OGH 9Ob7/13i

OGH9Ob7/13i27.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** H*****, vertreten durch Dr. Maximilian Sampl, Rechtsanwalt in Schladming, gegen die beklagte Partei I*****-Stiftung, *****, vertreten durch Dr. Reinfried Eberl ua, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen Einverleibung einer Dienstbarkeit (22.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 18. Oktober 2012, GZ 4 R 181/12h‑17, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. Juli 2012, GZ 9 Cg 70/11m‑13, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2013:0090OB00007.13I.0827.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Die Aufhebung von Spruchpunkt 3.b. des Ersturteils und Zurückverweisung der Rechtssache in diesem Umfang an das Erstgericht (= Spruchpunkt I des Berufungsurteils) ist mangels Zulassung des Rekurses nicht bekämpfbar (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO).

2. Das Begehren des Klägers auf Einwilligung der Beklagten zur Einverleibung eines Geh- und Fahrrechts kann auf der Grundlage der vorhandenen ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abschließend beurteilt werden. Die fallspezifischen Umstände begründen keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer außerordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

3. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass auch eine bloß schuldrechtliche Beziehung zwischen zwei Personen gegen Eingriffe Dritter grundsätzlich zu schützen ist; Dritte dürfen das Recht des Gläubigers auf obligationsgemäße Willensrichtung des Schuldners nicht beeinträchtigen (RIS-Justiz RS0025920). Dabei ist anerkannt, dass der Dritte das Forderungsrecht nicht nur beeinträchtigt, wenn er auf den schuldnerischen Leistungswillen in Richtung Vertragsbruch einwirkt, sondern auch dann, wenn er in Kenntnis des fremden Forderungsrechts die schlichte Leistungsbewirkung vereitelt. Das Recht auf Leistungsbewirkung entfaltet absolute Wirkung (7 Ob 191/11f; 1 Ob 86/12x mwN). Da grundsätzlich aber alleine die wissentliche Beeinträchtigung eines bekannten Forderungsrechts einen Schadenersatzanspruch auslöst, kann ein solcher auf vorwerfbare Unkenntnis des Bestehens eines fremden Forderungsrechts nur dann gestützt werden, wenn aufgrund besonderer Umstände das fremde Forderungsrecht für den Verletzer deutlich „sozial-typisch“ erkennbar war. Grundsätzlich sind Nachforschungspflichten zu verneinen; sie lassen sich lediglich aufgrund besonderer Umstände rechtfertigen, weshalb an die „sozial-typische“ Erkennbarkeit strenge Anforderungen zu stellen sind (RIS-Justiz RS0022852 [T12]; 7 Ob 191/11f).

Eine sozial-typische Indizwirkung für das Bestehen eines fremden Forderungsrechts kommt etwa dem physischen Besitz („besitzverstärktes Forderungsrecht“; RIS‑Justiz RS0113118) oder der bücherlichen Vormerkung des Eigentumsrechts des Erstkäufers (7 Ob 225/03v) zu. Der Zweiterwerber greift daher auch dann in das Forderungsrecht des Ersterwerbers ein, wenn er den Kaufgegenstand in Kenntnis des ersten Kaufvertrags erwirbt und aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht darauf vertrauen darf, dass durch die wiederholte Veräußerung und Übereignung der Sache das Gläubigerrecht des Ersterwerbers nicht beeinträchtigt wird (7 Ob 225/03v).

4. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass die Beklagte seit mehreren Jahren Interesse am Erwerb der Liegenschaft EZ *****, Grundbuch *****, oder auch Teilen davon hatte, weil die Liegenschaft der letzte Fremdbesitz war, über den von einem Güterweg zu ihrem Eigenbesitz zugefahren wurde. Die Liegenschaftseigentümerin verkaufte dem Kläger den westlichen Teil des zur Liegenschaft gehörenden und später als Grundstück 730/2 abgeschriebenen Waldgrundstücks 730 und räumte ihm ‑ soweit revisionsgegenständlich ‑ die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens „über den neu zu errichtenden Forstaufschließungsweg im Bereich des linken Ufers des I*****baches auf Gst. 730 der Verkäuferin bis zum Kaufgrundstück“ ein. Im Grundbuch wurde die Rangordnung für die Veräußerung „hinsichtlich Grundstück 730“ angemerkt. Sodann verkaufte die Eigentümerin der Beklagten im Wesentlichen die restliche Liegenschaft unter expliziter Ausnahme des Grundstücks 730/2, ohne dass die Beklagte von der mit dem Kläger abgeschlossenen Dienstbarkeitsvereinbarung Kenntnis erlangte.

Nach den Umständen des Falls bestanden jedoch ausreichende Indizien, die bei einem Liegenschaftserwerber in sozial-typischer Betrachtung den dringenden Verdacht nach einem dem Kläger an jenem Weg eingeräumten Geh- und Fahrrecht aufkommen lassen mussten: Ungeachtet der weit gefassten grundbücherlichen Anmerkung der Rangordnung „hinsichtlich des Grundstücks 730“ für die beabsichtigte Veräußerung an den Kläger war die Beklagte in Kenntnis davon, dass der Kläger nur den westlichen Teil dieses Grundstücks gekauft hatte. Nach den Feststellungen wusste sie auch um die Situierung dieses Waldgrundstücks. Die Beklagte bestritt die Ersichtlichkeit und Notwendigkeit einer Zufahrt über den (nicht revisionsgegenständlichen) bergseitig gelegenen Forstaufschließungsweg über das von ihr erworbene Grundstück 730/1 zum Grundstück 730/2. Nach den Feststellungen führte dieser Weg nicht in das Grundstück 730/2 hinein und bot auch sonst keinen Zugang oder eine Zufahrt auf das Grundstück 730/2. Zum Zeitpunkt des Abschlusses ihres Kaufvertrags hatte die Beklagte keine Kenntnis vom Text des zwischen dem Kläger und der Verkäuferin abgeschlossenen (Vor-)Vertrags. Da ihr daher auch nicht bekannt sein konnte, dass nach diesen Verträgen talseitig ein Forstaufschließungsweg über das Grundstück 730/1 zum Grundstück 730/2 hergestellt werden sollte, musste sich ihr aber aufgrund der situativen Gegebenheiten die Frage nach der Bewirtschaftbarkeit des Waldgrundstücks 730/2 und damit nach einem dem Kläger eingeräumten Geh- und Fahrrecht geradezu aufdrängen. Dass sie in dieser Situation nicht nur die gehörige, sondern selbst ein geringes Maß an Aufmerksamkeit vermissen ließ und auch einfache und ihr leicht zumutbare Nachforschungen ‑ etwa durch schlichtes Nachfragen ‑ unterließ, nimmt ihrem Interesse an einem lastenfreien Erwerb auch bei Anlegung des erforderlichen strengen Maßstabs die Schutzwürdigkeit. Sollte die Beklagte dagegen in Kenntnis davon gewesen sein, dass der Kläger noch vor Abschluss ihres Kaufvertrags den talseitigen Forstaufschließungsweg über das Grundstück 730/1 zum Grundstück 730/2 bereits hergestellt hatte, so wäre ihre Annahme, das Grundstück 730/1 lastenfrei erworben zu haben, umso weniger gerechtfertigt.

5. Wenn das Berufungsgericht das Klagebegehren nach den zum Eingriff in fremde Forderungsrechte entwickelten Grundsätzen für berechtigt erachtete, so liegt danach im Ergebnis keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vor.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf den §§ 40, 50 ZPO. Auf die Unzulässigkeit der Revision wurde vom Kläger nicht hingewiesen (vgl RIS-Justiz RS0035962).

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