OGH 9ObA70/05t

OGH9ObA70/05t29.3.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Komm.Rat Mag. Paul Kunsky und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. Christina W*****, Sachbearbeiterin, *****, vertreten durch Dr. Kurt Fassl, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1.) B***** ***** GmbH & Co KG, *****, und 2.) D***** Gesellschaft mbH, ebendort, beide vertreten durch Held Berdnik Astner & Partner Rechtsanwälte GmbH, Graz, wegen EUR 3.488,53 sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Jänner 2005, GZ 7 Ra 100/04m-30, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Juni 2004, GZ 30 Cga 118/03m-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichtes einschließlich der Kostenentscheidung mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, dass der zugesprochene Klagebetrag und die den zugesprochenen Zinsen zu Grunde liegenden Teilbeträge als Bruttobeträge zu gelten haben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 534,44 (darin EUR 89,07 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 10. 5. 1999 bis einschließlich 30. 9. 2001 bei der Erstbeklagten, deren Komplementärin die Zweitbeklagte ist, als Angestellte beschäftigt, das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung seitens der Erstbeklagten.

Die Klägerin hat die Handelsakademie und ein Übersetzerstudium in Italienisch und Spanisch mit den Schwerpunkten „spanische Handelskorrespondenz" und „italienische Wirtschaftssprache" abgeschlossen. Sie bewarb sich auf Grund folgenden Inserats bei der Erstbeklagten: „Sachbearbeiterin, Graz, für diverse Büroarbeiten, selbständiges Arbeiten, Kontaktfreudigkeit, Flexibilität und Belastbarkeit sind Voraussetzung, gute Italienischkenntnisse sind von Vorteil. Aussagekräftige Bewerbungen an B***** *****.....". Auf Grund der Bewerbung kam es zu zwei Gesprächen. Das erste führte die Klägerin mit einer Mitarbeiterin, am zweiten Gespräch nahm auch die Geschäftsführerin teil. Beim ersten Gespräch wurde der Aufgabenbereich umrissen, beim zweiten Gespräch verwies die Geschäftsführerin ausdrücklich auf den anzuwendenden Kollektivvertrag für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie. Insbesondere wurde der Klägerin gesagt, dass dieser Kollektivvertrag auch in der Lohnverrechnung zur Einsicht aufliege. Es wurde weder ein schriftlicher Dienstvertrag abgeschlossen, noch erhielt die Klägerin einen Dienstzettel. Auf Grund der ihr übergebenen Kopie der Krankenkassenanmeldung konnte sie feststellen, dass sie bei einer 5-Tagewoche und 38 Wochenstunden zu einem Anfangsgehalt von ATS 16.500,-- brutto eingestellt wurde. Dieses Gehalt erhielt sie in der Folge auch, später wurde dieses etwas erhöht. Wesentlichers Kriterium für die Einstellung der Klägerin war auf Seiten der Arbeitgeberin die rasche und richtige Erledigung einer der Klägerin gestellten Rechenaufgabe.

Gegenstand des Unternehmens der erstbeklagten Partei war früher die Produktion von Verpackungsmaterial. Bereits zum Zeitpunkt des Eintritts der Klägerin überwog der Handel mit Fremdprodukten wirtschaftlich die Eigenproduktion. Die Erstbeklagte verfügt auch nur über eine Gewerbeberechtigung für das Handelsgewerbe. Schon lange vor dem Eintritt der Klägerin hatten auch die anderen Angestellten ihre Gehälter immer auf Basis des Kollektivvertrages für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie erhalten. Dieser Kollektivvertrag sah folgende Mindestansätze vor: In der Verwendungsgruppe II ab 1. 11. 1998 ATS 15.890,- -, ab 1. 11. 1999 ATS 16.208,-- und ab 1. 11. 2000 ATS 16.647,- -. Für die Verwendungsgruppe III bestanden folgende Mindestansätze: Ab 1. 11. 1998 ATS 18.960,- -, ab 1. 11. 1999 ATS 19.340,-- und ab 1. 11. 2000 ATS 19.863,- -. Demgegenüber wies der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten folgende Mindestgehälter aus: In der Beschäftigungsgruppe II im Jahr 1999 ATS 13.149,-- in dem Jahr 2000 ATS 13.380,- -; in der Beschäftigungsgruppe III im Jahr 1999 ATS 13.174,-- und im Jahr 2000 ATS 13.405,- -.

Laut Kollektivvertrag für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie sind die Tätigkeitsmerkmale in der Verwendungsgruppe II folgende: „Angestellte, die einfache, nicht schematische oder mechanische Arbeiten nach gegebenen Richtlinien oder genauer Arbeitsanweisung verrichten, für die in der Regel eine kurze Einarbeitungszeit erforderlich ist: ..... Kaufmännische und administrative Angestellte, zB Schreibkräfte, FakturistInnen mit einfacher Verrechnung, TelefonistInnen mit Auskunftserteilung, WerkstättenschreiberInnen, die für größere Abteilungen oder mit vielseitigen Arbeiten beschäftigt sind, qualifizierte Hilfs- und Servicekräfte im Sekretariat, Büro, Betrieb, Lager und Versand, qualifizierte Hilfs- und Servicekräfte, die auch Buchungsarbeiten durchführen ... LohnrechnerInnen InkassantInnen, VerkäuferInnen im Detailgeschäft, Tätigkeiten in der Datenerfassung zur Eingabe bzw Übertragung von Daten auf Datenträger einschließlich der Prüfung der eingegebenen Daten ...".

Die Verwendungsgruppe III weist folgende Tätigkeitsmerkmale auf: „Angestellte, die nach allgemeinen Richtlinien und Weisungen technische oder kaufmännische Arbeiten im Rahmen des ihnen erteilten Auftrages selbständig erledigen. Kaufmännische und administrative Angestellte: ZB: ÜbersetzerInnen, SekretärInnen im Sinne obiger Tätigkeitsmerkmale, Schreibkräfte im Sinne obiger Tätigkeitsmerkmale mit besonderer Verwendung, insbesondere mit einer verwendeten Fremdsprache, Bürokräfte bzw SachbearbeiterInnen im Sinne obiger Tätigkeitsmerkmale (insb Rechnungswesen, Einkauf, Verkauf, Logistik, Produktion, Personal- und Qualitätswesen), Lohn- und GehaltsverrechnerInnen (ds Angestellte, die über die Arbeit eines Lohnrechners-, einer Lohnrechnerin hinaus die Lohn- und Gehaltslisten auszahlungsreif gestalten...), TelefonistInnen mit regelmäßiger Auskunftserteilung in mindestens einer Fremdsprache, Helpdesk-MitarbeiterInnen im Sinne obiger Tätigkeitsmerkmale mit inhaltlichen und fachlichen Bearbeitungsaufgaben .... VerkäuferInnen im Detailgeschäft mit besonderen Fachkenntnissen oder Fremdsprachen ..."

Das Aufgabengebiet der Klägerin umfasste das Schreiben von Offerten, die Einholung von Angeboten bei in- und ausländischen Lieferanten (überwiegend Italien), wobei dies sowohl in italienischer als auch in deutscher Sprache erfolgte, die Kommunikation mit dem Außendienst, den Kunden und Lieferanten, die Bestellung der Waren beim Lieferanten laut Kundenaufträgen, die Administration der Lieferantenbestellung, die Archivierung sämtlicher den Bereich betreffender Unterlagen, das Versenden der Post an die Außendienstmitarbeiter sowie die Entlastung der Geschäftsführerin. So erledigte die Klägerin beispielsweise in der Zeit vom 1. 3. bis 11. 7. 2000 42 Telefongespräche in intalienischer Sprache, stellte allein in den Monaten Jänner und Februar 2001 24 selbständige Offerte und im Jänner 2001 anhand von Listenpreisen 15 Offerte. Die Offerte wurden teilweise von der Geschäftsführerin unterfertigt. In welchem Ausmaß es zu Korrekturen gekommen ist, kann nicht festgestellt werden. Die Klägerin wurde nie darauf hingewiesen, dass es nicht erwünscht oder dass es entbehrlich sei, mit italienischen Lieferanten in italienischer Sprache zu verkehren.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch jener Differenzbeträge, die sich seit 31. 8. 2000 bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses aus der Gegenüberstellung des tatsächlich bezogenen Bruttogehaltes und den Mindestbeträgen nach Verwendungsgruppe III des Kollektivvertrages für Papier und Pappe verarbeitende Industrie ergeben. Der eingeklagte Bruttobetrag (AS 53) steht der Höhe nach außer Streit (AS 42). Die Klägerin stützt ihr Begehren darauf, dass ihre Tätigkeit einer solchen nach Verwendungsgruppe III und nicht II des Kollektivvertrags für die Angestellten der Papier und Pappe verarbeitenden Industrie entsprochen habe.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Das Unternehmen der Erstbeklagten unterliege dem Kollektivvertrag für die Handelsangestellten, die dort genannten Mindestsätze habe die Klägerin in jedem Fall erhalten. Selbst wenn man von der Vereinbarung einer Anwendung des Kollektivvertrages für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie ausgehe, habe die Tätigkeit der Klägerin dem Bild der Verwendungsgruppe II entsprochen. Die Arbeiten seien weder selbständig verrichtet worden, noch sei die Anwendung der italienischen Sprache notwendig gewesen. Dies sei eine „Fleißaufgabe" der Klägerin gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass der KollV für Papier und Pappe verarbeitende Industrie jedenfalls kraft Vereinbarung gelte und die Tätigkeiten der Klägerin als solche nach Verwendungsgruppe III zu beurteilen seien.

Das Berufungsgericht wies in Stattgebung der Berufung der Beklagten das Klagebegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Betrieb der Erstbeklagten dem Handel mit Papierwaren zukomme. Es liege kein Fall vor, wo die Berechtigung nur für ein bestimmtes Gewerbe vorliege, tatsächlich aber ein anderes ausgeübt werde. Damit komme grundsätzlich der Kollektivvertrag für die Handelsangestellten zur Anwendung. Die Streitteile hätten aber die Anwendung eines - für die Arbeitnehmer - günstigeren Kollektivvertrages vereinbart, welchem somit der Vorrang zukomme. Trotz der Vereinbarung des günstigeren Kollektivvertrages sei es den Parteien des Arbeitsvertrages aber unbenommen geblieben, ein die Mindestsätze dieses vereinbarten Kollektivvertrages unterschreitendes Gehalt zu vereinbaren, welches immer noch über den Mindestsätzen des sonst zu Anwendung gelangenden, an sich ungünstigeren Kollektivvertrages gelegen sei. Dies sei hier durch Vereinbarung eines Bruttolohnes von ATS 16.500,-- geschehen. Dieser Betrag liege zwar unter den Mindestansätzen für die Verwendungsgruppe III des KollV für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie (- in diese Verwendungsgruppe sei die Klägerin grundsätzlich einzuordnen -), doch lägen die Ansätze in der Beschäftigungsgruppe III des sonst zur Anwendung gelangenden KollV für die Handelsangestellten noch wesentlich darunter. Damit habe die Klägerin keinen Anspruch auf eine höhere als die tatsächlich erfolgte Entlohnung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei, weil neuere Rechtsprechung dazu fehle, welche Auswirkungen ein vereinbarter Kollektivvertrag auf gleichzeitig abgeschlossene ungünstigere Gehaltsvereinbarungen habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist zulässig; sie ist auch berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass der Kollektivvertrag für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie kraft Vereinbarung anzuwenden ist und insoweit den - für die Arbeitnehmer ungünstigeren - Kollektivvertrag für die Handelsangestellten verdrängt.

Die Mindeststandards des jeweils gültigen Kollektivvertrags können auch mit Zustimmung des Arbeitnehmers nicht wirksam unterschritten werden. Der grundsätzlich für den Betrieb der Erstbeklagten geltende Kollektivvertrag ist - nunmehr - unbestritten jener für die Handelsangestellten Österreichs. Dieser Kollektivvertrag stellt daher den Mindeststandard dar, welcher nicht unterschritten werden dürfte. Darüber hinaus kann jedoch die Geltung eines anderen Kollektivvertrages als Vertragsschablone vereinbart werden. In einem derartigen Fall kommt dem nur aufgrund einer Vereinbarung anzuwendenden Kollektivvertrag aber nicht mehr die Funktion zu, dem Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses einen Mindeststandard zu sichern. Daher ist das Günstigkeitsprinzip des § 3 Abs 1 ArbVG in Ansehung dieses (vereinbarten) Kollektivvertrages ohne entsprechende Parteienvereinbarung nicht anwendbar (9 ObA 208/94 = SZ 67/159; 8 ObA 2255/96t, in RIS-Justiz RS0051010; RS0051005). Damit wäre es grundsätzlich auch hier möglich gewesen, dass die Streitteile ein Gehalt vereinbart hätten, das unter den Mindestansätzen des vereinbarten KollV lag, soferne nur die Mindestansätze des sonst geltenden KollV (der Handelsangestellten) nicht unterschritten worden wären. Das Berufungsgericht nimmt zwar eine solche Gehalts-Sondervereinbarung als Abweichung vom ansonsen vereinbarten KollV (für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie) an, doch kann dieser Ansicht bei Anwendung der Auslegungsregeln der §§ 914 ff ABGB auf den festgestellten Sachverhalt nicht beigepflichtet werden.

Gerade der ausdrückliche Hinweis, dass der Kollektivvertrag für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie in der Lohnverrechnung aufliege, musste die Klägerin wie jede andere Stellenbewerberin in ihrer Situation zur Annahme veranlassen, dass insbesondere die Gehaltsregelungen dieses Kollektivvertrages zur Anwendung kämen. Allein aus der Nennung eines Bruttogehalts (welches zwar über den Mindestansätzen der Verwendungsgruppe II, jedoch unter denjenigen der Verwendungsgruppe III lag) musste die Klägerin noch auf keine von diesem Kollektivvertrag abweichende Lohnvereinbarung schließen, zumal ja die Einordnung der Klägerin in eine bestimmte Verwendungsgruppe überhaupt nicht besprochen worden war. Damit kann aber bei objektiver Betrachtung auch keine Parteiabsicht unterstellt werden, die Vertragsteile hätten zwar einen günstigeren Kollektivvertrag, nicht jedoch dessen Gehaltsansätze vereinbart. Dass die Tätigkeit der Klägerin den Merkmalen der Verwendungsgruppe III entsprochen hat, wurde vom Berufungsgericht zutreffend dargelegt. Insoweit kann auf die Rechtsausführungen in der Berufungsentscheidung verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Klägerin hat daher Anspruch auf Zahlung der Differenz, die sich aus dem ausbezahlten Gehalt im Verhältnis zu den Mindestansätzen der Verwendungsgruppe III des Kollektivvertrages für die Papier und Pappe verarbeitende Industrie ergibt.

Es daher war die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen. Dabei war jedoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin unstrittig keine Netto-, sondern Bruttobeträge begehrt.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet auf §§ 50 Abs 1, 41 ZPO. Für das Revisionsverfahren konnten keine Kosten zuerkannt werden, da es die Klägerin verabsäumt hat, Kosten zu verzeichnen.

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