OGH 9ObA37/22i

OGH9ObA37/22i27.4.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Thomas Stegmüller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Dr. Robert Toder (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E* B*, vertreten durch Dr. Tassilo Wallentin, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei I* GmbH, *, vertreten durch Mag. Alexander Eppelein, MSc, Rechtsanwalt in Wien, wegen 39.636,64 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 36.414,99 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑und Sozialrechtssachen vom 22. Februar 2022, GZ 8 Ra 110/21m‑62, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00037.22I.0427.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

[1] 1. Die geltend gemachte Nichtigkeit, in eventu Mangelhaftigkeit des Verfahrens wurde geprüft; sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Nach der Entscheidung 6 Ob 90/20h [Pkt 3.1. mwN] ist dem österreichischen (Zivil‑)Verfahrensrecht ein Beweisverwertungsverbot fremd. Dies bedarf im Anlassfall aber keiner näheren Betrachtung. Wie die Beklagte die von ihr namhaft gemachte Zeugen ausfindig gemacht hat, ist hier nicht relevant. Die Zeugen haben jedenfalls pflichtgemäß vor Gericht ausgesagt.

[2] 2.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Auslegung einer Willenserklärung am Empfängerhorizont zu messen, wobei die aus der Erklärung abzuleitenden Rechtsfolgen nicht danach zu beurteilen sind, was der Erklärende sagen wollte oder was der Erklärungsempfänger darunter verstanden hat, sondern wie die Erklärung bei objektiver Beurteilung der Sachlage durch einen redlichen und verständigen Menschen zu verstehen war (RS0113932 ua). Wie dabei eine Erklärung im Einzelfall aufzufassen ist, ist jeweils nur nach dessen besonderen Umständen zu beurteilen und stellt – von groben Auslegungsfehlern und sonstigen krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0042555 [T28]). Davon ist auch im vorliegenden Fall auszugehen. Die angefochtene Entscheidung bewegt sich im Rahmen der Grundsätze der Rechtsprechung zur Auslegung von Willenserklärungen.

[3] 2.2. Nach den Feststellungen hat der Betriebsinhaber seinen Arbeitern gestattet, das Firmenfahrzeug und das Werkzeug in der Freizeit für Installationsarbeiten „in der großen Familie“ zu verwenden. Das Berufungsgericht kam in seiner rechtlichen Beurteilung zum Ergebnis, dass sich aus diesen Feststellungen und der Praxis im Betrieb der Beklagten jedenfalls ein Einverständnis der Beklagten mit den vom Kläger (auch) durchgeführten Installationsarbeiten in seiner Freizeit, sowohl unentgeltlich als auch entgeltlich, im Rahmen der Familie und – mangels Einwendungen der Beklagten – auch bei Dritten im Bekanntenkreis ableiten lasse. Der Kläger habe aber nicht darauf vertrauen können, die Beklagte sei auch damit einverstanden gewesen, dass er in seiner Freizeit für ein Konkurrenzunternehmen im gleichen Gewerbe (und dies nicht nur für Bekannte) tätig werde sowie dass er den Kontakt zu Kunden der Beklagten nutzen dürfe, um für ein Konkurrenzunternehmen der Beklagten oder auf eigene Rechnung für die Kunden der Beklagten Installationsleistungen zu erbringen.

[4] 2.3. Der Kläger hält dieser Beurteilung des Berufungsgerichts nichts Stichhältiges entgegen. Von welcher Erlaubnis der Kläger subjektiv ausgegangen ist, ist rechtlich nicht entscheidend. Er ist in seinem Vertrauen nur dann geschützt, wenn er die Erklärung so verstanden hat, wie sie ein redlicher, verständiger Erklärungsempfänger unter Berücksichtigung des Geschäftszwecks und der gegebenen Umstände verstehen durfte (RS0014160 [T11]). Da das Berufungsgericht mit der Auslegungsregel des § 914 ABGB das Auslangen gefunden hat, kommt die subsidiäre Anwendung des § 915 ABGB nicht in Betracht (vgl RS0017752).

[5] 3.1. Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Beurteilung, ob im Einzelfall ein Entlassungsgrund verwirklicht wurde, keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RS0106298), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre bei der Entscheidung eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen, wovon im vorliegenden Fall nicht auszugehen ist.

[6] 3.2. Nach § 82 lit e) 2. Fall GewO 1859 stellt es einen Entlassungsgrund dar, wenn ein Arbeiterohne Einwilligung des Arbeitgebers ein der Verwendung beim Gewerbe abträgliches Nebengeschäft betreibt. Der Nachteil für den Arbeitgeber kann darin liegen, dass die Nebenbeschäftigung die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers in unzumutbarer Weise beeinträchtigt, sodass er seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen kann (RS0060540 [T2]). Die abträgliche Auswirkung kann nach der Rechtsprechung aber auch darin bestehen, dass das Nebengeschäft im Gewerbe des Arbeitgebers betrieben wird, der Arbeitnehmer also seinem Arbeitgeber Konkurrenz macht. Es ist dabei gleichgültig, wie gut oder wie schlecht das Geschäft für den Arbeitgeber gewesen wäre und für den Arbeitnehmer war (RS0060554 [T1, T3]).

[7] 3.3. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger mit seinen außerhalb des Unternehmens des Beklagten, einem Installationsunternehmen, durchgeführten Installationsarbeiten seiner Arbeitgeberin Konkurrenz machte, ist nicht zu beanstanden. Damit der Entlassungsgrund des § 82 lit e) 2. Fall GewO 1859 erfüllt ist, mussten die außerbetrieblichen Tätigkeiten des Klägers aber nicht jedenfalls auch eine „echte Pflichtenkollision“ bei seiner Arbeit im Betrieb der Beklagten bewirkt haben.

[8] Mangels Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

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