfehlers keinesfalls von einem groben Verschulden der behandelnden Ärzte auszugehen sei, sei bei den Klägern keine Beeinträchtigung mit Krankheitswert eingetreten.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Es traf neben den eingangs zusammengefasst – soweit bekämpft in Fettschrift – wiedergegebenen die in den Urteilsseiten 5 bis 12 enthaltenen Feststellungen, auf die das Berufungsgericht verweist.
Rechtlich folgerte es daraus, der Beklagten sei vor dem Hintergrund der zum Behandlungszeitpunkt geltenden Regeln der ärztlichen Kunst kein vorwerfbares oder gar grob fahrlässiges Handeln oder Unterlassen (Vornahme einer Blutuntersuchung) der ihr zuzurechnenden behandelnden Ärzte anzulasten. Nach dem Beweisverfahren seien die Behandlung vom 29.04.2023 und die Nachbehandlung lege artis erfolgt. Das von den Klägern ins Treffen geführte MSD-Manual sei kein Maßstab für die behandelnden Ärzte gewesen. Das „toxic shock syndrome“ habe einen schicksalhaften Verlauf dargestellt, der im Zeitpunkt der Behandlungen von Ing. E* B* am 29./30.04.2023 nicht vorhersehbar gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Berufung der Kläger mit dem auf Klagestattgebung gerichteten Abänderungsantrag. Hilfsweise stellen sie einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung, über die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden konnte, ist nicht berechtigt.
A) Zur Verfahrensrüge
1. Als Verfahrensmangel rügen die Kläger, dass das Erstgericht folgende Frage des Klagsvertreters an den Zeugen Dr. G* nicht zugelassen hat: „Wenn mir die Beilage ./X vorgehalten wird, nämlich die Nachricht der Verstorbenen an ihren Bruder, in der sie schreibt, dass sie furchtbare Schmerzen hatte und wenn ich gefragt werde, wie dann eine Schmerzskala von nur 3 zustande kommen kann?“ (ON 27.1, PS 7).
1.1. Wird eine von der Partei oder dem Parteienvertreter an den Zeugen oder die Partei gerichtete Frage vom Gericht nicht zugelassen, stellt dies – unter den sonstigen Voraussetzungen – einen Stoffsammlungsmangel dar (Pochmarski/Tanczos/Kober in Pochmarski/Tanczos/Kober, Berufung in der ZPO4 [2022] 161 mwN; 7 Ob 510/84 mwN).
1.2. Der Rechtsmittelwerber muss nachvollziehbar aufzeigen, in welcher Hinsicht sich bei Unterbleiben des behaupteten Verfahrensfehlers eine – von den Feststellungen des Erstgerichts – abweichende Sachverhaltsgrundlage ergeben hätte (RS0043039 [T5]). Die gesetzmäßige Ausführung des Berufungsgrundes der Mangelhaftigkeit erfordert demnach, dass der Berufungswerber die für die Entscheidung wesentlichen Feststellungen anführt, die (hier: bei Zulassung der Frage) zu treffen gewesen wären (RS0043039). Diesem Erfordernis genügen die Kläger nicht, weil sie nicht zweifelsfrei erkennen lassen, welche konkreten streitentscheidenden Feststellungen des Erstgerichts sie ohne vermeintlichen Verfahrensfehler glauben, widerlegen zu können (RS0043039 [T3]). Inwiefern aus einer Antwort des Zeugen auf die Frage nach dem Zustandekommen der Schmerzangabe eine nicht ordnungsgemäße (und insbesondere schadenskausale) Behandlung durch den Zeugen „zu folgern“ gewesen wäre, ist nicht nachvollziehbar. Es kann aus diesem Grund dahingestellt bleiben, ob es sich bei der nicht zugelassenen Frage um eine nur von einem Sachverständigen zu beantwortende Frage nach fachlichen Erfahrungssätzen oder Schlussfolgerungen handelte oder der (im Sinne des § 350 ZPO sachverständige) Zeuge damit nach einer von ihm wahrgenommenen Tatsache gefragt wurde (vgl RS0040558).
1.3. Eine Verfahrensrüge nach § 496 Abs 1 Z 2 ZPO wird mangels Darstellung der Relevanz der Nichtzulassung der Frage an den Zeugen nicht gesetzmäßig ausgeführt.
2. Ferner machen die Kläger die Unterlassung der Beiziehung eines von ihnen in der Tagsatzung am 11.10.2024 (ON 36.2) beantragten Sachverständigen für Innere Medizin als Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend.
2.1. Das Erstgericht bestellte Priv. Doz. Dr. H* zum Sachverständigen im Verfahren (ON 7), der für den Fachbereich der Orthopädie und orthopädischen Chirurgie als gerichtlich beeideter Sachverständiger in der Sachverständigenliste eingetragen ist. Die Beurteilung, ob das Gutachten des bestellten Sachverständigen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen rechtfertigt, oder ob zusätzliche Erhebungen (etwa durch Bestellung eines zweiten Sachverständigen) erforderlich sind, ist ein Akt richterlicher Beweiswürdigung (RS0043163 [T6, T15, T16]; RS0040586 [T2]; RS0113643 [T4]; jüngst 9 ObA 33/23b mwN). Auch die Frage, ob der Sachverständige über die nötigen Fachkenntnisse und Eignungen verfügt, gehört in das Gebiet der (überprüfbaren) Beweiswürdigung (RS0043163 [T14]); stRsp: RS0040586 [T4]; vgl auch RS0040607; RS0098078; RS0097433).
2.2. Die auf die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aus dem Fachgebiet der inneren Medizin abzielende Mängelrüge bleibt erfolglos, weil die Frage der Notwendigkeit der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen die Beweiswürdigung des Erstgerichts betrifft und mit einer Beweisrüge zu bekämpfen gewesen wäre.
2.3. Im Übrigen kann die mit dem Beweisantrag zu klären bezweckte Frage, ob eine Blutuntersuchung am Morgen des 29.04.2023 erhöhte Blutwerte und damit einen Rückschluss auf eine Infektion ergeben hätte, auf sich beruhen, weil eine Blutuntersuchung nach den Feststellungen des Erstgerichts (US 11) zu diesem Zeitpunkt in Abwesenheit von Zeichen einer bakteriellen Entzündung aus Sachverständigensicht nicht notwendig war. Dasselbe gilt für die (hypothetische) Frage, wie Ing. E* B* „im Falle eines Feststellens einer bakteriellen Infektion am 29.04.2023 hätte behandelt werden können“ und ob eine frühzeitige Penicillin-Behandlung am 29.04.2023 ihr Ableben verhindert hätte.
B) Zur Tatsachenrüge und Rüge einer Aktenwidrigkeit
1. Statt der bekämpften Feststellungen zum Anamnesegespräch vom 29.04.2023 und der vom Arzt durchgeführten aktiven Befragung der Ing. E* B* [F1-1 und F1-2] begehren die Kläger unter den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung und der Aktenwidrigkeit folgende Ersatzfeststellungen:
„Sie (gemeint Ing. E* B*) teilte dem behandelnden Arzt von sich aus nicht mit, dass eine der folgenden Symptome in den drei bis vier Wochen davor vorgelegen sind: Fieber, Schüttelfrost, Halsschmerzen, Durchfall, Erbrechen, Bauchschmerzen, eine allgemeine Schwäche, grippeähnliche Symptome, eine Schnitt- oder Stichverletzung, ein Insektenstich, eine Verbrennung. […] Auch von einer Vornahme einer medizinischen Behandlung in irgendeiner Art, insbesondere gynäkologischer Natur wurde von Ing. E* B* nichts von sich aus berichtet, ebenso nicht eine diffuse Hautrötung wie ein Sonnenbrand, Probleme mit dem Urinieren.“
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob der behandelnde Arzt Ing. E* B* nach dem Vorliegen der genannten Symptomen fragte oder sie diese (ungefragt) nicht von sich aus angab, weil sich aus den Ersatzfeststellungen im Zusammenhalt mit den unbekämpft gebliebenen Feststellungen, wonach zum Zeitpunkt der Behandlung am 29.04.2023 weder allgemeine noch lokale Entzündungszeichen bei Ing. E* B* vorlagen (US 11), keine andere rechtliche Konsequenz ableiten lässt. Die Kläger haben der Beklagten im Übrigen im Verfahren erster Instanz eine unzureichende anamnestische Befragung der Ing. E* B* nicht haftungsbegründend zum Vorwurf gemacht. Sie behaupten auch nicht, was Ing. E* B* im Falle einer Befragung nach weiteren Symptomen am Morgen des 29.04.2023 konkret oder inwiefern sie anders geantwortet hätte. Aus diesem Grund ist nicht nachvollziehbar, welche zu diesem Zeitpunkt vorgelegenen Symptome der behandelnde Arzt hätte erfragen können und inwieweit dies zu einer anderen Diagnose, Untersuchung oder Behandlung am 29.04.2023 führen hätten müssen. Es erübrigt sich demnach mangels rechtlicher Relevanz, auf die gerügten Feststellungen einzugehen.
3. Das Berufungsgericht übernimmt den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt und legt diesen seiner Entscheidung zugrunde (§ 498 Abs 1 ZPO). Davon ausgenommen sind nur die ungeprüften Feststellungen zu den Fragen des behandelnden Arztes nach den genannten Symptomen und Umständen [F1] („über Befragen“), die Ing. E* B* am 29.04.2023 nach den insoweit unbestritten gebliebenen Feststellungen jedenfalls nicht angab, weil sie lediglich äußerte, Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und einen Schmerz im linken Mittelfuß zu haben.
C) Zur Rechtsrüge
1. Die Kläger machen in ihrer Rechtsrüge nur sekundäre Feststellungsmängel im Sinne des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO geltend.
2. Sie vermissen in Bezug auf die mit 02.05.2023 festgestellte Datierung der Befunde über die Ergebnisse der Blutkulturen (US 8) die Feststellung, dass die Behandlung am 30.04.2023 nicht lege artis erfolgt sei, weil eine Blutkultur nicht rechtzeitig angelegt worden sei. Ein sekundärer Feststellungsmangel liegt nur dann vor, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und die von einer Partei im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht wurden (RS0053317 [T2]), was hier als Vorwurf in Bezug auf den Zeitpunkt der Anlage der Blutkultur am 30.04.2023 nicht der Fall war. Die erstmals in der Berufung aufgestellte Behauptung, dass die Blutkultur bei der Behandlung von Ing. E* B* am 30.04.2023 „nicht rechtzeitig“ angelegt worden sei, verstößt gegen das im Berufungsverfahren geltende Neuerungsverbot (§ 482 ZPO) und ist unbeachtlich.
3. Die Kläger brachten im Verfahren erster Instanz (ON 36.2, PS 12) als weiteren Vorwurf vor, dass es die Beklagte am 30.04.2023 verabsäumt habe, „entsprechende Erysipel-Untersuchungen“ vorzunehmen und bis zum Tod keine Behandlung gegen ein Erysipel erfolgt sei. Darauf beziehen sich ihre Ausführungen in der Verfahrensrüge (Punkt 1.2, Seiten 4 f), wonach die Beklagte „trotz der Symptome der Verstorbenen nicht rechtzeitig eine Untersuchung auf ein Erysipel angeordnet“ habe.
Aus den unbekämpft gebliebenen Feststellungen (US 12) ergibt sich, dass das Krankheitsbild von Ing. E* B* im Hinblick auf zahlreiche mögliche Ursachen für einen derartigen Zustand noch am Abend der Aufnahme bzw in der Nacht untersucht wurde. Auch wenn das Erstgericht keine explizite Feststellung zu einer Untersuchung auf ein Erysipel getroffen hat, liegt ein sekundärer Feststellungsmangel mangels rechtlicher Relevanz nicht vor. Nach den weiteren Feststellungen des Erstgerichts (US 12) wurde nämlich sofort eine Therapie mit einer Kombination aus mehreren Antibiotika eingeleitet, die auch geeignet war, ein allenfalls vorliegendes Erysipel, das zu jenem Zeitpunkt noch nicht in der Differentialdiagnose enthalten war, zu bekämpfen. Da Ing. E* B* daher am 30.04.2023 sofort auch zur Bekämpfung eines (noch nicht diagnostizierten) Erysipels behandelt wurde, kommt der Frage, ob „rechtzeitig eine Untersuchung auf ein Erysipel“ (zum Zweck der Diagnose und Behandlung eines solchen) „angeordnet“ wurde, keine Relevanz zu.
4. Die Kläger begehren ferner ergänzend festzustellen, dass der behandelnde Arzt Ing. E* B* am 29.04.2023 nicht darüber aufgeklärt habe, dass eine erneute Vorstellung bei Verschlechterung des Zustandes oder bei Hinzutreten anderer Symptome (abseits des Fußschmerzes) notwendig sei. Deshalb sei sie nicht noch einmal im Krankenhaus vorstellig geworden. Nach den Feststellungen wurde sie am Abend des 30.04.2023 aufgrund der deutlichen Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes im Verlauf dieses Tages wieder ins LKH F* gebracht.
4.1. Die Frage des Umfangs der ärztlichen Aufklärungspflicht kann immer nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes gelöst werden (RS0026529). Eine Aufklärungspflicht über die Notwendigkeit einer weiteren ärztlichen Behandlung und die Risken ihrer Unterlassung besteht nur dann, wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen (hier: weitere Untersuchungen und/oder Behandlungen wegen des Vorliegens von Zeichen einer bakteriellen Entzündung oder eines septischen Geschehens]) erforderlich sind (RS0026578; 5 Ob 82/23d [Rz 13] ua). Diese Voraussetzung lag hier jedoch aus ex ante Sicht nicht vor.
4.2. Dem behandelnden Arzt war am Morgen des 29.04.2023 die Notwendigkeit einer weiteren (dringenden) ärztlichen Untersuchung und/oder Behandlung nicht bekannt, als er die weitere Abklärung des von ihm diagnostizierten orthopädischen Krankheitsbildes im niedergelassenen Bereich empfahl. Es fehlten bei Ing. B*, die lediglich Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und einen Schmerz im linken Mittelfuß angab, allgemeine und lokale Entzündungszeichen. Weitere differentialdiagnostische Untersuchungen waren zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich. Die sich aus dem Röntgenbild ergebende degenerative Gelenkserkrankung (aktivierte Arthrose) stellte eine gute Erklärung für eine schmerzhafte Schwellung und Überwärmung des über diesem Gelenk befindlichen Hautareals dar. Die Behandlung am 29.04.2023 entsprach den Grundsätzen der ärztlichen Wissenschaft und Regeln der ärztlichen Kunst.
4.3. Eines Hinweises, dass bei Verschlechterung des Zustandes oder bei Auftreten anderer Symptome eine erneute Vorstellung geboten sein kann, bedurfte es nicht, weil diese Einsicht von einem Patienten bei sämtlichen Krankheitsbildern erwartet werden. Die Aufklärungsanforderungen dürfen nämlich auch nicht überspannt werden (RS0026362 [T1]). Es lagen am 29.04.2023 keine Entzündungszeichen oder Hinweise auf ein (zumindest am Abend des 30.04.2023 symptomatisch in Erscheinung getretenes) septisches Geschehen vor. Die Beschwerden der Patientin ließen sich aufgrund des Röntgenbefundes mit einem klassischen orthopädischen Krankheitsbild (Aktivierung einer Arthrose) gut erklären. In dieser konkreten Situation am Morgen des 29.04.2023 konnte der behandelnde Arzt davon ausgehen, dass sich Ing. E* B* bei Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands oder bei Auftreten anderer Symptome (abseits des orthopädisch erklärbaren Schmerzes in der Lendenwirbelsäule und im Fuß) von sich aus wieder in ärztliche Behandlung begeben werde.
4.4. Im Übrigen stellten die Kläger im erstinstanzlichen Verfahren in Bezug auf den Vorwurf der unterlassenen Aufklärung über die Notwendigkeit einer weiteren ärztlichen Behandlung bei Auftreten anderer Symptome oder bei Verschlechterung des Gesundheitszustands keine Kausalitätsbehauptungen für den Schadenseintritt (hier: Tod) auf. Die Behauptungs- und (erleichterte) Beweislast für die Kausalität des Behandlungsfehlers für einen anspruchsbegründenden Schadenseintritt trifft die Kläger (vgl RS0038222; RS0106890 [T34, T39]; RS0022900 [T44]; 8 Ob 58/24y; auch 5 Ob 186/11f [Punkt 4.4] mwN: zur Sicherungsaufklärung). Ein Kausalzusammenhang zwischen der behaupteten unterlassenen Aufklärung am 29.04.2023 und dem Ableben der Ing. B* am Morgen des 01.05.2023 wurde mangels konkreter Tatsachenbehauptungen nicht dargetan. Es wurde nicht behauptet, wann oder aufgrund welcher später aufgetretenen Symptome sich Ing. B* früher in ärztliche Behandlung begeben hätte, und inwieweit sich dadurch hypothetisch ein anderer Kausalverlauf ergeben hätte.
5. Der Berufung war aus den genannten Gründen der Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Kläger haben der Beklagten die richtig verzeichneten Kosten ihrer Berufungsbeantwortung zu ersetzen.
Der in Bezug auf den Erstkläger aus einem Leistungsbegehren von EUR 28.946,76 und aus einem Feststellungsbegehren bestehende Entscheidungsgegenstand im Berufungsverfahren macht gemäß § 500 Abs 2 Z 1 lit b ZPO eine Bewertung notwendig. Der Berufungssenat sieht sich nach der Aktenlage nicht dazu veranlasst, von der in erster Instanz vorgenommenen Bewertung des Feststellungsbegehrens (mit EUR 5.000,00) abzugehen. Zufolge dessen war auszusprechen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt EUR 30.000,00 übersteigt.
Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil sich Rechtsfragen in der von § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht stellten. Der Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht ist eine Frage des Einzelfalls und als solche nicht revisibel (RS0026763 [T5]; 6 Ob 91/24m mwN).
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