European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0090OB00065.22G.0628.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
I. Das mit Beschluss vom 15. April 2020, AZ 9 Ob 61/19i, bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochene Revisionsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird fortgesetzt.
Der Fortsetzungsantrag der klagenden Partei wird, soweit er (weitere) Ausführungen enthält, zurückgewiesen.
Die Eingabe der klagenden Partei vom 18. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
II. Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 19. 1. 2012 einen von der Beklagten hergestellten VW Tiguan Sky TDI BMT 4 Motion um 35.132,15 EUR. Der Wagen ist mit einem 2.0 Liter‑Dieselmotor mit 103 KW/140 PS der Abgasklasse Euro 5 ausgestattet.
[2] Das Fahrzeug fällt in den Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG ).
[3] Der Dieselmotor war mit einer Software ausgestattet, die bewirkte, dass das Fahrzeug am Prüfstand (NEFZ) die Stickoxid‑(NOx‑)Werte der Euro 5 Abgasnorm einhielt, während es im normalen Fahrbetrieb auf Straßen einen deutlich höheren NOx‑Ausstoß aufwies, weil im normalen Straßenverkehr weniger Abgase rückgeführt wurden als am Prüfstand. Die Abgasrückführung dient vor allem der Reduktion der NOx‑Werte.
[4] Für den gegenständlichen Fahrzeugtyp wurde vom zuständigen deutschen Kraftfahrt‑Bundesamt (künftig: KBA) die EG‑Typengenehmigung erteilt. Die „Umschaltlogik“ war der Typengenehmigungsbehörde gegenüber nicht offengelegt. Hätte das KBA die Software im Genehmigungsverfahren erkannt, hätte die Genehmigung nicht erteilt werden dürfen.
[5] Am 15. 10. 2015 verhängte das KBA der Beklagten gegenüber eine „Nachträgliche Anordnung einer Nebenbestimmung zur EG‑Typengenehmigung“ gemäß § 25 Abs 2 (deutsche) EG‑FGV (Verordnung über die EG‑Genehmigung für Kraftfahrzeuge und ihre Anhänger sowie für Systeme, Bauteile und selbständige technische Einheiten für diese Fahrzeuge, EG‑Fahrzeuggenehmigungsverordnung), mit der es (ua) anordnete, zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit die unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen.
[6] Um den vom KBA geforderten Zustand herzustellen, entwickelte die Beklagte ein Software‑Update. Dieses bewirkt, dass die „Umschaltlogik“ eliminiert wird, wodurch das Fahrzeug durchgehend nach nur einem Modus betrieben wird.
[7] Das sogenannte „Thermofenster“ bleibt auch nach Durchführung dieses Software‑Updates im jeweiligen Fahrzeug. Bei diesem handelt es sich um eine Abschalteinrichtung, die dazu dient, dass die volle Abgasrückführung nur in einem Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius erfolgt. Bei Temperaturen darüber oder darunter kommt es zu einer einschleifenden Abgasrückführung, weil es bei zu geringen und zu hohen Temperaturen zu einer höheren Beanspruchung des Motors kommt.
[8] Das für den Wagen des Klägers vorgesehene Software‑Update wurde vom KBA freigegeben und steht seit 30. 9. 2016 zur Verfügung. Der Kläger ließ das Software-Update am 3. 11. 2016 bei 65.552 km durchführen. Das Update dauert zirka ½ Stunde und ist für den Kunden kostenlos. Durch das Software‑Update kommt es dazu, dass die Abgaseinrichtungen des Fahrzeugs, wie das Rückführungsventil, der Abgaskühler, die Injektoren, und vor allem der Partikelfilter stärker beansprucht werden. Dass diese stärkere Belastung die Lebensdauer dieser Bauteile in einer über den üblichen Verschleiß hinausgehenden Weise beeinflusst, kann nicht festgestellt werden. Nachteilige Entwicklungen für den Verbrauch des Fahrzeugs gibt es nicht. Ob nach dem Software‑Update der NOx‑Ausstoß beim NEFZ genau 0,1083 mg/km beträgt, kann nicht festgestellt werden. Bei Vorher‑Nachher‑Tests hat sich ergeben, dass nach dem Aufspielen des Software‑Updates der NOx‑Ausstoß geringfügig höher war als beim Test mit der „Manipulationssoftware“, allerdings lag dieser immer noch deutlich unter dem vorgegebenen Grenzwert. Das Fahrzeug ist nach wie vor nach der Abgasnorm Euro 5 klassifiziert. Ein Entzug der EG‑Betriebsgenehmigung bzw der Zulassung droht nicht.
[9] Im schriftlichen Kaufvertrag wurden keine Abgaswerte angeführt. Diese waren auch beim Verkaufsgespräch nicht thematisiert worden. Der Kläger fragte nach Verbrauch und PS. Ihm war wichtig, dass das Fahrzeug höher gestellt war und über einen Allrad‑Antrieb verfügt. Er wusste zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht, dass eine „Manipulationssoftware“ zum Einsatz gekommen war. Dass der Kläger in Kenntnis über die manipulierte Software den Wagen nicht gekauft hätte, konnte nicht festgestellt werden.
[10] Das Fahrzeug des Klägers ist mit – bzw war auch ohne – Software‑Update uneingeschränkt gebrauchsfähig, technisch sicher und in der Fahrbereitschaft nicht eingeschränkt. Es erfüllt alle Sicherheitsstandards. Ein merkantiler Minderwert liegt weder mit dem Software‑Update noch ohne dem Update vor.
[11] Mit dem Fahrzeug wurden bis zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung I. Instanz ca 100.000 km zurückgelegt. Zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung I. Instanz lag der Händlereinkaufspreis des Fahrzeugs des Klägers bei rund 12.462 EUR. Der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung I.Instanz betrug 15.500 EUR. Die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs liegt bei 250.000 km.
[12] Der Kläger begehrt 22.140,32 EUR sA (Kaufpreis abzüglich vom Kläger angenommenes Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen die Übergabe des Fahrzeugs; in eventu die Zahlung von 6.000 EUR sA aus dem Titel Wertminderung, in eventu die Feststellung, dass ihm die Beklagte für jeden Schaden hafte, der ihm aus dem Kauf des Fahrzeugs künftig entstehen wird.
[13] Dabei stützte er sich im Wesentlichen auf eine arglistige Irreführung durch die Beklagte und das In‑Verkehr‑Bringen „gesetzwidriger“ Fahrzeuge. Er brachte insbesondere vor, dass Repräsentanten der Beklagten um die „Manipulationssoftware“ (die unzulässige Abschalteinrichtung) gewusst hätten. Hätte er beim Kauf des Pkws gewusst, dass dieser von der Beklagten manipuliert worden sei, deshalb repariert werden müsse und die vom Verkäufer zugesagten Eigenschaften nicht gewährleistet seien, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Für das Vorliegen eines realen Schadens sei eine in Geld messbare Vermögenseinbuße nicht unbedingt erforderlich; es reiche aus, dass die Zusammensetzung des Vermögens des Geschädigten nach dem schadensbegründenden Ereignis nicht seinem Willen entspreche. Er habe daher primär Anspruch auf Naturalrestitution, jedenfalls aber auf Preisminderung.
[14] Die Beklagte bestritt. Das Fahrzeug sei technisch sicher, fahrbereit, uneingeschränkt benützbar und daher nicht mangelhaft. Die Typengenehmigung sei aufrecht. Das Software‑Update bringe keine negativen Auswirkungen mit sich. Das KBA habe in der Freigabebestätigung erklärt, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten seien. Art 5 der VO 715/2007/EG sei kein Schutzgesetz zur Verhinderung des geltend gemachten Vermögensschadens. § 874 ABGB sei nicht anwendbar, weil diese Bestimmung gemäß § 875 ABGB nur dann zur Anwendung gelange, wenn der Vertragspartner des Klägers an der behaupteten listigen Handlung des Nichtvertragspartners teilgenommen oder davon gewusst habe, was der Kläger nicht einmal behaupte.
[15] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Da mit dem Software‑Update keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug verbunden seien und der am Prüfstand maßgebliche Grenzwert für NOx‑Emissionen eingehalten werde, sei ein Schadenersatzanspruch zu verneinen. Wegen des durchgeführten Software‑Updates scheide auch ein Irrtumsanspruch aus. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Kläger das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er von den Manipulationen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits gewusst hätte. Damit scheitere auch eine Berufung auf § 1295 Abs 2 und § 1331 ABGB, weshalb auch das erste Eventualbegehren abzuweisen gewesen sei. Das Feststellungsinteresse sei zu verneinen, weil der Kläger das Software‑Update durchführen habe lassen, sodass jegliche Differenz zu einem nicht manipulierten Fahrzeug aufgehoben sei. Art 5 VO 715/2007/EG sei kein Schutzgesetz.
[16] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte im Wesentlichen die Rechtsauffassung des Erstgerichts. In der Klasse Euro 5 seien lediglich die Grenzwerte im NEFZ‑Prüfstandsbetrieb einzuhalten, nicht im realen Fahrbetrieb. Das Software-Update und das nunmehr programmierte Thermofenster sei vom KBA geprüft und gebilligt worden, eine Typengenehmigung sei erteilt, es drohe kein Entzug. Nach den Feststellungen sei das Update technisch unbedenklich und weise keine entscheidenden negativen Auswirkungen auf. Auf Fragen des Vorteilsausgleichs zur Berechnung des Benützungsentgelts und der Wertminderung müsse nicht eingegangen werden, weil der Anspruch auf Aufhebung des Vertrags nicht zu Recht bestehe. Die Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger in Kenntnis der manipulativen Software den klagsgegenständlichen Wagen nicht gekauft hätte, nehme einem Wertminderungsanspruch mangels Nachweises der Kausalität der Manipulation für den Kauf die Basis.
[17] Die Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein unbehebbarer Rechtsmangel vorliege, wenn – wie hier – der Fahrzeughersteller von der EG‑Typengenehmigung abweichende Fahrzeuge herstelle und im Binnenmarkt veräußere und wenn auch nach einem zur Behebung dieser Abweichung durchgeführten Software‑Update der NOx‑Grenzwert von 180 mg/km nur im Prüfstandsbetrieb eingehalten werde.
[18] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass der Klage stattgegeben wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[19] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.
[20] Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[21] 1.1. Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 15. 4. 2020, AZ 9 Ob 61/19i, wurde das Verfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) über den vom Obersten Gerichtshof am 17. 3. 2020 zu 10 Ob 44/19x gestellten Antrag auf Vorabentscheidung unterbrochen, da von einer allgemeinen Wirkung der Vorabentscheidung des EuGH auszugehen sei und diese auch für andere als den unmittelbaren Anlassfall anzuwenden sei.
[22] Dieses Vorabentscheidungsersuchen wurde zwischenzeitig vom EuGH zu C‑145/20 entschieden, weshalb das Verfahren fortzusetzen war.
[23] 1.2. Soweit im Fortsetzungsantrag darüber hinaus auch weitere Ausführungen (Anregung zum Auftrag eines Schriftsatzwechsels „vor der nächsten Tagsatzung“) enthalten sind, verstößt dies gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels, nach dem auch Nachträge oder Ergänzungen unzulässig sind (RS0041666). Aus dem gleichen Grund ist auch die Eingabe des Klägers vom 18. 7. 2022 zurückzuweisen.
[24] 2.1. Auf Unionsebene regelte zunächst die „Rahmenrichtlinie“ (RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 9. 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46/EG ) ein System gemeinschaftlicher Typgenehmigungen für alle Fahrzeugklassen (vgl nunmehr die VO 2018/858/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. 5. 2018 über die Genehmigung und die Marktüberwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge).
[25] Gemäß Art 3 Z 3 RL 2007/46/EG bezeichnet der Ausdruck „Typengenehmigung“ das Verfahren, nach dem ein Mitgliedstaat bescheinigt, dass ein Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit den einschlägigen Verwaltungsvorschriften und technischen Anforderungen entspricht. Diese Vorschriften und Anforderungen ergeben sich aus der Richtlinie selbst und den in ihren Anhängen aufgeführten Rechtsakten. Der unter dem Gesichtspunkt der Schadstoffemissionen angesprochene Rechtsakt ist hinsichtlich der leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeuge die VO 715/2007/EG (vgl Art 1 Abs 1 VO 715/2007/EG ).
[26] 2.2. Gemäß Art 5 Abs 1 VO 715/2007/EG rüstet der Hersteller das Fahrzeug so aus, dass die Bauteile, die das Emissionsverhalten voraussichtlich beeinflussen, so konstruiert, gefertigt und montiert sind, dass das Fahrzeug unter normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht.
[27] 2.3. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.
[28] 2.4. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.
[29] 2.5. Gemäß Art 4 Abs 1 VO 715/2007/EG weist der Hersteller nach, dass alle von ihm verkauften oder in der Gemeinschaft in Betrieb genommenen Neufahrzeuge über eine Typengenehmigung gemäß dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen verfügen. Gemäß Art 18 Abs 1 RL 2007/46/EG hat der Hersteller als Inhaber einer EG‑Typengenehmigung für Fahrzeuge jedem Fahrzeug, das in Übereinstimmung mit dem genehmigten Typ hergestellt wurde, eine Übereinstimmungsbescheinigung beizulegen.
[30] 2.6. Die Behandlung einer in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten EG‑Betriebserlaubnis in Österreich ist in § 28b KFG geregelt. Nach § 28b Abs 1 KFG hat der Inhaber einer EG‑Betriebserlaubnis für die von ihm in den Handel gebrachten Fahrzeuge eine Übereinstimmungsbescheinigung im Sinn der jeweils anzuwendenden Betriebserlaubnisrichtlinie auszustellen. Darüber hinaus hat er für von ihm in Österreich in den Handel gebrachte Fahrzeuge, für die eine gültige Übereinstimmungsbescheinigung vorliegt, die Genehmigungsdaten in die Genehmigungsdatenbank einzugeben. Die erstmalige Zulassung eines Kraftfahrzeugs setzt gemäß § 37 Abs 2 lit a KFG die Erbringung des Genehmigungsnachweises für das Fahrzeug – das ist bei Fahrzeugen mit EG‑Betriebserlaubnis die gültige Übereinstimmungsbescheinigung oder der Datenauszug aus der Genehmigungsdatenbank – voraus.
[31] 3. Mit Urteil vom 14. 7. 2022 hat der EuGH zu C‑145/20 die ihm zu einem vergleichbaren Sachverhalt vorgelegten Fragen wie folgt beantwortet:
„1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Mai 1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter ist dahin auszulegen, dass ein Kraftfahrzeug, das in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge fällt, nicht die Qualität aufweist, die bei Gütern der gleichen Art üblich ist und die der Verbraucher vernünftigerweise erwarten kann, wenn es, obwohl es über eine gültige EG‑Typgenehmigung verfügt und daher im Straßenverkehr verwendet werden kann, mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung verboten ist.
2. Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 715/2007 vorgesehene Ausnahme fallen.
3. Art. 3 Abs. 6 der Richtlinie 1999/44 ist dahin auszulegen, dass eine Vertragswidrigkeit, die darin besteht, dass ein Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgerüstet ist, deren Verwendung nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 verboten ist, nicht als ′geringfügig′ eingestuft werden kann, selbst wenn der Verbraucher – falls er von der Existenz und dem Betrieb dieser Einrichtung Kenntnis gehabt hätte – dieses Fahrzeug dennoch gekauft hätte.“
[32] 4.1. In einer weiteren Entscheidung in Zusammenhang mit Abschalteinrichtungen, der Rechtssache C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, beantwortet der EuGH die an ihn gestellten Vorlagefragen wie folgt:
„1. Art 18 Abs 1, Art 26 Abs 1 und Art 46 der Richtlinie 2007/46/EG in Verbindung mit Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sind dahin auszulegen, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 dieser Verordnung ausgestattet ist.
2. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es in Ermangelung einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen, der dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestatteten Fahrzeugs tatsächlich entstanden ist, vorausgesetzt, dass dieser Ersatz in einem angemessenen Verhältnis zum entstandenen Schaden steht.“
[33] 4.2. In seiner Entscheidungsbegründung rekapituliert der EuGH zunächst, dass ein individueller Käufer, der ein Fahrzeug erwirbt, das zur Serie eines genehmigten Fahrzeugtyps gehört und somit mit einer Übereinstimmungsbescheinigung versehen ist, vernünftiger Weise erwarten kann, dass die VO 715/2007/EG und insbesondere deren Art 5 bei diesem Fahrzeug eingehalten werden (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 81 unter Hinweis auf C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 54). Diese ursprünglich (in C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 54) für das Vertragsverhältnis zwischen Fahrzeugkäufer und Händler konstatierte berechtigte Verkehrserwartung ist nach dem Urteil C‑100/21 auch für das außervertragliche Verhältnis zwischen einem Fahrzeugerwerber und dem Fahrzeughersteller relevant.
[34] Konkret leitet der EuGH aus den Bestimmungen über die Übereinstimmungsbescheinigung (Art 18 Abs 1 und Art 26 Abs 1 der Rahmen‑RL [RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. 9. 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge; künftig: RL 2007/46/EG ]) ab, dass die Übereinstimmungsbescheinigung „eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Automobilhersteller und dem individuellen Käufer eines Kraftfahrzeugs herstellt, mit der diesem gewährleistet werden soll, dass das Fahrzeug mit den maßgeblichen Rechtsvorschriften der Union übereinstimmt“ (C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 82).
[35] Weiters folgert der EuGH aus den von ihm zitierten unionsrechtlichen Bestimmungen (Art 18 Abs 1, 24 Abs 1 RL 2007/46/EG über die Übereinstimmungsbescheinigung, Art 46 RL 2007/46/EG betreffend Sanktionen), dass ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf hat, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO 715/2007/EG ausgestattet ist (Rn 89).
[36] Auf der Rechtsfolgenseite müssen die Mitgliedstaaten daher einen Anspruch auf Schadenersatz durch den Hersteller des Fahrzeugs vorsehen, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (Rn 91).
[37] In Ermangelung unionsrechtlicher Vorschriften über die Modalitäten für die Erlangung eines solchen Ersatzes durch die betreffenden Käufer wegen des Erwerbs eines solchen Fahrzeugs ist es Sache jedes einzelnen Mitgliedstaats, diese Modalitäten festzulegen (Rn 92), wobei nationale Rechtsvorschriften es dem Käufer nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen, einen angemessenen Ersatz des entstandenen Schadens zu erhalten (Rn 93).
[38] 5.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits unter Berufung auf diese Rechtsprechung des EuGH ausgesprochen, dass die auch beim gegenständlichen Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (Teilurteil 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 47]; 10 Ob 44/19x [ErwGr 2.1.]; 10 Ob 16/23k [Rz 23]).
[39] 5.2. Darüber hinaus wurde auch das nach dem Software‑Update vorhandene „Thermofenster“, aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius voll wirksam ist, als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG qualifiziert, die nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig ist (Teilurteil 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 55 ff]; 10 Ob 16/23k).
[40] 5.3. Aus der Entscheidung des EuGH ergibt sich somit, dass ein Verstoß gegen Art 5 der VO 715/2007/EG den Hersteller auch dann ersatzpflichtig machen kann, wenn er in keinem Vertragsverhältnis mit dem Käufer steht (vgl das Endurteil 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023; 10 Ob 16/23k).
[41] 6.1. Für diesen Schadenersatzanspruch macht der EuGH grundsätzliche Vorgaben, nämlich in dem Sinn, dass die Mitgliedstaaten in einem solchen Fall einen Schadenersatzanspruch zu Gunsten eines Käufers gegenüber dem Hersteller vorzusehen haben, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 91). Dabei handelt es sich um einen im nationalen Recht wurzelnden Schadenersatzanspruch, der am unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 93), also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen muss (vgl EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 90). Im Übrigen richten sich die Modalitäten dieses Schadenersatzanspruchs nach nationalem Recht (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 92), hier also unstrittig nach österreichischem Recht.
[42] 7.1. Eine unionsrechtliche Vorgabe eines Schadenersatzanspruchs ist das Vorliegen eines Schadens: Der EuGH betont, dass dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs ein Schadenersatzanspruch zusteht, wenn ihm ein Schaden entstanden ist (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 91).
[43] 7.2. Als nachteilige Folge – vor der ein Fahrzeugkäufer durch das Unionsrecht geschützt werden soll – sieht der EuGH an, dass durch die Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung die Gültigkeit der EG‑Typengenehmigung und daran anschließend die der Übereinstimmungsbescheinigung in Frage gestellt werden, was wiederum (unter anderem) zu einer Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit (Anmeldung, Verkauf oder Inbetriebnahme des Fahrzeugs) und „letztlich“ zu einem Schaden führen kann (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84). Damit stellt der EuGH klar, dass ein deliktischer Schadenersatzanspruch nicht als ein von einem Schadenseintritt losgelöster Akt der privaten Durchsetzung von Emissionsnormen zu sehen ist. Vielmehr geht es um den Ausgleich der objektiven Unsicherheit hinsichtlich der Fahrzeugnutzung, mit der der individuelle Fahrzeugerwerber konfrontiert ist.
[44] 7.3. Der Schadensbegriff des ABGB wird diesen unionsrechtlichen Voraussetzungen gerecht. Als Schaden im Sinn des § 1293 ABGB ist jeder Zustand zu verstehen, der rechtlich als Nachteil aufzufassen ist, an dem also ein geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht (RS0022537). Im vorliegenden Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs besteht dieses geringere rechtliche Interesse – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend – in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit.
[45] 7.4. Ein Schadenseintritt wäre lediglich dann zu verneinen, wenn das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach.
[46] 8.1. Im vorliegenden Fall kann nicht abschließend beurteilt werden, ob dem Kläger ein ersatzfähiger Schaden entstanden ist:
[47] 8.2. Dass das Fahrzeug latent mit einer Unsicherheit hinsichtlich der rechtlichen Nutzungsmöglichkeit behaftet ist, ergibt sich im vorliegenden Fall daraus, dass es mit einer nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und auch nach Installation des Software‑Updates eine unzulässige Abschalteinrichtung (in Form des festgestellten „Thermofensters“) vorliegt. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass die Frage, ob aufgrund der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung des Fahrzeugs droht, an der objektiven Rechtslage zu messen ist (in diesem Sinn auch BGH 8. 12. 2021, VIII ZR 190/19 Rz 82). Es fehlen aber ausreichende Feststellungen dazu, ob das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entsprach.
[48] 8.3. Der Kläger brachte in diesem Zusammenhang vor, er hätte das Fahrzeug bei Kenntnis davon, dass es von der Beklagten „manipuliert“ worden sei und nicht den rechtlichen Vorschriften entspreche, nicht gekauft.
[49] 8.4. Die von den Vorinstanzen getroffene Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger in Kenntnis der manipulierten Software den Wagen nicht gekauft hätte, reicht nicht aus, um daraus den Schluss zu ziehen, dem Kläger sei kein Schaden entstanden, weil diese Feststellung nicht ausreichend erkennen lässt, auf welche von den objektiven Verkehrserwartungen abweichenden Umstände sie sich bezieht:
[50] Die getroffene Feststellung gibt keine Auskunft darüber, ob er das Fahrzeug gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass es sich bei der vorhandenen Software („Umschaltlogik“) um ein verbotenes Konstruktionselement handelte, das der Typengenehmigungsbehörde verschwiegen wurde, sodass nur deshalb die EG‑Typengenehmigung erteilt wurde (worauf der Kläger mit seinem Vorbringen, er habe auf ein „manipulationsfreies“ Fahrzeug vertraut, Bezug genommen hat). Ebenso wenig lässt die Feststellung erkennen, ob der Kläger die Notwendigkeit des Software‑Updates und die vom EuGH angesprochene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs (EuGH C‑100/21 , QB gegen Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84; vgl zu dieser Unsicherheit auch die mit der Entscheidung des EuGH vom 8. 11. 2022, C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe e.V., eröffnete Möglichkeit bestimmter Umweltvereinigungen, Verwaltungsentscheidungen anzufechten, mit denen eine EG‑Typengenehmigung für Fahrzeuge erteilt oder geändert wurde, die möglicher Weise gegen Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verstoßen) in Kauf genommen und den gegenständlichen Neuwagen dennoch erworben hätte.
[51] 9. Dies macht die Aufhebung der angefochtenen Urteile und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht erforderlich. Dieses wird im fortgesetzten Verfahren Feststellungen im dargestellten Sinn zu treffen haben. Dabei ist zu beachten, dass die Qualifikation der „Umschaltsoftware“ und des „Thermofensters“ als gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtungen abschließend erledigte Streitpunkte (RS0042031) darstellen.
[52] 10. Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.
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