OGH 9ObA49/14t

OGH9ObA49/14t25.6.2014

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder und Wolfgang Cadilek als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R***** T*****, vertreten durch die Schmidberger-Kassmannhuber-Schwager Rechtsanwalts-partnerschaft in Steyr, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Steinbüchler ua, Rechtsanwälte in St. Florian, wegen 12.518,56 EUR brutto abzüglich 3.349,61 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 6. März 2014, GZ 11 Ra 10/14s‑20, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Frage, ob ein Betriebsübergang iSd § 3 AVRAG vorliegt, ist von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig und stellt demzufolge regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS‑Justiz RS0124074).

Ob ein Betriebsübergang vorliegt, ist aufgrund der den betreffenden Vorgang kennzeichnenden tatsächlichen Umstände zu beurteilen. Dabei ist im Sinn eines beweglichen Systems eine Gesamtbewertung der einzelnen Umstände vorzunehmen, zumal der Betriebsübergang in einem sehr weiten Sinn zu verstehen ist (RIS‑Justiz RS0082749; 8 ObA 41/10b).

Auch mit der hier zu beurteilenden Frage der Abgrenzung von Betriebsübergängen bei Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen hat sich der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung zu 8 ObA 64/07f unter Berücksichtigung der über ein Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH 13. 9. 2007, Rs Jouini , C‑458/05) befasst. Demnach ist entscheidend, ob die übertragenen Betriebsmittel als solche ausreichen, um die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens kennzeichnenden Leistungen ohne Inanspruchnahme anderer wichtiger Betriebsmittel und ohne Inanspruchnahme anderer Unternehmensteile weiter erbringen zu können.

Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt im gegenständlichen Fall nicht vor. Im September und Oktober 2012 wechselten zwei Arbeitspartien, bestehend aus jeweils fünf Leiharbeitnehmern des Ende Oktober 2012 insolvent gewordenen Leiharbeitsunternehmen G***** GmbH sowie die beiden Kunden, für die diese Leiharbeitnehmer tätig waren, zur Beklagten. Die Leiharbeitnehmer setzten ihre Arbeit auf den Baustellen der Kunden unverändert fort. Der Wechsel der Kunden und Mitarbeiter zur Beklagten erfolgte über Initiative der beiden Geschäftsführer der G***** GmbH. Bereits Ende August 2012 war auch K***** G*****, einer der beiden Geschäftsführer der G***** GmbH, zur Beklagten gewechselt, wo er seitdem für die Kundenakquisition zuständig ist. Sein Bruder S***** G*****, der zweite Geschäftsführer der G***** GmbH, begann seine Tätigkeit als Disponent bei der Beklagten zwar erst Anfang Dezember 2012, war aber zuvor bereits in die einvernehmliche Beendigung der Dienstverhältnisse und den Wechsel der Mitarbeiter von der G***** GmbH zur Beklagten eingebunden. Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt wechselte auch (weiteres) Verwaltungspersonal von der G***** GmbH zur Beklagten. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, insgesamt betrachtet sei noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die G***** GmbH eine einsatzbereite Gesamtheit in Form von Kunden, Leiharbeitnehmern und ‑ jedenfalls in der Person des K***** G***** ‑ auch einer geeigneten Verwaltungsstruktur zur Organisation eines zumindest kleinen Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen iSd § 3 Abs 1 AVRAG auf die Beklagte übergegangen, ist jedenfalls vertretbar. Bei der gebotenen Gesamtbewertung im Sinne eines beweglichen Systems kommt es auf die im Einzelfall jeweils konkreten Kenntnisse des übergegangenen Verwaltungspersonals nicht an. Die Ansicht der Beklagten, der Wechsel bloß einer Verwaltungsperson stehe mangels Bewältigung sämtlicher anfallender Verwaltungstätigkeiten einem Betriebs‑(teil‑)übergang entgegen, geht am Zweck des § 3 AVRAG, der in Umsetzung der BetriebsübergangsRL 77/187/EWG (nunmehr RL 2001/23/EG) geschaffen wurde, vorbei. Er besteht darin, die Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers so weit wie möglich zu gewährleisten, indem den Arbeitnehmern die Möglichkeit eingeräumt wird, ihr Arbeitsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren (RIS‑Justiz RS0108458). Aus diesem Grund war auch die Anregung des Klägers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens nicht aufzugreifen (vgl RIS‑Justiz RS0082949).

Die vom Revisionswerber behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Senat geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Schon gar nicht wird insoweit eine erhebliche Rechtsfrage des § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt.

Der Umstand alleine, dass drei weitere Gerichtsverfahren mit derselben Rechtsfrage anhängig sind, bewirkt für sich allein ebenfalls noch nicht ihre Erheblichkeit iSd § 502 Abs 1 ZPO (vgl RIS‑Justiz RS0042816; 9 ObA 57/13t).

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.

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