European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:009OBA00149.21H.0324.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 377,50 EUR (darin enthalten 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Die Beklagte betreibt eine Pizzeria, wo der Kläger im Service beschäftigt war. Ab 16. 3. 2020 durfte das Lokal wegen der COVID‑19‑Pandemie nicht mehr geöffnet werden. Die Beklagte bot ihren Dienstnehmern eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses samt Wiedereinstellungsgarantie an, womit der Kläger aber nicht einverstanden war. Die Beklagte kündigte daraufhin am 18. 3. 2020 das Dienstverhältnis zum Kläger telefonisch und teilte ihm mit, dass sein Dienstverhältnis am 1. 4. 2020 ende. Von seinem Steuerberater war der Geschäftsführer der Beklagten bereits davon informiert, dass ein Gesetz in Kraft treten werde, nach dem die Arbeitnehmer über Anordnung des Arbeitgebers offenen Urlaub zu verbrauchen haben. Deshalb sagte er dem Kläger, er müsse seinen Urlaubsanspruch von zehn Tagen in der Kündigungsfrist verbrauchen, womit der Kläger aber nicht einverstanden war.
[2] Der Kläger begehrt von der Beklagten 933,02 EUR sA brutto, nämlich eine Kündigungsentschädigung von 69,92 EUR brutto, weil das Dienstverhältnis aufgrund der 14‑tägigen Kündigungsfrist im Kollektivvertrag erst mit 2. 4. 2020beendet werden hätte können und eine Urlaubsersatzleistung von 863,10 EUR brutto, weil er einen Urlaubsanspruch von 10,27 Tagen gehabt habe und die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, den Verbrauch des Urlaubs einseitig anzuordnen.
[3] Die B eklagte wendete ein, dass sie die 14‑tägige Kündigungsfrist beachtet habe und die einseitige Anordnung des Urlaubs nach dem 2. COVID‑19‑Gesetz wirksam gewesen sei.
[4] Das Erstgericht sprach dem Kläger 22,69 EUR brutto sA zu und wies das Mehrbegehren ab, weil die telefonisch ausgesprochene Kündigung sogleich wirksam geworden sei und die 14‑tägige Kündigungsfrist daher schon am 1. 4. 2020 geendet habe. Die einseitige Anordnung der Beklagten, den Urlaubsanspruch von 10 Tagen innerhalb der Kündigungsfrist zu verbrauchen, sei durch das mit 15. 3. 2020 rückwirkend in Kraft getretene 2. COVID‑19‑Gesetz gedeckt. Die Rückwirkung des Gesetzes sei angesichts der damaligen Pandemie verfassungsrechtlich unbedenklich. Nur hinsichtlich des restlichen Urlaubsanspruchs von 0,27 Tagen gebühredem Kläger eine Urlaubsersatzleistung.
[5] Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, gab der gegen den klagsabweisenden Teil der Entscheidung gerichteten Berufung des Klägersnicht Folge und ließ die ordentliche Revision mangels einschlägiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu.
[6] Mit seiner Revision beantragt der Kläger das Berufungsurteil dahin abzuändern, dass seiner Klage zur Gänze stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[7] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.
[8] Die Revision desKlägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[9] 1. Nach § 4 Abs 1 UrlG ist der Zeitpunkt des Urlaubsantritts zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer unter Rücksichtnahme auf die Erfordernisse des Betriebs und die Erholungsmöglichkeiten des Arbeitnehmers zu vereinbaren. Die Festsetzung des Urlaubs bedarf damit einer Vereinbarung zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer und kann nicht einseitig angeordnet werden (RS0070760; RS0077431). Der Arbeitnehmer ist nämlich nicht verpflichtet, den Urlaub in einer Zeit zu verbrauchen, in der der eigentliche Erholungszweck des Urlaubs nicht erreicht werden kann (RS0028178). Der Arbeitgeber kann deshalb auch während der Kündigungsfrist den Urlaub nicht einseitig anordnen, selbst wenn der Arbeitnehmer dienstfreigestellt wurde (RS0053087 [T11]). Insbesondere im Fall einer Dienstfreistellung kann sich aber aus der Treuepflicht und dem Rechtsmissbrauchsverbot eine ausnahmsweise Obliegenheit des Arbeitnehmers ergeben, seinen Urlaub innerhalb einer Kündigungsfrist zu verbrauchen, wenn ihm dies zumutbar ist (RS0077281 [T6]; RS0120368 [T2, T3, T4]).
[10] 2. Mit dem 2. COVID‑19‑Gesetz BGBl I 2020/16 wurde § 1155 ABGB ein dritter Absatz angefügt, wonach Arbeitnehmer, deren Dienstleistungen aufgrund von Verboten oder Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID‑19‑Maßnahmengesetz BGBl I 2020/12 nicht zustande kommen, ihren Entgeltanspruch behalten, aber verpflichtet sind, auf Verlangen des Arbeitgebers in dieser Zeit Urlaubs- und Zeitguthaben zu verbrauchen. Nach § 1155 Abs 4 ABGB idF BGBl I 2020/16 müssen Urlaubsansprüche aus dem laufenden Urlaubsjahr aber nur im Ausmaß von bis zu zwei Wochen und insgesamt nicht mehr als acht Wochen Urlaubsguthaben verbraucht werden. § 1155 Abs 3 ABGB idF BGBl I 2020/16 enthält damit eine Abweichung von der allgemeinen Regel des § 4 Abs 1 UrlG, wonach die Festsetzung des Urlaubs nicht einseitig angeordnet werden kann (Mazal, Entgeltfortzahlung bei pandemiebedingter Einschränkung des sozialen Lebens, ecolex 2020, 280 [281]). Obwohl das 2. COVID‑19‑Gesetz BGBl I 2020/16 erst am 21. 3. 2020 kundgemacht wurde, sieht die Übergangsregel in § 1503 Abs 14 ABGB idF BGBl I 2020/16 vor, dass § 1155 Abs 3 und 4 ABGB „rückwirkend“ mit 15. 3. 2020 in Kraft und mit 31. 12. 2020 außer Kraft treten.
[11] 3. Der Kläger vertritt den Standpunkt, dass die einseitige Anordnung von Urlaub durch die Beklagte unwirksam war, weil sie zwar in den zeitlichen Anwendungsbereich des Gesetzes fiel, aber noch vor Kundmachung des Gesetzes erfolgte.
[12] Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass eine einseitige Anordnung des Urlaubsverbrauchs vor dem 21. 3. 2020 wegen des Verstoßes gegen die damalige Rechtslage nichtig sei und deshalb durch eine nachträgliche Änderung des Gesetzes nicht wieder aufleben könne, sondern rechtsunwirksam bleibe (Haider, § 1155 ABGB in der COVID‑19‑Krise, DRdAinfas 2020, 199 [202]). Dies würde bedeuten, dass der Arbeitgeber sein Verlangen erst am 23. 3. 2020 ausüben könnte (so auch Erler, Arbeitsausfall infolge des Coronavirus – welche Möglichkeiten gibt es bei Pflegeeinrichtungen, ÖZPR 2020/18, 36 und Mayr, Arbeitsrecht Anm 4 zu § 1155 ABGB). Die Gegenmeinung hält es hingegen für möglich, dass eine einseitige Urlaubsanordnung durch das rückwirkende Inkrafttreten des Gesetzes rechtmäßig werden kann (Bremm, Rechtsfragen zum Erholungsurlaub während COVID‑19, ecolex 2020, 580 [582]). Es wurde auch die Auffassung vertreten, dass die Rückwirkung des Gesetzes den Arbeitgeber dazu ermächtigen würde, den Verbrauch von Urlaub rückwirkend anzuordnen (Kietaibl/Wolf in Resch, Corona‑HB1.04 Kapitel 3 Rz 20).
[13] 4. Richtig ist, dass nach § 5 ABGB Gesetze nicht zurückwirken und sie daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte keinen Einfluss haben. Es handelt sich dabei aber um eine bloße Zweifelsregel, zumal der Gesetzgeber – vom Verbot rückwirkender Strafgesetze nach Art 7 Abs 1 EMRK abgesehen – auch in einfachen Gesetzen eine Rückwirkung anordnen kann (RS0008686; RS0008741). Im vorliegenden Fall hat der Gesetzgeber mit § 1503 Abs 14 ABGB idF BGBl I 2020/16 ausdrücklich angeordnet, dass die Regelung über den Urlaubsverbrauch während der Verbote und Einschränkungen des Betretens von Betrieben nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl I 2020/12 auch „rückwirkend“ gelten sollen. Es gehört zum Wesen der Rückwirkung, dass das Gesetz auch auf Sachverhalte anwendbar ist, die sich noch vor der Kundmachung dieses Gesetzes ereignet haben (Vonkilch, Das Intertemporale Privatrecht [1999] 41).
[14] 5. Der Kläger macht geltend, dass eine Rückwirkung des Gesetzes angesichts seines berechtigten Vertrauens auf die Unwirksamkeit der einseitigen Festsetzung des Urlaubs durch die Beklagte verfassungswidrig wäre. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist eine rückwirkende und nachteilige Änderung der Rechtslage aber nur dann verfassungswidrig, wenn es sich um einen erheblichen Eingriff in die wohlerworbene Rechtsposition des Normunterworfenen, der im berechtigten Vertrauen auf die geltende Rechtslage disponiert hat, handelt und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (VfSlg 12.186/1989; 17.892/2006; 20.187/2017).
[15] 6. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass dem Gesetzgeber bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der COVID‑19‑Pandemie ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt (VfSlg 20.397/2020). Das Abweichen vom Grundsatz der einvernehmlichen Urlaubsfestsetzung ist dadurch gerechtfertigt, dass die im öffentlichen Interesse zur Bekämpfung der COVID‑19‑Pandemie verfügten Verbote und Einschränkungen des Betretens von Betrieben dazu führen, dass Arbeitgeber die Leistungen ihrer Arbeitnehmer nicht in Anspruch nehmen können, aber durch die Entgeltfortzahlung nach § 1155 Abs 3 ABGB idF BGBl I 2020/16 erheblichen finanziellen Belastungen ausgesetzt sind (Unterrieder, Entgeltfortzahlung während Betriebsschließung in der Pandemie, RdW 2020/223, 264; siehe auch Silbernagl/Raschauer, Höhere Gewalt und Privatautonomie, CuRe 2020/80). Dabei war eine Rückwirkung der arbeitsvertraglichen Sonderregelungen des 2. COVID‑19‑Gesetzes BGBl I 2020/16 schon deshalb erforderlich, weil das COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl I 2020/12, mit welchem der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz ermächtigt wurde, durch Verordnung das Betreten von Betriebsstätten zu untersagen, schon mit Ablauf des 15. 3. 2020 in Kraft getreten war.
[16] 7. Im Übrigen liegt auch kein erheblicher Eingriff in eine verfassungsrechtlich geschützte Rechtsposition vor, weil der Kläger im Vertrauen auf die Unwirksamkeit der einseitigen Urlaubsfestsetzung durch die Beklagte nicht disponiert hat, sondern tatsächlich dienstfreigestellt war und sohin von einer hinreichenden Erholungsmöglichkeit auszugehen ist (siehe Felten/Pfeil, Arbeitsrechtliche Auswirkungen der COVID‑19‑Gesetze – ausgewählte Probleme, DRdA 2020, 295 [304]). Letztlich wird der Arbeitnehmer durch die Rückwirkung des Gesetzes nicht schlechter gestellt, als wenn das Gesetz schon im Zeitpunkt der einseitigen Festsetzung des Urlaubs durch den Arbeitgeber in Kraft gewesen wäre. Es bestehen sohin keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität der angeordneten Rückwirkung.
[17] 8. Das ausdrückliche Verlangen der Beklagten vom 18. 3. 2020, der Kläger möge seinen Urlaub konsumieren (dem der Kläger nicht entsprach) fiel demnach in den zeitlichen Anwendungsbereich des § 1155 Abs 3 ABGB idF BGBl I 2020/16. Durch das rückwirkende Inkrafttreten der Regelung zum 15. 3. wurde diese (einseitige) Urlaubsanordnung rechtmäßig (Bremm, ecolex 2020, 582), weshalb die Vorinstanzen den Anspruch auf Urlaubsersatzleistung zu Recht verneinten. Auf die beanspruchte Kündigungsentschädigung kommt der Kläger in seiner Revision nicht zurück, weshalb darauf nicht mehr einzugehen war (RS0043338 [T20]; RS0043352 [T10, T23]).
[18] 9. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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