OGH 8ObA65/11h

OGH8ObA65/11h29.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei K***** K*****, vertreten durch Dr. Alexander Burkowski, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Franz-Christian Sladek und Dr. Michael Meyenburg M.C.J., Rechtsanwälte in Wien, wegen 15.637,67 EUR und Feststellung (Streitwert 3.500 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. Juni 2011, GZ 12 Ra 44/11v-10, womit der Berufung der beklagten Partei gegen das Teilurteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 11. März 2011, GZ 8 Cga 4/11t-6, keine Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 373,68 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 62,28 EUR USt) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle beschäftigt. Am 15. März 2010 schlossen die Streitteile eine Taggeldvereinbarung („Übernachtungsanordnung“) für Wochenpendler mit folgendem wesentlichen Inhalt:

„Infolge der Bestimmungen des Kollektivvertrages für Bauindustrie (Zusatzbroschüre § 9/I/5) muss die Übernachtung erforderlich sein und vom Arbeitgeber (Bauleiter und Polier) angeordnet werden, falls die Entfernung (einfache Fahrt) eines Arbeitnehmers zwischen dem Wohnsitz und der Baustelle unter 100 Kilometer beträgt und die Heimfahrt zum Hauptwohnsitz nachweislich nicht zugemutet werden kann. (…) Im gegenständlichen Fall beträgt die Entfernung (einfache Fahrt) zwischen dem Hauptwohnsitz und der Baustelle (…) unter 50 Kilometer. Die Heimfahrt kann

- infolge ungünstiger Verkehrsbedingungen,

- früherem Arbeitsbeginn

- für den Zeitraum von Jän 10 bis Bst.Ende nicht erfolgen. (...)

Folgende Unterlagen sind beigeschlossen (…):

1. Meldezettel und

2. Übernachtungsnachweis

einfache Wegstrecke unter 50 km - die zwei vorhin genannten Unterlagen und zusätzlich:

3. Die Wegzeit zur Baustelle überschreitet 1,5 Stunden (einfache Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel, incl. etwaiger Warte- und Gehzeit), oder: Bis zum Arbeitsbeginn gar keine Möglichkeit besteht, mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zur Baustelle zu gelangen (Fahrpläne, Internetabfrage etc muss beigebracht werden).

Eine widerrechtliche Bezahlung infolge unrichtiger Angaben wird dem Arbeitnehmer in Rechnung gestellt! ...“

Das „große Taggeld“ wurde dem Kläger nach Beibringung der im Antragsformular aufgelisteten Unterlagen rückwirkend ab Jänner 2010 gewährt. Die Beklagte stellte dem Kläger am Baustellenort eine Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung, die er nicht immer benutzte (unstrittig).

Nachdem die Beklagte von diesem Umstand erfahren hatte, sprach sie am 6. 9. 2010 unter Berufung auf § 82 lit d GewO die Entlassung des Klägers aus. Er sei trotz der behaupteten Unzumutbarkeit einer Heimfahrt regelmäßig nach der Arbeit mit seinem Pkw nach Hause gefahren und habe nur das Frühstück im Quartier eingenommen. Er habe daher die Beklagte über die Anspruchsvoraussetzung für das „große“ Taggeld getäuscht und sie um den ausbezahlten Betrag und die Quartierkosten geschädigt. Hilfsweise werde die Entlassung auch auf § 82 lit f GewO gestützt, weil der Beklagte in der Freizeit Alkohol getrunken und danach seinen Dienst möglicherweise in (rest-)alkoholisiertem Zustand angetreten habe.

Der Kläger ist begünstigter Behinderter. Er begehrte die Feststellung des Fortbestehens des aufrechten Dienstverhältnisses mangels Verwirklichung eines Entlassungsgrundes, sowie Nachzahlung des seit dem Ausspruch der Entlassung fällig gewordenen Entgelts. Er habe keinerlei unwahre Angaben gemacht, die behaupteten regelmäßigen Heimfahrten hätten nicht stattgefunden. Nur fallweise habe er aus wichtigen persönlichen Gründen nicht im beigestellten Quartier übernachten können.

Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren aufgrund des obigen Sachverhalts mit Teilurteil statt. Schon allein aus dem Vorbringen der Beklagten sei keine strafbare Handlung des Klägers abzuleiten, sodass es keiner weiteren Beweisaufnahmen und Feststellungen bedurft habe. Der Kläger habe in seinem Antrag keine unwahren Angaben gemacht und alle geforderten Nachweise vorgelegt, sodass von einer Täuschung keine Rede sein könne. Der kollektivvertragliche Anspruch auf das Taggeld für Wochenpendler sei nur von der Unzumutbarkeit des Anreisewegs, aber nicht von einer tatsächlichen Nächtigung am Ort der Baustelle abhängig. Bloße Verdachtsmomente seien schon abstrakt ungeeignet, die Entlassung zu rechtfertigen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die rechtliche Beurteilung von der Auslegung des § 9 Pkt I Z 5 des Kollektivvertrags für Arbeiter in Bauindustrie und Baugewerbe abhänge, deren Bedeutung über den Anlassfall hinausreiche.

Rechtliche Beurteilung

Die von der klagenden Partei beantwortete Revision der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage in den angefochtenen Punkten zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Das Unterbleiben der beantragten mündlichen Berufungsverhandlung begründet keine Nichtigkeit. Die Entscheidung, ob eine Berufungsverhandlung im Einzelfall erforderlich ist, steht seit der Änderung des § 480 Abs 1 ZPO und dem Außerkrafttreten des § 492 ZPO durch das Budgetbegleitgesetz 2009, BGBl I 2009/52, generell im Ermessen des Berufungsgerichts (§ 2 Abs 1 ASGG; 8 ObA 32/10d).

Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin ist der zweite Absatz des § 44 ASGG keine Regelung iSd § 2 Abs 1 ASGG für alle Berufungsverfahren in Arbeits- und Sozialrechtssachen, sondern lex specialis nur für das Rechtsmittelverfahren in Bagatellsachen.

Nach § 44 Abs 1 ASGG ist § 501 ZPO über die Beschränkung der Rechtsmittelgründe in Arbeits- und Sozialrechtssachen nicht anzuwenden, wohl aber sollte durch § 44 Abs 2 ASGG in Form einer „Ausnahme von der Ausnahme“ die in § 501 ZPO aF vorgesehene Vereinfachung des Berufungsverfahrens beibehalten werden.

Nachdem mit Inkrafttreten der Änderung des § 480 Abs 1 ZPO idF BGBl I 2009/52 diese Ausnahme im allgemeinen Zivilprozess zur Regel und die vorher nur für Bagatellverfahren geltende Vereinfachung auf das gesamte Berufungsverfahren übertragen wurde, mit dem Ziel, die Anzahl bloß formaler Berufungsverhandlungen zurückzudrängen (ErläutRV 113 BlgNR 24. GP 33), verbleibt § 44 Abs 2 ASGG derzeit kein Anwendungsbereich. Für eine plötzliche Umdeutung dieser Regelung von einer lex specialis für Bagatellsachen zu einer lex specialis für alle Nichtbagatellsachen besteht keine Grundlage, zumal sie der in den Materialien zum Ausdruck kommenden Intention des Gesetzgebers grundlos zuwiderlaufen würde.

2. Ein vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit wahrzunehmender Ermessensfehler des Berufungsgerichts bei seiner Entscheidung, keine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen, wird in der Revision nicht dargelegt (RIS-Justiz RS0126298 [T2]). Insbesondere verkennt sie, dass eine Berufungsverhandlung nicht dazu bestimmt ist, einer Partei neues, in erster Instanz verabsäumtes Vorbringen und neue Beweisanträge zu ermöglichen.

Der Grundsatz des Parteiengehörs fordert nur, dass der Partei ein Weg eröffnet wird, auf dem sie ihre Argumente und überhaupt alles vorbringen kann, was der Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruchs dienlich ist. Rechtliches Gehör ist der Partei auch dann gegeben, wenn sie sich nur schriftlich äußern konnte (RIS-Justiz RS0006048).

3. Behauptete Verfahrensmängel erster Instanz können im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden, wenn sie entweder in der Berufung nicht gerügt, oder bereits vom Berufungsgericht geprüft und verneint wurden. Davon, dass überhaupt kein Beweisverfahren durchgeführt worden wäre, kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.

4. Einziger Zweck des in § 60 ASGG normierten Verbots der amtswegigen Fällung eines Teilurteils ist das Interesse des Arbeitnehmers an einer raschen Durchsetzung seiner Ansprüche. Ein beklagter Arbeitgeber kann sich mangels Beschwer nicht auf einen Verstoß gegen diese Bestimmung berufen (RIS-Justiz RS0085755).

5. Auf den noch im Berufungsverfahren relevierten, nur auf eine Vermutung gestützten Entlassungsgrund nach § 82 lit f GewO geht die Revision inhaltlich nicht mehr ein, sodass es hier genügt, auf die zutreffende Begründung des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

6. Nach § 82 lit d GewO kann ein Arbeiter entlassen werden, wenn er sich eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, die ihn des Vertrauens des Dienstgebers unwürdig erscheinen lässt.

Nur bei den erstgenannten Delikten des Diebstahls und der Veruntreuung wird eine dadurch herbeigeführte Vertrauensunwürdigkeit vom Gesetz unterstellt, bei Verwirklichung anderer strafbarer Handlungen muss auch das Vorliegen der Vertrauensunwürdigkeit anhand der konkreten Umstände geprüft werden (RIS-Justiz RS0052754). Der Dienstgeber muss die behauptete strafbare Handlung des entlassenen Dienstnehmers zwar nicht selbst rechtlich qualifizieren, sondern nur die dafür maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatsachen vorbringen und beweisen, der Entlassungsgrund besteht aber nur dann, wenn das behauptete Verhalten tatsächlich strafbar ist. Einen allgemeinen Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gibt es im Bereich des § 82 GewO nicht (RIS-Justiz RS0060324 [T5]).

7. Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren ihren Standpunkt erkennbar auf zwei Sachverhaltselemente gegründet. Zum einen habe der Kläger sie über die Unzumutbarkeit der täglichen Heimfahrt getäuscht und sich dadurch ein höheres Taggeld und Naturalleistungen (Frühstück) erschlichen, zum anderen habe er sie durch das Auflaufen frustrierter Kosten geschädigt, weil sie in Unkenntnis der wahren Sachlage das unbenützte Quartier bezahlen habe müssen.

Für eine rechtliche Qualifikation dieses Tatsachensubstrats als strafbare Handlungen kommen allenfalls § 146 StGB (Betrug) oder § 108 StGB (Täuschung) in Frage.

8. Nach § 146 StGB begeht einen Betrug, wer mit dem Vorsatz, durch das Verhalten des Getäuschten sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, jemanden durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die diesen oder einen anderen am Vermögen schädigt. Der erforderliche Vorsatz des Täters muss sich auf alle Sachverhaltselemente erstrecken, wobei bedingter Vorsatz genügt (RIS-Justiz RS0119624).

Täuschung bedeutet in erster Linie ein Verhalten, das in der Abgabe einer unwahren Erklärung gegenüber einem anderen besteht. Täuschung kann aber auch in einer Unterlassung gebotener Aufklärung liegen, insbesondere im Rahmen vertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten (Kirchbacher in WK², § 146 StGB Rz 26), wie sie zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bestehen. Ein Arbeitnehmer, der eine Zulage beantragt, hat nicht nur die für ihre Gewährung maßgeblichen tatsächlichen Umstände wahrheitsgemäß anzugeben, sondern darf auch nicht vorsätzlich Informationen verschweigen, die dem Anspruch entgegenstehen.

9. Tatsachen iSd § 146 StGB sind alle objektiv feststellbaren Umstände der Vergangenheit und der Gegenwart, auch bei einer Verknüpfung mit Zukünftigem. Auch innere Beweggründe, Ansichten oder Absichten kommen als Täuschungsobjekt in Frage, soweit sie objektivierbar sind.

Keine Tatsachen sind aber bloße Emotionen, Gefühle und Werturteile (Kirchbacher aaO Rz 36f). Eine strafrechtlich relevante Täuschung über die Qualifikation einer Heimfahrt als „unzumutbar“ kommt daher schon begrifflich nicht in Frage. Getäuscht werden kann nur über die Tatsachen, auf die sich dieses Werturteil gründet.

10. Nach § 9 Pkt I Z 5 des Kollektivvertags für Arbeiter in Bauindustrie und Baugewerbe erhalten Arbeitnehmer bei Erbringung von Arbeitsleistungen auf Baustellen im Auftrag des Arbeitgebers außerhalb des Wohnorts, bei denen eine auswärtige Übernachtung erforderlich ist und der Arbeitgeber den Auftrag dazu erteilt, ein Taggeld von 26,40 EUR je gearbeitetem Tag. Die Übernachtung gilt jedenfalls als erforderlich und beauftragt, wenn

- die Wegstrecke zwischen Baustelle und Wohnort mindestens 100 km beträgt, oder

- die Heimfahrt zum Wohnort nachweislich nicht zugemutet werden kann.

Unter den Voraussetzungen des § 9 Pkt I Z 5 des Kollektivvertrags haben Arbeitnehmer gemäß § 9 Punkt II Z 1 zusätzlich zum „großen Taggeld“ Anspruch auf Übernachtungsgeld, sofern vom Arbeitgeber keine zeitgemäße Unterkunft bereitgestellt wird und eine auswärtige Übernachtung tatsächlich und nachweislich stattfindet.

Das Taggeld dient nach der objektiv zu ermittelnden Zielrichtung der Kollektivvertragsbestimmungen (vgl RIS-Justiz RS0008807, RS0010088 jeweils mwN) der Abgeltung der dem Arbeitnehmer durch die Verwendung außerhalb der ständigen Betriebsstätte entstehenden zusätzlichen Aufwendungen, mit Ausnahme der extra zu vergütenden Nächtigungs- und Reisekosten (8 ObA 57/05k). Diesem Zweck entspricht es, dass § 9 Pkt I Z 5 des Kollektivvertrags für Bauindustrie und Baugewerbe den Anspruch auf das „große Taggeld“ schon dem Wortsinn nach nur an den Einsatz auf der entfernten Baustelle knüpft, und nur bei Entfall der Arbeit wegen Krankheit oder Schlechtwetters zusätzlich an den Nachweis einer auswärtigen Nächtigung (§ 9 Pkt I Z 1, Z 2, Z 5a), offenkundig zur Bescheinigung dafür, dass der Arbeitnehmer auch am arbeitsfreien Tag tatsächlich vor Ort war und daher die mit dem Taggeld pauschaliert abgegoltenen Mehraufwendungen zu tragen hatte.

8. Ob bei einem näher als 100 km von der Einsatzbaustelle entfernt liegenden Wohnort (im Fall des Klägers unstrittig weniger als 50 km) eine tägliche Heimfahrt zumutbar ist, stellt eine von den konkreten Umständen abhängige, wertende Ermessensentscheidung dar. Wesentliche Grundlage des Taggeldanspruchs des Klägers ist daher die mit der Beklagten getroffene Vereinbarung, in der sie sich zur Zahlung des höheren Taggelds verpflichtet hat. Die Voraussetzungen, unter denen sie von einer Unzumutbarkeit der Heimreise auszugehen bereit war, hat die Beklagte selbst im Antragsformular dahin präzisiert, dass bei Wegstrecken von weniger als 50 km eine einfache Fahrt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel vom Wohnort zur Baustelle mehr als 1,5 Stunden dauern müsse. Diesen Nachweis hat der Kläger unstrittig wahrheitsgemäß erbracht. Eine objektiv unzumutbar lange Wegstrecke wird aber weder kürzer noch zumutbarer, wenn der Arbeitnehmer sie auf Kosten seiner Freizeit und entsprechender Pkw-Fahrtspesen trotzdem in Kauf nimmt.

Ob es bei Entfernungen unter 100 km zulässig wäre, abweichend vom Kollektivvertrag einzelvertraglich die tatsächliche Übernachtung im bereitgestellten Quartier zur Bedingung für die Auszahlung des großen Taggelds zu erheben, kann dahingestellt bleiben, weil die Beklagte eine solche ausdrückliche Vereinbarung mit dem Kläger nicht behauptet hat.

Mangels rechtlicher Relevanz für seinen Taggeldanspruch traf den Kläger grundsätzlich keine vertragliche Obliegenheit, die Beklagte von beabsichtigten Übernachtungen außerhalb des beigestellten Quartiers zu informieren, sodass es auch keiner weiteren Feststellungen zu den strittigen Fragen der Frequenz und Beweggründe seiner Heimfahrten bedurfte. Das Vorbringen der Beklagten ist schon abstrakt nicht geeignet, eine für die Strafbarkeit nach § 146 StGB (allenfalls § 108 StGB) erforderliche Täuschung durch Unterlassung gebotener Aufklärung darzulegen.

9. Die Beklagte hat anstelle einer möglichen Einzelverrechnung von Nächtigungsgeldern nach § 9 Pkt II des Kollektivvertrags mit dem Kläger die Beistellung einer ständigen Übernachtungsmöglichkeit vereinbart (unstrittig). Zur Entgegennahme dieser Naturalleistung war der Kläger damit grundsätzlich berechtigt, aber nicht verpflichtet.

Soweit die Beklagte darauf abzielt, dass sie die Vereinbarung überhaupt nicht geschlossen und dem Kläger kein ständiges Quartier zur Verfügung gestellt hätte, wenn sie gewusst hätte, dass er es nur selten benützen werde, scheitert der Vorwurf eines Vermögensdelikts schon am fehlenden Bereicherungsvorsatz. Der Kläger konnte aus der Quartierbeistellung nur insoweit Vorteile ziehen, als er tatsächlich dort übernachtet bzw gefrühstückt hat. Die Inanspruchnahme dieser Leistungen war aber gerade keine unrechtmäßige Vermögensverschiebung, sondern Sinn und Zweck der Vereinbarung.

Ohne Bereicherungsvorsatz kann die bloße Veranlassung zum Abschluss eines Vertrags, der vom anderen Teil bei Kenntnis aller für ihn maßgeblichen Umstände nicht geschlossen worden wäre, unter Umständen den Tatbestand der Täuschung gemäß § 108 StGB erfüllen. Eine Täuschung begeht, wer einem anderen in seinen Rechten dadurch absichtlich einen Schaden zufügt, dass er ihn oder einen Dritten durch Täuschung über Tatsachen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung verleitet, die den Schaden herbeiführt.

Absichtlich handelt ein Täter nach § 5 Abs 2 StGB, wenn es ihm darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt. Dass er einen bestimmten Umstand nur verwirklichen will, begründet noch keine Absichtlichkeit, weil in jeder Vorsatzform auch eine Willenskomponente enthalten ist (11 Os 158/01) und nicht jedes Wollen mit einem Darauf-Ankommen gleichgesetzt werden kann (Reindl in WK² § 5 StGB Rz 24).

Für die Annahme, der Kläger habe seine Quartiervereinbarung gerade deswegen mit der Beklagten getroffen, weil es ihm darauf angekommen wäre, sie in ihren Rechten zu schädigen, bietet allerdings das maßgebliche Vorbringen der Beklagten keine Grundlage.

Die Vorinstanzen haben die herangezogenen Entlassungsgründe daher ohne Rechtsirrtum verneint.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 52 Abs 1 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte