OGH 8ObA62/22h

OGH8ObA62/22h25.1.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann‑Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F* N*, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei * GmbH, *, vertreten durch CMS Reich‑Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 5.041,93 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Mai 2022, GZ 8 Ra 5/22x‑28, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:008OBA00062.22H.0125.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

 

Begründung:

[1] Der mittlerweile pensionierte Kläger war ab 1. 9. 1990 bei einer GmbH beschäftigt. Mit Stichtag 1. 7. 2010 wurde er durch einen Betriebsübergang (Übertragung des bisherigen Betriebs an die Beklagte) Arbeitnehmer der Beklagten. Anlässlich des Übergangs wurde das Gehalt des Klägers neu strukturiert und vereinbart, dass ausschließlich die Regelungen der Beklagten und nicht mehr jene des Veräußerers anzuwenden sind.

[2] Sowohl bei der Veräußerin als auch bei der Beklagten gab es eine durch Betriebsvereinbarung geregelte Pensionskassenzusage, die ursprünglich einen Arbeitgeberbeitrag von 15 % der (über der Höchstbeitragsgrundlage liegenden) Bemessungsgrundlage vorsah.

[3] Im Betrieb der Beklagten wurde diese Betriebsvereinbarung zum 31. 12. 2005 mit Wirkung für alle nach diesem Stichtag eingetretenen Dienstnehmer gekündigt und durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung ersetzt. Diese sieht in der Fassung 21. 11. 2005 vor, dass für Dienstnehmer mit Eintritt (Stichtag Pensionszusage; dieser Klammerausdruck entfiel 2010) vor dem 1. 1. 2006 15 % und mit Eintritt nach dem 31. 12. 2005 5 % der Beitragsbemessungsgrundlage zu leisten sind.

[4] Die Beklagte zahlte für den Kläger nur 5 % der Bemessungsgrundlage an Pensionsbeitrag ein.

[5] Das Erstgericht gab dem auf Ersatz des „Pensionsschadens“ aufgrund der Verweigerung des höheren Beitragssatzes gerichteten Klagebegehren statt. Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im klagsabweisenden Sinn.

Rechtliche Beurteilung

[6] Diese Entscheidung bekämpft der Kläger mit seiner außerordentlichen Revision, die mangels Darstellung von Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig ist.

[7] 1. Stichtagsregelungen, mit denen nur für bestimmte, in den Geltungsbereich einer günstigeren älteren Regelung fallende Arbeitnehmer (Stammarbeiter) dispositive Ansprüche weiter aufrecht erhalten werden, sind zulässig, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz den Arbeitgeber nicht daran hindert, in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren und Vergünstigungen ab einem bestimmten Zeitpunkt den in Betracht kommenden Arbeitnehmern nicht mehr zu gewähren (RS0060204). Stichtagsregelungen können als Fortwirken einer vormals abstrakt abgefassten begünstigenden Regelung verstanden werden und bewirken, dass die von ihnen betroffene Arbeitnehmergruppe bestimmbar und abgeschlossen ist (9 ObA 129/21t; 8 ObA 19/06m).

[8] 2. Die Revision zieht diese Rechtslage nicht in Zweifel. Sie vertritt jedoch den Standpunkt, der seit 1990 beim Veräußerer beschäftigte Kläger sei aufgrund des Betriebsübergangs gleich wie ein vor dem 1. 1. 2006 eingetretener Stammarbeiter der Beklagten zu behandeln. Hinzu komme, dass er schon im Betrieb des Veräußerers Anspruch auf Arbeitgeberbeiträge in Höhe von 15 % der Bemessungsgrundlage gehabt habe und ihn die Anerkennung des früheren Stichtags insoweit nicht besser als vor dem Betriebsübergang gestellt hätte.

[9] 3. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch bereits klargestellt, dass die beim Veräußerer verbrachten Dienstzeiten zwar aufgrund des § 3 Abs 1 AVRAG so zu berücksichtigen sind, wie wenn sie beim neuen Arbeitgeber verbracht worden wären, diese Anrechnung aber nicht auf Stichtagsregeln im dargestellten Sinne in Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen durchschlägt (9 ObA 145/16p). Die §§ 3 ff AVRAG sollen lediglich vor dem Verlust bestehender Ansprüche schützen, weshalb diese Regelungen und die dazu ergangene Rechtsprechung nicht erfolgreich zur Begründung eines Anspruchs herangezogen werden können, der dem Kläger ohne Betriebsübergang im Betrieb des Veräußerers nicht zugestanden wäre (RS0060204 [T32] = 9 ObA 129/21t).

[10] 4. Der Geltung des Stichtagsprinzips kann grundsätzlich nicht entgegengehalten werden, dass dem übergewechselten Arbeitnehmer auch beim Veräußerer eine gleichartige Leistung nach einer dort geltenden Betriebsvereinbarung zugestanden wäre, wie sie beim Erwerber nur mehr Stammarbeitnehmern zukommt.

[11] Bei Betriebsübergang nach § 3 Abs 1 AVRAG bleiben die Arbeitsbedingungen aufrecht, es sei denn, aus den Bestimmungen über den Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit (§ 4 AVRAG), die betrieblichen Pensionszusagen (§ 5 AVRAG) und die Weitergeltung von Betriebsvereinbarungen (§§ 31 und 32 ArbVG) ergibt sich anderes.

[12] Die Höhe der streitgegenständlichen Arbeitgeberbeiträge zur Pensionskasse gründeten sich jeweils auf Betriebsvereinbarungen.

[13] Nach § 31 Abs 7 ArbVG bleibt die Geltung von Betriebsvereinbarungen für Arbeitnehmer von Betrieben oder Betriebsteilen, die von einem anderen Betrieb aufgenommen werden, nur insoweit unberührt, als sie Angelegenheiten betreffen, die von den Betriebsvereinbarungen des aufnehmenden Betriebs nicht geregelt werden.

[14] Dass einer Fortwirkung im Sinne des § 31 Abs 7 ArbVG hier entgegensteht, dass auch bei der Beklagten eine Betriebsvereinbarung im Sinne des § 97 Z 18 ff gilt, wird in der Revision nicht in Zweifel gezogen.

[15] Der hervorgehobene Umstand, dass die Änderung der Betriebsvereinbarung der Beklagten kurz vor dem Betriebsübergang erfolgt wäre, übergeht, dass der maßgebliche Stichtag bereits mit 2006 wirksam wurde.

[16] 5. Mangels Darstellung einer für das Ergebnis erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.

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