Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit 10. 8. 2011 bei der Beklagten beschäftigt. Am 28. 10. 2011 stellte der Kläger einen Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten.
Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 3. 1. 2012 wurde ausgesprochen, dass der Kläger mit Wirkung vom 28. 10. 2011 als begünstigter Behinderter gemäß den §§ 2, 14 BEinstG eingestuft werde. Die zur Einstufung führende Behinderung entstand nicht aufgrund eines bei der Beklagten ereigneten Arbeitsunfalls.
Mit Schreiben vom 2. 7. 2012 sprach die Beklagte ‑ ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ‑ die Kündigung des Klägers zum 15. 8. 2012 aus. Der bei der Beklagten errichtete Angestelltenbetriebsrat erhob ausdrücklich Widerspruch gegen die Kündigung.
Der Kläger begehrt unter Berufung auf § 8 Abs 6 lit b BEinstG idF BGBl I Nr 2010/111 die Feststellung, dass die von der Beklagten ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam und das Dienstverhältnis weiterhin aufrecht sei. Da er zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung bereits länger als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei und seine Begünstigteneigenschaft nach sechs Monaten, jedoch innerhalb der ersten vier Jahre des Dienstverhältnisses eingetreten sei, hätte die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung das gesetzliche Vorverfahren vor dem Behindertenausschuss einhalten müssen.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Die Kündigungsbeschränkungen seien hier nicht anwendbar, weil die Begünstigteneigenschaft des Klägers innerhalb der ersten sechs Monate des Dienstverhältnisses eingetreten, diese aber nicht Folge eines Arbeitsunfalls gewesen sei.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Hinsichtlich des Zeitpunkts der Feststellung der Begünstigteneigenschaft komme es auf die Rechtskraft des Bescheides des Bundessozialamts an. Da die Berufungsfrist für ein Verfahren gemäß § 14 Abs 2 BEinstG sechs Wochen betrage, sei die Rechtskraft des Bescheides vom 3. 1. 2012 keinesfalls vor dem 15./16 .2. 2012 eingetreten. Dieser Zeitpunkt liege aber außerhalb der ersten sechs Monate des Dienstverhältnisses der Streitteile. Die von der Beklagten ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ausgesprochene Kündigung des Klägers sei daher rechtsunwirksam.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Nach § 8 Abs 6 lit b BEinstG idF BGBl I Nr 2010/111 sei eine Kündigung zwischen dem siebenten und dem 48. Monat ohne Zustimmung des Behindertenausschusses nicht rechtswirksam möglich. Die Revision sei in Ermangelung einer Rechtsprechung zur Auslegung des § 8 Abs 6 lit b BEinstG idgF BGBl I Nr 2010/111 zulässig.
In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung , die Revision zurück‑ bzw abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
1. § 8 Abs 2 BEinstG sieht ein besonderes Vorverfahren bei der Kündigung eines begünstigten Behinderten vor. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt.
Diese Bestimmung fand nach § 8 Abs 6 lit b BEinstG idF BGBl I Nr 2005/82, also vor der Novelle durch das Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I Nr 2010/111, dann keine Anwendung, wenn das Dienstverhältnis zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat, es sei denn, die Feststellung der Begünstigteneigenschaft erfolgt innerhalb dieses Zeitraums infolge eines Arbeitsunfalls iSd § 14 Abs 1 lit b BEinstG oder es erfolgt ein Arbeitsplatzwechsel innerhalb eines Konzerns.
Mit dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl I Nr 2010/111 wurde der besondere Bestandsschutz für Menschen mit Behinderung im Sinne des BEinstG grundlegend geändert. Mit dieser Novelle sollten die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen dahin modifiziert werden, dass der Anreiz, Menschen mit Behinderung auf dem offenen Arbeitsmarkt zu beschäftigen, maßgeblich verstärkt wird (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 178). Die Notwendigkeit zur Änderung der bestehenden Rechtslage resultierte aus der zunehmend kritischen Betrachtung des besonderen Kündigungsschutzes sowohl von Seiten der Arbeitgeber als auch von Seiten der Interessenvertretungen von Menschen mit Behinderung, die im erhöhten Kündigungsschutz ein Einstellhemmnis bei der Erlangung eines Arbeitsplatzes für begünstigte Behinderte erblickten (ErläutRV 981 BlgNR 24. GP 179).
Der besondere Kündigungsschutz für begünstigte Behinderte wird weiterhin in § 8 BEinstG geregelt, wobei dessen zeitliche Anwendbarkeit ‑ inhaltlich gegenüber der Rechtslage vor BGBl I Nr 2010/111 verändert ‑ in § 8 Abs 6 lit b BEinstG geregelt wird. Die nunmehr in Geltung stehende Bestimmung des § 8 Abs 6 lit b BEinstG lautet idF BGBl I Nr 2010/111 wie folgt:
„ (6) Abs 2 bis 4 finden auf das Dienstverhältnis keine Anwendung,
a) ...
b) wenn das Dienstverhältnis zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung noch nicht länger als vier Jahre bestanden hat, es sei denn die Feststellung der Begünstigteneigenschaft erfolgt innerhalb dieses Zeitraumes, wobei während der ersten sechs Monate nur die Feststellung der Begünstigteneigenschaft infolge eines Arbeitsunfalles diese Rechtsfolge auslöst, oder es erfolgt ein Arbeitsplatzwechsel innerhalb eines Konzerns.“
Die Neufassung des § 8 Abs 6 lit b BEinstG findet gemäß § 27 Abs 8 BEinstG auf jene Dienstverhältnisse Anwendung, die nach dem 31. 12. 2010 neu begründet wurden. Für das Arbeitsverhältnis des Klägers gilt somit grundsätzlich die neue Rechtslage, die aber danach differenziert, ob die Begünstigtenstellung iSd BEinstG vor oder nach Beginn des Arbeitsverhältnisses erfolgt.
2. Die Neuregelung bedeutet, dass begünstigte Behinderte , die nach dem 31. 12. 2010 neu eingestellt werden, nunmehr vier Jahre lang keinen besonderen Kündigungsschutz mehr haben. Der Gesetzgeber musste die Bestimmung des § 8 Abs 6 lit b BEinstG aF infolge der Einführung der „4‑Jahresfrist“ etwas umformulieren. Weder dem Gesetzestext noch den Gesetzesmaterialien lässt sich aber entnehmen, dass sich für Arbeitnehmer, die im Zeitpunkt der Einstellung (noch) nicht begünstigte Behinderte sind, etwas ändern sollte. Vielmehr lässt der der Novelle innewohnende Gedanke, für Arbeitgeber einen Anreiz zu schaffen, Menschen mit Behinderung verstärkt zu beschäftigen, deutlich erkennen, dass es für Arbeitnehmer ohne schon bei Beginn des Arbeitsverhältnisses festgestellter Behinderung ‑ wie etwa beim Kläger ‑ bei der bisherigen Rechtslage bleiben sollte. Dabei wurde die schon bisher geltende sechsmonatige Wartefrist, während der der Kündigungsschutz grundsätzlich noch nicht zum Tragen kommt, aus dem alten Recht in die neue Fassung des § 8 Abs 6 lit b BEinstG übernommen ( Heinz‑Ofner, Neuerungen im Kündigungsschutz für Menschen mit Behinderung, JAP 2010/2011/22, 226; dieselbe in Wachter/Burger , Innsbrucker Beiträge zum Arbeits‑ und Sozialrecht Band 4, Aktuelle Entwicklungen im Arbeits‑ und Sozialrecht 2011, 35 f; in diesem Sinne auch Schindler, Die BEinstG Novelle 2011 ‑ Überblick und Zweifelsfragen, DRdA 2012, 181 [183] und Mayr in ZellKomm² § 8 BEinstG Rz 2).
3. Der Kündigungsausspruch der Beklagten erfolgte mit Schreiben vom 2. 7. 2012, damit unabhängig vom exakten Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (vgl RIS‑Justiz RS0122358) nach Ablauf der ersten sechs Monate des Dienstverhältnisses. Zu diesem Zeitpunkt war die Behinderteneigenschaft des Klägers durch Bescheid des Bundessozialamts vom 3. 1. 2012 mit Wirkung vom 28. 10. 2011 bereits rechtskräftig festgestellt (vgl 9 ObA 48/08m). Der Kläger genoss daher zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs den besonderen Kündigungsschutz nach dem BEinstG.
4. Die ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ausgesprochene Kündigung des Klägers war rechtsunwirksam (§ 8 Abs 2 BEinstG). Die Vorinstanzen haben daher zu Recht dem auf Feststellung des aufrechten Bestands des Dienstverhältnisses gerichteten Klagebegehren stattgegeben (RIS‑Justiz RS0052626). Auf Überlegungen, ob die Behinderteneigenschaft innerhalb der ersten sechs Monate des Dienstverhältnisses oder erst später festgestellt wurde, kommt es für die Lösung des Falls nicht an.
Der Revision ist daher nicht Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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