OGH 9ObA22/15y

OGH9ObA22/15y28.5.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johanna Biereder und Horst Nurschinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** B*****, vertreten durch Dr. Margit Kaufmann, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Stadt *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl Kommandit‑Partnerschaft, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 16. Dezember 2014, GZ 10 Ra 116/14y‑12, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 18. Juni 2014, GZ 17 Cga 12/14d‑8, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00022.15Y.0528.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.846,56 EUR (darin 307,76 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.329,84 EUR (darin 221,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit 19. 11. 2001 bei der Beklagten als Rettungshelfer und Rettungssanitäter beschäftigt. Mit Schreiben vom 2. 9. 2010 kündigte die Beklagte dieses Dienstverhältnis gemäß § 42 Abs 2 Z 2 und 6 der Vertragsbedienstetenordnung 1995 (VBO 1995) unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 31. 12. 2010 auf. Der Kläger focht diese Kündigung im Verfahren 7 Cga 123/10y des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien an und begehrte die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses über den 31. 12. 2010 hinaus. Die im Anfechtungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten ergaben, dass der Kläger aufgrund von gesundheitlichen Problemen eine gewisse Zeit lang (um den Kündigungszeitpunkt herum) tatsächlich nicht als Rettungssanitäter einsetzbar war, aber eine positive Zukunftsprognose hatte und spätestens ab dem Frühjahr 2012 gesundheitlich wieder als Rettungssanitäter einsetzbar gewesen wäre. In der mündlichen Verhandlung vom 24. 4. 2012 (Vorverfahren ON 29 Seite 6) wurde daher eine allenfalls mögliche Wiedereinstellung des Klägers bei der Beklagten mit 1. 6. 2012 unter Außerachtlassung der bisher vergangenen Zeit erörtert.

In der Folge vereinbarten die Parteien im Mai 2012 außergerichtlich, dass der Kläger die Kündigung zum 31. 12. 2010 akzeptiert, er ab 1. 7. 2012 wieder als Rettungssanitäter bei der Beklagten eingestellt wird, er die ihm nach der zum 31. 12. 2010 ausgesprochenen Kündigung bereits ausbezahlte Abfertigung nicht zurückzahlen muss und gehaltsmäßig genau so eingereiht wird, wie er es bei Beendigung des Dienstverhältnisses zum 31. 12. 2010 war. Nicht Thema dieses Vergleiches war, ob die Vordienstzeiten des Klägers bei der Beklagten auch für die für den Kündigungsschutz erforderliche Dauer des Dienstverhältnisses von drei Jahren zählen.

Der zwischen den Parteien im Mai 2012 schriftlich abgeschlossene außergerichtliche Vergleich lautet wie folgt: „ 1.) Herr B***** akzeptiert die Kündigung zum 31.12.2010 und verzichtet auf die Fortsetzung des Verfahrens 7 Cga 123/10y des ASG Wien. Herr B***** wird mit 1.7.2012 wieder bei der Stadt ***** gemäß seiner bisherigen Verwendung beschäftigt, wobei die Vordienstzeiten von Herrn B***** bei der Stadt ***** bezüglich der Gehaltseinstufung anzurechnen sind.

2.) … (Kosten)

3.) Im Verfahren 7 Cga 123/10y des ASG Wien tritt durch Nichtbesuchen der Verhandlung am 19.6.2012 ewiges Ruhen ein.

Am 1. 7. 2012 nahm der Kläger seine Tätigkeit als Rettungssanitäter bei der Beklagen wieder auf. Nach dem zwischen den Parteien schriftlich abgeschlossenen Dienstvertrag wurde der Kläger in die Bedienstetengruppe der Rettungssanitäter der Verwendungsgruppe K6 eingereiht und besoldungsrechtlich so gestellt, wie bei Beendigung des Dienstverhältnisses am 31. 12. 2010. Als Vorrückungsstichtag wurde der 19. 11. 2011 (offenbar gemeint 2001), als Stichtag für den Erholungsurlaub der 19. 11. 2001 und für das Dienstjubiläum der 20. 5. 2003 festgehalten. Im Dienstvertragsexemplar des Klägers ist darüber hinaus gesondert vermerkt: „Historischer Vorrückungsstichtag: 19. 11. 2001“.

Mit Schreiben vom 3. 12. 2013 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis des Klägers ohne Angabe eines Kündigungsgrundes unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwei Monaten ab Zustellung dieses Schreibens zum 30. 4. 2014 auf. Nach dem 3. 12. 2013 wurde der Kläger nochmals, und zwar für den Fall, dass die Kündigung vom 3. 12. 2013 nicht wirksam sein sollte, unter Angabe eines Grundes gekündigt.

Der Kläger begehrt die Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses zur Beklagten über den 30. 4. 2014 hinaus. Die Kündigung der Beklagten vom 3. 12. 2013 sei unwirksam, weil das Dienstverhältnis nur unter Angabe eines Kündigungsgrundes aufgelöst hätte werden können. Da er mit dem außergerichtlich abgeschlossenen Vergleich einen neuen Dienstvertrag mit demselben Vorrückungsstichtag wie bisher erhalten habe, läge nur ein einziges Dienstverhältnis vor; dieses habe aber bereits mehr als drei Jahre gedauert. Mit dem neuen Dienstvertrag sei das Dienstverhältnis also nicht neu, sondern nur wieder begründet worden. Jedenfalls seien die Dienstverhältnisse als Einheit zu sehen.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass es sich um zwei unterschiedliche Dienstverhältnisse handle und das neue am 1. 7. 2012 abgeschlossene Dienstverhältnis am 3. 12. 2013 ohne Angabe eines Kündigungsgrundes aufgelöst habe werden können.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Ein einheitliches Dienstverhältnis liege nicht vor, weil der Kläger im Vergleich die Kündigung zum 31. 12. 2010 ausdrücklich akzeptiert habe. Allerdings spreche § 42 Abs 1 VBO 1995 ‑ im Gegensatz zu § 32 Abs 1 VBG 1948 ‑ nicht von einem ununterbrochen dauernden Dienstverhältnis, weshalb die beim selben Dienstgeber zurückgelegten Zeiten zusammenzurechnen seien. Das somit länger als drei Jahre dauernde Dienstverhältnis hätte daher nur unter Angabe eines Grundes gekündigt werden können. Die ohne Angabe eines Kündigungsgrundes erfolgte Kündigung vom 3. 12. 2013 sei rechtsunwirksam, das Dienstverhältnis des Klägers damit aufrecht.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und wies das Klagebegehren ab. Da die Parteien im Vergleich nicht vereinbart hätten, dass das neu aufgenommene Dienstverhältnis auch im Hinblick auf den Kündigungsschutz des § 42 Abs 1 VBO 1995 als einheitliches zu beurteilen sei, käme eine Anrechnung dieser Zeiten nicht in Betracht. § 42 Abs 1 VBO 1995 stelle schon seinem Wortlaut nach ausdrücklich auf „das Dienstverhältnis“ im Singular ab. Der Gesetzgeber habe die Berücksichtigung von Vordienstzeiten nur für einzelne bestimmte Tatbestände angeordnet. Ein Vergleich mit der Bestimmung des § 32 Abs 1 VBG 1948 sei nicht zulässig, weil es sich um Normen unterschiedlicher Gesetzgeber handle. Das vorangegangene Dienstverhältnis zwischen den Parteien sei bei der Beurteilung der Dauer des Dienstverhältnisses iSd § 42 Abs 1 VBO 1995 daher nicht einzubeziehen. Die Kündigung sei daher auch ohne Grund wirksam.

Mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision nicht zu.

In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Wiederherstellung des klagsstattgebenden Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer vom Senat freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Vergleiche sind nach den allgemeinen Regeln der §§ 914 ff ABGB auszulegen (3 Ob 192/12z; 7 Ob 27/13s uva). Für die Beurteilung der „Absicht“ der Parteien iSd § 914 ABGB kommt es maßgebend auf den Zweck der getroffenen Regelung an, den beide Teile redlicherweise unterstellen mussten (3 Ob 192/12z; RIS‑Justiz RS0017915 [T23]). Die Erklärungen von Parteien sind im Sinne der „Vertrauenstheorie“ nach ihrem Erklärungswert für den Empfänger zu verstehen (RIS‑Justiz RS0014696).

Mit der in Rede stehenden außergerichtlichen Vereinbarung vom Mai 2012 beendeten die Parteien das Kündigungsanfechtungsverfahren, dessen Ausgang für beide Parteien auch nach Erörterung der Sachverständigengutachten ungewiss war, und schlossen mit Beginn 1. 7. 2012 ein neues Dienstverhältnis ab. Die Weiter‑(Wieder‑)beschäftigung des Klägers bei der Beklagten hätte man auch damit erreichen können, dass sich die Beklagte dem Klagebegehren unterworfen hätte. Warum die Parteien aber nicht diese Vorgangsweise gewählt, sondern die gegenständliche Vereinbarung getroffen haben, folgt aus dem erkennbaren Sinn und Zweck der Gesamtvereinbarung: Danach wollte die Beklagte sichtlich nicht das Klagebegehren des Klägers anerkennen. Dennoch sollte seine arbeitsrechtliche Stellung wiederhergestellt werden. Dies sollte aber wieder nicht zur Rückabwicklung der gezahlten Abfertigung führen. Der Kläger musste daher die bereits empfangene Abfertigung nicht an die Beklagte zurückzahlen. Die Beklagte wiederum ersparte sich die Zahlung des dem Kläger andernfalls vom 31. 12. 2010 bis 30. 6. 2012 zustehenden Entgelts. Damit der Kläger im neu begründeten Dienstverhältnis besoldungsmäßig nicht schlechter gestellt ist, als zum Zeitpunkt der Beendigung des zuvor bestandenen Dienstverhältnisses, wurden ausdrücklich dessen Vordienstzeiten angerechnet. Diese Regelung musste getroffen werden, weil sie mit der Wiederaufnahme der Arbeit des Klägers gleich aktuell wurde. Dass es sich beim neu abgeschlossenen Dienstverhältnis des Klägers ab 1. 7. 2012 nicht um ein vom vorangegangenen Dienstverhältnis unabhängiges handeln sollte, zeigt zudem nicht nur der Vermerk „Historischer Vorrückungsstichtag: 19. 11. 2001“ am Dienstvertragsexemplar des Klägers, sondern dokumentiert sich auch darin, dass keine (neue) Probezeit vereinbart wurde. Dass die Parteien bei Vergleichsabschluss nicht ausdrücklich darüber sprachen, dass die Vordienstzeiten des Klägers bei der Beklagten auch für die für den Kündigungsschutz erforderliche Dauer des Dienstverhältnisses von drei Jahren zu berücksichtigen sind, war nicht Ausdruck eines Verzichts des Klägers, sondern eine Folge des natürlichen Konsenses der Parteien bei Beendigung eines gerichtlichen Kündigungsstreites sowie des neu gewonnenen Vertrauens in die wiederhergestellte Beziehung und erklärt sich auch damit, dass das seit 19. 11. 2001 bestandene Dienstverhältnis des Klägers (völlig unstrittig) bestandgeschützt war und kein Grund bestand, dass der Kläger durch die gewählte, den Parteien praktikabel erscheinende Vorgangsweise den schon zuvor längst bestandenen Kündigungsschutz iSd § 42 Abs 1 VBO 1995 nun verlieren sollte. Der Kläger hätte, wie auch sein vorliegender Prozessstandpunkt dokumentiert, die Vereinbarung nicht abgeschlossen, hätte die Beklagte damit die völlig neue Möglichkeit gewonnen, ihn ab Beginn des neuen Dienstverhältnisses, unter Umständen sogar schon am ersten Tag, für einen Zeitraum von drei Jahren ohne Angabe eines Grundes iSd § 42 Abs 2 Z 1 ‑ 8 VBO 1995 kündigen zu können. Aus der Sicht redlicher Vertragsparteien kann der Gesamtvereinbarung nicht die Absicht der Streitteile unterstellt werden, dass der Kläger mit Abschluss des neuen Dienstverhältnisses seinen bereits zuvor erworbenen Kündigungsschutz preisgeben sollte, bildet doch gerade der besondere Bestandschutz einen wesentlichen Teil des dienstvertraglichen Verhältnisses zwischen den Parteien (vgl 9 ObA 204/94 ua).

Die zwischen den Parteien abgeschlossene Vereinbarung ist daher so auszulegen, dass ihr nach ihrem aus der gewählten Vorgangsweise ersichtlichen Sinn und Zweck die Weitergeltung des vom Kläger bereits in seinem vorangegangenen Dienstverhältnis erlangten Kündigungsschutzes innewohnt. Die ohne Grund ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 3. 12. 2013 vermochte daher das Dienstverhältnis nicht aufzulösen; sie ist unwirksam (vgl RIS‑Justiz RS0031365). Das auf Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses lautende klagsstattgebende Ersturteil ist daher schon aus diesem Grund wiederherzustellen. Eines Eingehens auf weitere in der Zulassungsbegründung der Revision des Klägers relevierte Rechtsfragen und die diesbezüglichen Erwiderungen der Beklagten bedarf es nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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