OGH 9ObA14/11s

OGH9ObA14/11s30.3.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann und Dr. Rotraut Leitner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** S*****, vertreten durch Dr. Sieglinde Gahleitner, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei R***** AG, *****, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, wegen 10.676,66 EUR sA und Feststellung (54.000 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. November 2010, GZ 8 Ra 15/10z-14, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Text

Begründung

Mit Betriebsvereinbarung vom 5. 12. 2000 wurde ein Sozialplan abgeschlossen, der Grundlage für den Bezug einer mit dem Kläger im Jahr 2001 anlässlich der Beendigung seines Dienstverhältnisses vereinbarten Dauerleistung war und in Punkt 5. lautete: „Anstelle der freiwilligen Abfertigung erhalten Angestellte, die vor dem 01. 10. 1953 geboren sind, zum Stichtag 01. 10. 2000 maximal 9,5 Jahre (= 114 Monate) Wartezeit auf die vorzeitige Alterspension gemäß ASVG haben und am Austrittstag mindestens zehn Dienstjahre vollendet haben, eine monatliche Dauerleistung. Der/die Angestellte erhält die Dauerleistung ab dem Tag nach seinem/ihrem Ausscheiden bis zum persönlich frühestmöglichen ASVG-Pensionsbeginn (Hervorhebung hier, Anm) entsprechend seiner/ihrer zurückgelegten Dienstzeit gemäß Tabelle II.“

Zur verfahrensgegenständlichen Frage, ob die Beklagte berechtigt war, aufgrund der erst mit der Pensionsharmonisierung 2005, BGBl I Nr 142/2005, eingeführten Korridorpension (§ 4 Abs 2 APG) die Sozialplanleistungen bereits mit 30. 6. 2009 als frühestmöglichen Pensionsbeginn des Klägers einzustellen, vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, dass die Betriebsvereinbarung nach den für sie maßgeblichen Auslegungskriterien der §§ 6 f ABGB eine klare zeitliche Grenze für den Bezug der monatlichen Dauerleistung enthalte. Zum Zeitpunkt ihres Abschlusses (5. 12. 2000) habe den Vertragspartnern klar sein müssen, dass vom Gesetzgeber gravierende Änderungen im bestehenden Pensionsrecht geplant gewesen seien. Mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 (SRÄG 2000), kundgemacht am 11. 8. 2000 unter BGBl I Nr 92/00, sei unter anderem das Zugangsalter für die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit und für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer einschließlich der Gleitpension so angehoben worden, dass im Dauerrecht ab 1. 10. 2002 ein Anfallsalter von 61 1/2 Jahren für Männer und 56 1/2 Jahren für Frauen erreicht werde, wofür die Übergangsbestimmungen des § 588 Abs 6 ASVG eine stufenweise Anhebung vorsähen. Der Pensionsabschlag bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Pension sei von zwei auf drei Prozentpunkte erhöht worden. Trotz dieser Verschärfung der Pensionsantrittsbestimmungen haben die Sozialplanpartner für die Gewährung der Überbrückungshilfe keine Altersgrenze oder Pensionsform, sondern als einzigen Bezugspunkt den „persönlich frühesten ASVG-Pensionsbeginn“ fixiert und damit einen für alle Normadressaten geltenden weiten generellen Zeitpunkt der Beendigung der Dauerleistung gewählt. Daraus sei abzuleiten, dass die Dauerleistung primär den Zweck erfüllen sollte, dem ausgeschiedenen Mitarbeiter ein nahtloses „Übergleiten“ von der Dauerleistung in die Pension zu gewährleisten. Dass die „Korridorpension“ nicht im ASVG, sondern im APG geregelt sei, sei nicht entscheidend, da sie als gesetzliche vorzeitige Alterspension im Rahmen eines angestrebten einheitlichen Pensionskonzepts Teil der Rechtsordnung sei. Dem Argument, dass die Inanspruchnahme der Korridorpension immer den Charakter der Freiwilligkeit haben müsse und deshalb eine kollektivvertragliche Bestimmung nicht so ausgelegt werden dürfe, dass ein Zwang zur Inanspruchnahme der Korridorpension bestehe, sei die Freiwilligkeit auch der anderen Pensionsformen (Antragsprinzip) entgegenzuhalten. Dass bei der Korridorpension Abschläge von 0,35 % pro Monat hingenommen werden müssten, falle aus Sicht der frühestmöglich anzustrebenden Einrechnung nicht entscheidend ins Gewicht. Das Ergebnis stehe auch mit der Rechtsprechung im Einklang.

Rechtliche Beurteilung

Ob die Auslegung von Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung zutrifft oder nicht, kann immer nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden und ist daher - von Fällen krasser Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz abgesehen - im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0044358; RS0042871). Allein die Tatsache, dass auch eine andere Auslegung möglich gewesen wäre, vermag die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision nicht zu rechtfertigen (RIS-Justiz RS0042871 [T15]).

Die Auslegung des Berufungsgerichts lässt keine solche Fehlbeurteilung erkennen:

Dass die Betriebsvereinbarung keine unmittelbare Geltung für die Streitteile entfaltet, sondern ihre Wirksamkeit aus der mit dem Kläger bei der einvernehmlichen Beendigung seines Dienstverhältnisses getroffenen Vereinbarung bezieht, steht der Begründung des Berufungsgerichts nicht entgegen, weil die Streitteile unzweifelhaft die Betriebsvereinbarung als solche gelten lassen wollten, dies aber auch die für das Verständnis des normativen Teils von Betriebsvereinbarungen erforderlichen objektiven Auslegungskriterien (RIS-Justiz RS0050963; RS0010088 [T2, T4, T11 ua]) mit einschließt.

Die Interpretation des Berufungsgerichts nach dem Wortlaut, Sinn und Zweck der Bestimmung ist vertretbar, wenn es aus dem Umstand, dass die Parteien der Betriebsvereinbarung selbst angesichts der mit dem Sozialrechts-Änderungsgesetz 2000 eingeführten gravierenden Änderungen wie etwa der Anhebung des Pensionsabschlags bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Pension (§ 588 Abs 6 ASVG) keinen Hinweis auf Pensionsalter, -form oder -höhe aufnahmen, auf eine alle Pensionsarten umfassende Regelung schloss. Diese Auslegung ist nicht von vornherein verfehlt, weil die Überbrückungsleistung ohne solche Anknüpfungspunkte auch nur als Zusicherung einer „Mindestleistung“ bis zu jenem Zeitpunkt gesehen werden kann, zu dem durch einen gesetzlichen Pensionsanspruch überhaupt für die soziale Absicherung eines Arbeitnehmers gesorgt ist (vgl 9 ObA 157/09t). Sofern nicht auch die Anrechnungsbestimmungen der Betriebsvereinbarung angepasst würden, bestünde auch die Gefahr eines Doppelbezugs (Dauerleistung + Korridorpension). Das Ergebnis wird schließlich durch die Erwägung gestützt, dass auch die vorzeitige Alterspension wegen langer Versicherungsdauer nicht abschlagsfrei beansprucht werden kann (§ 261 Abs 4 ASVG), diese aber von der Betriebsvereinbarung unstrittig erfasst ist und die Korridorpension als deren Nachfolgeregelung weitgehende Ähnlichkeiten mit ihr aufweist (vgl die Nw bei Resch, Sozialplanbetriebsvereinbarung und Korridorpension, DRdA 2009, 330, 332).

Die Entscheidungen 9 ObA 40/07h, 9 ObA 62/07v und 9 ObA 10/09z stehen damit nicht im Widerspruch, da dort die Frage, ob die nachträgliche Einführung der Korridorpension auch zu einem früheren Ende der mit einem Sozialplan gewährten Überbrückungszahlungen führen kann, wenn dies mit finanziellen Einbußen des Arbeitnehmers einhergeht, nicht unmittelbar verfahrensgegenständlich war (die der Entscheidung 9 ObA 10/09z zugrunde liegende Zusage einer Gesamtpension unter Anrechnung der „gesetzlichen Pension“ ließ die zugesicherte Gesamtsumme unverändert).

In der vom Revisionswerber ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 52/07y (der ein Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG zugrunde lag) war zwar die Bedeutung von Überbrückungszahlungen „bis zum frühestmöglichen individuellen ASVG-Pensionsantritt“ zu beurteilen. Allerdings bestanden dort die Sozialplanleistungen für die betroffenen Mitarbeiter zum einen in einer zusätzlich zur gesetzlichen Abfertigung gebührenden Einmalzahlung, deren Höhe sich nach einer bestimmten Formel aus der vom Ausscheidezeitpunkt bis zum damaligen gesetzlichen Anfallsalter für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer verbleibenden Zeit errechnete, und zum anderen in der Zusage laufender, jährlich zu valorisierender Überbrückungszahlungen von 50 % des letzten Bruttoentgelts bis zum frühestmöglichen individuellen Pensionsantritt. Diese laufenden Überbrückungszahlungen wurden in einer weiteren Betriebsvereinbarung erweitert und durch die Zusage eines Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses zu einem Servicepool-Verein oder einer ähnlichen Institution mit einem Entgelt gerade über der jeweiligen ASVG-Geringfügigkeitsgrenze und zeitlich ebenfalls garantiert bis zum frühestmöglichen individuellen ASVG-Pensionsantritt ergänzt. Zu diesem Sozialplan wurde festgehalten, dass er in ein Gesamtkonzept gegossene Einmalzahlungen, Überbrückungsleistungen und Überbrückungsbeschäftigungen umfasse. Die Betriebspartner haben auf die Gesetzesänderung durch Anhebung des Pensionsalters und Auslaufen der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer entsprechend reagiert, indem die Überbrückungsleistungen entsprechend angepasst worden seien (Zusatzprotokolle). Den Betriebsparteien könne nicht unterstellt werden, sie hätten die Gesetzesänderung völlig gleich behandelt, ohne die anderen Eckpunkte wie Einmalzahlung, Überbrückungszahlung und Überbrückungsbeschäftigung anzupassen. Welche Änderungen dies gewesen wären, war weder im Wege der Analogie noch im Wege ergänzender Vertragsauslegung festzustellen. Mit dieser Aufgabe wurde die Antragstellerin auf die Parteien jener Betriebsvereinbarung verwiesen. Davon unterscheidet sich aber die hier vorliegende Betriebsvereinbarung, bei der die Dauerleistung in keinem vergleichbaren größeren Zusammenhang steht, der nur im Wege neuerlicher Verhandlungen der Sozialplanpartner aufrechterhalten werden könnte. Dies erlaubte den Vorinstanzen eine selbständige Beurteilung der strittigen Klausel.

Zu der bei einer Gleichstellung der Korridorpension mit einer vorzeitigen Pension bei langer Versicherungsdauer befürchteten Geschlechterdiskriminierung von Männern (weibliche Versicherungsnehmer könnten im Alter von 62 Lebensjahren bereits eine Alterspension ohne die Abschläge der Korridorpension in Anspruch nehmen) geht die Revision gar nicht darauf ein, dass sich die Unterschiedlichkeit der Leistungen aus Differenzierungen im Sozialversicherungssystem ergibt (vgl zuletzt EuGH 18. 11. 2010, C-356/09 Kleist; 9 ObA 124/10s) und setzt sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass Frauen daher auch den Anspruch auf die Überbrückungsleistung der Beklagten früher verlieren.

Da danach insgesamt keine korrekturbedürftige krasse Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht vorliegt, ist ein Eingehen auf die vom Kläger geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel nicht erforderlich.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

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