OGH 9Ob212/99p

OGH9Ob212/99p1.9.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer, Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Rainer Cuscoleca, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Helmut R*****, Magistratsbediensteter, *****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 18. Mai 1999, GZ 40 R 205/99i-16, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3, zweiter Fall, MRG setzt kein Verschulden voraus. Grundsätzlich ist daher auch Geisteskrankheit kein Freibrief für unleidliches Verhalten (MietSlg 48.337; MietSlg 37.412; MietSlg 37.182 uva). Das Verhalten einer geisteskranken Person ist aber nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich (dh. für die Mitbewohner unerträglich), wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person (MietSlg 48.337; MietSlg 49.349). Das kann jedoch nicht dahin verstanden werden, daß die anderen Bewohner des Miethauses jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf zu nehmen hätten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierendster Weise beeinträchtigt wird; vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (MietSlg 49.349).

Das Berufungsgericht hat diese Rechtslage richtig erkannt und seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Die Vornahme der gebotenen Interessenabwägung kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles erfolgen und ist daher - vom hier nicht gegebenen Fall einer krassen Fehlbeurteilung abgesehen - nicht revisibel.

Bei Vorliegen eines Dauertatbestandes - wie er auch hier gegeben ist - ist der Grundsatz, daß Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend gemacht werden müssen, nicht ohne weiters anzuwenden, weil in einem solchen Fall regelmäßig nicht auf einen Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes geschlossen werden kann (MietSlg 48.365; SZ 70/7; RIS-Justiz RS0014420). Dieser Grundsatz, der vor allem zum Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG vertreten wurde, kann zwar nicht ganz allgemein dahin verstanden werden, daß in einem solchen Fall ein stillschweigender Kündigungsverzicht überhaupt nicht in Frage komme; allerdings ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen (MietSlg 48.365; WoBl 1992/15; SZ 61/42 ua). Auch insofern ist die auf der Grundlage dieser vom Berufungsgericht richtig erkannten Rechtslage vorgenommene Beurteilung des konkreten Einzelfalles nicht revisibel, zumal von einer krassen Fehlbeurteilung nicht die Rede sein kann.

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