OGH 8ObA31/16s

OGH8ObA31/16s25.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und Dr. Peter Schnöller in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. M***** W*****, vertreten durch Hawel-Eypeltauer-Gigleitner & Partner, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Land Niederösterreich, *****, vertreten durch Mag. Thomas Reisch, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die außerordentlichen Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. Februar 2016, GZ 7 Ra 62/15m‑64, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00031.16S.1125.000

 

Spruch:

Beide Revisionen werden gemäß § 2 ASGG, § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Der Kläger war als Primararzt ab Dezember 2008 an einem Landesklinikum der Beklagten beschäftigt. Das Dienstverhältnis unterlag dem NÖ Landesbedienstetengesetz (NÖ LBG). Am 6. 12. 2010 sprach die Beklagte die Entlassung des Klägers aus, weil er sich im Juni desselben Jahres bei der Behandlung eines Patienten einer besonders schweren Verletzung von ärztlichen Aufklärungs- und Dokumentationspflichten schuldig gemacht habe. Am 21. 2. 2011 sprach sie überdies eine Eventualentlassung mit der Begründung aus, der Kläger habe durch grob sorgfaltswidrige Behandlungsweise den Tod des genannten Patienten verschuldet.

Der Kläger bekämpft beide Entlassungen und begehrt die Feststellung, dass sein Dienstverhältnis sowohl über den 6. 12. 2010 als auch über den 21. 2. 2011 hinaus weiterhin aufrecht sei.

Aufgrund des in der Eventualentlassung genannten Kunstfehlers wurde der Kläger wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und sprach aus, dass sein Dienstverhältnis noch bis zum 31. 5. 2011 aufrecht weiter bestanden habe.

Der erste Entlassungsausspruch sei verfristet gewesen, weil die Personalverantwortlichen der Beklagten bereits mehrere Monate lang von den maßgeblichen Versäumnissen des Klägers Kenntnis gehabt hätten. Für die Eventualentlassung liege kein hinreichend schwerwiegender Anlass vor. Nach den Bestimmungen des NÖ LBG sei die Unterscheidung zwischen Entlassungs‑ und bloßen Kündigungstatbeständen schwer zu treffen, weil die vom Gesetzgeber gewählten Formulierungen sehr ähnlich seien. Entlassungsgründen müsse jedenfalls ein exzeptionelles Fehlverhalten des Vertragsbediensteten zugrunde liegen.

Dem Kläger sei bei Ausübung seiner risikogeneigten ärztlichen Tätigkeit ein vorwerfbarer, folgenschwerer Fehler unterlaufen, der aber noch nicht den Grad der groben Fahrlässigkeit erreicht habe. Diese einmalige Fehlleistung begründe noch keine besonders schwere Verletzung von Dienstpflichten oder gravierendste Vertrauensunwürdigkeit iSd § 90 Abs 2 Z 2 NÖ LBG, sehr wohl aber einen Kündigungsgrund nach § 32 Abs 2 Z 6 VBG. Die Eventualentlassung sei daher iSd § 92 Abs 1 NÖ LBG als berechtigte Kündigung zu behandeln, die das Dienstverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet habe.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision mangels der gesetzlichen Voraussetzungen für nicht zulässig.

Die gegen diese Entscheidung von beiden Parteien erhobenen außerordentlichen Revisionen bringen keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung und sind aus den im Folgenden kurz dargestellten (§ 510 Abs 3 ZPO) Gründen zurückzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

1. Revision des Klägers

Während im Falle der Entlassung ein Sachverhalt verwirklicht sein muss, der seinem Gewichte nach die Weiterbeschäftigung des Vertragsbediensteten schlechthin unzumutbar erscheinen lässt, ist dies bei der Kündigung zwar nicht erforderlich, das inkriminierte Verhalten des Dienstnehmers muss jedoch iSd § 88 Abs 2 Z 1 NÖ LBG „gröblich“ die Dienstpflichten verletzen bzw nach Z 6 leg cit dem Ansehen oder den Interessen des Dienstgebers abträglich sein. Ob diese Voraussetzungen zu bejahen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Einzelfallentscheidungen kommt aber – abgesehen von Fällen einer hier keineswegs vorliegenden auffallenden Fehlbeurteilung durch die zweite Instanz – keine die Revisionszulässigkeit begründende erhebliche Bedeutung zu (RIS‑Justiz RS0105940 [T5, T8, T9]). Von einer solchen auffallenden Fehlbeurteilung kann hier keine Rede sein, zumal der Kläger in seinem Vorbringen selbst eingeräumt hat (ON 8), wissentlich von einem lehrbuchmäßigen Standardvorgehen abgewichen zu sein.

2. Revision der Beklagten

2.1. Die Entlassung oder Kündigung eines Vertragsbediensteten ist vom Arbeitgeber unverzüglich auszusprechen, nachdem ihm der Kündigungsgrund bekannt geworden ist (RIS-Justiz RS0028543). Ob der Dienstgeber die Entlassung oder Kündigung rechtzeitig oder verspätet vornahm, lässt sich ebenfalls nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilen (RIS‑Justiz RS0031571; zuletzt 8 ObA 19/07p).

Richtig ist, dass bei der Beurteilung der Rechtzeitigkeit einer Entlassung oder Kündigung durch juristische Personen allgemein darauf Bedacht zu nehmen ist, dass die Willensbildung in der Regel umständlicher ist als bei physischen Personen. Dadurch bedingte Verzögerungen ebenso wie eine Verzögerung, die sich aus der Notwendigkeit der vorherigen Befassung der Personalvertretung ergibt, sind anzuerkennen (9 ObA 140/01f mwN).

Damit ist aber für die beklagte Partei nichts gewonnen. Es steht fest, dass dem ärztlichen Direktor des Landesklinikums bereits im Juni 2010 aufgrund der Lektüre der Krankengeschichte des verstorbenen Patienten bekannt war, dass der Kläger weder eine ordnungsgemäße Aufklärung des Patienten vorgenommen, noch dessen Einwilligung in die Behandlung dokumentiert hatte. Dennoch wurde der Kläger erst im Oktober 2010 (überdies aus anderen Gründen, nämlich wegen des Verdachts der sorgfaltswidrigen chirurgischen Behandlung) vom Dienst frei gestellt. Zwingende Gründe, aus denen dieses Zuwarten für die Repräsentanten der Beklagten, deren Verhalten sie sich zurechnen lassen muss, unvermeidlich gewesen wäre, werden aber auch in der Revision nicht behauptet.

2.2. Soweit sich die Revision gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts wendet, der Kunstfehler des Klägers sei auf bloß leichte Fahrlässigkeit zurückzuführen gewesen, führt sie wohl zu Recht ins Treffen, dass ihm nach den Feststellungen nicht nur eine Unaufmerksamkeit oder Ungeschicklichkeit unterlaufen ist, die auch einem sorgfältigen Facharzt grundsätzlich passieren kann. Der Kläger hat in seinem Vorbringen vielmehr eingeräumt (Schriftsatz ON 8), wissentlich von einem lehrbuchmäßigen chirurgischen Standardvorgehen abgewichen zu sein, weil er das im speziellen Fall für richtiger befunden habe. Dass diese Handlungsweise nach Auffassung des Berufungsgerichts im Einzelfall noch kein exzeptionelles, die sofortige Entlassung rechtfertigendes Fehlverhalten war, ist aber nicht unvertretbar, zumal in § 88 Abs 2 Z 2 NÖ LBG auch eine fehlende fachliche bzw persönliche Eignung (nur) als Kündigungsgrund genannt wird.

Ob auch eine andere Beurteilung vertretbar gewesen wäre, begründet keine erhebliche, über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinaus relevante Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO.

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