OGH 9ObA208/94

OGH9ObA208/9428.9.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Klinger als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier und Dr.Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Barbara Hopf und Mag.Ernst Löwe als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dagmar G*****, vertreten durch Dr.Herbert Stegmüller, Rechtsschutzsekretär, Bankgasse 8, 1010 Wien, dieser vertreten durch Dr.Heinrich Keller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei F***** ZeitungsGesmbH, ***** vertreten durch Dr.Michael Graff, Rechtsanwalt in Wien, wegen 37.000 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.April 1994, GZ 34 Ra 4/94-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.Oktober 1993, GZ 25 Cga 87/93h-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie zu lauten haben:

"Das Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von 37.000 S samt 4 % Zinsen seit 15.6.1992 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 16.957,68 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz (darin enthalten 2.426,28 S Umsatzsteuer und 2.400 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiter schuldig, der beklagten Partei die mit 7.058,88 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 676,48 S Umsatzsteuer und 3.000 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 15.1.1992 wurde zwischen den Streitteilen ein Dienstvertrag über die Beschäftigung der Klägerin als Redakteurin gegen ein Monatsgehalt von 37.000 S abgeschlossen. Dieses Dienstverhältnis unterliegt keinem Kollektivvertrag. Die Klägerin unterfertigte einen schriftlichen Dienstvertrag, dessen Punkt I.1.3. folgenden Wortlaut hat:

"Auf das gegenständliche Dienstverhältnis finden die Bestimmungen des KV für die bei den österreichischen Tageszeitungen angestellten Redakteure, Redakteursaspiranten und Reporter sowie des Angestellten- und Journalistengesetz in ihren jeweils gültigen Fassungen Anwendung."

Punkt VI enthält (auszugsweise) folgende Regelung:

Überschrift (Fettdruck):

VI Kündigung, Urlaub

................................

Die Kündigungsfrist beträgt 3 Monate und erhöht sich gemäß dem Kollektivvertrag. Das Dienstverhältnis kann jeweils zum 15. und Letzten eines jeden Monats unter Einhaltung der Kündigungsfrist vom Dienstgeber aufgekündigt werden."

Dem Vertragsabschluß ging eine Besprechung zwischen der Klägerin und dem Chefredakteur voraus, in der das Aufgabengebiet der Klägerin und die Gehaltshöhe, nicht jedoch die Kündigungsmodalitäten besprochen wurden. Die Klägerin nahm wohl die Bestimmung des Punktes I.1.3., nicht jedoch die die Kündigung betreffende Regelung des Punktes VI wahr. Sie wurde hierauf auch von ihrem Gesprächspartner nicht aufmerksam gemacht.

Am 19.5.1992 überreichte der Chefredakteur der Klägerin ein Kündigungsschreiben, mit dem die Kündigung des Dienstverhältnisses mit 30.5.1992 zum 31.8.1992 ausgesprochen wurde. Die Klägerin unterfertigte das Schreiben zum Zeichen ihrer Einwilligung, während der Freistellung ihren Urlaub zu konsumieren, setzte allerdings die Worte "mit Vorbehalt" bei, weil sie, von einem Arbeitskollegen darauf hingewiesen, Bedenken gegen die der Kündigung zugrundeliegende Frist hatte.

Die Klägerin begehrt die Zahlung eines Betrages von 37.000 S brutto. Da der Kollektivvertrag für die bei den österreichischen Tageszeitungen angestellten Redakteure, Redakteursaspiranten und Reporter auf das Dienstverhältnis anzuwenden sei, wäre eine Kündigung nur zum Ablauf des Kalenderviertels zulässig gewesen. Sie habe daher noch Anspruch auf das Gehalt für die Zeit vom 1.9.1992 bis 30.9.1992.

Die beklagte Partei beantragt die Abweisung der Klage. Wohl sei die Anwendung des Kollektivvertrages auf das Dienstverhältnis vereinbart worden, doch sei bezüglich des Kündigungstermines eine besondere Vereinbarung getroffen worden, die gegenüber dem Kollektivvertrag die speziellere Regelung bilde. Die Kündigung zum 31.8.1992 sei daher zulässig gewesen. Im übrigen habe die Klägerin das Kündigungsschreiben unterfertigt und sich damit mit der Auflösung des Dienstverhältnisses zum angeführten Termin einverstanden erklärt.

Das Erstgericht gab dem Begehren der Klägerin statt. Nach § 914 ABGB sei bei der Auslegung von Verträgen nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern die Absicht der Parteien zu erforschen und der Vertrag so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspreche. Unter Absicht der Parteien im Sinne dieser Gesetzesstelle sei keineswegs etwa die Auffassung einer Partei oder ein nicht erklärter und nicht kontrollierbarer Parteiwille, sondern nichts anderes als der Geschäftszweck zu verstehen, den jeder der vertragsschließenden Teile redlicherweise der Vereinbarung unterstellen müsse. Die nach Punkt I.1.3. des Dienstvertrages uneingeschränkte Anwendung des Kollektivvertrages, der nach seinem Geltungsbereich auf das Dienstverhältnis nicht anzuwenden sei, erzeuge bei einem redlichen Erklärungsempfänger den Eindruck, daß der KV im gesamten Umfang Anwendung zu finden habe. Daran ändere nichts, daß in einem anderen Punkt bezüglich der Kündigung vom KV abweichende Sonderbestimmungen getroffen worden seien. Da die Klägerin hierauf nicht ausdrücklich hingewiesen worden sei, habe es bei den vom Kollektivvertrag bestimmten Kündigungsregelungen zu verbleiben. Danach sei aber die Kündigung nur zum Quartalsende möglich gewesen. Durch die Unterfertigung des Kündigungsschreibens habe die Klägerin keinen rechtsgeschäftlichen Willen zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses zum 31.8.1992 zum Ausdruck gebracht, so daß auch aus dem diesbezüglichen Vorbringen für die beklagte Partei nichts gewonnen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, daß die (ordentliche) Revision nicht zulässig sei. Das Günstigkeitsprinzip des § 3 Abs 1 ArbVG sei wohl nicht ex lege anzuwenden, habe jedoch durch die Vereinbarung der Bestimmung auch des § 2 des Kollektivvertrages Eingang in die Rechtsbeziehungen zwischen den Streitteilen gefunden. Dieser bestimme, daß Sondervereinbarungen zwischen den Parteien des Dienstvertrages nur wirksam seien, wenn sie für den Dienstnehmer günstiger seien als der Kollektivvertrag sowie, daß die Bestimmungen des KV durch Dienstverträge weder eingeschränkt noch aufgehoben werden könnten, es sei denn, die Regelung sei für den Dienstnehmer günstiger. Diese Regelung sei durch Punkt I.1.3. des Dienstvertrages Gegenstand des Vertragsverhältnisses zwischen den Streitteilen geworden. Da die die Kündigung betreffende Regelung des Dienstvertrages ungünstiger sei als die kollektivvertraglichen Bestimmungen habe sie nicht wirksam getroffen werden können.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob das in einem Kollektivvertrag explizit normierte Günstigkeitsprinzip auch dann Geltung hat, wenn der Kollektivvertrag nicht kraft seines Geltungsbereiches, sondern nur kraft Vereinbarung anzuwenden ist, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt.

Außer Frage steht im Revisionsverfahren, daß das Dienstverhältnis der Klägerin dem Regelungsbereich des Kollektivvertrages nicht unterlag. Die Parteien haben jedoch die Geltung des Kollektivvertrages im Dienstvertrag vereinbart. Daß unter diesen Umständen das Günstigkeitsprinzip des § 3 Abs 1 ArbVG nicht anwendbar ist, hat bereits das Berufungsgericht dargetan. Auch aus der Regelung des § 2 KV kann jedoch nicht das vom Berufungsgericht gewonnene Ergebnis abgeleitet werden. Zutreffend verweist die Revisionswerberin darauf, daß diese Norm Ausfluß des arbeitsrechtlichen Günstigkeitsprinzips ist und nur in dem ihr zugedachten Regelungsbereich Anwendung finden kann, nämlich dann, wenn dem Kollektivvertrag normative Wirkung zukommt und er damit seiner ursprünglichen Aufgabe, den Arbeitnehmern im Rahmen des Dienstverhältnisses einen Mindeststandard zu sichern, gerecht wird. Es handelt sich bei § 2 KV lediglich um die Festschreibung des in § 3 ArbVG normierten Günstigkeitsprinizips, das auch ohne Aufnahme in den Kollektivvertrag Gültigkeit hätte. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß die Parteien dieses Günstigkeitsprinzip auch zum Gegenstand des dem Kollektivvertrag an sich nicht unterliegenden Dienstvertrages machen wollten, wenn sie im selben Vertrag vom Kollektivvertrag abweichende Regelungen getroffen haben, die aus der Sicht des Günstigkeitsprinzips nicht zulässig wären. Es ist vielmehr in einem solchen Fall davon auszugehen, daß die Parteien die Geltung des Kollektivvertrages nur in dem Umfang vereinbarten, in dem nicht im Dienstvertrag abweichende Sonderregelungen getroffen wurden. So hat der Oberste Gerichtshof zu § 44 Abs 3 IPRG ausgesprochen, daß die Rechtswahl auch nur bezüglich eines Teiles einer Rechtsordnung zulässig ist und (dort österreichische) kollektivvertragliche Normen etwa über Sonderzahlungen nicht erfaßt werden, wenn diese Fragen im Arbeitsvertrag abweichend geregelt sind (Arb 10.035 = EvBl 1992/191 = DRdA 1993, 21). Die Vereinbarung des Kollektivvertrages als Vertragsschablone im Dienstvertrag bildete daher, ungeachtet des § 2 KV, kein Hindernis dafür, daß im Dienstvertrag einzelne Punkte abweichend vom Kollektivvertrag geregelt wurden, auch wenn diese Sonderregelungen für den Dienstnehmer ungünstiger waren als die entsprechenden kollektivvertraglichen Regelungen. Die Vereinbarung über einen vom Kollektivvertrag abweichenden Kündigungstermin konnte daher auch unter Berücksichtigung des Punktes I.1.3. des Dienstvertrages wirksam getroffen werden.

Auch den Ausführungen des Erstgerichtes betreffend die Vertragsauslegung kann nicht beigetreten werden. Nach den Feststellungen wurde der Klägerin das vervollständigte Formblatt des Dienstvertrages übergeben und sie hat es auch gelesen. Der Dienstvertrag umfaßt nur dreieinhalb, in deutlichem Druck gehaltene, übersichtlich gestaltete Blätter. Der Punkt VI enthält in Fettdruck die Überschrift "Kündigung, Urlaub" und kann selbst bei oberflächlicher Durchsicht kaum übersehen werden. Wenn die Klägerin diesen Punkt, der sich im übrigen unmittelbar im Anschluß an die Gehaltsregelung, die die Klägerin sicherlich überprüfte, auf der selben Seite befindet, übersehen hat, hat sie das selbst zu vertreten. Im Hinblick auf die klare Textierung der Bestimmung bleibt für eine Vertragsauslegung kein Raum.

Ausgehend von der Wirksamkeit der Vereinbarung in Punkt VI des Dienstvertrages erfolgte die Kündigung zum 31.8.1992 termingemäß. Der Klägerin steht daher das geltend gemachte Gehalt für September 1992 nicht zu.

Die Entscheidung über die Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens gründet sich auf § 41 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens überdies auf § 50 Abs 1 ZPO.

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