OGH 8ObA20/13v (RS0128911)

OGH8ObA20/13v27.6.2013

Rechtssatz

A. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art 21 der Grundrechtecharta in Verbindung mit Art 7 Abs 1, Art 16 und Art 17 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass

a) ein Arbeitnehmer, für den vom Arbeitgeber aufgrund einer gesetzlich normierten altersdiskriminierenden Anrechnung von Vordienstzeiten zunächst ein unrichtiger Vorrückungsstichtag festgesetzt wurde, in jedem Fall Anspruch auf Zahlung der Gehaltsdifferenz unter Zugrundelegung des diskriminierungsfreien Vorrückungsstichtags hat,

b) oder aber dahin, dass der Mitgliedstaat die Möglichkeit hat, durch eine diskriminierungsfreie Anrechnung der Vordienstzeiten die Altersdiskriminierung auch ohne finanziellen Ausgleich (durch Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags bei gleichzeitiger Verlängerung des Vorrückungszeitraums) zu beseitigen, insbesondere wenn diese entgeltneutrale Lösung die Liquidität des Arbeitgebers aufrechterhalten sowie einen übermäßigen Neuberechnungsaufwand vermeiden soll?

2. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit b):

Kann der Gesetzgeber eine solche diskriminierungsfreie Anrechnung der Vordienstzeiten

a) auch rückwirkend (hier mit kundgemachtem Gesetz vom 27. 12. 2011, BGBl I 2011/129, rückwirkend zum 1. 1. 2004) einführen oder

b) gilt sie erst ab dem Zeitpunkt des Erlasses bzw der Kundmachung der neuen Anrechnungs‑ und Vorrückungsvorschriften?

3. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit b):

Ist Art 21 der Grundrechtecharta in Verbindung mit Art 2 Abs 1 und 2 sowie Art 6 Abs 1 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass

a) eine gesetzliche Regelung, die für Beschäftigungszeiten am Beginn der Karriere einen längeren Vorrückungszeitraum vorsieht und die Vorrückung in die nächste Gehaltsstufe daher erschwert, eine mittelbare Ungleichbehandlung aus Gründen des Alters darstellt,

b) und im Fall der Bejahung dahin, dass eine solche Regelung mit Rücksicht auf die geringe Berufserfahrung am Beginn der Karriere angemessen und erforderlich ist?

4. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit b):

Ist Art 7 Abs 1 und Art 8 Abs 1 in Verbindung mit Art 6 Abs 1 der Richtlinie 2000/78/EG dahin auszulegen, dass die Fortwirkung einer alten, altersdiskriminierenden Regelung allein aus dem Grund, um den Arbeitnehmer zu seinen Gunsten vor Einkommensnachteilen durch eine neue, diskriminierungsfreie Regelung zu schützen (Entgeltsicherungsklausel), aus Gründen der Wahrung des Besitzstandes und des Vertrauensschutzes zulässig bzw gerechtfertigt ist?

5. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit b) und der Bejahung der Frage 3 lit b):

a) Kann der Gesetzgeber zur Ermittlung der anrechenbaren Vordienstzeiten eine Mitwirkungspflicht (Mitwirkungsobliegenheit) des Dienstnehmers vorsehen und den Übertritt in das neue Anrechnungs‑ und Vorrückungssystem von der Erfüllung dieser Obliegenheit abhängig machen?

b) Kann sich ein Arbeitnehmer, der die ihm zumutbare Mitwirkung an der Neufestsetzung des Vorrückungsstichtags nach dem neuen, diskriminierungsfreien Anrechnungs‑ und Vorrückungssystems unterlässt und daher von der diskriminierungsfreien Regelung bewusst nicht Gebrauch macht und freiwillig im alten, altersdiskriminierenden Anrechnungs‑ und Vorrückungssystem bleibt, auf eine Altersdiskriminierung nach dem alten System berufen, oder stellt der Verbleib im alten, diskriminierenden System nur aus dem Grund, um Geldansprüche geltend machen zu können, einen Rechtsmissbrauch dar?

6. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit a) oder der Bejahung der Fragen 1 lit b) und 2 lit b):

Gebietet es der unionsrechtliche Grundsatz der Effizienz nach Art 47 Abs 1 der Grundrechtecharta und nach Art 19 Abs 1 EUV, dass die Verjährung von im Unionsrecht begründeten Ansprüchen nicht vor eindeutiger Klärung der Rechtslage durch Verkündung einer einschlägigen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu laufen beginnt?

7. Im Fall der Bejahung der Frage 1 lit a) oder der Bejahung der Fragen 1 lit b) und 2 lit b):

Gebietet es der unionsrechtliche Grundsatz der Äquivalenz, eine im nationalen Recht vorgesehene Hemmung der Verjährung für die Geltendmachung von Ansprüchen nach einem neuen Anrechnungs‑ und Vorrückungssystem (§ 53a Abs 5 des Bundesbahngesetzes) auf die Geltendmachung von Gehaltsdifferenzen auszudehnen, die aus einem altersdiskriminierenden alten System resultieren?

Normen

AEUV Lissabon Art19 Abs1
AEUV Lissabon Art267
BBG 1992 §53a
BBO §3
GRC Art21
GRC Art47 Abs1
EG-RL 2000/78/EG - Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 32000L0078 Art6 Abs1
EG-RL 2000/78/EG - Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 32000L0078 Art7 Abs1
EG-RL 2000/78/EG - Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 32000L0078 Art8 Abs1

8 ObA 20/13vOGH27.06.2013
9 ObA 52/13gOGH24.07.2013
9 ObA 112/13fOGH27.09.2013
8 ObA 11/15yOGH26.02.2015

Beisatz: Der EuGH hat auf das Vorabentscheidungsersuchen mit Urteil vom 28. Jänner 2015, C‑417/13, Starjakob, wie folgt geantwortet: <br/>„1) Das Unionsrecht ‑ insbesondere Art 2 und Art 6 Abs 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ‑ ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die zur Beseitigung einer Altersdiskriminierung die vor dem vollendeten 18. Lebensjahr zurückgelegten Vordienstzeiten berücksichtigt, aber zugleich eine tatsächlich nur für Bedienstete, die Opfer dieser Diskriminierung sind, geltende Bestimmung enthält, die den für die Vorrückung in den jeweils ersten drei Gehaltsstufen erforderlichen Zeitraum um jeweils ein Jahr verlängert und damit eine Ungleichbehandlung wegen des Alters endgültig festschreibt.<br/>2) Das Unionsrecht ‑ insbesondere Art 16 der Richtlinie 2000/78 ‑ ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, mit der eine Altersdiskriminierung beseitigt werden soll, es einem Bediensteten, dessen vor der Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegte Vordienstzeiten bei der Berechnung seiner Vorrückung nicht berücksichtigt worden sind, nicht zwingend ermöglichen muss, einen finanziellen Ausgleich zu erhalten, der der Differenz zwischen dem Entgelt entspricht, das er ohne die Diskriminierung erhalten hätte, und dem Entgelt, das er tatsächlich erhalten hat. Gleichwohl bedeutet die Herstellung der Gleichbehandlung in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, solange kein System zur Beseitigung der Diskriminierung wegen des Alters in einer mit der Richtlinie 2000/78 in Einklang stehenden Art und Weise eingeführt worden ist, dass den Bediensteten, die ihre Berufserfahrung, sei es auch nur teilweise, vor der Vollendung des 18. Lebensjahrs erworben haben, hinsichtlich der Berücksichtigung der vor der Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegten Vordienstzeiten, aber auch hinsichtlich der Vorrückung in der Gehaltstabelle dieselben Vorteile zu gewähren sind, wie sie den Bediensteten, die nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs eine gleichartige Berufserfahrung in vergleichbarem zeitlichem Umfang erworben haben, zuteil geworden sind.<br/>3) Das Unionsrecht ‑ insbesondere Art 16 der Richtlinie 2000/78 ‑ ist dahin auszulegen, dass es den nationalen Gesetzgeber nicht daran hindert, für die Berücksichtigung der vor der Vollendung des 18. Lebensjahrs zurückgelegten Vordienstzeiten eine Mitwirkungsobliegenheit zu begründen, aufgrund deren der Bedienstete diese Zeiten gegenüber seinem Arbeitgeber nachzuweisen hat. Es stellt indessen keinen Rechtsmissbrauch dar, wenn ein Bediensteter die Mitwirkung bei der Anwendung einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verweigert, die eine gegen die Richtlinie 2000/78 verstoßende Diskriminierung wegen des Alters beinhaltet, und wenn er auf Zahlung eines Geldbetrags zur Herstellung der Gleichbehandlung mit den Bediensteten klagt, die nach der Vollendung des 18. Lebensjahrs eine gleichartige Berufserfahrung in vergleichbarem zeitlichem Umfang erworben haben.<br/>4) Der Grundsatz der Effektivität ist dahin auszulegen, dass er es in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens nicht verbietet, dass eine im nationalen Recht bestimmte Frist für die Verjährung von im Unionsrecht begründeten Ansprüchen vor dem Tag der Verkündung eines Urteils des Gerichtshofs, das die Rechtslage auf dem betreffenden Gebiet klärt, zu laufen beginnt.“ (T1)

9 ObA 15/15vOGH20.03.2015

Beis wie T1; Beisatz: Hier: Antrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG. (T2)

9 ObA 19/15gOGH29.04.2015

Auch; Beis wie T1; Beis wie T2

9 ObA 16/15sOGH29.04.2015

Beis wie T1; Beis wie T2

Dokumentnummer

JJR_20130627_OGH0002_008OBA00020_13V0000_001

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