OGH 9ObA145/16p

OGH9ObA145/16p26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und KR Karl Frint in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei U***** G*****, vertreten durch Bichler Zrzavy Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, wegen zuletzt 75.392,74 EUR sA (Revisionsinteresse: 9.874,23 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. September 2016, GZ 8 Ra 62/16w‑40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00145.16P.0126.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

 

Begründung:

Die Klägerin war ab 6. 6. 1983 bei der D***** AG (*****) beschäftigt, wechselte zur L***** Ö***** und hat seit 1. 1. 2010 infolge eines Betriebsübergangs (§ 3 AVRAG) ein aufrechtes Dienstverhältnis zur Beklagten (vgl 9 ObA 51/13k). Die noch verfahrensgegenständlichen Lohndifferenzen stützt sie darauf, dass sie im Sinn der Entscheidung 9 ObA 109/14s nach dem hier maßgeblichen Kollektivvertrag für die kaufmännischen und technischen Angestellten der A***** AG als Arbeitnehmerin einzustufen sei, die vor dem 1. 1. 1995 eingetreten sei. Ihre Biennalsteigerungen würden danach nicht 5 % vom Grundgehalt, sondern 5,1 % vom Istlohn betragen. Die Vorinstanzen folgten dieser Ansicht unter Bezugnahme auf die Entscheidungen 8 ObA 53/06m und 8 ObA 19/06m nicht.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision zeigt die Klägerin keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf:

1. Nach § 3 Abs 1 AVRAG tritt der Erwerber mit allen Rechten und Pflichten in die im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse ein. Nach § 3 Abs 3 leg cit bleiben die Arbeitsbedingungen grundsätzlich aufrecht, soweit sich nicht aus den Bestimmungen über den Wechsel der Kollektivvertrags-Angehörigkeit nach § 4 AVRAG anderes ergibt.

Nach § 4 Abs 1 AVRAG („Betriebsübergang und Kollektivvertragsangehörigkeit“) gelten die in einem Kollektivvertrag vereinbarten Arbeitsbedingungen unter anderem nur bis zur Anwendung eines anderen Kollektivvertrags. § 4 Abs 2 AVRAG sieht allerdings ergänzend vor, dass durch den Wechsel der Kollektivvertragsangehörigkeit infolge des Betriebs-übergangs das dem Arbeitnehmer vor Betriebsübergang für die regelmäßige Arbeitsleistung in der Normalarbeitszeit gebührende kollektivvertragliche Entgelt nicht geschmälert werden darf.

2. Künftige Lohnentwicklungen, die sich aus der Entgeltstaffel des Veräußerer‑Kollektivvertrags ergeben, sind nicht umzusetzen, mögen sie auch die Entgeltstufen des Erwerber-Kollektivvertrags übertreffen. Es kommt zu einer Kollektivvertragsablösung; es ist bloß die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende kollektivvertragliche Gelddifferenz fortzuschreiben. Das Entgelt wird somit im Übergangszeitpunkt eingefroren und folgt in seinem künftigen Schicksal dem Kollektivvertrag des Erwerbers. Dies gilt auch für allfällige Biennalsprünge, die nicht mehr nach den Regeln des Veräußerer‑Kollektivvertrags zustehen. Da mit § 4 Abs 2 Satz 1 AVRAG kein mit dem normativ anzuwendenden KV konkurrierendes „normatives“ Entgelt geschaffen werden sollte, ist von der umfassenden Geltung des beim Übernehmer anzuwendenden KV auszugehen (9 ObA 115/03g).

3. Soweit die gehaltsrechtliche Einordnung in den Erwerber-Kollektivvertrag die Berücksichtigung bisheriger Dienstzeiten verlangt, wurde in der Entscheidung 9 ObA 109/14s – dort zur Berücksichtigung von Verwendungsgruppenjahren – ausgeführt, dass infolge der Eintrittsautomatik des § 3 Abs 1 AVRAG die beim Veräußerer verbrachten Dienstzeiten so zu beurteilen seien, wie wenn sie beim neuen Arbeitgeber verbracht worden wären. Es sei davon auszugehen, dass es sich beim übergegangenen Arbeitsverhältnis schon immer um ein solches des Arbeitnehmers zum Erwerber gehandelt habe und dementsprechend eine Anrechnung der früheren Dienstzeiten gar nicht erforderlich sei.

4. Wie das Berufungsgericht zutreffend aufzeigte, ist dies jedoch davon zu unterscheiden, ob eine bestimmte Gruppe von Arbeitnehmern im Rahmen der Neuordnung des Gehaltsschemas eines Kollektivvertrags aus Gründen des Vertrauensschutzes besser als neu eintretende Arbeitnehmer gestellt werden dürfen, weil sie bis zum maßgeblichen Stichtag ein höheres Entgelt bezogen. Die Zulässigkeit einer solchen Differenzierung wurde bereits mehrfach bejaht, hindert doch der Gleichbehandlungsgrundsatz den Arbeitgeber nicht daran, in zeitlicher Hinsicht zu differenzieren und Vergünstigungen den ab einem bestimmten Zeitpunkt in Betracht kommenden Arbeitnehmern nicht mehr zu gewähren (RIS‑Justiz RS0060204).

5. In den Entscheidungen 8 ObA 19/06m und 8 ObA 53/06m wurde diese Erwägung nur konsequent fortgeführt, wenn in einer Konstellation, in der ein neuer gemeinsamer Kollektivvertrag für die Stamm- und die infolge eines Betriebsübergangs übernommene Belegschaft abgeschlossen wurde, die Normierung günstigerer Regelungen für die bisher höher entlohnte Stammbelegschaft als zulässig erachtet wurde. Genau dieses Regelungsziel der Aufrechterhaltung eines bisher nach dem alten Kollektivvertrag zustehenden höheren Entgelts konnten jene Kläger der übernommenen Belegschaft nicht für sich in Anspruch nehmen. Danach kann es aber nicht darauf ankommen, ob sich die günstigeren Regelungen für die Stammbelegschaft in einem neuen Kollektivvertrag des Erwerbers befinden oder ein bestehender Erwerberkollektivvertrag schon eine entsprechende Differenzierung enthält.

6. Unstrittig ist, dass der hier maßgebliche Kollektivvertrag nur den vor dem 1. 1. 1995 eingetretenen Arbeitnehmern höhere Biennalsprünge (5,1 % des Istlohns) gewährt. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, gehört die Klägerin dieser Gruppe von „alten Stammarbeitnehmern“ nicht an, sodass auch der damit für jene Gruppe verfolgte Vertrauensschutz bei ihr nicht zum Tragen kommt. Dass die Klägerin entgegen § 4 Abs 2 AVRAG in ihren bisherigen Entgeltansprüchen geschmälert würde, behauptet sie nicht. Ihre Rechtsansicht beruht somit auf einem Missverständnis von der Reichweite der Entscheidung 9 ObA 109/14s, ohne dass ein Korrekturbedarf zur Entscheidung der Vorinstanzen bestünde. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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