OGH 9ObA50/20y

OGH9ObA50/20y25.6.2020

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei R*****, vertreten durch Mag. Martin Stärker, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte und widerklagende Partei V***** AG, *****, vertreten durch Dr. Max Pichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen 80.503,61 EUR brutto sA (AZ 11 Cga 22/18m) und 2.725,77 EUR netto sA (AZ 11 Cga 68/18a), über die außerordentliche Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. April 2019, GZ 7 Ra 109/19d‑20, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:009OBA00050.20Y.0625.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Oberste Gerichtshof ist ausschließlich als Rechtsinstanz zur Überprüfung von Rechtsfragen tätig (RS0123663). Eine angebliche Unrichtigkeit der Beweiswürdigung kann nicht mit Revision bekämpft werden (RS0069246 [T2]). Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht oder nur so mangelhaft befasst hätte, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind (RS0043150), ist sein Verfahren mangelhaft.

Das ist hier nicht der Fall. Das Berufungsgericht hat sich jeweils zumindest kurz inhaltlich mit den Argumenten des Klägers auseinandergesetzt und dargelegt, warum es ihnen nicht folgt. Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsurteils liegt insoweit nicht vor.

2. Verweisungen in der Revision auf den Inhalt der Berufung sind für den Obersten Gerichtshof unbeachtlich (RS0043579). Soweit der Kläger die dort gemachten Ausführungen „aufrecht erhält“ ist darauf nicht weiter einzugehen.

3. Ein Austritt ist die Erklärung der vorzeitigen und – in der Regel – fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Angestellten, die nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gerechtfertigt ist. Die Aufzählung der Austrittsgründe in § 26 AngG ist bloß demonstrativ. Nicht jede Vertragsverletzung berechtigt aber zum sofortigen Austritt. Wesentlich ist die Vertragsverletzung nur, wenn dem Angestellten unter solchen Umständen die weitere Aufrechterhaltung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann (RS0030641).

Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (RS0106298). Bewegt sich das Berufungsgericht im Rahmen der Grundsätze einer ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und trifft es seine Entscheidung ohne grobe Fehlbeurteilung aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls, so liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (RS0044088 [T8, T9]). Eine solche Fehlbeurteilung zeigt die außerordentliche Revision nicht auf.

4. Gegenstand des Verfahrens ist nicht, wie die Beklagte ihre Produktpalette zusammenstellt, ob sie aufgrund ihrer unternehmerischen Entscheidungen Kunden verlieren wird, welche – allenfalls unzulässigen – Vereinbarungen sie mit ihren Vertriebspartnern hat oder ob sie in ihren Werbeauftritten ihre Informationspflichten gegenüber den Kunden zur Gänze erfüllt, sondern inwieweit es dem Kläger unzumutbar ist, das Arbeitsverhältnis auch nur für die Dauer der Kündigungsfrist fortzusetzen (RS0028914).

Die Beklagte hat beginnend mit 1. 1. 2018 ihr Angebot im Bereich Anlageberatung im Zusammenhang mit rechtlichen Änderungen im Wertpapierbereich auf eine nicht unabhängige Beratung umgestellt, worauf auf der Homepage der Beklagten ausdrücklich hingewiesen wurde. Die damit verbundene Verkleinerung der Produktpalette und Beschränkung der Beratungsmöglichkeit auf diese Produkte ist eine unternehmerische Entscheidung der Beklagten. Richtig ist wohl, dass auch bei einer nicht unabhängigen Anlageberatung nicht jede Art der Gewährung oder Annahme von – nicht offengelegter – Vorteilen zulässig ist.

Daraus lässt sich aber im konkreten Fall für den Kläger nichts gewinnen. Weder aus dem Vorbringen des Klägers, das sich nur abstrakt auf die gesetzlichen Bestimmungen bezieht, noch aus den Feststellungen lässt sich darauf schließen, dass die konkrete Vereinbarung unzulässig gewesen wäre. Insbesondere ergibt sich aus den Feststellungen aber auch nicht, dass die Beklagte Rahmenbedingungen geschaffen hat, die es dem Kläger unmöglich gemacht hätten, die Kunden entsprechend gesetzlichen Vorgaben zu beraten.

Die außerordentliche Revision verweist dazu darauf, dass die Beklagte sicherstellen hätte müssen, dass kein Druck auf die Berater ausgeübt wird, den Kunden ein bestimmtes Produkt nahezulegen. Dabei übergeht sie die Feststellungen, dass der Kläger ein Fixgehalt bezog, das keine Provisionen oder Zielerreichungsprämien beinhaltete; nicht festgestellt werden konnte, dass die Beklagte Verkaufszielvorgaben erließ, die den Kläger gezwungen hätten, zum Nachteil der Kunden ausschließlich Fonds einer bestimmten Gesellschaft zu verkaufen; er nicht mehrfach aufgefordert wurde, die Vertriebsvereinbarung nicht offenzulegen, sondern vielmehr die Möglichkeit zu einer solchen Offenlegung gehabt hätte.

Soweit der Kläger nicht von diesem Sachverhalt ausgeht, sondern auf sein Vorbringen in erster Instanz verweist, ist die außerordentliche Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt. Weder lässt sich aus den erstgerichtlichen Feststellungen die „Schaffung einer rechtswidrigen Struktur“ noch die „Verleitung des Arbeitnehmers zu unsittlichen oder gesetzwidrigen Verstößen“ ableiten, die einen Austritt des Klägers erforderlich gemacht habe. Gerade wenn die außerordentliche Revision darauf verweist, dass zu wesentlichen Fragen des WAG 2018 Judikatur noch nicht vorliegt, daher viele Fragen der Auslegung der entsprechenden Bestimmungen noch nicht geklärt sind, ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, dass ein bestimmtes Verständnis dieser Bestimmungen seitens des Arbeitgebers zum vorzeitigen Austritt berechtigt, mag es auch vom Arbeitnehmer nicht geteilt werden (vgl auch 8 ObA 60/19k).

Wenn daher die Vorinstanzen davon ausgegangen sind, dass kein hinreichender Grund für eine Unzumutbarkeit der weiteren Tätigkeit des Klägers während der Kündigungsfrist vorlag, hält sich dies im gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraum.

5. Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

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