European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0090OB00085.15P.0225.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Zur Frage des Beginns der Verjährungsfrist bei mehreren Beratungsfehlern in Bezug auf ein Veranlagungsprodukt hat der Oberste Gerichtshof erstmals in 3 Ob 112/15i ausführlich Stellung genommen. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung 4 Ob 144/11x und auf die Lehre ( Leitner , Schiffs‑ und Immobilienfonds: Verjährung bei mehreren Beratungsfehlern, ecolex 2015, 452 [453 f] mwN) sowie auch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs (V ZR 25/07 und III ZR 169/08) wurde die Rechtsansicht vertreten, dass die Verjährung des auf einen von mehreren Beratungsfehlern („Kapitalverlustrisiko“) gestützten Ersatzanspruchs nicht dazu führt, dass bei Bejahung eines anderen, für sich genommen noch nicht verjährten Beratungsfehlers („Ausschüttungsschwindel“) die Stattgebung des Leistungsbegehrens ausgeschlossen wäre.
Diese Ansicht, die in der Literatur teilweise als „Trennungsthese“ bezeichnet wird, vertritt auch Leupold , Fehlberatung beim Fremdwährungskredit und Verjährung, VbR 2013/41). Demgegenüber tritt Graf (Zum Beginn der subjektiven Verjährungsfrist bei mehrfach fehlerhafter Anlageberatung, ÖBA 2015, 624) für eine einheitliche Beurteilung des Laufs der Verjährungsfrist ein.
In der Entscheidung 6 Ob 153/15s konnte die Frage, ob verschiedene Beratungsfehler verjährungsrechtlich getrennt zu beurteilen sind, letztlich dahingestellt bleiben.
Auch im Anlassfall bedarf es einer abschließenden Klärung der Frage, ob zwei getrennt von einander zu beurteilende Beratungsfehler vorliegen und diese verjährungsrechtlich unterschiedlich zu behandeln sind, nicht.
2. Das Berufungsgericht hat die Verjährung des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs nämlich auch deshalb verneint, weil die Beschwichtigungen des bei der Beklagten beschäftigten Beraters den beim Kläger allenfalls entstandenen Verdacht, er habe nicht die begehrte Anlage erhalten, wieder zerstreut und somit gerade die vollständige Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen verhindert hätten.
2.1. Beschwichtigungsversuchen kann, wie das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung ausgeführt hat, in zweierlei Hinsicht Bedeutung zukommen: Zum einen kann dadurch auf der Tatsachenebene die Erkennbarkeit des Schadenseintritts und damit der Beginn der Verjährungsfrist hinausgeschoben werden. Zum anderen können jedoch selbst bei früherer Erkennbarkeit des Schadenseintritts derartige Beschwichtigungsversuche nach der Rechtsprechung dazu führen, dass dem Verjährungseinwand der beklagten Partei die Replik der Arglist entgegengehalten werden kann (6 Ob 103/08b; 1 Ob 12/13s; 9 Ob 43/14k ua). Welche Auswirkungen „Beschwichtigungsversuche“ auf die Verjährung der Ansprüche von Anlegern haben, ist im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen und wirft daher regelmäßig ‑ abgesehen von krassen Fehlbeurteilungen ‑ keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf (1 Ob 12/13s; 3 Ob 205/13p; 9 Ob 43/14k ua; RIS‑Justiz RS0034951 [T34]). Eine die Zulässigkeit der Revision dennoch rechtfertigende unvertretbare Beurteilung des Berufungsgerichts zeigt die Revisionswerberin jedoch nicht auf.
2.2. Der Kläger erwarb über Beratung der Beklagten 2006 und 2007 Kommanditbeteiligungen an Schifffahrtsfonds. Bei dieser Anlageform besteht ein Kapitalverlustrisiko. Jährliche Ausschüttungen sind nicht garantiert. Der Kläger wollte hingegen eine sichere Anlageform mit regelmäßigen Ausschüttungen erwerben. Über die bestehenden Risiken wurde der Kläger von der Beklagten bei Erwerb der Anlageprodukte mündlich nicht aufgeklärt. Die schriftlichen Risikohinweise las der Kläger nicht, weil er sich auf die Empfehlungen seines langjährigen Beraters der Beklagten verließ. Danach hätte der Kläger durch diese Produkte einen Ersatz für seine abgelaufenen Lebensversicherungen erhalten sollen. Durch die Beteiligungen sollten/könnten Ausschüttungen von insgesamt jährlich 8.000 EUR erlangt werden. Hätte der Kläger von den Risiken gewusst, hätte er die klagsgegenständlichen Geschäfte nicht abgeschlossen.
Im Jahr 2007 erhielt der Kläger noch Ausschüttungen. Nachdem im Jahr 2008 keine weiteren Ausschüttungen mehr erfolgten, wandte sich der Kläger an seinen Berater, der ihm erklärte, es gäbe nur eine kurzfristige Zahlungsstockung, ansonsten sei alles garantiert und in Ordnung. In der Folge erhielt der Kläger ein Schreiben einer der Beteiligungsgesellschaften vom 12. 6. 2009 betreffend die Ausschüttungen für das Jahr 2008. Darin wurde darauf hingewiesen, dass aufgrund der erhöhten Schiffsbetriebskosten im vergangenen Geschäftsjahr und der zum jetzigen Zeitpunkt veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zwar eine verringerte Ausschüttung möglich sei, aber derzeit wegen eines Bankenvorbehalts nicht vorgenommen werden und auch für die Zukunft darüber keine Aussage gemacht werden könne. Der Kläger nahm daraufhin wieder Kontakt mit seinem Berater auf. Dieser beruhigte ihn jedoch neuerlich und erklärte immer wieder, die Ausschüttungen würden noch kommen und seine Beteiligungen würden nach wie vor 100 % ihrer Nominalwerte aufweisen. Diese Werte sah der Kläger auch in den ihm von seinem Berater erstellten und ihm übermittelten Vermögensaufstellungen. Erst im Zuge eines Beraterwechsels Ende 2011/Anfang 2012 brachte der Kläger in Erfahrung, dass der Wert seiner Beteiligungen nur mehr im Bereich von 20 % der Nominale lag.
Wie in der außerordentlichen Revision der Beklagten zutreffend ausgeführt wird, ist für den Beginn der hier maßgeblichen dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Kläger erkannte oder ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen hätte können, dass er nicht das gewollte Finanzprodukt erworben hat (RIS‑Justiz RS0022537 [T22, T24]; RIS‑Justiz RS0034327 ua). Wenn das Berufungsgericht diesen Zeitpunkt wegen der Beschwichtigungen des Klägers aber nicht schon ‑ wie in der Revision verlangt ‑ mit Anfang 2009 angesetzt hat, so ist dies jedenfalls vertretbar. Mehr als dass der Kläger, der aufgrund nach Vertragsabschluss eingetretener Umstände, nämlich der zugesagten aber unterbliebenen jährlichen Ausschüttungen, daran zweifelte und auch zweifeln musste, dass er tatsächlich das von ihm gewollte Veranlagungsprodukt erhalten hat, ohnehin mehrmals Rücksprache mit seinem Berater hielt, kann von einem pflichtbewussten Anleger in der Situation des Klägers nicht verlangt werden. Der Kläger durfte den mehrmaligen beschwichtigenden Erklärungen seines langjährigen vertrauenswürdigen Beraters, es handle sich bloß um Zahlungsstockungen, die Ausschüttungen würden schon noch kommen, jedenfalls solange vertrauen, bis er erkennen musste, dass auch diese späteren Erklärungen seines Beraters unrichtig sind. Diesen Zeitpunkt hat das Berufungsgericht in vertretbarer Beurteilung implicite nicht vor dem 31. 10. 2009 angesetzt. Damit ist die vorliegende am 30. 10. 2012 eingebrachte Schadenersatzklage nicht verjährt.
3. Inwieweit sich ein Anleger ein Mitverschulden am Scheitern seiner Veranlagung anrechnen lassen muss, etwa weil er Risikohinweise nicht beachtet hat, sich auf beschwichtigende Aussagen seines Beraters nicht verlassen durfte oder irreal hohe Gewinnversprechen nicht hinterfragt hat, ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und begründet daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0078931; RS0102779 [T8]). Auch die Ausmittlung des Verschuldens durch die Vorinstanzen begegnet im vorliegenden Einzelfall keinen Bedenken. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Kläger als erfahrenen Anleger und Juristen sei (nur) ein Mitverschulden von einem Drittel am Scheitern seiner Veranlagung anzulasten, weil er die schriftlichen Risikohinweise nicht gelesen, sondern sich ausschließlich auf die Beteuerungen seines Beraters verlassen hat, ist vertretbar. Von einem Alleinverschulden oder zumindest überwiegenden Verschulden des Klägers kann angesichts der grob fehlerhaften Beratung durch die Beklagte keine Rede sein.
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Beklagten zurückzuweisen.
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